grassroots movement

nach Dürer

Noch einmal: Die Bibel in gerechter Sprache

Andreas Mertin

Resonanzen

Info Andreas MertinSelten hat ein Artikel von Tà katoptrizómena so viele positive Reaktionen hervorgerufen wie die kurzen Notizen zum ästhetischen und anti-fundamentalistischen Charakter der Bibel in gerechter Sprache in der letzten Ausgabe. Viele LeserInnen des Magazins artikulierten ihre Zustimmung zur Bibel in gerechter Sprache und schilderten ihre Erfahrungen mit der geifernden Kritik an ihr. Es scheint sich hier ein dramatischer Riss aufzutun zwischen dem Kirchenvolk und den Engagierten in der Kirche einerseits und den Kirchenfunktionären und den Traditionsfixierten andererseits.

Und so wie seit einigen Jahren in der Evangelischen Kirche ein Fundamentalismus von oben betrieben wird, werden auch jetzt die Menschen, für die das Bedenken der biblischen Überlieferung im Sinne der jüdisch-christliche Gespräche, der sozialgeschichtlichen und feministischen Fragestellung zu einem erkenntnisproduktiven Ansatz geworden ist, massiv von oben unter Druck gesetzt. Das Kirchenverständnis, dass unsere Kirchenleitungen dabei offenbaren, ist erschreckend. Man fühlt sich versucht, berühmte Worte zu wiederholen: "Man kann wohl oft einen Ekel bekommen vor dem ganzen kirchlichen Wesen. Wer diese Beklemmung nicht kennt, wer sich einfach wohl fühlt in den Kirchenmauern, der hat die eigentliche Dynamik dieser Sache bestimmt noch nicht gesehen." (Karl Barth,Dogmatik im Grundriss)

Kaum spricht man über die Bibel in gerechter Sprache in kirchenoffiziellen Kontexten, wird mit Kirchenordnungen gedroht, wird so getan, als gebe es in der Verkündigung keine Bindung an die Schrift, sondern vielmehr an die jeweils aktuelle Luther-Übersetzung. Wenn Peter Hahne, Gallionsfigur der evangelikalen Rechten in der EKD, davon spricht, wenn auf einem Buch Bibel draufstände, dann müsse auch der Urtext drin sein, dann legt er die Vermutung nahe, dass für ihn die Luther-Übersetzung der Urtext ist. Das ist natürlich durch und durch unevangelisch. Auch der Luther-Text bedarf - wie jede andere Bibelübersetzung - der ständigen Relektüre und Korrektur durch die Urtexte/Ausgangstexte in Hebräisch und Griechisch nach dem aktuellsten exegetischen Erkenntnisstand. Nicht zuletzt deshalb lernen unsere TheologInnen diese Sprachen im Rahmen ihrer Ausbildung.

Und nun hat ein größerer Teil derer, die den TheologInnen dieses Grundwissen im Umgang mit der Heiligen Schrift in der akademischen Ausbildung vermitteln, eine Lesart der Bibel vorgelegt, die diese wieder lesbar macht mit jenen Impulsen, die die kirchlichen Initiativen seit Jahrzehnten intensiv beschäftigen. Wie steht der biblische Text im Verhältnis zu unseren Gesprächen mit dem Judentum? Inwiefern findet jüdische Bibelauslegung und Exegese auch Berücksichtigung in der Lektüre und Exegese unserer Schriften? Hat die anti-judaistische Grundhaltung zahlreicher Theologen und Theologien in der Kirchengeschichte nicht Übersetzungen der Bibel entstehen lassen, die mit dem im Urtext Intendierten nur wenig zu tun haben? Inwiefern spielen bei der Lektüre der Bibel auch jene Erkenntnisse eine Rolle, die wir in jahrzehntelangen Auseinandersetzungen mit den Fragestellungen der feministischen Theologie gewonnen haben?

Ist es ein Zufall, dass die Kritiker, die sich in dieser Frage am dezidiertesten äußern, gerade jene sind, die auch in kulturellen Fragen die evangelische Kirche ins Mittelalter zurückführen wollen? Und ist es ein Zufall, dass sie dabei mit Argumenten operieren, die, man kann nur sagen: wider besseren Wissens, Martin Luther gegen die Übersetzer der Bibel in gerechter Sprache ausspielen? Wer einmal Luthers Sendbrief vom Dolmetschen gelesen hat, könnte ihn nun Wort für Wort zur Verteidigung der Bibel in gerechter Sprache anführen: "Zum andern mügt yhr sagen, das ich das Newe Testament verdeutscht habe, auff mein bestes vermügen und auff mein gewissen, habe damit niemand gezwungen, das ers lese, sondern frey gelasen, und allein zu dienst gethan denen, die es nicht besser machen können, Ist niemandt verboten ein bessers zu machen. Wers nicht lesen wil, der las es ligen, ich bite und feyre niemandt drumb. Es ist mein testament und mein dolmetschung, und sol mein bleiben unnd sein ... Aber was frage ich darnach? sie toben oder rasen, jch wil nicht wehren, das sie verdeutschen was sie wöllen, ich wil aber auch verdeutschen, nicht wie sie wöllen, sonder wie ich wil." Ein wenig zu sehr klingt die aktuelle Kritik einiger Kirchenfunktionäre der Evangelischen Kirche an der Bibel in gerechter Sprache wie die mittelalterliche Kritik der katholíschen Kirche an Martin Luthers subjektiver Hermeneutik.

Im Kern geht es aber vermutlich gar nicht darum, ob und worin diese Übersetzung gelungen ist (das werden ihre Kritiker nicht ernsthaft bestreiten können), sondern darum, ob und inwiefern diese Übersetzung jenem grassroots movement zu Gute kommt, das den Protestantismus seit Jahrzehnten auf Kirchentagen und Akademieveranstaltungen umtreibt und den größten Teil der Innovationskraft des geistesgegenwärtigen Protestantismus ausmacht. Man muss die Infragestellung des petrifizierten Funktionärsbewusstseins durch diese Bewegungen nachvollziehen, um zu verstehen, was für ein Alptraum es für sie bedeutet, wenn derartige kirchliche Aufbruchsbestrebungen sich nun nicht nur auf einzelne Texte, Gespräche und Impulse, sondern auch noch auf eine Bibelübersetzung beziehen können. Das muss der Horror schlechthin für jede geronnene Kirchenideologie sein. Wenn künftig jemand sagt "Aber die Bibel in gerechter Sprache übersetzt an dieser Stelle so ..." dann müsste der Kirchenfunktionär doch tatsächlich aus dem Urtext/Ausgangstext heraus das bessere Argument suchen. Er müsste darlegen, warum der jeweilige Übersetzer des Textes in der Bibel in gerechter Sprache angeblich nicht dem Urtext/Ausgangstext gefolgt, er dürfte das "Sola scriptura" nicht nur reflexhaft und damit ideologisch wiederholen, sondern er müsste in der Sache mit einem exegetischen Argument seine Ansicht präzisieren. Und es würde nicht reichen zu sagen: "Aber in der Luther-Bibel steht es doch so ...." Genau das macht die Gefährlichkeit der neuen Übersetzung der Bibel für manche aus, dass nämlich vertraute und allzu bequeme Ideologien zerschlagen bzw. unterminiert werden. In diesem Sinne knüpft die Bibel in gerechter Sprache gerade am subversiven Impuls der Luther-Übersetzung in Zeiten der Reformation an.

Es ist nun aber so, dass zeigen die Erwiderungen der Übersetzer der Bibel in gerechter Sprache, dass die Kritiker keinesfalls die besseren Argumente haben, ja, dass sie mit gröbsten Verzerrungen und einem unzureichenden Textverständnis operieren. Oftmals sind sie nicht einmal auf dem exegetischen Stand der Gegenwart - wie etwa Bischof Huber, der bestreitet, dass es Apostelinnen gegeben habe, obwohl doch selbst die Anmerkungen zur jüngsten Revision der Lutherbibel zu Röm 16,7 die Anmerkung enthalten: „Wahrscheinlich lautete der Name ursprünglich (weiblich) Junia. In der alten Kirche und noch bis ins 13. Jh. wurde er als Frauenname verstanden.“ Warum also ist es dem Ratsvorsitzenden der Ev. Kirche so wichtig, die Bibel in gerechter Sprache zu kritisieren, dass er sogar an überholten theologischen Erkenntnissen festhält? Wem dient er da, wen bedient er da?

Wenn andere Bischöfe einwenden, in der neuen Form sei auf die Bibel kein Verlass mehr, verwechseln sie Bibellektüre mit Dogmatik, und das Wort mit seiner schriftlichen geschichtlichen Gestalt. Nicht einmal in den Urtexten/Ausgangstexten haben wir eine veristische Form eines Zeugnisses vor uns, dazu ist die Textgestalt der Bibel durch zu viele kaum mehr zu rekonstruierende Redaktionsgestalten gegangen. Wer also sagt, auf die Bibel in gerechter Sprache sei kein Verlass, ohne sofort hinzuzufügen, dass dies für jede andere Bibelübersetzung auch gilt, ja dass auch die Bibel selbst eine geschichtliche Urkunde ist, der führt in die Irre. Ist es nicht so, wie Otto Weber auf den ersten Seiten seiner „Grundlagen der Dogmatik“ schrieb, dass jede getroffene Sprachentscheidung bei der Übersetzung wie bei der Verschriftlichung notwendig zu Missverständnissen führt? Und muss man dann nicht gerade die Hervorhebung dieser notwendigen Missverständlichkeit als produktiven Akt verstehen? Genau dieses ist es aber, was die Bibel in gerechter Sprache leistet! Indem es auf andere Lesarten derselben Stelle verweist, beugt es dem schrecklichen Missverständnis vor, die geschichtliche Urkunde mit dem Wort Gottes in eins zu setzen. Dagegen ist die verbreitete Rede davon, wir hätten mit der Luther-Bibel den autorisierten und autoritativen gemeindlichen Text vor uns, pure Ideologie.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/47/am209.htm
© Andreas Mertin