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Magazin für Theologie und Ästhetik


Kirche und Ökonomie - Theologie und Ästhetik

Anmerkungen zur "Fundamentalismus-Debatte"

Andreas Mertin

Man kann wohl oft einen Ekel bekommen vor dem ganzen kirchlichen Wesen. Wer diese Beklemmung nicht kennt, wer sich einfach wohl fühlt in den Kirchenmauern, der hat die eigentliche Dynamik dieser Sache bestimmt noch nicht gesehen.
Karl Barth, Dogmatik im Grundriß

In der evangelischen Kirche von Deutschland gärt es. Angesichts der knapper werdenden Kassen wird der Ton gereizter, die Neigung zur Polemik steigt, und die verbreitete Ratlosigkeit darüber, welcher Weg in die Zukunft zu beschreiten sei, wird offenkundig. Während die einen das "Unternehmen Kirche" marktökonomisch umstylen und stromlinienförmig machen wollen, sehen andere durch diese Bestrebungen nicht nur die bunte Vielfalt des Protestantismus, sondern auch die zentralen religiösen Gehalte gefährdet.

Der originale, noch nicht von der Redaktion verfälschte Titel der Polemik von Dietrich Neuhaus

Der Studienleiter der Evangelischen Akademie Arnoldshain und Mitherausgeber dieses Magazins, Dietrich Neuhaus, hat jüngst in der Kirchenpostille "Das Sonntagsblatt" die provokante These vorgetragen, hinter den verschiedenen organisationsstrategischen Überlegungen der verschiedenen Kirchenleitungen verberge sich ein Fundamentalismus von oben (Artikel Neuhaus). Sein - durchaus aus der Geschichte der evangelischen Kirche zu belegendes - Argument lautet: während früher die Gemeinden und ihre Pfarrer das treibende Moment in der kritischen Erneuerung der Kirche gewesen seien und die Kirchenleitungen sich als Repräsentanten des Status quo verstanden hätten, werde nun eine globale Veränderung des Protestantismus von oben betrieben, der zwar nicht auf die Zentralisierung, wohl aber auf die Vereinheitlichung der evangelischen Kirche auf Kosten ihrer pluralen Gestalt ziele: "Weg mit der bunten Vielfalt und unübersichtlichen Nischenkultur, ein einheitliches Profil muss her, 'Kenntlichkeit' ist die Parole der Stunde. Gefordert wird eine klare Produktlinie mit dem Ziel der 'Alleinstellung am Markt'."

Tatsächlich läßt die evangelische Kirche landauf, landab Organisationsberatungen durchführen, die kaum anderes zum Ziel haben, als alles den Kriterien der Effizienz zu unterwerfen. Und wie bei einem deutschen Großunternehmen lauten die ersten Schritte: Gehaltseinbußen, Personalabbau, Umstrukturierung. Nach der lean production nun die lean religion? Nun ist es nicht unplausibel, mit Keith Chesterton zu vermuten, daß, wo immer bei einer Bewegung oder Institution von Effizienz die Rede ist, der Inhalt flöten geht. Theologische Begründungen jedenfalls sind rar in diesen Zeiten, eher wird angestrengt die Wettbewerbsmetaphorik bemüht, als über Verkündigung und Auftrag nachgedacht.

Es kann der Gesellschaft nicht gleichgültig sein, wenn in einer Institution, deren Bedeutung gerade in ihrer Widerständigkeit gegenüber allen Funktionalisierungen liegt und deren Charme gerade der Protest ist, nun alles nach dem Paradigma der Funktionalität geordnet werden soll. "Daß der Kunde König sei", so hat treffend jemand bemerkt, kann in der Kirche nicht die erste Maxime sein. Da hat sie - hoffentlich - doch noch mehr zu sagen. Vielleicht ist Kundenorientierung nicht einmal das Ziel der kirchenleitenden Bemühungen, eher ist es schon der Ausdruck eines tiefgreifenden Mißbehagens an der Grundstruktur des Protestantismus im 20. Jahrhundert selbst, die die Reformantreiber motiviert.

Die Diagnose von Dietrch Neuhaus kann jedenfall an die seinerzeitige Kritik Alfred Lorenzers am II. Vatikanum anknüpfen. In seinem Buch "Das Konzil der Buchhalter" hatte dieser überzeugend ausgeführt, daß das Besorgniserregende der damaligen Beschlüsse die Ersetzung der Religion durch Verwaltung sei. In der schönen Formulierung Lorenzers: "Absicherung der Parteiarbeit mittels der Intensivierung der Schulung der Parteimitglieder". Hier verrät sich nach Lorenzer "eine höchst irdische Auffassung von Vorsorge, die den Fortbestand der Kirche nicht länger vom göttlichen Beistand erhofft ..., sondern von einer ganz handfest-pragmatischen Kalkulation". Mit Pier Paolo Pasolini verweist Lorenzer darauf, daß die kirchliche Akzeptierung der bürgerlich kapitalistischen Ordnung ein historischer Irrtum sei, der sich für die Kirche als tödlich erweisen werde. Lorenzer vermutete, daß das Motiv der damaligen Kirchenreform die bessere Kontrolle der Gemeinden durch die Kirchenleitung sei.

Es ist nicht ganz unplausibel zu vermuten, daß auch hinter den gegenwärtigen Veränderungsbestrebungen in der Evangelischen Kirche ähnliche Triebkräfte stecken. Dabei wird der Protestantismus durch derartige Unternehmungen ungleich stärker getroffen, weil sie sein Selbstverständnis unterminieren. Denn die Vitalität des Protestantismus - die in der Öffentlichkeit nicht immer ganz kenntlich wird - bezieht dieser aus seiner dezentralen, anti-hierarchischen Struktur, in der die einzelne Gemeinde oft mehr zu sagen hat als die Kirchenleitung. Kirchenkritik als Institutionenkritik gehört zum protestantischen Selbstverständnis unmittelbar hinzu. Treibende Kräfte sind daher gerade unten ansetzende Bewegungen wie der Kirchentag oder Gemeindeinitiativen. Wo Kirchenleitungen oft beschwörend warnend die Hände heben, wie etwa in der Asyl- oder Atomstrom-Frage, setzen die Aktivitäten der Gemeinden vor Ort deutliche Akzente.

Nun aber soll alles anders werden. Nach den Werbestrategen, die uns das Bild einer heilen Kirche verkaufen wollten, nun also die Organisationsberater. Wie ein marodes Unternehmen soll der Betrieb Kirche in Schwung gebracht werden. Nun ist nichts dagegen zu sagen, wenn Gemeinden Fachleute zu Rate ziehen, die sicher helfen können, manche eingefahrene Situation zu verflüssigen. Hier wären aber Supervisoren eher angebracht als Unternehmensberater. Jedoch dient das anstehende Konzept der Kirchen gerade nicht der kommunikativen Dynamisierung der Gemeinden, sondern vor allem der Rentabilität der Kirche. Effizienz heißt das zentrale Stichwort, Unternehmen Kirche die leitende Metapher. Und wer dieses "Leitbild" nicht akzeptiert, wird gemaßregelt.

Über die Art und Weise, wie kirchenintern und vor allem kirchenleitend auf den Essay von Dietrich Neuhaus reagiert wird, kann man natürlich nur spekulieren. Ein Großteil der Pfarrer und kirchlichen Mitarbeiter dürfte die vorgetragenen Überlegungen zustimmend zur Kenntnis genommen haben. Wer in den letzten Jahren regelmäßig mit Pfarrern und kirchlichen Mitarbeitern Gespräche geführt hat, hat den zunehmenden Druck und Legitimationszwang, der auf ihnen lastet, und den daraus resultierenden Frust hautnah mitbekommen. Und so sprechen auch die Mehrzahl der Leserbriefe auf Neuhaus' Artikel im Sonntagsblatt eine deutliche Sprache. Hier artikuliert sich ein allgemeines Aufatmen darüber, daß endlich jemand wenigstens das in der Kirche verbreitete Unbehagen an der Kirche artikuliert hat.

Wie die kirchenleitenden Gremien denken, davon bekommt man einen ungefähren Eindruck durch eine Replik des Chefredakteurs ausgerechnet jenes Blattes, welches Neuhaus Essay veröffentlich hatte (Replik Brummer). Offensichtlich unter Druck geraten - schließlich finanziert die EKD das Sonntagsblatt in nicht unerheblichem Umfang -, zieht er blank. Der wirtschaftsliberale Chefredakteur Arnd Brummer verteidigt das von ihm vertretene, theologisch allerdings kaum vertretbare Konzept, die christliche Kirche als marktorientiertes Unternehmen zu begreifen, mit Hilfe gröbster Polemik. Nicht die von oben ansetzenden Kirchenleitungen und die sich anbahnende Unternehmenskonzeption und -philosophie der Kirche seien das eigentliche Problem, sondern vor allem die bundesdeutschen Pfarrer, die sich als Päpste (sic!) ihrer Gemeinden gerierten, und die zu einer privilegierten und selbstgewissen Kaste verkommen seien. Selten hat sich innerkirchliche Antiklerikalismus im Protestantismus derartig verhöhnend über die eigenen Mitarbeiter geäußert, wie hier.

Vielleicht ist das aber auch nur der Ausdruck der neuen Unternehmensphilosophie der Kirche. Wer seine Mitarbeiter nur noch als Maschinenteilchen auf dem Weg zur Effizienz des Unternehmens versteht, muß alles entfernen, was Sand ins Getriebe bringt. Wer sich der Umgestaltung der Kirche in ein Unternehmen verweigere(!), so Brummer, müsse belegen, daß die gegenwärtige Arbeitsweise der Gemeinden die beste Form sei, die Menschen zu erreichen. Dem ist nur zu antworten: "Wichtiger als alle Leistungen der Gemeinde ist es, daß die Gemeinde in ihrem Sprechen, Tun und Gestaltet-Werden über sich hinausweist. In genau dem Maße, wie sie es, den Strukturen der 'Welt' folgend, unternimmt, sich aus ihrer Vergangenheit (Tradition) oder aus ihrer Leistung (für die Erbauung der Menschen, für das soziale Leben usw.) zu legitimieren und sich damit selbst zu behaupten oder zu verteidigen, verliert sie die Möglichkeit zu der Legitimation, die allein für sie gültig ist" (Otto Weber, Grundlagen der Dogmatik). Und das kann man dann nun durchaus Fundamentalismus nennen. Arnd Brummers empfindsamer Einwand, der Vorwurf des Fundamentalismus sei ein Mißbrauch von dessen ursprünglicher Bedeutung, verkennt nicht zuletzt den heuristischen Gebrauch, den Dietrich Neuhaus von ihm macht. Ebenso verkennt sein Einwand, man verfüge über ganz andere Zahlen als die von Neuhaus in Gebrauch genommen, daß dessen Kritik nicht den Zahlen, sondern dem Ansatz galt, mit dem man kirchlicherseits das Problem in den Griff zu bekommen sucht.

Ist es ein Zufall, daß der Kongreß "Unternehmen Kirche", der vom Deutschen Sonntagsblatt initiiert wurde und nun zum wiederholten Mal stattfindet, sich ein Logo gesucht hat, das der Wirtschaftskurve eines Unternehmens exakt nachgebildet ist? Nicht mehr die Kirche im Lebenskontext (= die Kirche im Dorf) steht zur Diskussion, sondern ihr Unternehmensprofil. Da fragt man sich doch: Wie steht es denn um die Aktienwerte Jesu Christi, hat der Xetra Dax schon auf die Rationalisierungen des Unternehmens reagiert? Denn wie immer bei Aktiengesellschaften freuen sich die Börsianer vor allem dann, wenn Arbeitsplatzabbau und moderate Lohnabschlüsse angesagt sind. Und an diese Aufgabe machen sich die Aufsichtsräte des Unternehmens Kirche ja gerade.

Nun könnte jemand auf den Gedanken kommen, so wie Dietrich Neuhaus sich im Rahmen seiner Passion(en) auch auf die Ästhetik beziehe, so beziehe sich die Kirche aus aktuellem Anlaß und in Sorge um die Zukunft der Kirche eben auch auf die Ökonomie. Beide Bezugnahmen seien notwendige Korrektive gegenüber einer Selbstghettoisierung der Kirche. Wahr ist daran zunächst nur soviel: Ebenso wie die Kirche immer in einer zu reflektierenden und zu rechtfertigenden ästhetischen Gestalt lebt, so lebt sie auch immer in einer zu reflektierenden und zu rechtfertigenden ökonomischen Form. Darum geht es im vorliegenden Streit aber offensichtlich nicht. Niemand wird bestreiten, daß die ökonomischen Rahmenbedingungen der Kirche kritisch erörtert werden müssen. Allerdings wird zur Zeit über den ökonomischen Rahmen gar nicht gestritten, sonst müßte man z.B. die Finanzierung der Kirche theologisch wie gesellschaftlich kritisch überdenken. Stichworte, die hier die Richtung weisen müßten, wäre die allgemeine Kultursteuer, wie sie in Ländern wie Italien und Spanien praktiziert wird, oder eine "Gemeinwohlabgabe", wie sie einige Mitglieder der Grünen vorschlagen, welche niemandem erlaubt, sich seiner gesellschaftlich-sozialen Verantwortung zu entziehen, und deshalb jeden zumindest ökonomisch in ein Verantwortungssystem einbezieht. Aber, wie Dietrich Neuhaus zutreffend hervorhebt, wird zur Zeit gar nicht um die ökonomische Form gestritten, sondern die Diskussion um die Ökonomie wird allen theologischen Erörterungen vorgeordnet, m.a.W. sie wird zur Ideologie.

Nun gilt aber, daß, während die ästhetische Gestalt der Kirche theologisch gerade nicht gleichgültig ist bzw. nicht gleichgültig sein darf, insofern nämlich alle gemeindliche Arbeit auf die Herrlichkeit (kabod) Gottes zielt (vgl. dazu die erhellende Studie von Matthias Zeindler, Gott und das Schöne. Studien zur Theologie der Schönheit, Göttingen 1993), sich dasselbe im Blick auf die Ökonomie nun gerade nicht sagen läßt. Die befreiungstheologische Fragestellung, ob denn die Ästhetik nicht gegenüber der Sicherung der nackten Existenz (und damit gegenüber der Frage der Ökonomie) sekundär sei, stellt sich nun für deutsche Verhältnisse gar nicht und sie ist auch als Ansatz für die sog. Entwicklungsländer nicht hilfreich, weil sie auf der Anschauung basiert, daß kulturelle Äußerungen nicht zu den Überlebensmitteln der Menschen zählen.

So sei meine Reflexion abgeschlossen durch ein Zitat aus der erwähnten Schrift von Matthias Zeindler zum Verhältnis des Menschen zur Schönheit der Kultur:

"Frei vom Zwang zur Selbstbehauptung, vermag er sie wieder als gute Gabe Gottes wahrzunehmen und in seiner ästhetischen Gestaltung entsprechend mit ihr umzugehen. Der konkrete Ort, wo eine solche erneuerte ästhetische Praxis stattfindet, ist die Kirche. In ihr weiss man um die Freiheit von der menschlichen Selbstkonstitution und deshalb um eine letzte Freiheit vom Handelnmüssen - beides Bedingungen für das rechte Verhältnis zum Schönen. Zum kirchlichen Umgang mit dem Schönen gehört, dass das Hässliche nicht ausgegrenzt wird und dass man aufmerksam ist auf die unauffällige Schönheit dessen, was in der Welt kein Ansehen hat. In der Schönheit der kirchlichen Kultur schafft der Heilige Geist ein Gleichnis der Schönheit des eschatologischen Gottesreichs."

So ist es, wenn es denn so wäre.


© Andreas Mertin 1999
Magazin für Theologie und Ästhetik 2/1999
https://www.theomag.de/02/am10.htm