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Magazin für Theologie und Ästhetik


Erwünschte Differenzen

Die Bibel in gerechter Sprache

Andreas Mertin

Vielleicht haben es die Herausgeber und Förderer der "Bibel in gerechter Sprache"[1] ihren innerkirchlichen Gegnern einfach zu leicht gemacht. Einfach deshalb, weil sie ihre Intentionen, ihre Arbeitsweise von Anfang an transparent gemacht haben. So etwas tut man nicht im theologischen und kirchlichen Tagesgeschäft, man verschleiert eher, was man tut oder gibt die eigene Handlungsweise als "objektiv" wissenschaftlich und kirchlich konform aus.

Wer sich aber mit Kultur und mit Kunst beschäftigt, weiß, dass es zumindest in diesem Bereich menschlicher Tätigkeiten keine Objektivität im naturwissenschaftlichen Sinn, sondern nur nach benannten Kriterien nachvollziehbare Deutungen geben kann. Das alles ist in der Welt der Kultur und der Kunst seit Jahrhunderten trivial und in der kunstwissenschaftlichen Diskussion auch common sense. Nicht aber im Bereich der Religion und der Theologie, wo das Argument Wahrheit immer noch eine Münze ist, das weniger in einem kulturwissenschaftlichen Deutungssinn als vielmehr in pseudo-naturwissenschaftlicher Manier als Tautologie verwendet wird.

Denn wer den anhaltenden Wirbel um ein doch so selbstverständliches Projekt wie das der "Bibel in gerechter Sprache" verfolgt, muss sich schon verwundert die Augen reiben. Da wird so getan, als ob das sola scriptura ein naturwissenschaftlicher Vorgang sei und kein Auslegungs- und Deutungsakt, da werden Ketzerei und – in denunziatorischer Absicht – "politische Korrektheit" beschworen, wo doch für jeden nachvollziehbar nur Deutungsirritationen und Reflexionsprozesse intendiert waren. Wären wir im Bereich der bildenden Kunst, wäre eine solche das Verstehen irritierende und damit die eigene Reflexion anregende Herangehensweise völlig normal und eine Bereicherung der Objekterfahrung. Selbstverständlich gibt es dort einen großen Variantenreichtum im Deuten und Erschließen von Objekten der Kunstgeschichte. In der Theologie aber geht es gleich um Ketzerei und die drohende Abweichung von Schrift und Lehre.

Wer einmal bei Google "Die Bibel in gerechter Sprache" eingibt, dem wird schlagartig deutlich, dass die Kontroverse keinesfalls um eine bestimmte Deutung und Übersetzung der Heiligen Schrift geht, sondern um pure Ideologie - und zwar entgegen der medial verbreiteten Darstellung einseitig auf Seiten der Kritiker. Und diese setzen sich – das macht das Ganze eher verwirrend – aus ganz unterschiedlichen Lagern zusammen.

Natürlich(?) ist es vor allem das evangelikale Lager, das hier geradezu reflexartig eine Anpassung an den Zeitgeist wittert. Das ist ein seit Jahrzehnten wohl vertrautes Ritual, dass bei jeder neuen Sache sofort in Gang gesetzt wird. Die gleichen Leute, die den Antisemiten Mel Gibson für seine „missionarische Großtat Passion Christi“ gelobt und verteidigt haben, finden es nun bedenklich, in der Übersetzung der Bibel auf jüdische Auslegungstraditionen Rücksicht zu nehmen. Ein Schelm, wer dabei Böses denkt. Wer sich aber auf den evangelikalen Diskussionsforen zum Thema umschaut, dem wird schlagartig deutlich, wie wichtig die Bibel in gerechter Sprache ist. Da fragen doch ernsthaft mehrere Diskutanten, wieso in der Bibel in gerechter Sprache überhaupt Jüngerinnen erwähnt werden, schließlich habe Jesus doch nur Jünger gehabt. Das erkenne man schon daran, dass alle männliche Vornamen trügen. Genau diese verbreitete Unbildung ist der Hintergrund, vor dem sich das Projekt von selbst rechtfertigt.

Da sind des weiteren die institutionellen Kirchenvertreter, die als Kritiker auftreten. So etwa der zum Zeitgeist-Konservativen nachgedunkelte Bischof Huber, der darauf hinweist, dass die Bibel nicht gelungen und von der EKD nicht autorisiert sei (warum auch, hat sie das je beansprucht?) und für den liturgischen Vollzug nicht geeignet sei (warum, sagt er nicht). Statt die Diskussion zu begrüßen und voranzutreiben, soll sie gleich im Keim erstickt werden. Das dahinter stehende Kirchenverständnis scheint mir überaus problematisch zu sein. Dass im gleichen Atemzug ein Bischof einer evangelischen Kirche sich nicht entschieden gegen die politische Denunziationsformel „Gutmenschentum“ verwahrt, ist ein Skandal für sich. Gutmenschentum kommt inzwischen aus der politischen Rhetorik – vorwiegend des konservativen, ja rechtspopulistischen und rechtsextremen Lagers.

Zugleich gibt es ungefragt sich Äußernde wie das österreichische Episkopat, das die Bibel für die katholische Liturgie nicht geeignet hält. Da hätte man kaum etwas anderes erwartet, das muss Teilen der katholischen Kirche ja auch überaus unangenehm sein, an Jüngerinnen Christi erinnert zu werden. Vielleicht gibt es aber auch eine Art institutionell bedingter Seelenverwandtschaft zwischen Bischof Huber und Erzbischof Kardinal Schönborn.

Da sind schließlich die akademischen Theologen, bei denen man sich des Gefühls nicht erwehren kann, sie kritisieren das Projekt schlicht deshalb, weil es nicht ihres ist. Da ist viel Neid und Häme im Spiel und wenig sachliche Argumentation. Ist es Zufall, dass einer der sich neuerdings am lautesten artikulierenden Kritiker immer im Kontext der Aussage zitiert wird, er habe das Neue Testament schließlich selbst übersetzt? Wie bei diversen reaktionären Polemiken der letzten Zeit (Popetown etc.) legt sich auch dieser Emeritus eine eigene Website zum Thema zu (www.bigs-gutachten.de), um dort seine Kritik, vor allem aber den Verweis auf sich selbst und seine Arbeit loszuwerden.[2] Aber wer laut als erster „Häresie!“ schreit, hat nicht zugleich auch als erster Recht. Wer aber überhaupt an „Häresie“ denkt, zeigt vor allem, in welchen Kategorien er zu denken gewohnt ist.

Grenzwertig wird es dort, wo in der akademischen Kritik "insbesondere der Anschluss an jüdische Auslegungstraditionen" als problematisch angesehen wird. Das hat mir zunächst die Sprache verschlagen. Aber gemeint ist das seit Jahrzehnten vertraute Argument, man müsse die vox ipsissima Jesu Christi an ihrer Differenz zur jüdischen Umwelt bestimmen. Das ist ebenso lange als tendenziell antijudaistisch erkannt. Ein Argument gegen die Bibel in gerechter Sprache wird daraus jedenfalls nicht – ganz im Gegenteil.

Allen Kritiken gemeinsam ist, dass sie das Projekt zunächst so darstellen, als wolle es andere Übersetzungen ablösen, um dann aufzuzeigen, dass es das nicht kann und darf. Dabei ist erkennbar der Ansatz der Bibel in gerechter Sprache der, dass geronnene und missverständliche Sprache aufgebrochen und mit neuen Impulsen versehen wird. Und genau das erwarte ich natürlich von Exegeten.

Exkurs

Die ganze öffentliche Verwirrung um die Bibel in gerechter Sprache kann man einer Glosse in der FAZ entnehmen.[3] Namhafte Vertreter der akademischen Theologie, so kann man dort zunächst zu lesen, hätten die Bibel in gerechter Sprache bis in die Grundfeste erschüttert, Das ist insofern interessant, als 52 namhafte Vertreter der akademischen Theologie die Bibelübersetzung ja erstellt hatten. Und noch mehr Vertreter der Theologie wie der Kirchen haben die Genese der Bibel kritisch kommentierend begleitet. Dass nun eine Handvoll Vertreter der akademischen Theologie lautstark protestieren, steht dazu in keinem Verhältnis.

Die Autoren verletzten, so die FAZ, die Regeln historisch-kritischer Textauslegung. Nun ist die historisch-kritische Exegese keinesfalls ein sakrosanktes Instrumentarium, sondern befindet sich in einem steten Fluss. Was etwa 1980 in der historisch-kritischen Exegese noch Stand der Wissenschaft war (etwa das zeitliche Verhältnis von J und P), ist es heute schon lange nicht mehr.

Amüsant ist es darüber hinaus, dass die historisch-kritische Exegese heute gerade von jenen als Keule verwendet wird, die Jahrzehnte vorher in der Auseinandersetzung etwa mit Rudolf Bultmann und seinen Kollegen diese Methodik verteufelten und als Anpassung an den Zeitgeist anprangerten.

Die FAZ-Glosse verweist zudem süffisant darauf, dass auf den Seiten der EKD die Bibel in gerechter Sprache nur am Ende einer zehn Bibelausgaben umfassenden Liste kritisch vorgestellt werde. Vielleicht darf man aber darauf hinweisen, dass nicht eine der Bibelausgaben der Kritiker der Bibel in gerechter Sprache auf dieser Liste auftaucht.

Dass es um den Kern des Protestantismus gehe, wie die FAZ meint, unterstellt, dieser sei eine unwandelbare und nicht eine prozesshafte Wahrheit.  

Kulturk(r)ampf

Blickt man auf die beteiligten Kontrahenten, dann kann man vermuten, hier werde die alte Auseinandersetzung um den Evangelischen Kirchentag wieder aufgewärmt. Kann und darf der Protestantismus in bunter Pluralität erscheinen und kann und darf das auch im Blick auf die (Auslegung der) Bezugstexte zur Geltung kommen? Darf das, was in den letzten Jahrzehnten auf den verschiedenen Kirchentagen – nicht zuletzt im Forum Judentum und Christentum diskutiert wurde, auch in einer Bibelübersetzung konkret werden? Gerade die aktuelle Debatte zeigt, wie wichtig und unentbehrlich das Projekt dieser Bibel ist.

Fazit

Die Bibel in gerechter Sprache kann jedem nur zur Anschaffung und zur vergleichenden Lektüre empfohlen werden. Die Irritation, die sich einstellt, wenn man bisher verwendete Verse aus der Luther-Übersetzung durch die Übersetzung aus der Bibel in gerechter Sprache ersetzt, ist äußerst produktiv. Zum einen ändert sich weniger, als man zunächst denkt, denn oft genug stimmen alte und neue Übersetzung in einem guten Maße überein. Zum anderen ist es aber gerade da, wo dies nicht der Fall ist, angebracht, über die Bedeutung der biblischen Aussage nachzudenken. In diesem Sinne ist die Bibel in gerechter Sprache in hohem Maße ästhetisch und anti-fundamentalistisch zugleich - und gerade deshalb auch unverzichtbar.


Postskriptum

Ostern 2007 hat der Herausgabekreis der Bibel in gerechter Sprache eine Stellungnahme veröffentlicht, die Sie hier herunterladen können. Wichtig finde ich darin folgende Bemerkung: "Die von Paulus im Brief an die Gemeinden in Galatien (Gal 3,28; s.o.) angesprochenen Absagen an Hierarchien innerhalb der frühchristlichen Gemeinden sind als soziale Wirkungen des Evangeliums bleibend aktuell und für die Kirche Jesu Christi von entscheidender Bedeutung." Das ist wahr und für mich gerade in der Auseinandersetzung um die Bibel in gerechter Sprache (aber nicht nur dort) wichtig geworden.

Zu einzelnen Fragen rund um die Bibel in gerechter Sprache gibt es eine FAQ.

Gut gefallen haben mir die sachlichen Antworten des Herausgabekreises auf die Polemiken ihrer Kritiker. Zu finden sind sie hier.

Besonder wichtig: Die Stellungnahme von Rabbiner Michel Bollag

Und hier kann man reinhören.


Anmerkungen

[1]    Ulrike Bail, Frank Crüsemann, Marlene Crüsemann, Erhard Domay, Jürgen Ebach, Claudia Janssen, Hanne Köhler, Helga Kuhlmann, Martin Leutzsch und Luise Schottroff (Hrsg.): Bibel in gerechter Sprache. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2006.

[2]    Sprachliche Kompetenz kann es aber nicht sein, die Altbischof Wilckens' Kritik beflügelt, denn rein sprachlich ist sein Text eher schwach. Vgl. etwa die lustige sprachliche Schöpfung "Folgen anrichten" gleich am Anfang seines Gutachtens; er meinte vermutlich "Schaden anrichten". Lustig auch die Verwendung der Formel "ins Gesicht springen" aus der Feder eines ehemaligen Bischofs, wo doch vermutlich ins Auge fallen/springen gemeint ist. Ins Gesicht springt man bekanntlich volkssprachlich mit dem blanken Hintern. Aber vermutlich ist die sprachliche Formulierung nicht einmal falsch, denn genau als "blanken Hintern" hat der Bischof vermutlich die Bibel in gerechter Sprache wahrgenommen.

[3]   F.A.Z., 26.02.2007, Nr. 48 / Seite 10


© Andreas Mertin 2007
Magazin für Theologie und Ästhetik 46/2007
https://www.theomag.de/46/am205.htm

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