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Magazin für Theologie und Ästhetik


Unbefleckte Erkenntnis

Der Blick der theologischen Zunft auf die Kunst

Andreas Mertin

Während allenthalben in der Kirche und der Gesellschaft die Räder zurückgedreht werden(1), bemühen sich nun auch Theologen auf dem Gebiet der bildenden Künste ihren Part dazu beizusteuern. War es vor einigen Jahren noch selbstverständlich, daß kirchliche Gremien wenigstens per Lippenbekenntnis die Autonomie der Kunst zu wahren trachteten(2), so mehren sich nun die Zeichen, daß die entscheidenden kirchlichen Stellen zum Modell der Auftraggeberschaft zurückkehren wollen. Selten habe ich so oft wie im vergangenen Jahr die Forderung nach der Wiederbelebung christlicher Ikonografie gehört. Zur Selbstrepräsentation des Protestantismus auf der Expo 2000, so beispielsweise Horst Hirschler, gehöre auch der (per Auftrag realisierte) Nachweis der Aktualität Jesu Christi in der Gegenwartskunst, zu den Leitzielen kirchlicher Kulturförderung inzwischen auch wieder die "Heranführung junger Künstlerinnen und Künstler an christliche Themen". Von jenen kirchlichen Gremien ganz zu schweigen, die per Massenauftrag und gegen Honorar religiöse Bilder malen lassen wollen. Unbekümmert um alle modernen Differenzierungsbewegungen wird ganz bewußt an vormoderne Strukturen angeknüpft.

Wie steht es in dieser Situation um diejenigen Theologen, die sich aus Profession mit der Kultur und den bildenden Künsten beschäftigen? Das Thema Kunst und Kirche, Theologie und Ästhetik hat ja das Christentum seit seinen Anfängen immer wieder in unterschiedlichen Intensitäten beschäftigt, auch im 20. Jahrhundert. Und an dieser Debatte haben sich nicht nur Theologen beteiligt, auch aus anderen Diskursen sind wertvolle Beiträge beigesteuert worden. Denken wir etwa an Georg Simmels Aufsatz "Das Christentum und die Kunst"(3), an Werner Hofmanns Ausstellung "Luther und die Folgen für die Kunst"(4) oder auch an Hans Beltings umfassende Studie zum Kultbild.(5) Auch die Theologen haben sich verstärkt seit dem 2. Weltkrieg mit Reflexionen zum Verhältnis von Kunst und Kirche und seit Ende der 80er Jahre auch mit dem Verhältnis von Theologie und Ästhetik beschäftigt. Erinnert sei nur an einige protestantische 'Schrittmacher' wie Hans-Eckehard Bahr,(6) Rainer Volp,(7) Horst Schwebel(8) im Bereich von Kunst und Kirche oder in jüngster Zeit Albrecht Grözinger(9), Andreas Mertin(10) und Thomas Erne(11) auf dem Feld von Theologie und Ästhetik. Zu denken wäre aber auch an die interessanten Ansätze aus dem amerikanischen Bereich.(12) (M.C. Taylor: Disfiguring)

Das Erscheinen einiger Bücher zum Thema Kunst und Religion bzw. Theologie und Ästhetik in den letzten Jahren gibt Anlaß, der Frage nachzugehen, ob das veränderte innerkirchliche Klima auch schon Rückwirkungen auf die Theoriebildung hat. Um es vorweg zu sagen: so schlimm wie in der kirchlichen Praxis ist es (noch) nicht, das Ergebnis ist aber auch nicht ermutigend. Zur Zeit erschöpft sich die akademische Debatte in zirkulären Zitationen und alten Grabenkämpfen, während neue Gesichtspunkte kaum zu entdecken sind.

  • Rezension: Heumann, Jürgen / Müller, Wolfgang Erich: Auf der Suche nach Wirklichkeit. Von der (Un-)Möglichkeit einer theologischen Interpretation der Kunst. Frankfurt 1996
  • Rezension: Müller, Wolfgang Erich / Heumann, Jürgen (Hg.): Kunst-Positionen. Kunst als Thema gegenwärtiger evangelischer und katholischer Theologie. Stuttgart 1998
  • Rezension: Herrmann / Mertin / Valtink (Hg.): Die Gegenwart der Kunst. Zum Verhältnis von ästhetischer und religiöser Erfahrung heute. München 1998

Anmerkungen
  1. Vgl. etwa die Kontroverse um den Artikel von Dietrich Neuhaus im Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt 4/99 sowie den sich anschließenden Nummern.
  2. Vgl. dazu Verf.: "Diastase als Chance, funktionale Integration als Versuchung. Protestantische Auseinandersetzungen mit der Kunst"; in: Wie autonom ist die Kunst? Arnoldshain 1996, S. 21-39.
  3. Georg Simmel: "Das Christentum und die Kunst"; In: ders., Das Individuum und die Freiheit. Berlin 1984, S. 120-129.
  4. Werner Hofmann: "Die Geburt der Moderne aus dem Geist der Religion". In: Luther und die Folgen für die Kunst. Hg. v. Werner Hofmann. Katalog der Hamburger Kunsthalle. 11. November 1983 - 8. Januar 1984. München 1983. S.23-71.
  5. Hans Belting: Bild und Kult: Eine Geschichte des Bildes vor dem Zeitalter der Kunst. München 1990.
  6. Hans-Eckehard Bahr: Poiesis: Theologische Untersuchung der Kunst. Stuttgart 1960.
  7. Rainer Volp: Das Kunstwerk als Symbol. Gütersloh 1966.
  8. Horst Schwebel: Autonome Kunst im Raum der Kirche. Hamburg 1968.
  9. Albrecht Grözinger: Praktische Theologie und Ästhetik. Ein Beitrag zur Grundlegung der Praktischen Theologie. München 1987. Ders., Praktische Theologie als Kunst der Wahrnehmung, Gütersloh 1995.
  10. Andreas Mertin: "Der allgemeine  und der besondere Ikonoklasmus. Bilderstreit als Paradigma christlicher Kunsterfahrung." In: Kirche und moderne Kunst. Eine aktuelle Dokumentation. Hg. Mertin/Schwebel. Frankfurt 1988. S. 146-168. Vgl. auch ders., Holzwege, sowie Ist Gott eine ästhetische Formel?
  11. Thomas Erne: Aneignung ästhetischer Erfahrung. Ein theologischer Beitrag im Anschluß an Kierkegaard. Kampen 1994.
  12. Mark C. Taylor: Disfiguring. Art, Architecture, Religion. Chicago/London 1992.

© Andreas Mertin 1999
Magazin für Theologie und Ästhetik 2/1999
https://www.theomag.de/02/am9a.htm