Zurück zum Inhaltsverzeichnis

Magazin für Theologie und Ästhetik


Videoclips XXVII

Digitale Videothek

Andreas Mertin

Google Video

Die digitale Welt ermöglicht einem den Zugriff auf Ressourcen, die man sonst nur schwer oder gar nicht bekommen hätte. Und sie entbindet Kreativität, die sonst keinen Kanal der weltweiten Distribution gefunden hätte. Aber sie ermöglicht auch allerlei Verrückten, sich zu produzieren bzw. Quellen zu manipulieren oder zu instrumentalisieren. Ein gutes Beispiel dafür ist Google Video. Es stellt einem eine kaum zu überschauende Fülle an Video-Material zur Verfügung, beginnend mit trivialen Scherzen über diverse Predigten und Ansprachen bis hin zu kompletten Dokumentationen und Spielfilmen.

Wer also zum Beispiel den im Magazin für Theologie und Ästhetik Heft 32 in dieser Kolumne vorgestellten Film "Submission" von Theo van Gogh nicht gesehen hat und ihn dann nicht mehr betrachten konnte, weil die Filmgesellschaft ihn zurückgezogen hat, braucht nun bei Google Video in das Suchfeld nur Submission einzugeben und erhält sofort Zugriff auf den Film. Und nicht nur das: Er kann ihn zugleich in seine eigene Website einbinden, weshalb wir den seinerzeitigen Artikel nun mit dem Film präsentieren können.

Etwas ähnliches gilt für den im letzten Heft vorgestellten Open-Source-Film "Elephants Dream". Auch dieser ist inzwischen über Google-Video erhältlich und kann so in die Präsentation eingebunden werden. Das ist für den Leser komfortabel, weil er sich nun gleich die Videos anschauen kann. Sofern also künftig in diesem Magazin bei Google-Video verfügbare Videos besprochen werden (oder dort wenigstens Trailer oder Teaser greifbar sind), werden wir diese in die Artikel einbinden.

Grundsätzlich funktioniert die Recherche wie bei allen anderen Anfragen nach Texten, Bildern und Ereignissen bei Google auch: Es gibt ein Suchfeld, in das die Suchbegriffe eingegeben werden. Eine gewisse Systematisierung bietet Google, in dem das Material in verschiedenen Kategorien angeboten wird: Comedy - Music Videos - Movies - Sports - Animation -TV Shows - Google Picks. Aber das hilft nur grob weiter, weil allein im Bereich Comedy 130.000 Videos abrufbar sind, bei Sports sind es 100.000, bei Animation immerhin noch 30.000. Bei den Musikclips ist die Auswahl spärlich (weil Google hier strenger auf die Einhaltung des Urheberrechts achtet), hier wird man eher bei Dailymotion oder YouTube fündig.

Umgangsformen

Grundsätzlich gibt es vier Aneignungsformen des angebotenen Materials: zum einen kann man sich das Material auf der Google-Video-Seite anschauen. Zum zweiten kann man in die eigene Webseite oder den eigenen Blog einen embeded Link einfügen, der das Video dann auf den eigenen Seiten präsentiert, ohne dass man für den entsprechenden Speicherplatz und Traffic aufkommen müsste. Und schließlich kann man die Videos herunterladen. Dazu installiert Google-Video beim ersten Aufruf seinen Google-Video-Player, der es erst ermöglicht, das heruntergeladene Material zu betrachten und zu speichern. Offensichtlich muss man sich das Material erst einmal mit dem Videoplayer anschauen, damit es auch komplett auf der Festplatte gespeichert wird. Danach ist die Datei aber auch mit dem VLC-Mediaplayer abspielbar. Ein netter Vorteil des Google-Players ist seine Thumbnail-Vorschau, die anklickbare Stills aus dem Video zeigt, so dass man bequem durch den Film zappen kann.

Schließlich gibt es auch noch die kommerzielle Variante: Einige der angebotenen Videos sind kostenpflichtig. Google-Video bietet sich hier als Distributionsschiene für Videofilmer an. Ob das ein erfolgreiches Modell ist, wird sich noch herausstellen.

Ambivalenzen

Eine Möglichkeit zum ersten Einstieg - wenn man nicht gerade auf der Suche nach einem bestimmten Video ist - bietet die Top 100 Liste. Sie ist ebenso entlarvend wie erhellend. Mitte Juni 2006 führt ein Clip die Liste an, der ein Mädchen zeigt, das beim Lügen erwischt wird. Der Clip selber ist ein eher abschreckendes Beispiel - da hat Google-Video Besseres zu bieten. Auf Platz 2 ein Video zum gerade grassierenden Kult, Cola Light mit Mentos zu mischen und klebrige Fontänen zu erzeugen - auch das haut einen nicht gerade vom Hocker. Auf Platz 4 ein Kurzfilm des Crazzy-Frog zur WM, auch eher etwas für unbedarfte Gemüter. Man merkt, das viel vom goutierten Material auch in die grassierenden Pannen-Shows passen könnte.

Ausgelassen habe ich den dritten Platz des heutigen Tages Barbie girl von Lynne & Tessa. Er repräsentiert eine Besonderheit der Google-Video-Welt, denn er gehört zu den so genannten Google-Idols (kurz Gidols), eine eher humoristische Analogie zu Deutschland sucht den Superstar. Dabei erstellen Jugendliche Videoclips zu populären Musikstücken, in dem sie zur laufenden Musik sich selbst produzieren und so tun, als ob sie selbst die Sänger wären. Anschließend laden sie die Clips auf Google-Video, um anschließend auf Google-Idol bewertet zu werden. Es gibt verschiedene Competitions und Kategorien. Medienpädagogisch sicher nicht uninteressant, von der Qualität der eingereichten Beiträge höchst unterschiedlich. Aber es ist sicher im Vergleich zu DSDSS ein zukunftsfähiges Format, da die Ansprüche im Verlauf der Competitions ja vermutlich steigen.

Die gesamte Ambivalenz der Präsentationen bei Google-Video wurde mir aber deutlich, als ich beim Recherchieren auf einen gut einstündigen Kunst- und Dokumentarfilm eines deutschen Regisseurs aus dem Jahr 1927 stieß. Der Film ist legendär, aufschlussreich und gibt einen guten atmosphärischen Einblick in das Berlin der Weimarer Republik. Ich sprechen von Walther Ruttmanns "Berlin - Die Symphonie einer Großstadt". Vielleicht hätte mich die Quelle stutzig machen sollen, die den Film bei Google-Video eingereicht bzw. hochgeladen hatte: sie lautete "SupportTheTruth" - derartige Namen sind fast immer ein Indiz für Lüge. Aber darauf hatte ich nicht geachtet. Ich habe den Film heruntergeladen und wunderte mich zunächst, dass er anders als das Original mit elektronischer Musik unterlegt war. Nachdem ich dann den Film komplett betrachtet hatte, erschien nach dem Abspann(!!) eine Einblendung dessen, der den Film hochgeladen hatte. Dieser Abspann enthielt wüste Beschimpfungen des Zionismus, der buchstäblich für alle Übel der Welt verantwortlich gemacht wurde. Das kam um so überraschender, als der Film in der Sache selbst mit Antizionismus gar nichts zu tun hat. Zwar ist Ruttmann durch sein Spätwerk und seine Mitarbeit bei Leni Riefenstahls "Triumph des Willens" belastet, aber sein Film "Berlin - Die Symphonie einer Großstadt" ist ein bemerkenswertes kunst- und zeithistorisches Dokument und absolut sehenswert. Dass er für antisemitische Propaganda missbraucht wird, ist schlimm. Ich habe Google-Video eine Mail zu diesem Vorgang geschickt und bin gespannt, wie sie darauf reagieren. [Nach einem Tag kam immerhin eine standardisierte Email, man werde sich den von mir inkriminierten Inhalt anschauen und entsprechend der Richtlinien von Google-Video reagieren.]

Nicht verschwiegen werden soll, dass es den gleichen Film bei Google-Video auch in einer unverfälschten Version gibt. Allerdings "unterschiebt" auch dieser Ausgabe dem Film eine andere - modernere - Musik. Gibt man bei Google-Video den Namen Ruttmann ein, bekommt man neben dem erwähnten Film auch seine frühen experimentellen Kurzfilme aus dem Jahr 1921: Opus 1-4.

Trotz aller Vorsicht, die Google hinsichtlich des Urheberrechts walten lässt, dürfte ein Großteil des gezeigten Materials dennoch urheberrechtlich geschützt sein, d.h. illegal auf dem Server gehostet werden. Das betrifft zum Beispiel den deutschen Kurzfilm und Oscar-Sieger "Balance", der bei Google-Video zu finden ist und der sicher nicht von den Urhebern freigegeben wurde. Beim ebenfalls oscar-prämierten Kurzfilm "Quest" scheint das anders zu sein, denn dessen Präsentation bei Google-Video wurde von der produzierenden Firma eingestellt.

Nachtrag

Ein amüsantes Fundstück sei aber abschließend noch vorgestellt, es gehört vielleicht am besten zur Kategorie "Humor in der katholischen Kirche", kann aber auch als ironischer Nachtrag zur ersten Popetown-Folge angesehen werden, die ja so viel Empörung in Deutschland hervorgerufen hat. Als ich diesen Clip zum ersten Mal bei Google-Video entdeckte, hielt ich ihn für einen ausgemachten Fake, zu unwahrscheinlich war das Gezeigte und zu unkoordiniert der Ablauf. Aber einige schnelle Recherchen ergaben dann, dass es sich vermutlich doch um ein real(satirisch)es Geschehen handelte, da unter anderem auch gut katholische Seiten das Ganze im Blick auf die Offenheit des seinerzeitigen Papstes lobten.

Und tatsächlich sind die Parallelen zum Auftritt der musizierenden Behinderten in der ersten Popetownfolge frappierend. Und angesichts der zeitlichen Nähe könnte man von einer Beeinflussung der Darstellung in Popetown durch diese Papstaudienz denken. Dann wäre die Reaktion der Schreiber ähnlich meiner gewesen ("Das kann doch nicht wahr sein"), um dann die Idee eines päpstlichen Doppelgängers (Lookalikes) zu kreieren. Denkbar wäre es, wenn es auch nicht ganz wahrscheinlich ist. Aber schauen Sie sich doch auch einmal den Kardinal und die Kirchenvertreter im Hintergrund an .....

Fazit

Google-Video zeichnet sich präzise in die zeitgenössische Unterhaltungskultur ein. Es bietet vor allem etwas für Zerstreuungswillige. Aber auch für die Hochkultur gibt es Schnäppchen, nach denen man freilich suchen muss. Und es ist ein Spielfeld für Experimentierwillige


© Andreas Mertin 2006
Magazin für Theologie und Ästhetik 42/2006
https://www.theomag.de/42/am190.htm