Postkartentheologie

Anmerkungen zum Unterricht mit Bildern (am Beispiel von Lukas 10, 25-37)

Andreas Mertin

Rückkehr des 19. Jahrhunderts?

Seit einiger Zeit beobachte ich die Rückkehr trivialer oder tendenziell verkitschter Bilder in den Religionsunterricht. Bibelbilder von Julius Schnorr von Carolsfeld finden vor allem in bestimmten poppig kolorierten Varianten ihren Weg zurück in religionspädagogische Ausarbeitungen. Und da man einen Schnorr von Carolsfeld Schülerinnen und Schülern der oberen Mittelstufe oder der Oberstufe kaum mehr zumuten kann, müssen die Jüngeren daran glauben. Und weil man diesen in der heutigen Zeit nicht mehr zutraut, alte Holzstiche zu „lesen“, müssen es kolorierte Holzstiche sein. Und da man bei Farben offenbar sofort an Disney-Welten denkt, dürfen es nicht künstlerisch kolorierte Holzstiche sein, sondern kräftig ausgemalte Motive aus der Feder von Grafik-Büros, die dann auch noch mit Vorliebe von bestimmten Bildagenturen vertrieben werden und so viral weitere Verbreitung finden.

Nun ist ein hohes Alter eines Kunstwerks ganz gewiss kein Grund, es nicht im Religionsunterricht einzusetzen. Eine Höllendarstellung von Giotto di Bondone von 1310 oder eine Gleichnisdarstellung von Herrad von Landsberg von 1180, und selbst eine Kreuzigungsdarstellung aus dem Rabbula-Codex von 586 sind immer eine Betrachtung im Religionsunterricht wert, weil sie Stationen der Entwicklung religiöser Inhalte im Bild sind. Freilich macht es einem gerade das 19. Jahrhundert mit seiner Orientierung an der Vergangenheit schwer, wirklich gute Werke zu finden. Allzu leicht befindet man sich in kitschigen und klischeehaften Kontexten.[1]

Nehmen wir also die Geschichte vom Barmherzigen Samariter, die zum lukanischen Sondergut gehört, aber im Christentum neben der Geschichte vom verlorenen Sohn eine der bekanntesten Erzählungen ist. Auf die Frage eines Schriftgelehrten, wer denn sein Nächster sei, antwortet Jesus mit einer Beispielerzählung (Lukas 10, 25-37). Wie wird das visuell umgesetzt?

Der Meister des barmherzigen Samariters - 1537

Ich würde nun religionspädagogisch zunächst einmal dazu raten, sich nicht primär den Arbeiten des 19. Jahrhunderts zuzuwenden, die allzu oft schnell konsumierbare Massenware sind, sondern den stilbildenden Werken der Kunstgeschichte.[2] Ein solches wäre etwa das Werk des Meisters des Barmherzigen Samariters von 1537 im Besitz des Amsterdamer Rijksmuseums, das man von der Museums-Webseite auch hochauflösend herunterladen kann:

Alles, was man religionspädagogisch ‚braucht‘, ist auf diesem Bild enthalten. Wer sich auf die karitative Haltung konzentrieren will, findet hier ebenso ein Angebot wie derjenige, der sich auf die kunstvoll inszenierte Abstufung menschlichen Verhaltens beziehen will. Von den beiden mordlüsternen Räubern im Wald über den vornehmen bibellesenden Priester zum mönchsartigen Leviten am rechten Bildrand bis hin zum orientalischen Samariter im Bildzentrum ist alles (quasi in einer herauszoomenden Kamerafahrt) vorhanden. Erkennbar ist der Maler auch mit der Architektur von Rom vertraut.[3] Dank der hochauflösenden Abbildung des Rijksmuseums kann auch das gestische und mimische Verhalten der Figuren im Hintergrund studiert werden. Und selbst medizinische Aspekte könnten erörtert werden, da der Samariter ja laut Erzählung Öl und Wein zur Blutstillung auf die frische Wunde des Überfallenen tropft.

Dieses Bild ist meines Erachtens die erste Wahl, wenn man über das Gleichnis des Barmherzigen Samariters sprechen will. Selbstverständlich gibt es weitere herausragende Werke, aber kaum eines ist so plastisch in der Darstellung wie dieses.

Bibelillustrationen

Man kann selbstverständlich auch auf Bibelillustrationen zurückgreifen. 1860 publiziert Julius Schnorr von Carolsfeld, Lutheraner mit Sehnsucht nach Rom und einem ausgeprägten Sinn für religionspädagogische Impulse[4], seinen 240 Bilder umfassenden Zyklus „Bilder zur Bibel“.[5] Mir persönlich ist der schon in der Grundanlage zu pathetisch. Da muss Jesus oder wenigstens ein Engel immer seine Arme schwingen, da gleißen die Heiligenscheine – kurzum: zu viel 19. Jahrhundert. Aber 240 Bilder zur Bibel, das übertrifft sogar die Illustrationen der Froschauer-Bibel (etwa 200 Bilder), der Luther-Bibel des Meisters MS (etwa 120 Bilder), der Bibel von Matthäus Merian (212 Bilder), von Gerard Hoet (230 Bilder) oder von Gustave Dore (230 Bilder). Und so ein altes Blatt ist gut zu studieren. Wie legt ein Künstler ein Motiv an, was bezieht er mit ein, was lässt er weg, inwieweit kann er sich bloßer Illustration lösen und wie macht er einem Betrachter, der 1930 Jahre nach dem erzählten Geschehen lebt, dieses einsichtig und lebendig? All das sind ja Herausforderungen vor denen auch Unterrichtende des Faches Religion stehen.

Matthäus Merian - 1630

Während die Froschauer-Bibel und die Luther-Bibel das Gleichnis vom Barmherzigen Samariter nicht illustrieren (und überhaupt beim NT sehr zurückhaltend sind), findet sich 1630 bei Matthäus Merian eine phantasievolle Darstellung (inkulturiert an einem Seitenfluss im Rheintal):

Es ist ein Simultanbild, das mehrere Phasen der Geschichte auf einem Bild versammelt. Wir sehen die Räuber gerade noch auf der rechten Seite davonmarschieren, im Vordergrund den Überfallenen, an dem links der Priester und Levit schon vorbeigezogen sind. Der Samariter kommt mit seinem bunten Pferd, versorgt den Geschlagenen und liefert ihn schließlich, wie wir am linken Rand des Bildes sehen, im Gasthaus ab. Natürlich ist ein auf Massenverbreitung zielender Kupferstich etwas anderes als ein Ölgemälde. Aber es wird ganz gut deutlich, wie plakativ schon Merians Darstellung im Vergleich zu der des Meisters des Guten Samariters ist. Während dieser geradezu cineastisch arbeitet (man betrachte nur einmal die mordlüsterne Haltung der Räuber mit den geraubten Gütern im Hintergrund), bleibt Merian – was durchaus seine Stärke ist – illustrativ. Sein Bild ist eher memorativ als die Erzählung selbst in Gang setzend. Wer im Unterricht die Geschichte nach Lukas 10 gehört hat, kann sich dank Merian daran erinnern.

In die gleiche Zeit wie die Bilder von Merian gehören Rembrandt van Rijns Auseinandersetzungen mit dem Gleichnis vom Barmherzigen Samariter. Während aber die konkrete Hilfsszene sehr skizzenhaft ist, geht die Szene der Übergabe des Überfallenen an den Herbergsvater – so stilbildend sie später auch geworden ist – doch schon ins Genrehafte hinüber. Von der erzählerischen Dramatik der von Jesus vorgetragenen Beispielerzählung ist nur noch wenig übriggeblieben. Wenn das Bild eingesetzt wird, dann nur, weil es ein Rembrandt ist.

100 Jahre später fokussiert der niederländische Maler Gerard Hoet[6] das Geschehen ganz auf die Zuwendung des Samariters zum Überfallenen und verlagert es in eine alpenähnliche Gebirgsschlucht. Zwar sehen wir im Hintergrund noch den Priester und den Leviten, die davoneilen und ihre Wege fortsetzen, das Augenmerk liegt aber klar auf der karitativen Handlung, die das untere Bilddrittel einnimmt.

Schnorr von Carolsfeld - 1860

Kommen wir nun zum eigentlichen Anlass meiner Überlegungen, der Darstellung des Gleichnisses durch Julius Schnorr von Carolsfeld. Diese war es nämlich, die ich in einer grell kolorierten Fassung in einer religionspädagogischen Zeitschrift zu einem Unterrichtsentwurf fand. Und dieser Entwurf hatte das Bild, wie sich aus dem Bildnachweis ergab, schlicht dem Pressematerial zur Ausstellung „Mitmenschen. Geschichte der Diakonie in Württemberg“ entnommen.[7]

Bevor ich auf die konkrete „Zurichtung“ des Bildes eingehe, möchte ich noch einen Blick auf das Original von Julius Schnorr von Carolsfeld werfen. Man kann die gesamte illustrierte Ausgabe aus dem Internet Archiv herunterladen. Das Bild findet man dort als Blatt 197.[8]

Im Vergleich etwa zu Matthäus Merian Kupferstich ist der Holzstich von Julius Schnorr von Carolsfeld feiner, zugleich aber auch unklarer, was einzelne Details angeht: etwa der Mann mit dem Esel auf der rechten Seite, von dem nicht anschaulich klar wird, ob er den Samariter darstellt oder den Priester; und dann die Zahl der Räuber: sehen wir im Bildhintergrund den Überfall oder schleichen sich drei Räuber weg? Natürlich ist auch dieses Bild in einen anderen Kontext inkulturiert, mit der realen Wüsten-Landschaft zwischen Jerusalem und Jericho hat es herzlich wenig zu tun. Da wäre schon eine Darstellung wie die von Gustav Dore zutreffender gewesen. Bäume, wie man sie auf dem Blatt von Carolsfeld studieren kann, wird man in den Wadis zwischen Jerusalem und Jericho nicht finden. Und auch die Bilder von Dore sind eher orientalische Imaginationen als Spiegelungen altorientalischer Umwelt. Insofern trägt jede Zeit ihre Phantasien in Bilder ein.

Das Besondere der Bilderfolge von Schnorr von Carolsfeld ist, dass sie quasi mit dem Anspruch auftritt, die Bibellektüre zu ersetzen. Anders als die Froschauer-Bibel von 1524, die illustrierte Lutherbibel von 1534 oder die Merian-Bibel von 1630 wird den Bildern von Schnorr von Carolsfeld außer einer knappen einleitenden Bildbeschreibung von Heinrich Merz kein kompletter Bibeltext mitgegeben, stattdessen wird das Geschehen unter dem Bild knapp in einem Satz zusammengefasst. Ich glaube aber nicht, dass seine Bilder tatsächlich so aussagekräftig sind.

Nachbearbeitungen
Koloration I: Fritz Kredel - 1933

Das erste, was dann im Verlaufe der Geschichte der „Bibel in Bildern“ auffällt, ist, dass irgendwann den Adressaten die Graustufenversion des ursprünglichen Holzstichs nicht mehr ausreichte und man „für Kinder und Jugendliche“ (neu-)kolorierte Ausgaben schuf. Das geschah, weil der technische Fortschritt auch Massenauflagen in Farbe ermöglichte. Tatsächlich erlauben kolorierte Ausgaben für ungeschulte Augen eine wesentlich schnellere Aufnahme des Dargestellten. Nicht umsonst wurde ja auch die Luther-Bibel und die Merian-Bibel koloriert.

Die bekannteste Einfärbung der Bibel-Bilder von Schnorr von Carolsfeld hat 1933 der Künstler Fritz Kredel vorgenommen. Kredel ist ein Schüler des Grafikers und Schriftenkünstlers Rudolf Koch, der früher einmal die gesamte Evangelische Kirche mit seinem Stil beeinflusst hat.[9] Kredel hatte schon in Deutschland für den Insel-Verlag einige Bücher illustriert, musste aber 1936 aufgrund seiner jüdischen Herkunft Deutschland verlassen und gelangte dann in Amerika zu einiger Bekanntheit. Er hat zeitlebens über 400 Bücher illustriert. Ich vermute, fast jeder kennt die Neuzeichnung der Bilder vom Struwwelpeter aus seiner Feder. Wirklich beeindruckend, mir selbst aber bis zu diesem Artikel nicht bekannt, sind Kredels Illustrationen zur Offenbacher Haggadah von 1927. Diese Arbeit ist online abrufbar.

Im November 1933 erscheint nun im Kolpa-Verlag Neukirchen folgendes Werk:

Dieses zweibändige, aber insgesamt nur 64 Seiten umfassende Bilderbuch wird sehr erfolgreich und bis Anfang der 90er-Jahre des 20. Jahrhunderts immer wieder in zahlreichen Auflagen nachgedruckt werden.[10] Im Vergleich zur originären Ausgabe aus dem Jahr 1860 ist nun der Text unter dem Bild deutlich erweitert worden, so dass es eine direkte Beziehung von biblischem Text und dazugehöriger Bildillustration gibt. Erkennbar wendet sich das Buch an junge Menschen, denen die elementaren biblischen Geschichten nahegebracht werden sollen.

Das Ergebnis sieht so aus (hier ein Scan des Nachdrucks von 1951):

Weiterhin empfinde ich dieses Bild gegenüber dem Gemälde von 1537 als eher sekundär, aber es ist sicher hilfreicher als die vergleichbaren Darstellungen von Matthäus Merian oder Gerard Hoet. Gegenüber dem Original von Schnorr von Carolsfeld sind die Konturen besser zu erkennen und die Bildschichten klarer voneinander abgegrenzt. Stark dramatisiert ist die Wunde am Kopf. Aber man konnte mit diesem Bild – darauf verweist ja auch seine Wirkungsgeschichte – offenkundig arbeiten, es löste kein direktes Unverständnis bei der Zielgruppe aus.

Ob man aktuell damit noch arbeiten kann, darüber bin ich sehr im Zweifel. Man muss schon heftig die Handwerkskunst des Holzstichs und auch seiner kolorierter Formen lieben, um über die Zeitgebundenheit der Darstellung hinwegsehen zu können. Fließend sind die Übergänge dieser Art von Bildgestaltung zu den kitschigen Bildern aus dem frommen Sektor der Verkündigungsszenerie. Man hat nicht wirklich den Eindruck mit diesen Bildern im 20. Jahrhundert zu sein, aber eben auch nicht das Gefühl, einem wichtigen Werk der Kunstgeschichte als einem Teil der Auslegungsgeschichte eines biblischen Textes gegenüber zu stehen. Und anders als bei Fritz Kredels Bildern zur Offenbacher Haggadah hat man auch nicht das Gefühl, hier einem spezifischen Zeit-Dokument des Jahres 1933 zu begegnen. Es ist eben bloß eine Koloration.

Im Farbenrausch

Aber selbst das ist für manche noch zu wenig, sie lieben die grellen Farben.[11] Und irgendwie steckt in ihrem Kopf die Idee, je greller die Farben gewählt werden, desto näher käme man den Menschen oder den Jugendlichen. Popkultur heiße eben auch poppige Farben. Vielleicht assoziieren sie aber auch den Orient mit einer bestimmten Farbigkeit – ich weiß es nicht. Jedenfalls stößt man im Internet auf zahlreiche kolorierte Drucke ‚nach‘ Schnorr von Carolsfeld, die durch extrem kräftige Farben auffallen, so dass man stellenweise vergisst, dass man ursprünglich Holzstiche vor sich hatte. Während bei Fritz Kredels Kolorationen noch Raum für die Imagination bleibt, wird dort kräftig alles herausgestellt, damit der Betrachter auch ja nichts verpasst. Für Feinheiten des Strichs bzw. der Linie bleibt da kein Raum mehr. Eigentlich hätte man das Bild gleich neu zeichnen können.

Und tatsächlich gibt es Lithographien nach dem Holzstich von Julius von Carolsfeld, die die Materialität des Holzstichs völlig vergessen lassen:

Das ist schon sehr stilisiert, das Bild ist beschnitten, die Wunde ist verschwunden, alles ist weich in weich aufgelöst. Man ist hier kaum noch Zeuge eines gerade eben vollzogenen Verbrechens mit schwer verletztem Opfer, man könnte auch von einem erschöpften Wanderer ausgehen. Das Bild wirkt harmlos.

Nun könnte man scheinbar mit einigem Recht darauf verweisen, dass Schnorr von Carolsfeld selbst auf seinen Gemälden ja auch mit Farbe nicht gegeizt hat. Auch sein Gemälde von 1833 zum Barmherzigen Samariter, das heute im Frankfurter Städelmuseum hängt, präsentiert sich farbenfroh:

Im Vergleich zu den folgenden nachträglich kolorierten Werken ist hier auf dem Gemälde jedoch noch alles weitgehend in sich stimmig (sieht man einmal von den typisch-merkwürdigen Gesten der Figuren auf den Bildern von Schnorr von Carolsfeld ab).

Man kann zwar an den etwas überpointierten Farbtönen leicht den Nazarener identifizieren, der sich an seinem Vorbild Raphael (s. Abb.) orientiert und damit an einer Malerei, in denen Blau und Rot noch bestimmte religiöse Wertigkeiten hatten, aber darüber hinaus ist das Bild durchaus nachvollziehbar aufgebaut und überdramatisiert die Farben nicht.  

Etwas anders stellt sich das – gerade im Vergleich mit dem Gemälde von Schnorr von Carolsfeld - in der folgenden Abbildung dar, die ich in der für diesen Text initialen religionspädagogischen Ausarbeitung fand:

Zunächst einmal fällt auf, dass das Bild noch stärker beschnitten wurde. Das wird im Begleittext auch benannt („Bildausschnitt“), freilich gibt es nirgendwo eine komplette Abbildung der Arbeit von Schnorr von Carolsfeld. Das verwundert, denn so kann man die künstlerische Aussage / Leistung des Künstlers gar nicht mehr beurteilen. Man wird vermuten dürfen, dass der Beschneidung auch eine Absicht unterliegt, die in einer erwünschten Veränderung der Bildaussage begründet liegt. Weg von der ursprünglichen Intention, die Jesus mit seiner Beispielerzählung verbunden hat, hin zu einer Illustration von diakonischer Arbeit. Aber um Diakonie geht es in Lukas 10 nicht, da hätte man eher auf die einschlägigen Werke der Barmherzigkeit zurückgreifen müssen.

Das zweite, was auffällt: das Bild wurde horizontal gespiegelt. Einen Grund dafür kann ich nicht erkennen, es ist jedenfalls ein sehr grober Eingriff in die ursprüngliche künstlerische Konzeption. Wenn dieser Eingriff nicht bloß aus Versehen geschehen ist, dann muss er begründet werden. Da dieses Bild auch von der Bildagentur agk-images[12] seitenverkehrt vertrieben wird, vermute ich, diejenigen, die es nun in der kirchlichen Ausstellung oder im Religionsunterricht verwenden, haben ihre Vorlage dort eingekauft und überhaupt nicht mehr anhand des Originals überprüft. [Oder sie beziehen sich auf eine andere Ausgabe des Bildes von Schnorr von Carolsfeld. Zwar sind historisch spiegelverkehrte Drucke gar nicht so selten, in diesem Fall ist mir aber kein einziger anderer (bei 240 Bildern!) untergekommen.[13]] Wenn Vincent van Gogh aus künstlerischen Gründen gegenüber seiner Vorlage, einem Bild von Delacroix, eine Spiegelung vornimmt, dann ist das etwas anderes, als wenn man ein Bild grundlos spiegelt.[14]

Und drittens wird schließlich eine Neu-Koloration der Vorlage von Schnorr von Carolsfeld verwendet, die im Vergleich zu der von Kredel noch einmal extrem zugespitzt ist. Eigentlich handelt es sich dabei schon nicht mehr um eine Einfärbung eines Holzstichs, sondern um eine grafische Übermalung, bei der wie bei der schon vorgestellten Lithographie der ursprüngliche Stich nur noch als Konzept genommen wird. Das ist tragisch – auch im Blick auf die Leistung von Julius Schnorr von Carolsfeld.

Was mich daran stört, ist, dass der Imagination immer weniger Raum gelassen wird, dass Bilderfahrung zugunsten der schnellen Erfassung von (zum Teil vorab gesetzten) Informationen aufgegeben wird. Schülerinnen und Schüler lesen immer weniger Bibeltexte, also setzt man auf Bilder. Schülerinnen und Schüler verstehen Bilder immer weniger, also schneidet man sie zu und elementarisiert sie. Der Prozess, der von der Parallelität von Bild und Text im 16. Jahrhundert zur Reduktion auf Bild mit Textzeile im 18. und 19. Jahrhundert fortschreitet, setzt sich nun im Bild selbst fort. Auch das Bild wird auf elementare Bildinformationen zulasten des Erfahrungsprozesses reduziert. Man traut den Menschen nichts mehr zu. Man kann das sinnliche Verkümmerung nennen. Bilder werden zu beliebigen Instrumenten herabgewürdigt. Das führt dazu, dass sie nur noch zum Einfühlungsanlass werden. Schon in der religionspädagogischen Bildbeschreibung werden dann nur noch die Farben (aus dem späten 20. Jahrhundert) betont: orangene Hose – blaues Tuch – rotes Gewand – rot-weißer Turban. Dabei ist das alles dem Bild sekundär – ein Zusatz, der über 100 Jahre später erfolgte. Und dann folgt der Satz:

„Das didaktische Potenzial des Bildausschnitts liegt in der Darstellung des Kerns des Gleichnisses, nämlich in der Zuwendung und in dem deutlichen Handeln durch die Betonung der Hände des Samariters“.

Nun ist es schon sehr gewagt, ein Bild erst zuzuschneiden, um dann zu erklären, bestimmte Details wie die Hände seien besonders hervorgehoben. In der Sprache der Bilder gibt es eine Logik, die sich aus der Gesamtanlage ergibt. Man kann ein Bild nicht erst verändern, um dann darauf hinzuweisen, etwas würde im Fokus stehen. So geht es nicht. Ich sehe nicht, dass das Ursprungsbild die These von den betonten Händen des Samariters trägt. Das würde schlecht zu Julius Schnorr von Carolsfeld passen, für den Kindlers Malereilexikon anmerkt:

Zustände und Handlungen auf dem Bild werden durch Gesten ausgedrückt, die ihre jeweilige Funktion gleichsam in Form von Zeichen erfüllen. Die gestikulierende Bewegung ist keine Gebärde, die unmittelbarer Ausdruck eines Zustandes oder Wollens wäre und in den Raum des Partners effektiv eingreifen könnte. Die Gebärde schafft Wirkungsraum, die Geste aber bleibt auf den Gestikulierenden bezogen und illustriert lediglich seinen Zustand oder sein Tun. Versuchte Schnorr für einen Zustand oder ein Tun eine Gebärde zu finden, dann scheiterte er.[15]

Diese raumkörperliche Begrenzung der einzelnen Figuren kann man gut auf vielen Bildern von Schnorr von Carolsfeld studieren und sie trifft auch hier zu. Das limitiert die Deutung im Blick auf die diakonische Handlung. Didaktisch ist es vielmehr so, dass eine Bewegung, die man dem Text entnommen hat, nun unbedingt im Bild wiedergefunden werden soll. Dann kann man sich das Bild aber auch schenken. Die gleiche „Leistung“ würde auch eine Plastikfigur erfüllen, die man entsprechend formt und mit einer Sprechblase versieht. Das Kunstwerk ist keinesfalls didaktisch notwendig – es wendet keine Not des Unterrichtenden. Es ist zum Verstehen und Deuten des Textes auch nicht wirklich hilfreich – anders als etwa das Gemälde von 1537, das aus sich heraus sprechen würde.

Man kann aber auch fragen, ob durch die Reduktion des Bildes die jesuanische Intention nicht weitgehend verfehlt wird. Denn Jesus erzählt sein Beispiel ja nicht, um zu verdeutlichen, dass man dem Nächsten helfen muss – das ist zwischen ihm und dem Schriftgelehrten völlig unstrittig wie man anhand der Zitierung von Levitikus 19, 18 leicht erkennen kann –, sondern um die geradezu talmudische Frage zu beantworten, woran man den Nächsten erkennt, genauer: wann man Nächster wird. Das könnte auch eine rabbinische Diskussion im Talmud sein.

Jesu abschließende Frage „Wer von diesen dreien, meinst du, ist der Nächste geworden dem, der unter die Räuber gefallen war?“ ist aber anhand des gewählten Bildausschnitts überhaupt nicht mehr zu beantworten – weil keine Alternative besteht. Man könnte zugespitzt fragen: Wenn keine Alternativen existieren, wo bleibt dann die Ethik? Eine Auslegung des Gleichnisses ist mit dem gewählten Bildausschnitt schlichtweg nicht möglich. Ja in der Form der Zuschneidung des Bildes führt sein Einsatz gerade von Jesus Intention weg. Schülerinnen und Schüler, die um den Kontext der Beispielerzählung wissen, also die Diskussion um die Auslegung der Goldenen Regel, müssen nun denken, die Zuwendung zum Nächsten sei hier strittig und die jüdischen Funktionäre würden die Goldene Regel ablehnen. Darum geht es aber gerade nicht. Ganz in der Tradition der Schule des Rabbi Hillels argumentiert Jesus wie später auch Rabbi Akiwa lebensweltlich. In der Praxis erweist sich, wer wem Nächster ist.

Koloration II: Die NAK-Bibel - 1979

Im Zuge der Beschäftigung mit dem Bild stieß ich auch auf ein Buch, das 1979 unter dem Titel „Die Bibel in Bildern. Mit 162 Darstellungen nach Holzschnitten von Carolsfeld“ erschienen ist.[16] Das Buch wird der Neuapostolischen Kirche (NAK)[17] zugeordnet. Das fand ich interessant und habe mir dieses Buch besorgt. Ich habe das auch deshalb getan, weil ich zunächst den Verdacht hatte, dass die Mehrzahl der im Internet kursierenden Farb-Fassungen der Holzstiche Schnorr von Carolfelds, also insbesondere die, die agk-images und auch die Einkaufskette Walmart vertreiben, aus diesem Buch stammen. Und da habe ich mich gefragt: Was verbindet die Bilder dieser Bibel mit den alten Holzstichen von Julius Schnorr von Carolsfeld? Sind die Vorlagen von 1860 einfach nur fotomechanisch übernommen und dann in einem Computerstudio oder einem Graphikbüro koloriert worden? Und welche von den ja ursprünglich 240 Bildern wurden genommen und welche 80 wurden weggelassen? Und gibt es noch andere Veränderungen? Auch das wäre in der Geschichte der Kunst ja nichts Überraschendes.

Aber mein Verdacht erwies sich als unberechtigt – nahezu vollständig unberechtigt. Das Buch umfasst 335 Seiten im Format 28 x 19,5 cm. Die Bilder nach Julius Schnorr von Carolsfeld sind im Format 20 x 17 cm gedruckt und damit gut 1½ mal so groß wie die Bilder in der mir vorliegenden Ausgabe, die Fritz Kredel koloriert hat. Das ist zwar immer noch deutlich kleiner als der Druckstock im Original (26x22 cm), aber die Bilder haben nun eine zur Betrachtung annehmbare Größe.

Die Koloration des gesamten Buches orientiert sich an derjenigen, die Fritz Kredel vorgelegt hat, nur dass man nun 162 kolorierte Blätter vor sich hat. Das finde ich sehr angenehm. An einigen Stellen ist es sogar zurückhaltender als Kredel, so dass – etwa beim Barmherzigen Samariter – eine bessere Tiefenwirkung durch eine abnehmende Koloration von vorne nach hinten erreicht wird. Bei der Kopfwunde des Überfallenen verzichtet die NAK-Bilder-Bibel ganz auf dramatisierende Effekte.

Der die Bilder begleitende Text ist dann freilich weitgehend auf Einfühlungsästhetik gegründet. Hier wäre weniger mehr gewesen. Eigentlich sollten die Betrachter das Bild selbst mit ihrer Imagination ausfüllen und nicht durch eine literarische Beschreibung in ihrer Imagination eingeschränkt werden. Es ist schon klar: wes das Herz voll ist, des geht der Mund über. Und auch in den landeskirchlichen Literaturen gibt es eine Fülle verwandter Formen dieser narrativen Theologie. Aber es wäre besser, das der Phantasie der Betrachterinnen und Betrachter zu überlassen.

Nun zur Auswahl: Von den 80 Bildern, die Julius Schnorr von Carolsfeld für das Neue Testament gestochen hat, verwendet die NAK-Ausgabe 62 Bilder, das heißt, sie lässt 18 Bilder weg (163, 166, 170, 187, 191, 201, 204, 206, 212, 217, 219, 220, 234, 236, 237, 238, 239, 240). Darunter sind auch kunstgeschichtlich so populäre Bilder wie Maria Heimsuchung, Christ Geburt(!), der zweite Traum Josefs, die Enthauptung Johannes des Täufers, Jesu Teufelaustreibung, die Ehebrecherin, die Salbung in Bethanien, die Fußwaschung, die Dornenkrönung, die Grablegung und die Frauen am Grabe und Maria Magdalena am Grab und alle Bilder aus der Offenbarung (die in der Lutherbibel von 1534 ja fast die einzigen neutestamentlichen Bilder waren). Die Gründe für die Weglassung erschließen sich mir nicht. Im Vorwort wird nur kurz darauf verwiesen, dass man, obwohl man damit ein Problem hat, die Darstellung der Engel als Menschen mit Flügeln bei Schnorr von Carolsfeld beigehalten hat. Am meisten überrascht hat mich die Weglassung der Geburtsszene, der Fußwaschung und der Grablegung.

Es hat dann etwas gedauert, bis mir dann doch der gravierendste Eingriff in die Bildkonzeption der Vorlage auffiel. Anders als die Engelsflügel, die beibehalten wurden, waren alle Nimbusdarstellungen radikal entfernt worden. Bei der Verkündigung an Maria ist noch aus Versehen ein Rest auf dem Vorhang verblieben, aber spätestens mit Jesu Darstellung im Tempel wird der systematische Eingriff dann deutlich. [Es gehört irgendwie zum sympathischen Gestus dieses Eingriffs, dass man bei genauem Hinsehen immer noch Spuren der originalen Darstellung erkennt, so als ob das Graphic-Studio Hemmungen gehabt hätte.] Man muss allerdings auch sagen, dass die Vorlage selbst den Nimbus nicht konsequent einsetzt – er fehlt z.B. bei der Taufe Jesu. Da die Neuapostolische Kirche die Heiligenverehrung ablehnt, war hier wohl eine Grenze überschritten. Beim Bild von der Aussendung der zwölf Apostel mussten so die Gloriole von Jesus und die zwölf Heiligenscheine der Jünger entfernt werden:

Ansonsten ist diese Ausgabe der Bibel in Bildern weitgehend mit der von Fritz Kredel vergleichbar und – da sie umfassender ist als diese – auch ebenso verwendbar. Wenn man denn auf kolorierte Bilder von Julius Schnorr von Carolsfeld zurückgreifen will.

Im Korrekturwahn

Bleibt immer noch die Frage nach den grell kolorierten Bildern, die man bei agk-images und bei Walmart & Co. findet. Walmart hebt in seiner Reklame ironischerweise ausgerechnet die lebendigen Farben und die Details des Originals hervor! Um es vorweg zu sagen: ich habe deren Herkunft nicht klären können. Was auffällt: auch bei dieser anders und greller kolorierten Version fehlen alle Heiligenscheine. An einigen Stellen werden nicht nur der Nimbus, sondern ganze Bildteile brutal wegretuschiert. Es ist der massivste Eingriff in die Bilder, den man sich denken kann. Das folgende Bild etwa, das immer noch unter dem Namen Schnorr von Carolsfeld läuft, hat mit dem Original nichts mehr gemein, dabei habe ich die horizontale Spiegelung zur besseren Kontrolle aus dem Bild schon herausgenommen:

Das ist eine Vergewaltigung des Bildes. Lassen wir die entfernten Heiligenscheine, die ausradierten Jünger, die entgermanisierten(?) Haare einmal außen vor, dann störte den Bearbeiter offenkundig vor allem das nackte Kind auf dem Arm der Mutter und – das verschlägt einem wirklich die Sprache – die vertrauensvollen Hände des kleinen Kindes rechts am Umhang von Jesus. Was in Herrgotts Namen hat den Bearbeiter dazu gebracht, ausgerechnet in dieser Geschichte die Zuwendung der Kinder zu Christus wegzulassen? Ein verdrehtes Noli me tangere? Man fasst es nicht.

Es ist, als ob jemand mit dem bewussten Willen zur Verkitschung und zur Verharmlosung an die Bilder herangegangen wäre. Auch das ist Religionspädagogik – aber extrem schlechte. Das einzige, wozu diese Bilder dienen können, ist zur Abschreckung. So kann man im Vergleich mit anderen Versionen im Unterricht lehren, wie ein Bild immer ideologischer und kraftloser wird. Ein Ergebnis eines solchen Vergleichs sehen Sie hier:

Auf den Bildern wird zunächst einmal deutlich, dass Neu-Koloration immer auch Interpretation und Lenkung von Lesarten ist. Wenn man den originalen Holzstich von der Anbetung der Hirten betrachtet, muss ja man zum Beispiel entscheiden, ob man Joseph eher auf jung oder eher auf alt koloriert. Ein wenig weiße Haarfarbe und es entsteht ein anderer Eindruck als bei kräftigen blonden Haaren. Man kann in der Tradition der christlichen Kunstgeschichte Joseph als Heiligen darstellen oder man kann aus der Vorlage seinen Nimbus herausretuschieren. Das Christuskind kann einen Lichterkranz um den haarlosen Kopf haben oder einen Goldlöckchenkopf. Maria kann ebenfalls einen Nimbus haben – oder auch nicht. Man kann entscheiden, dass das Tuch, das Maria über das Kind decken will (oder von ihm entfernt), ein Teil ihres Überkleides ist (so Kredel) oder ein Teil des Linnens aus Jesu Krippe (so die Walmart-Version). Man kann die Haare der jungen Hirten für zu wild halten und sie brav glätten, oder man kann es lassen.

Man kann die gar nicht so subtile Anspielung auf Christus als Lamm Gottes (Agnus Dei) bei der Geburt des Herrn unangemessen finden und das Lamm einfach aus dem Bild entfernen. Man kann die etwas aufdringliche Anwesenheit von sechs Engeln, die das Gloria in excelsis Deo singen, als unpassend empfinden und Raum für einen schönen Nachthimmel schaffen – den es bei Schnorr von Carolsfeld nicht gibt. Man kann die Anwesenheit einer Hirtin bei der Geburt Jesu als biblisch nicht überliefert ansehen – und sie einfach weglassen.

Am Ende hat man aber ein völlig anderes Bild. Es stimmt nun nicht mehr mit dem abgestuften formalen Aufbau bei Schnorr von Carolsfeld überein, aber vermutlich mit dem Glauben der Auftraggeber. Derartige Eingriffe erklären sich nicht aus den Entscheidungen eines Designers, sondern nur durch gezielte Wünsche derer, die Bilder von Carolsfeld mit bestimmten Interessen publizieren wollen.

Am Ende steht aber eben eine andere Theologie. Es gibt historische Beispiele für ähnliche Bildadaptionen aus Zeiten, in denen man die Autonomie der Kunst noch nicht achtete. Zwischen den beiden folgenden Bildern liegen 72 Jahre (1571/1643) und ein Konfessionswechsel. Die Herausgeber des damaligen Buches mussten bei der Neuauflage die Bilder der nun herrschenden reformierten Theologie anpassen. Das war seinerzeit noch üblich.

Seit 100 Jahren ist so etwas eher ungewöhnlich. Ungewöhnlich ist es vor allem deshalb, weil das Bild ja weiter unter dem Etikett „Schnorr von Carolsfeld“ vertrieben wird, wenn auch bei einigen Anbietern ein „nach“ davorgesetzt wird. Schnorr von Carolsfeld kann sich natürlich nicht wehren – weder gegen Beschneidungen seiner Bilder, noch gegen Kolorierungen, noch gegen die Bildretusche und Veränderung seiner Bildertheologie. Beim eben betrachteten Hirtenbild wie bei dem Bild von Jesus und den Kindern würde ich von einer illegitimen Veränderung sprechen – das ist nicht mehr ‚nach‘, sondern überhaupt nicht Schnorr von Carolsfeld. Ich glaube, das sollte man einsehen können.

Aber auch da, wo nur die Farben greller gesetzt werden, kann man fragen, was das noch mit Schnorr von Carolsfeld zu tun hat. Mag am Anfang noch die Idee gestanden haben, mit der sich durchsetzenden Farbfotografie in den Illustrierten gleichzuziehen, so steht am Ende die vollständige Missachtung dessen, was einmal am Anfang stand und was man klassisch den Willen des Urhebers (intentio auctoris) nennt.

Tönung

Bei einer Bildagentur fand ich noch eine andere Art der Bearbeitung, die weniger religionspädagogisch als – so vermute ich jedenfalls – mehr fotografisch inspiriert ist. Es handelt sich um eine klassische Tönung der Vorlage. Auch hier gehört es zur Unart fast aller Fotoagenturen, dass sie nichts über die Urheber der Neu-Kolorationen aussagen und so tun, als wäre das ein Bild von Julius Schnorr von Carolsfeld. Es wirkt jedenfalls wie eine kleine Spielerei mit Photoshop, bei der einfach mehrere verschieden eingefärbte und transparente Ebenen übereinander gelegt wurden.

Einen wirklichen Gewinn kann ich in dieser Form der Bilder nicht erkennen – jedenfalls nicht religionspädagogisch. Bilddidaktisch könnte es ein Schritt in einer Reihe von Annäherungen sein, aber dann müssten viel mehr Bildebenen vorliegen. Künstlerisch und ästhetisch wird der ursprünglichen Konzeption Gewalt angetan. Dann sollte man ehrlicherweise das Bild als eines von „xyz“ nach einer Vorlage von Julius Schnorr von Carolsfeld nennen.

Bibelillustrationen im Unterricht

Insgesamt zeigt sich im Blick auf die Qualität der durch Bibelillustrationen vorgelegten Bilder, was Kindlers Malereilexikon bündig so zusammenfasst:

Die Bibelillustration wird nun immer klischeehafter, zumal bedeutende Potenzen im 18. Jh. zu anderen Arbeiten drängen; kaum einer der bedeutenden französischen und deutschen Stecher des Jahrhunderts schafft einen auf der Höhe der Zeit stehenden Bibelzyklus. Berühmt wurden gleichwohl die Bilderbibeln der Nazarener Friedrich Olivier ... und Julius Schnorr von Carolsfeld ..., die bei ihrer durchaus historischen Orientierung nur insofern anregend wirken konnten, als nun viele Bibeln und Biblische Geschichten mit Holzschnitten, Holzstichen oder Stahlstichen nach alten Meistern erschienen ..., ein Verfahren, das unter Adaptierung der jeweils aktuellen Reproduktionsmöglichkeiten auch im 20. Jh. vorherrschend blieb. Hier kommt es zwar immer wieder zu Einzelillustrationen oder kleineren Illustrationszyklen für biblische Inhalte, ... doch zu keiner großen bildlichen Neufassung des Stoffs, wiewohl sie von schwächeren Talenten wiederholt mit wenig Überzeugungskraft versucht wurde.

Religionspädagogisch mag es verführerisch sein, auf schnell erkennbare Bildvorlagen zu setzen, gegenüber dem großen Bildbestand unserer kulturellen Überlieferung ist es aber schlicht ein Beitrag zur Verdummung der Schülerinnen und Schüler. Sie gewöhnen sich daran, sich keine sinnliche Mühe mehr zu machen und erwarten, dass ihnen Bilder gleich selbsterklärend, sozusagen häppchenweise vorgesetzt werden. Die Bibelillustrationen von Schnorr von Carolsfeld mögen ihre Zeit gehabt haben, aber diese endet erkennbar mit dem 19. Jahrhundert. Danach ist er nur noch ein Klischee, dem mit Hilfe von Neu-Kolorierungen etwas Aktualität eingehaucht werden soll. Aber damit schädigt man die Bilder und die Betrachter. Es gibt keinen guten Weg, mit den Holstichen von Schnorr von Carolsfeld heute noch religionspädagogisch zu arbeiten. Man wird den Verdacht nicht los, diejenigen, die sie einsetzen, wären nur zu faul, nach besseren Alternativen zu suchen. Oder sie sind selbst schon Opfer einer visuellen Infantilisierungsstrategie, die im Raum der Kirchen zunehmend Raum gewinnt. Es liegt kein Segen in den religionspädagogischen Wiederbelebungen vergangener Darstellungsformen. Weder, wenn man sie nun nur für jüngere Menschen einsetzt, noch, wenn sie in gemeindepädagogischen Kontexten nutzt, weil man hier gar keine ästhetisch-künstlerischen Ansprüche mehr stellt.

Die großen Künstler des 20. Jahrhunderts, die sich mit der Bibel beschäftigen, schaffen entweder keine Illustrationen, sondern eigenständige Werke zur Bibel, wie Emil Schumacher, Günther Uecker oder Jörg Immendorff, oder sie schaffen extrem zeitgebundene Werke wie im Spätwerk von Otto Dix, oder weitgehend gefälliges Material, das auf Kommerz zielt. Mein Vorschlag für die Religionspädagoginnen und Religionspädagogen, die Kunst einsetzen wollen: Nutzen Sie die großen Werke der abendländischen Kunst, aber lassen Sie die Finger von schwachen Illustrationen.

Anmerkungen

[1]    Vgl. grundsätzlich Kindlers Malereilexikon, Stichwort Bilderbibel, Bd. 6, S. 126.

[2]    Der erste Weg sollte daher zur Web Gallery of Art (www.wga.hu) führen, die elf Werke zum Thema versammelt, welche zugleich zu den wichtigsten Werken gehören.

[3]    Selbst das Gefälle von Jerusalem hinunter nach Jericho ist im Bild angedeutet.

[5]    Schnorr von Carolsfeld, Julius (1860): Die Bibel in Bildern von Julius Schnorr von Carolsfeld. Pracht-ausg. Leipzig: Wigand.

[6]    Das Reichsmuseum ordnet dieses Bild etwas anders zu: https://www.rijksmuseum.nl/nl/collectie/RP-P-1934-118

[8]    In der der Erstausgabe beigegebenen Bilderläuterung von Heinrich Merz, die er mit Schnorr von Carolsfeld abgestimmt hat, wird das Bild so beschrieben: „Der auf den Tod verwundete, fast nackt ausgezogene Mann liegt kaum noch athmend vorn am Wege, hinten entfliehen die Raubmörder, furchtsam sich umsehend, durch den spärlichen Wald der öden Felsengegend. Rechts reitet der Priester vornehm und gemütlich seines Weges, der Levit folgt ebenso kalt ihm zu Fuße die Straße nach Jericho hinab, während selbst der Esel des barmherzigen Samariters einen Blick des Mitleids für den Unglücklichen hat. Der edle Mann kniet zu Häupten des Leidenden und sucht das Blut der Wunde zu stillen, über deren Tiefe er erschrocken ist. In seinem Reisetäschchen steckt das Messer und Balsamfläschchen, er selber kniet gerade unter einem Ölbaum. In der Ferne zeigt sich Aussicht auf eine Herberge für den Geretteten. Das Alles ist so einfach schön und klar dem herrlichen Gleichnisse nacherzählt, daß das Bild keines weitern Wortes bedarf.“

[10]   Die letzte vorfindliche Ausgabe ist diese: Schnorr von Carolsfeld, Julius; Spörri, Samuel; Kredel, Fritz (1991): Die Heilige Schrift in farbigen Bildern nach Schnorr von Carolsfeld. Ein Bilderbuch für die Jugend. 145. - 147. Tsd. Konstanz: Christliche Verl.-Anst.

[11]   Im Internet gibt es einen interessanten Text zur Qualität der Holzstiche und ihrer Neu-Kolorationen: http://alteskrokodil.blogspot.com/2013/04/echte-verfalschte-und-kopierte.html

[13]   Hier ein Blick auf den Original-Druckstock des Blattes aus den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden: https://skd-online-collection.skd.museum/Details/Index/909601

[14]   Vgl. am Beispiel einer anderen Bildkombination auch http://www.eule-der-minerva.de/impulse/pieta/pieta.htm

[15]   Kindlers Malereilexikon, Stichwort Julius Schnorr von Carolsfeld, Bd. 5, S. 254f.

[16]   Schnorr von Carolsfeld, Julius; Wölk, Ernst (1979): Die Bibel in Bildern. Mit 162 Darstellungen nach Holzschnitten. Kolor.: Graphic Design Studio Reimers. Frankfurt am Main: Bischoff.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/112/am620.htm
© Andreas Mertin, 2018