Eingedenken

Ein Kapitel katholischer Kunst-und-Kirche-Begegnung

Andreas Mertin

Günter Rombold (1925-2017)

Am 10. Dezember 2017 ist der österreichische Theologe, Philosoph, Kunsthistoriker und Kunstsammler Günter Rombold im Alter von 92 Jahren gestorben. Er war eine der großen Figuren auf dem Feld der Begegnung von Kunst und Religion in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Günter Rombold, ich habe in Heft 34 des Magazins eines seiner Bücher unter der Überschrift „Kunst und Religion als biographische Herausforderung“ vorgestellt,[1] gehört zu einer Generation von Pionieren, die nach 1945 den deutschsprachigen Theologinnen und Theologen die Kunst der Moderne nahegebracht und plausibel gemacht haben. Sein tragender Gedanke war, dass sich gerade in der Moderne die Transzendenz direkt in den Kunstwerken aufspüren lässt. Man müsse sich nur auf die Spurensuche begeben. Und er konnte dazu auf eine Fülle von konkreten Artefakten verweisen. Und er zeigte, dass bestimmte existentielle Motive, die die Theologen interessierten, auch in der Kunst und nicht zuletzt im künstlerischen Christusbild ihr Echo fanden. Günter Rombold war auch ein ökumenischer Theologe – nicht nur als Herausgeber der ökumenischen Zeitschrift „Kunst und Kirche“. Sein zusammen mit Horst Schwebel erarbeitetes Buch „Christus in der Kunst des 20. Jahrhunderts“, 1983 (also vor 35 Jahren) im Verlag Herder erschienen, setzte Horst Schwebels theoretische Erkenntnisse aus dessen drei Jahre zuvor erschienener Habilitation „Das Christusbild in der Bildenden Kunst der Gegenwart“[2] durch die Vorstellung und Deutung zahlreicher Werke der Moderne in Anschaulichkeit um. Und deutlich wurde: hier trennte die Konfessionen in der Begegnung mit der Kunst wenig und verband sie viel.

Manchmal frage ich in gemeinsamen Gesprächen mit Horst Schwebel, ob diese Zeit einer intensiven, aus existentiellem Interesse gespeisten Begegnung von Kunst und Kirche nicht inzwischen schlichtweg vorbei ist. Diese unmittelbare Neugier, was denn in der aktuellen Kunst passiert und was man von ihr lernen kann, dieses Interesse an den Freundschaften mit Künstlerinnen und Künstlern, etwas, was Paul Gräb (*1921) und Günter Rombold (*1925), Horst Schwebel (*1940) und Friedhelm Mennekes (*1940) miteinander verband und vielleicht mit meiner Generation die letzten Vertreter fand, diese unmittelbare Neugier sehe ich heute kaum noch. Natürlich gab es zu allen Zeiten in der Kirche jene, die aus ‚kaltem‘ Interesse, weil man sich für Kultur interessiert zeigen musste und weil es zur allgemeinen Bildung gehörte, für Kunst interessierten. Kulturbürger sozusagen. Das waren aber auch jene, die schon früh vom Ende der Autonomie der Kunst schwafelten, weil sie nichts von der Kunst als Kunst begriffen hatten.[3] Aber inzwischen gibt es eine Generation von mit Kunst und Kultur Beschäftigten in der Kirche, die man besser dem Segment „Kulturwirtschaft“ als der Begegnung von Kunst und Kirche zuordnen sollte. Ein wenig ist es so wie mit den Humboldt‘schen Entdeckungsreisen und dem heutigen Tourismus. Vielleicht ist dieser Epochenumbruch aber auch Gelegenheit, sich noch einmal mit den Motiven und Gedanken der Pioniere nach 1945 auseinanderzusetzen, im konkreten Fall mit den Schriften von Günter Rombold seit 1976, eine Art Eingedenken dessen, warum wir uns als Theologen mit der Kunst beschäftigen:

Rombold, Günter (1976): Kunst - Protest und Verheißung. Eine Anthropologie der Kunst. Linz: Oberösterreichischer Landesverl. (Linzer philosophisch-theologische Reihe, 7).

Rombold, Günter; Schwebel, Horst (1983): Christus in der Kunst des 20. Jahrhunderts. Eine Dokumentation. Freiburg/Br.: Herder.

Rombold, Günter (1988): Der Streit um das Bild. Zum Verhältnis von moderner Kunst und Religion. Stuttgart: Verlag Katholisches Bibelwerk.

Rombold, Günter (1998): Ästhetik und Spiritualität. Bilder, Rituale, Theorien. Stuttgart: Verl. Kath. Bibelwerk.

Rombold, Günter (2004): Bilder - Sprache der Religion. Münster: Lit-Verl. (Ästhetik - Theologie - Liturgik, 38).

Rombold, Günter (2008): Im Spannungsfeld zwischen Kunst und Kirche. Ein außergewöhnliches Leben. Linz: Wagner.


Karl Josef Maßen (1932-2017)

Vor knapp einem Jahr, im April 2017, starb der Krefelder Kunstpfarrer Karl Josef Maßen. Er war ein Solitär in der Begegnung von Kunst und Kirche nach 1945. Als ich Anfang der 80er-Jahre des 20. Jahrhunderts am Marburger Institut für Kirchenbau und kirchliche Kunst der Gegenwart meine Forschungen zur Rezeption zeitgenössischer Kunst in Kirchengemeinden aufnahm, verwies mich Horst Schwebel im Blick auf gelungene Beispiele unter anderem auch auf Karl Josef Maßen. Aus der Begegnung und den Korrespondenzen mit ihm entstand dann sein Aufsatz „Kunst im liturgischen Raum“ in unserem Buch „Kirche und moderne Kunst“.[4] Und 1988, als das Buch erschien, gab es wirklich nur ein Dutzend qualitativ hochstehender Begegnungen von Kunst und Kirche. Karl Josef Maßen zeichnete eine charakteristische Form der Emphase, ja der Begeisterung aus, eine entschiedene Überzeugungskraft (und auch Überzeugungssehnsucht), der man sich kaum entziehen konnte. Ich erinnere mich, dass ich einmal 1991 in einem Priesterseminar in Stuttgart-Rottenburg gemeinsam mit ihm in einem Wochenkurs gearbeitet habe. Die zum Teil aus Polen stammenden Priester waren von der Begegnung mit zeitgenössischer Kunst recht wenig überzeugt und zeigten dies auch deutlich. Und hier entwickelte Maßen seine ganze Emphase. Er ließ den Priestern keine Chance, sich auf ihr Desinteresse zurückzuziehen, sondern forderte in Sachen Kunst und Kirche vollen Einsatz. Es war überaus beeindruckend. Nur nebenbei: als er 2012 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet werden sollte, nahm er es nach einer Bedenkzeit nur entgegen, wenn damit seine Kunsttätigkeit und nicht er selbst geehrt würde.[5]

Karl Josef Maßen ist insofern ein Solitär, als er gar nicht so sehr daran dachte, nun theologisch-ästhetisch die Welt von Kunst und Kirche zu verändern, sondern sich immer fragte, was die Welt der zeitgenössischen Kunst für seinen pastoraltheologischen Alltag bereit hielt. Und diesen kulturellen Reichtum wollte er nicht einfach nur aus der Ferne oder auf Kunstreisen beobachten, sondern möglichst in seiner Kirche, in seinem Kirchgarten um sich haben. Und so suchte er das Gespräch mit den Künstlern, die ihn interessierten und lud sie nach Krefeld in die Pax-Christ-Kirche ein. Man kann sagen, dass es zwischen den von ihm ausgesuchten Werken und seiner eigenen Theologie ein gutes Stück Kohärenz gab. Das ist aber meines Erachtens legitim. Man stolpert nicht über Kunstwerke und nimmt sie mit, sondern man durchwandert die Kunstwelten, stößt auf Objekte, die einen faszinieren und herausfordern und macht sie für sich fruchtbar. Und es ist ja gerade die durch diese Subjektivität hervortretende Plausibilität der zusammengestellten Arbeiten, die das Ganze so nachvollziehbar machte. Und hier war Karl Josef Maßen exemplarisch. Ob es nun Günther Ueckers Boot Chichicastenango von 1980 war oder Rückriems Altar von 1981, Chihiro Shimotanis Zehn Gebote von 1980, Felix Droeses Hungertuch von 1981, Klaus Staecks Abendmahlsinstallation von 1982 oder die vielen anderen Werke, die später noch kamen: Hier verband sich die Theologie eines Pfarrers kongenial mit den Werken der Künstler seiner Zeit. Wir bräuchten mehr solcher Beispiele.

Anmerkungen

[2]    Schwebel, Horst (1980): Das Christusbild in der Bildenden Kunst der Gegenwart: Schmitz, Wilhelm.

[3]    Vgl. dazu Mertin, Andreas (1996): "Diastase als Chance, funktionale Integration als Versuchung". Überlegungen zur Kulturvermittlung im Protestantismus. In: Neuhaus, Dietrich (Hg.): Wie autonom ist die Kunst? Schmitten/Ts: Evang. Akad. Arnoldshain (Arnoldshainer Protokolle, 2-96), S. 21–39.

[4]    Maßen, Karl Josef (1988): Kunst im liturgischen Raum. Die Pax Christi Gemeinde in Krefeld. In: Mertin, Andreas; Schwebel, Horst (Hg.): Kirche und moderne Kunst. Eine aktuelle Dokumentation. Frankfurt am Main: Athenäum Verlag, S. 41–54.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/111/am617.htm
© Andreas Mertin, 2018