Heiliger Krieg?

Philippe Bucs Essay zur Gewalt im Namen des Christentums

Andreas Mertin

Buc, Philippe (2015): Heiliger Krieg. Gewalt im Namen des Christentums. Darmstadt: von Zabern.

Manchmal ist schon die Lektüre von Klappentexten zu Büchern überaus interessant. Das hier vorzustellende Buch wird folgendermaßen vom Verlag beworben: „'Wer nicht mit uns ist, ist gegen uns': Mit dieser biblischen Paraphrase suchte George W. Bush Verbündete hinter sich zu versammeln und seinen Angriff auf den Irak zu legitimieren. Ist er damit ein heiliger Krieger? Der Historiker Philippe Buc, ausgewiesener Experte auf dem Gebiet mittelalterlicher religiös motivierter Gewalt, nimmt in seinem großen historischen Essay eine ungewohnte und provozierende Perspektive ein. Er untersucht, wann und unter welchen Bedingungen Konflikte christlich geprägter Gesellschaften zu manichäischen Kriegen wurden, zur Konfrontation von Gut und Böse. Die theologisch motivierte Legitimation von Terror und Krieg lädt Konflikte nicht nur auf, sie erschwert oder verhindert auch die Möglichkeiten von Friedensschluss und Versöhnung. Philippe Buc deckt mit großer Quellenkompetenz und ausgeprägtem Aktualitätsbezug die historischen Wurzeln des Geflechts der gegenwärtigen weltpolitischen Verwerfungen auf – ein gänzlich neuer Ansatz.“ Schon beim Lesen dieses Klappentextes fällt dem europäischen, an der Entwicklung der modernen Theologie geschulten Leser einiges auf: Ist ein Heiliger Krieg eigentlich dasselbe wie ein Glaubenskrieg? Ist die Aufteilung der Welt in Gut und Böse, die dann zur Motivation zum Krieg genutzt wird, per se schon religiös? Ist die Verwendung eines Zitates aus der Bibel im Rahmen einer Kriegserklärung gleich schon der Beleg dafür, dass es hier um einen Heiligen Krieg geht? Und hat dann auch Adolf Hitler, der sich des gleichen Zitates bediente, Heilige Kriege geführt? Geht es nicht vielmehr im Kern um das, was man „Sakraltransfer“[1] nennt?

Im Augenblick mehren sich die Schriften, die der Gewalttätigkeit des Christentums im Laufe der Geschichte nachgehen und dabei auch die Wirkungsgeschichte mit einbeziehen. Man kann fragen, woran diese Konjunktur wohl liegt? Könnte es sein, dass diese sich aus der aktuellen Diskussion um die Gewalttätigkeit des Islam entwickelt hat? Dass einige meinen, wenn man schon dem Islam Gewalt vorhält, dann müsse man im Gegenzug auch Analoges zum Christentum sagen? Ich glaube, diese Vermutung hat einiges fürs sich. Gleichzeitig ordnet sich die Rede von der Gewalt des Christentums ein in die seit etwa 15 Jahren kursierende Rede von der spezifischen Gewalt der monotheistischen Religionen bzw. der abrahamitischen Religionen. Ich finde es wichtig, in all diesen Fragen ganz unaufgeregt Klarheit zu schaffen. Unbestreitbar führt der Furor, mit dem auf die eine Wahrheit beharrt wird, dazu, andere – auch gewaltsam – auszugrenzen und zu vernichten. Wahrheit – wenn man sie nicht nur als Geltungsanspruch, sondern als durchzusetzende begreift – ist immer in Gefahr, totalitäre Züge zu entwickeln. Deshalb kann ein Buch wie das von Philippe Buc nur begrüßt werden. Ich hätte es vor allem begrüßt, wenn auch seinem Buch zwei Bücher geworden wären: eines, das sich mit der Geschichte christlicher Gewalt, im Sinne der von christlichen Funktionsträgern legitimierter Gewalt, und eines, das sich mit post-christlicher Gewalt bzw. mit christlicher Rhetorik legitimierter Gewalt beschäftig hätte. Diese Trennung ist schon dann hilfreich, wenn man noch die Gewalt der Gegner des Christentums unter die Geschichte der Gewalt des Christentums subsumieren will. Weil moderne politische Bewegungen oftmals auch mit heilsgeschichtlichen Schemata arbeiten, sollte man sie aber nicht mit christlichen Bewegungen verwechseln. Überhaupt bin ich skeptisch bei vorschnellen Analogisierungen. Ob tatsächlich die Mentalität der Sektierer von Qumran mit der der amerikanischen evangelikalen Fundamentalisten des 21. Jahrhunderts vergleichbar ist, ist mir sehr fraglich. Wenn die Strukturanalogie in der Verteufelung des Andersdenkenden besteht, dann sind natürlich auch Stalin, Hitler, Pol Pot und viele Andere gleich mit dabei. Dann aber geht alles Spezifische verloren. So glaube ich nicht, dass, wie Buc insinuiert, die Allegorisierung der Auslegung des Alten Testaments vor allem deshalb vorgenommen wurde, um die Härte der „gewaltgesättigten Texte“ (81) abzumildern. Eher dürfte es dann doch um die Durchsetzung des Schemas von „Verheißung und Erfüllung“ gewesen sein, die die Exegeten antrieb. Dass dabei als Nebeneffekt auch die deutende Abmilderung der biblischen Texte eintrat, ist sicher nicht zu bestreiten.

In sieben Kapiteln auf über 300 Seiten entfaltet Buc seine Reflexionen:

I.       Der amerikanische Way of War im Spiegel der Vormoderne
II.      Christliche Exegese und Gewalt
III.     Wahnsinn, Märtyrertum und Terror
IV.      Märtyrertum im Westen: Rache, Reinigung, Erlösung und Geschichte
V.       Zwillingsbrüder: Nationaler Heiliger Krieg und Sektiererterror
VI.      Freiheit und Zwang
VII.     Das Subjekt der Geschichte und wie Geschichte gemacht wird

Mir persönlich ist der Stil, weit auseinander liegende Ereignisse, die oft tausende von Jahren trennen, aufeinander zu beziehen, etwas suspekt. Im Rahmen eines Essays, der ja evidenzorientiert ist, wag das angehen, aber es hat schon einen Sinn, dass Essays in aller Regel sich auf überschaubare Seiten konzentrieren. Über 300 Seiten einem oszillativem Gedankengang zu folgen, ist schwer. Besser hätte ich es gefunden, man hätte zunächst, die Grundlagen geklärt, um dann den neuzeitlichen und modernen Nachwirkungen nachzugehen. Dennoch bietet Buc Groß-Essay eine Fülle von Materialien, Hinweisen und Impulsen.

Wer sich auf diese Auseinandersetzung einlassen will, dem empfehle ich zur parallelen und ergänzenden Lektüre das Buch

Schreiner, Klaus; Müller-Luckner, Elisabeth (Hg.) (2008): Heilige Kriege. Religiöse Begründungen militärischer Gewaltanwendung: Judentum, Christentum und Islam im Vergleich. München: Oldenbourg und darin insbesondere den Text von Friedrich Wilhelm Graf: Sakralisierung von Kriegen: Begriffs- und problemgeschichtliche Erwägungen. S. 1–30.

Friedrich Wilhelm Graf zeigt, wie wichtig es gewesen wäre, wenn Buc zunächst begriffsgeschichtlich geklärt hätte, was die Rede vom Heiligen Krieg, vom Glaubenskrieg, vom Konfessionskrieg, vom religiös begründeten und schließlich vom religiös legitimierten Krieg zur jeweiligen Zeit bedeutet.

Und schließlich habe ich mich gefragt, wie es sein kann, dass renommierte Autoren wie Friedrich Wilhelm Graf so außerordentlich skeptisch im Blick auf die Anwendung des Begriffs „Heiliger Krieg“ für die Sakralisierung von Gewaltanwendungen sind, während ein renommierter Mediavist wie Philippe Buc in seinem Essay so unbefangen damit umgeht. Und dann bin ich darauf gestoßen, dass es sich schlicht um eine kulturelle Differenz handeln könnte. Es könnte sein, dass „Holy War“ im Angelsächsischen ganz anders gebraucht wird als „Heiliger Krieg“ im Deutschen. Dafür spricht, dass bei der Eingabe der Begriffe in den Google Buchindex (Google Books Ngram Viewer) völlig unterschiedliche Kurven erzeugt werden. Konkret: gibt man „Holy war“ für den englischsprachigen Korpus zwischen 1500 und 2000 ein, ergibt sich eine ganz andere Kurve, als wenn man „Heiliger Krieg“ für den deutschsprachigen Textkorpus der gleichen Zeit eingibt:

Etwas Licht ins Dunkel dieser auffälligen Differenz kommt, wenn man statt des Wortes „Heiliger Krieg“ das Wort „Glaubenskrieg“ verwendet. Es wird schnell deutlich, dass im deutschsprachigen Raum eher von „Glaubenskriegen“ als von Heiligen Kriegen gesprochen wird.

Und mir scheint genau das auch im Zentrum des Buches von Philippe Buc zu stehen: der Glaubenskrieg. Einen Glaubenskrieg führt die RAF wie auch die USA des George W. Bush. Um einen Glaubenskrieg zu führen, bedarf man bestimmter Tropen, die angesichts der Geschichte der Menschheit schnell religionsgesättigt sind. Diejenigen, die zu einem auch säkularen Glaubenskrieg anstiften wollen, müssen mit einer Sprache kommunizieren, die über Jahrhunderte religiös geprägt war und die keine Spezialsprache, sondern eine religiöse ist. Das auch einer der Gründe, warum Werbetreibende immer religiöse Topoi bevorzugen: was es immer noch die verbreitetste Sprache ist.

Nimmt man also den Titel des Buches von Philippe Buc etwas weniger eng und versteht es als Erläuterung, warum die religiösen und die säkularen Glaubenskrieger der Moderne der Religion nicht entkommen und warum ausgerechnet das Christentum in erschreckender Form ihrem Denken vorgearbeitet hat, dann findet man eine Fülle an Bedenkenswertem.

Anmerkungen

[1]    Graf, Friedrich Wilhelm (2004): Sakraltransfer. In: Hans Dieter Betz, Don S. Browning, Bernd Janowski und Eberhard Jüngel (Hg.): Religion in Geschichte und Gegenwart. Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft, Bd. 7. 4. Aufl. 8 Bände. Tübingen: Mohr, S. Sp. 748f.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/99/am530.htm
© Andreas Mertin, 2016