Vor bald vierzig Jahren publizierte Horst Schwebel bei der Diaspora-Gemeinde Wehr-Öflingen des Pfarrers Paul Gräb einen Text „Zur Verteidigung der autonomen Kunst in der Kirche“. Darin führt er aus:

Es ist ein erster Schritt auf dem Weg zur Autonomie, die Kunst von ihrem Gebrauchs- und Nutzwert abzutrennen. [Sie ist nicht dafür da ...],
- um blass gewordene Verkündigungsinhalte zu verlebendigen,
- um funktionalistischen Räumen noch ein wenig Atmosphäre zu geben,
- um monotone Städte zu verschönern,
- um politische Überzeugungen an den Mann zu bringen.
Erstes Ziel ist die Abkehr von jedem Um-zu-Denken. Freilich ist das kein Endziel, sowenig wie die Bilder- und Weltfeindschaft der Theologie ein Endziel sein kann. Gleichwohl ist die Grenzziehung gegenüber den sogenannten Anforderungen aus der Praxis notwendig.

Hierzu gehört noch eine zweite Grenzziehung! Wo immer man in den Praxisbereichen über die Schwelle des Nützlichkeitsdenkens hinausgelangt, entdeckt man die Werte Kreativität und Phantasie. Die ... Hinwendung zur Kunst sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Anspruch, der großer Kunst innewohnt, nicht identisch ist mit dem Wunsch nach Kreativität und Phantasie. Dieses Andersartige, das Mehr gegenüber dem unmittelbaren Bedürfnis, gilt es, ins Bewusstsein zu heben. Kunst ist nicht identisch mit der Befriedigung von Bedürfnissen. Sie verweigert sich solchem Zugriff. Darin ist sie theologisch.

Keine Funktionalisierung und keine Banalisierung der Künste – das war immer ein zentrales Element der Lehre von Horst Schwebel. Er war der erste, der konsequent die Autonomie der Kunst im Raum der Kirche vertreten hat. Ja mehre noch: er sah in der Hinwendung zur autonomen Kunst einen genuin theologischen Schritt:

Die Autonomie – obgleich alles andere als ein Dienst – ist der größte Dienst, den die Kunst der Kirche erweisen kann. Nur dort ist die Kunst Partner, wo sie sich der Fesseln entledigt und auf eigene Faust den Weg zur Erkenntnis antritt. Mag die theologische Erkenntnis andere Wege beschreiten, so ist der von der Kunst beschrittene Erkenntnisweg nicht minder relevant, sofern er Authentizität und Eigenständigkeit für sich in Anspruch nehmen kann. - Die Spannung bleibt auf diese Weise gewahrt.

Horst Schwebel ist in der letzten Woche 75 Jahre alt geworden. Wir sind mit ihm in gemeinsamer Arbeit bzw. im gemeinsamen Anliegen einer gelingenden Begegnung von Kunst, Architektur, Literatur und Theologie bzw. Kirche seit Jahrzehnten verbunden. Horst Schwebel ist ein wichtiger Impulsgeber all dieser Schnittstellen von Kultur und Theologie.

Wir legen mit diesem Heft keine Festschrift vor, das ist nicht Aufgabe dieser Zeitschrift. Die Anregung, ein Heft zu Ehren von Horst Schwebel zusammenzustellen, kam von Ingrid Witzel, die am Marburger Institut über 30 Jahre mit Horst Schwebel zusammengearbeitet hat. Ingrid Witzel schlug vor, unsere eigenen Überlegungen an denen von Horst Schwebel zu spiegeln. Das Ergebnis legen wir hiermit vor. Die Beiträge stammen im Wesentlichen von den jetzigen und früheren Herausgeberinnen und Herausgebern des Magazins und von Autoren, die Horst Schwebel durch die Arbeit des Instituts für Kirchenbau verbunden sind. Darunter sind auch frühere Studenten, die an Seminaren des Marburger Instituts teilgenommen haben.

Uns interessiert zum einen die Frage, wie wir im Laufe der letzten 35 Jahre von Horst Schwebel herausgefordert wurden, zu verstehen, was wir sehen, aber auch, wo wir unsere eigenen Impulse und unsere Kulturarbeit anders akzentuiert haben. Uns interessiert aber auch die Frage, was Kunst und Kultur für uns ganz persönlich bedeutet. Kultur ist seit einigen Jahren nicht mehr ein Kanon, mit dem man sich auseinanderzusetzen hat, sondern ist durch eine Vielfalt von Zugängen geprägt, die höchst subjektiv sind. Das wollten wir im katoptrischen Universum unseres Magazins zeigen.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/98/iw1.htm
© Ingrid Witzel, Andreas Mertin 2015