Nachricht von Gemählden

Friedrich Schlegel

In seiner Zeitschrift Europa veröffentlicht Friedrich Schlegel 1803 eine „Nachricht von den Gemählden in Paris“. Darin geht er auch intensiv auf van Eyck ein und sucht ihn in die Kunstgeschichte und hier in die Entwicklungslinie „deutscher Malerei“ einzuordnen. Nachdem er die italienischen Maler ausführlich besprochen hat, kommt er nun zu den deutschen:



„Ich mache den Beschluß mit den vortreflichen altdeutschen Gemählden, welche hier befindlich sind. ...

Von Johann von Eyck sind mehrere bewundernswürdige Gemählde da; eine Hochzeit zu Kana, nicht nur sehr schön und reizend gemahlt, sondern auch voll schöner Gestalten, die ich Dir glaube am richtigsten bezeichnen zu können, wenn ich sage, daß mehrere der weiblichen Köpfe an die Madonna zu Dr. von Holbein erinnern, wo Demüthigkeit so schön mit Göttlichkeit verbunden ist, und die ich darum weit wahrer finden muß, als die Madonna von Raphael eben daselbst, die zwar göttlich blickt und gestaltet ist, aber mit einer zu allgemeinen Göttlichkeit, so daß auch wohl eine Juno oder selbst eine Diana so seyn könnte; und vielleicht hat er sogar diese Göttinnen des Alterthums und zwar beide, dabei im Sinne gehabt.

Da nun Holbein dem Eyck sich nachgebildet hat, die Gestalten des letztern auch durchaus nicht niederländisch sind in der spätem Bedeutung, so wäre es wohl am verständlichsten den Eyck zur deutschen Mahlerei zu rechnen, deren Geschichte und Entwicklung in der bestimmten und äußerst einfachen Stufenfolge des Eyck, Dürer und Holbein dadurch sehr deutlich und begreiflich wird.“


Im Folgenden schreibt Friedrich Schlegel über den Genter Altar. Wenn er dabei von ‚verkleinertem Maaßstabe“ spricht, dann ist damit gemeint, dass er in Paris nur den um die Seitenflügel beschnittenen Altar sehen konnte, denn Napoleon ließ nur die mittleren Tafeln nach Paris bringen, während die Seitenteile in Gent verblieben (und später dann nach London bzw. Berlin verkauft wurden).

„Ein anderes Bild des Eyck in verkleinertem Maaßstabe, stellt das Lamm der Apocalypse vor. Es steht auf der Bundeslade, und aus der Brust strömt das Blut in eine Schaale. Zunächst um die Lade anbetende Engel und Seraphim, in weiter Entfernung vier Chöre von heiligen Jungfrauen, Märthyrern, Kirchenlehrern, Aposteln, Päbsten und Geistlichen. Oben im Himmel die Taube von welcher Strahlen des Lichts und der Begeisterung auf jene Chöre herabschießen. Vorn im Vorgrunde ein Springbrunnen lebendigen Wassers; die Landschaft fast überladen reich mit Blumen, Früchten, Bergen und Gebäuden im Hintergrunde geschmückt. Eben so überladen reich an Trachten und Gestalten vom mannichfaltigsten Ausdrucke meist in sehr edlen und italiänischen Formen sind jene Chöre der Anbetenden, übrigens in der strengsten architektonischen Symmetrie geordnet. Es ist aber durchaus nur die Unbegreiflichkeit und die Anbetung des Göttlichen ausgedrückt, ohne irgend in dieser Allegorie an das entgegenstehende Princip zu erinnern.

Nicht merkwürdiger, aber ungleich ergreifender noch sind drei zusammengehörige Kirchenbilder, desselben Meisters, die den Gott Vater, die Madonna, und Johannes den Täufer vorstellen. Die egyptische Erhabenheit und Steifheit dieser geraden, strengen Göttergestalten, wie aus grauem Alterthume, muß innige Ehrfurcht gebieten, und zieht uns bei allem abschreckenden Ernste eben so an, wie die unbegreiflichen Denkmahle einer größern und strengern Vorwelt.“


Schlegel zieht ein Fazit, in dem er die deutsche Malerei gegenüber der italienischen aufwertet und eine Entwicklungslinie von van Eyck zu Dürer und Holbein zieht.

„Wie in einem organischen Körper der wesentlichen Gliedmaßen nur wenige sind, die aus dem Ganzen deutlich hervortreten und das Ganze selbst in einem bestimmten Verhältniß construiren; außer diesen aber nothwendig auch eine unbestimmte Fülle eben so organischer Masse und Thätigkeit vorhanden ist, um den Körper jener ersten und wesentlichsten Glieder zu bekleiden, und ausfüllend zu umgeben; eben so ist es auch in der Kunst. Ist es nur um die Geschichte derselben, und die Epochen ihrer Entwicklung zu thun, so wird man nur wenige Künstler nennen dürfen; so wie denn die Construction der deutschen Mahlerei durch eine Charakteristik der genannten drei Mahler, Eyck, Dürer und Holbein, gewiß nicht unbefriedigend vollendet werden könnte. ...“

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/97/frschl1.htm
© Friedrich Schlegel, 2015