Abschied von Goldenem Kalb und Weihnachtsmann

Versuch über einen denk-würdigen und sinn-vollen Kern (m)eines christlichen Glaubens

Volker Lingnau

Prolog

Dieser Text ist die überarbeitete und erweiterte Fassung einer Predigt mit dem Titel „Ich möchte meinen Verstand nicht an der Kirchentür abgeben“ – Zum schwierigen Verhältnis von Glaube und Wissenschaft in einem protestantischen Sonntagsgottesdienst (Lingnau 2013) und eines daraus hervorgegangenen Vortrages. Er versteht sich ausdrücklich nicht als theologische Abhandlung, sondern gibt in (hoffentlich) strukturierter Form kritische Fragen eines Nicht-Theologen an die Glaubenslehre der Kirche und Antworten von Theologen auf eben diese Fragen wieder. Dadurch enthält der Text aufgrund dieser „Außensicht“ zweifellos für Fachkundige sowohl die eine oder andere theologische Selbstverständlichkeit als auch theologisch „unrunde“ Abschnitte – und beansprucht damit auch nicht, mehr zu sein, als der Untertitel enthält: Ein persönlicher Versuch; wenngleich mit der Überzeugung, die persönliche Ebene deutlich übersteigende Fragen adressiert zu haben.

Von der Volkskirche zur Großsekte

„Ich [bin] Christ ..., [w]eil ich mir keine verbindlichere, humanere und den einzelnen verpflichtendere Lebensanweisung als die Botschaft Jesu Christi vorstellen kann“, so Walter Jens (1988, S. 53). Wenn man dieser Auffassung zumindest ansatzweise zustimmt, stellt sich umso drängender die Frage, wie es überhaupt zu der aktuellen Glaubens- oder vielleicht besser Kirchenkrise kommen konnte.

Spricht man mit Katholiken über die Gründe dieser Krise, wird sehr schnell der Reformstau in der katholischen Kirche angeführt. Bei protestantischen Gesprächspartnern herrscht dagegen nach meiner Erfahrung eine gewisse Hilflosigkeit: „Wir haben doch alles, was ihr fordert: verheiratete Pfarrer, Ordination von Frauen, eine menschliche Sexualmoral, weitgehende Mit-Entscheidungsrechte der Gemeindemitglieder ... und trotzdem geht es uns keinen Deut besser als euch.“ Die Situation beider Kirchen ist also vergleichbar, d. h. die Gründe für die Krise können nicht im Unterschied liegen, sondern sind in dem zu suchen, was beide gemeinsam haben, d. h. viel tiefer.

Ich gehe im Folgenden davon aus, dass es zu einer Krise von Kirche in unserer postmodernen Wissensgesellschaft immer dann kommen muss, wenn die kirchliche Lehre nicht mehr als „denk-würdig“ und „sinn-voll“ wahrgenommen wird. Ihre Denk-Würdigkeit verliert die Lehre, wenn Glaubensaussagen in Konflikt zu Wissen stehen. Das Problem liegt für mich hier im Kern in einer weitgehend auf vorwissenschaftlichem Stand erstarrten Glaubenslehre, die nicht mehr anschlussfähig an die Lebenswirklichkeit von Menschen in unserer postmodernen Wissensgesellschaft ist; eine Glaubenslehre, die im wahrsten Sinne des Wortes „unglaubwürdig“ geworden ist. Daraus erhebt sich die Forderung, dass Glaubensaussagen anschlussfähig sein müssen sowohl an die naturwissenschaftliche Erkenntnis als auch an den geisteswissenschaftlichen, insbesondere philosophischen und historischen Diskurs.

Der katholische Theologe und Journalist Johannes Röser (2011, S. 100) formuliert dies wie folgt: „Wer heute glaubt, will dies nicht im Widerspruch zum Wissen. Nicht Säkularisierung und Aufklärung sind schuld am großen Glaubensproblem. Sie haben nur die religiösen, theologischen Schwächen offengelegt und somit unser Bewusstsein umgewälzt. ... Ein paar oberflächliche Therapiemaßnahmen, die nur an Symptomen herumdoktern, führen nur auf den Holzweg. Es braucht anderes: eine Revolution der Gotteserkenntnis, der religiösen wie theologischen Sprache, intellektuell wie emotional. Die Neugier auf Gott kann sich durchaus wieder beschleunigen, wenn bildungsinteressierte, wache, nachdenkliche, sensible Menschen sich nicht zufriedengeben mit den platten Antworten religiöser Trägheit und den glatten Übungen spiritueller Gewohnheit.“

Dieses Zitat lässt auch anklingen, dass die Denk-würdigkeit von Glaubensaussagen zwar notwendig aber nicht hinreichend ist. Glaubensaussagen und Glaubenspraxis müssen aus Sicht der Menschen zusätzlich eine sinn-volle Lebenshilfe darstellen, sie bei der Suche nach ihrem wahrem Selbst, dem inneren Frieden, dem Sinn des Lebens – oder wie immer man dies bezeichnen mag – unterstützen. Auch wenn nach aktuellen Erkenntnissen ca. ein Drittel der Bevölkerung zu den „existentiell Indifferenten“ zählt, die ihr Leben nicht als sinnerfüllt erleben, aber nicht darunter leiden (vgl. Schnell 2014a, S. 40), so birgt doch die Erfahrung der Sinnlosigkeit des eigenen Lebens die Gefahr vielfältiger psychischer Erkrankungen bis hin zum Suizid, wie vor allem der Wiener Psychoanalytiker und Arzt Viktor E. Frankl (1905 - 1987) gezeigt hat, der die Frage nach dem Sinn des Lebens als „Ausdruck des Menschseins schlechthin“ ansah, da es nur dem Menschen vorbehalten sei, seine Existenz als fragwürdig zu erleben (Frankl 1987, S. 56f.). Diese Verknüpfung macht auch folgendes Dokument bedrückend deutlich: „Wozu das alles? Wozu soll ich arbeiten? Damit ich mich kaputtmaloche um mit 65 in den Ruhestand zu gehen und 5 Jahre später abzukratzen? Warum soll ich mich noch anstrengen irgendetwas zu erreichen, wenn es letztendlich sowieso für'n Arsch ist weil ich früher oder später krepiere? Ich kann ein Haus bauen, Kinder bekommen und was weiss ich nicht alles. Aber wozu? Das Haus wird irgendwann abgerissen, und die Kinder sterben auch mal. Was hat denn das Leben bitte für einen Sinn? Keinen!“ (Abschiedsbrief des "Amokläufers von Emsdetten", der am 20. November 2006 mit einer Schnellfeuerwaffe in seine frühere Schule eindrang, 37 Personen verletzte und sich anschließend selbst tötete.).

Der nahezu marginalisierte Gottesdienstbesuch zeigt, dass selbst unter den Kirchenangehörigen nur noch eine verschwindende Minderheit die überkommenen Gottesdienstformen als Hilfe bei der Suche nach ihrem wahren Selbst, dem inneren Frieden, dem Sinn des Lebens ansieht, sodass die Teilnahme am Gottesdienst damit im wahrsten Sinne des Wortes sinn-los wird, während auf der anderen Seite andere spirituelle Angebote, gerade mit fernöstlichem Hintergrund, durchaus angenommen werden. „Die kirchliche Sprache, die Lieder und Dogmen sind für viele unverständlich geworden. Sie finden keinen persönlichen Bezug dazu, es gibt keine Passung zu anderen Lebensbereichen. Dieser Kohärenzmangel verhindert auch, dass die Kirchen in weiterem Rahmen zu Sinnstiftern werden“, so die Begründerin der psychologischen Sinnforschung Tatjana Schnell (2014b, S. 42). Das macht auch deutlich, dass Anschlussfähigkeit / Kohärenz eine zentrale Bedeutung sowohl für einen denk-würdigen als auch für einen sinn-vollen Glauben aufweist. Die Beziehung von Glauben, Wissen und Sinn betont auch der Philosoph Volker Gerhardt (2014c): „...ein Glaube verliert seinen Sinn, wenn er keinen Bezug zum Wissen hat“.

Angesichts der mit jährlicher Regelmäßigkeit vermeldeten „Austrittswellen“,[1] der für die nächsten 15 Jahre prognostizierten Abnahme der Kirchenmitglieder um ein Drittel gegenüber dem heutigen Stand und den schon jetzt kaum noch vorhandenen Kirchenbesuchern wird deutlich: Mit dem skizzierten doppelten Verlust der gesellschaftlichen Anschlussfähigkeit mutiert die (ehemalige) Volkskirche durch fortschreitende generative Entkirchlichung zur Großsekte: Intra ecclesiam religio non iam est.

Aus dieser Analyse heraus sollen im Folgenden Möglichkeiten eines anschlussfähigen Glaubens­verständnisses anhand der beiden meines Erachtens zentralen christlichen Glaubensinhalte formuliert werden: Gottesglaube und Jesus-Christus-Glaube. Hier liegen „die problematischsten und unnötigsten Verschlussformeln kirchlichen Denkens. ... Sie tragen berechtigterweise zur kopfschüttelnden Abwendung vom kirchlichen Denken bei“, so der evangelische Theologe Matthias Kroeger (2004, S. 26 f.). Eingedenk der schon beinahe als „klassisch“ zu bezeichnenden Feststellung von Karl Rahner (1966, S. 335): „Der Fromme von morgen wird ein Mystiker sein, einer, der etwas erfahren hat, oder er wird nicht mehr sein“,[2] soll dabei auch der spirituelle oder mystische Aspekt bei den Überlegungen zu einem sinn-vollen Glauben Berücksichtigung finden, auch wenn mystische Erfahrung selbst eine sehr stark persönliche Komponente aufweist, mit Ludwig Wittgenstein (1922, 6.522) sogar „Unaussprechliches“ darstellt.

Gottesglaube in der Krise

„Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde“, so beginnt das christliche (apostolische) Glaubensbekenntnis. Kann ich als Mensch des 21. Jahrhunderts, zumal als Wissenschaftler, diese Worte sprechen – und zwar ohne, dass ich den Verstand an der Kirchentür abgeben muss? Die Antwort hängt m. E. zentral von dem zugrundeliegenden Gottesverständnis ab. Hier ist zum einen zu untersuchen, wie der kirchliche Gottesglaube formuliert wird (formaler Aspekt) und zum anderen, was die Inhalte dieser Formulierungen sind.

Vom Philosophen-Gott zum Katechismus-Götzen

Joseph Ratzinger (1968 / 2005, S. 110) spricht anschaulich von einem „Gleichheitszeichen zwischen dem Gott des Glaubens und dem Gott der Philosophen“ und unterstreicht, dass schon „die frühe Christenheit ... sich für den Gott der Philosophen .. entschied“(Ratzinger 1968 / 2005, S. 127; Hervorhebung im Original).

Wenngleich durch eine derartige philosophische Gottesrede grundsätzlich die begrüßenswerte und in einer postmodernen Wissensgesellschaft unabdingbare Anschlussfähigkeit an den philosophischen Diskurs gegeben ist, so kann die kirchliche Dogmatisierung des Philosophengottes doch als eine Ursache der zu beobachtenden Krise der kirchlichen Glaubenslehre angesehen werden, wie anschließend gezeigt werden soll.

Die durch die „Philosophisierung“ Gottes sich notwendigerweise entwickelnden unterschiedlichen und zum Teil widersprüchlichen Interpretationen wurden schon sehr früh in Konzilien zusammengeführt und entschieden. Die „siegreiche“ Meinung wurde dann als „Glaubenswahrheit“ festgeschrieben, unterlegene Richtungen als häretisch verfolgt (z. B. Konzil von Nicäa 325 mit Festlegung des Bekenntnisses von Nicäa nach entsprechender Einflussnahme des – damals noch nicht getauften – Kaisers Konstantin und anschließender Verfolgung der „unterlegenen“ Arianer; praktischer Abschluss mit Konzil von Chalcedon 451).

Mit der unumstößlichen Feststellung der Wahrheit der kirchlichen Gotteslehre (Dogmatisierung) ist der Anspruch auf absolute Geltung für diese behauptete Wahrheit verbunden. Genau dies unterscheidet aber den Mythos vom Logos, der durch verstandesgemäße Beweise versucht, die Wahrheit seiner Behauptungen zu begründen. M.a.W.: durch die Dogmatisierung wird der kirchliche Philosophengott in Form des Katechismus-Gottes gegen weiteres Denken immunisiert; er wird remythologisiert. Diese Feststellung ist umso erstaunlicher, als Joseph Ratzinger (1968 / 2005, S. 127) in Bezug auf die Entscheidung für den „Gott der Philosophen“ feststellt: „Die Wahl, die so getroffen wurde, bedeutete die Option für den Logos gegen jede Art von Mythos, die definitive Entmythologisierung der Welt und der Religion“.

Diese Entwicklung war für die Kirche solange weitgehend unproblematisch, wie sie Mittel hatte, aus den festgelegten Grenzen ausbrechendes Denken zu disziplinieren, m. a. W. Häresien wirkungsvoll zu unterdrücken (z. B. Katharer). Mit zwei bedeutenden Ausnahmen ist das auch bis in die Neuzeit hinein gelungen: Das sog. morgenländische Schisma 1054 und die Reformation 1517. Aber auch in der Reformation blieb praktisch aller vorreformatorische Ballast erhalten. Eine aufgeklärte Reformation der Reformation gab es nicht. Und die katholische Kirche erstarrte in einer Art gegenreformatorischem „Wagenburgreflex“ (z. B. Konzil von Trient 1545 – 1563).

Durch die Dogmatisierung ging auch die Anpassungsfähigkeit der Gottesrede an sich verändernde Lebenswirklichkeiten verloren, wurde Gott immer weiter von der Welt und den Menschen entfernt, geradezu in Umkehr dessen, was Jesus bewirkt hatte, wie der evangelische Theologe Klaus-Peter Jörns (2009, S. 30) feststellt: „In der Theologie vor Jesus ist Gott, nicht nur im Judentum, immer weiter abgerückt von der Welt. Die Distanz zwischen Gott und Menschen wurde immer größer. ... Jesus hat Gott wieder zu den Menschen gebracht.“ „In der Sicht Jesu ist Gott nicht mehr der in unerreichbarer Ferne über dem Menschen Thronende ...“ betont auch der katholische Theologe Helmut Jaschke (2000, S. 120). Durch die christliche Dogmatik wurde dann erneut „zwischen Gott und Mensch ... eine tiefe Kluft aufgebaut“, so der Benediktiner und Zen-Meister Willigis Jäger (2013, S. 45).

Als Konsequenz der (erneuten) Entfernung Gottes von den Menschen flüchteten sich die Gläubigen in der Folge z. B. unter den Mantel der menschennäheren Maria (in diesem Sinne z. B. der katholische Theologe Josef Imbach (2012, S. 10 f.) und entwickelten spezifische Formen von Volksreligiosität, wie der katholische Theologe Leonardo Boff (2002, S. 175) feststellt: „Doch parallel zu diesem Prozess der Elitisierung entwickelte sich ein komplexes populares Christentum. Es stellt eine andere Form dar, wie Gläubige ihre Erfahrung von Christentum gestalten, eben im Kodex der Volkskultur. So gesehen müssen wir uns hüten, das populare Christentum als einen Verfall des offiziellen Christentums zu betrachten.“

Auf eine weitere Konsequenz der Dogmatisierung philosophischer Gottesrede weist z. B. der evangelische Theologe Emil Brunner (1960, S. 124–135) hin: An die Stelle des Nicht-zu-Definierenden trete eine Definition, was u. a. auch zur Konsequenz habe, dass dieses Gottesverständnis dem biblischen diametral gegenüber stehe. So finden sich z. B. im Katechismus der Katholischen Kirche 1603 Aussagen über „Gott“, und im Kompendium dieses Katechismus werden diese Aussagen über Gott dann dazu präzisiert, was Gott „ist“ (z. B.: KKK-K 40: „Er ist das geistige, erhabene, allmächtige, ewige, personale, vollkommene Wesen“), um so u. a. das „Auswendiglernen der Inhalte [zu] fördern“; getreu dem Motto: „was man schwarz auf weiß besitzt, kann man getrost nach Hause tragen." (Faust I). Auf die daraus erwachsende Gefahr weist eindringlich der evangelische Theologe Paul Tillich (1987a, S. 143) hin: „Wenn wir Gott besitzen ... machen [wir] aus ihm einen Götzen.“. In diesem Sinne auch der katholische Theologe Rupert Lay (2012): „Jedes Gottesbild, das in irgendeiner Weise gegenständlich ist, ist ein Götzenbild.“

Die gesellschaftliche Anschlusslosigkeit einer Glaubenslehre, die einen von den Menschen und ihrer Lebenswirklichkeit mittlerweile weit entfernten „Katechismus-Götzen“ dogmatisiert, ist wenig überraschend. Diese Anschlusslosigkeit formuliert der evangelische Theologe Jörg Zink (2011, S. 36 f.) wie folgt: „Wer hat denn in den letzten Jahrzehnten einer sich ausbreitenden Gottlosigkeit den Namen Gottes am entbehrlichsten gemacht? Ich fürchte, es waren nicht die Kritiker, nicht die Zyniker, nicht die Spötter. Es waren nicht die Nietzsches, nicht die Häckels, nicht die Sartres, nicht die Atheisten, nicht die Materialisten, nicht die Marxisten. Ich fürchte, es waren die unter den Christen, die die Herrlichkeit Gottes mit der Herrlichkeit ihrer Kirche verwechselt haben, die Autorität Gottes mit der Autorität festlicher Talare, die Wahrheit Gottes mit dem, was sie dafür hielten. Ich fürchte, nein, ich bin überzeugt, dass niemand die Unantastbarkeit Gottes so gründlich dem Gespött ausgeliefert hat wie es den Kirchen gelang, den Christen.“

Und selbst wenn der Inhalt dieses Gottesglaubens noch anschlussfähig wäre, die mit der Dogmatisierung einhergehenden Denkverbote sind es in einer offenen Gesellschaft nicht (mehr). Die grundsätzliche Bedeutung dieser Konsequenz wird dadurch deutlich, dass sich mit der Infragestellung des dogmatisierten kirchlichen Gottesverständnisses für Josef Ratzinger (1959 / 2004, S. 13) „die Frage nach der Möglichkeit dogmatischer Religion überhaupt“ stellt.

Der Lückenbüßer-Gott

Die kirchliche Lehre versteht Gott als Schöpfer der Welt, der sie auch erhält und lenkend in sie eingreift. Traditionelle Formen von Bitt- und Dankgebeten sind Ausdruck dieses Glaubens. Eine derartige Beeinflussung innerweltlicher Vorgänge unterstellt prinzipiell die Möglichkeit einer Außerkraftsetzung von Naturgesetzen im Rahmen des göttlichen Eingreifens. Schon der mittelalterliche Theologe Eckhart von Hochheim („Meister Eckhart“) hat eindringlich auf die Gefahr eines derartigen Gottesverständnisses hingewiesen (Eckhart; Quint, J. (Hrsg.) 1985, S. 29): „Du erniedrigst den unendlichen Gott zur gemolkenen Kuh, die man um der Milch und des Käses, um des eigenen Profits willen schätzt.“

Etwas „technisch“ ausgedrückt, kann Gott nach diesem Verständnis als „Wahrscheinlichkeits­änderer“ beschrieben werden. Ex post wird Gott für ein dem Einzelnen nicht vollständig erklärliches Ereignis gedankt (komplexe, nicht deterministische, den Menschen betreffende Vorgänge), z. B. für Überleben eines Unfalls, erfolgte Gesundung, bestandene Prüfung, sichere Reise, Fußballsieg. Die „Wissenslücke“ bei der Erklärung des Ereignisses wird durch göttliches Eingreifen geschlossen. Durch Gott ist ein für unsicher gehaltenes Ereignis (p<1) eingetreten (p=1). Grenzfall ist dann der Wunder-Gott, durch den ein für unmöglich gehaltenes Ereignis (p=0) eingetreten ist (p=1). M.a.W.: Wenn Gott nicht eingegriffen hätte, wäre die Sache anders ausgegangen. Ex ante wird Gott darum gebeten einzugreifen, damit ein für unsicher oder gar unmöglich gehaltenes Ereignis eintritt.

Dieses Gottesverständnis kann grundsätzlich nicht mit vorhandenem Wissen in Konflikt geraten, da es sich ja gerade auf den Bereich des Nicht-Wissens beschränkt. Dennoch sind m. E. folgende Punkte in Bezug auf dieses Gottesverständnis kritisch zu sehen:

Bis ins Mittelalter erfuhr der Mensch überall Gottes Wirken: Regen, Schnee, Hagel, Blitz, etc. Die kirchliche Glaubenslehre eines eingreifenden Gottes war anschlussfähig zur Lebenswirklichkeit. Das Nichtwissen um naturwissenschaftliche Zusammenhänge wurde durch den Glauben ersetzt. Mit dem Erkenntnisfortschritt seit der Aufklärung geriet ein derartiger Gottesglaube immer mehr in Konflikt mit dem zunehmendem Wissen und mutierte entweder zum Aberglauben (s. Kreationismus) oder wurde vom Wissen verdrängt. Mit den Worten von Dietrich Bonhoeffer (1944, S. 557) wird Gott so zum „Lückenbüßer“ für unerklärliche Vorgänge, dessen Existenz letztlich von den Grenzen unseres menschlichen Wissens abhängt und der mit zunehmendem Wissen immer kleiner wird. Der Astronom und katholische Theologe George V. Coyne (2000, S. 118), ehemaliger Direktor des Observatoriums im Vatikan, bringt es auf den Punkt: „Wer Gott als den ‚großen Gott der Lücken‘ hinzuzieht, um Dinge zu erklären, die er ansonsten nicht erklären kann, hängt einem Götzenbild an, das sich kaum von der Anbetung des Goldenen Kalbs unterscheidet ...“.

Gegen ein Eingreifen Gottes spricht zudem, dass es weder wissenschaftlich belastbare Belege für ein derartiges „Eingreifen“ noch Belege für einen signifikanten Zusammenhang zwischen Bittgebeten und der Erhörung derselben gibt. So gibt es zwar ohne Zweifel medizinisch nicht erklärbare Spontanheilungen in Lourdes und für die dort Geheilten ist die Erhörung ihres Gebetes durch das Eingreifen Gottes (bzw. Marias) offensichtlich. Rein statistisch unterscheidet sich der Anteil von Spontanheilungen unter den Lourdespilgern jedoch nicht signifikant von dem Anteil der Spontanheilungen in der Gesamtpopulation. Und Richard Dawkins, der radikale Atheist, weist darauf hin, dass die Wahrscheinlichkeit, bei einer Lourdes-Wallfahrt zu erkranken, größer sei, als bei einer solchen zu gesunden.

Aber noch ein weiterer Aspekt des Glaubens an ein Eingreifen Gottes ist nicht unproblematisch. Dieser Glauben vermag zwar, (vermeintlich) erhörte Bittgebete zu erklären, nicht jedoch die unendlich große Zahl der nicht erhörten Gebete (man denke nur an die Pilgermassen in Lourdes). Schon Kinder erfahren, dass z. B. ihr flehentliches Beten für die Gesundung der Oma rein gar nichts bewirkt hat. Jugendliche, die mit sich und der Welt nicht klarkommen, stellen fest, dass Kirchenbesuch und Gebet rein gar nichts an dieser Lage ändern. Der taiwanesisch-amerikanische Regisseur Ang Lee (u. a. Life of Pi – Schiffbruch mit Tiger) erzählt von genau dieser Erfahrung: „Meine Mutter hat mich als Christ erzogen. Sie hat mich sonntags mit in die Kirche genommen, und bis zu meinem 14. Lebensjahr habe ich viermal am Tag gebetet. Als rebellierender Teenager habe ich abrupt damit aufgehört, und nichts ist passiert“ (in: Rheinpfalz vom 17. 1. 13).

Und damit führt dieser Glauben zum jahrhundertealten Theodizeeproblem, warum ein guter und allmächtiger Gott Leid zulässt; gipfelnd in der Frage: „Wo war Gott in Auschwitz?“. Unbeschadet ganzer Bibliotheken voller theologischer Abhandlungen zum Theodizeeproblem, bleibt diese Frage bis heute ungeklärt und muss es wohl bleiben, solange man das Verständnis eines eingreifenden Gottes zugrunde legt. Der evangelische Theologe Gerd Theißen (2014, S. 134) formuliert es so: „Der Monotheismus hat eine innere Problematik: ... Gott kann nicht gleichzeitig als gütig und allmächtig gedacht werden.“ Von einer Glaubenslehre aber, die die Antwort auf eine derart zentrale Frage nicht geben kann, darf man kaum erwarten, dass sie insgesamt noch von einer nennenswerten Anzahl von Menschen als taugliche Orientierung für den eigenen Lebensentwurf angesehen wird.

Exkurs: Kreationismus als mit Wissen konkurrierender Glaube

Auch wenn der Kreationismus von katholischer Kirche und EKD grundsätzlich abgelehnt wird, soll an dieser Stelle kurz auf diesen eingegangen werden, da die Realität durchaus vielschichtiger ist. So hat eine repräsentative Studie der Gesellschaft für Sozialforschung und statistische Analysen (forsa) 2005 ergeben, dass in Deutschland 33 % der mehr oder weniger regelmäßig zur Kirche Gehenden folgender Aussage zustimmen: Gott hat das Leben auf der Erde mit sämtlichen Arten direkt erschaffen, so, wie es in der Bibel steht. Zwischen Protestanten und Katholiken besteht dabei kein Unterschied.

Aber nicht nur an der Basis findet sich kreationistisches Gedankengut: Die Katholiken haben 2012 den 20. Jahrestag der Drehung der Erde um die Sonne feiern können. Eine hochrangige päpstliche Kommission hatte 11 Jahre gebraucht, um das festzustellen (oder zumindest nicht mehr auszuschließen). Die offizielle Ablehnung des Kreationismus ist also alles andere als konsequent verinnerlicht, sonst hätte man sich mit dieser Frage ja gar nicht erst (so lange) beschäftigen müssen. Das wundert auch nicht, schließlich war es noch 1950 offizielle katholische Lehre, dass die Menschheit aus einem einzigen Menschenpaar hervorgegangen sei (Enzyklika Humani Generis). Und die Vereinigung evangelischer Freikirchen stellt sogar aktuell fest: „... auch Anhänger des Kreationismus haben ... ihren Platz in den Freikirchen.“ (http://www.vef.de/erklaerungen/kreationismus/).

Im Kreationismus wird Gott unter wörtlicher Interpretation der Schöpfungserzählungen im Buch Genesis als Schöpfer von Himmel und Erde geglaubt. Dabei bleibt allerdings offen, welche der beiden nicht identischen Schöpfungserzählungen im Buch Genesis denn nun den „wirklichen“ Schöpfungsvorgang beinhaltet.

Weitaus schwerwiegender als dieses „Glaubensdefizit“ wiegt jedoch das „Wissensdefizit“ dieses Gottesverständnisses. Es gibt keinen einzigen wissenschaftlich belastbaren Beleg für irgendeine übernatürliche Schöpfertätigkeit während des Evolutionsprozesses und sogar die Entstehung des menschlichen Gehirns, das uns mit seiner Reflektionsfähigkeit letztlich zur „Krone der Schöpfung“ macht, kann evolutionär erklärt werden. Der kreationistische Gottesglaube steht in krassem Gegensatz zu den gut bewährten Erkenntnissen der Evolutionstheorie. Glaubenssätze konkurrieren hier mit Wissen. Der Glaube wird zum Aberglauben. Aus wissenschaftlicher Perspektive kann damit ein kreationistischer Gottesglaube nicht anschlussfähig sein.

Der jüdische Neutestamentler Pinchas Lapide (2008, S. 18) formulierte dieses Konkurrenzverhältnis folgendermaßen „Es gibt im Grunde nur zwei Arten des Umganges mit der Bibel: man kann sie wörtlich nehmen oder man nimmt sie ernst. Beides zusammen verträgt sich nur schlecht“. Die Bibel ernst zu nehmen heißt, sie als Glaubensbekenntnis anzusehen, als Deutung von Erlebtem. Die Bibel wörtlich zu nehmen heißt im Wesentlichen, sie als Quelle naturwissenschaftlicher Erkenntnis anzusehen. In dem Augenblick, wo ich an der Bibel als Quelle naturwissenschaftlicher Erkenntnis festhalte, wie dies im kreationistischen Gottesglauben geschieht, also Glaubensbekenntnis und naturwissenschaftliche Erkenntnis vermische, muss es durch den wissenschaftlichen Fortschritt zwangsläufig zur Krise zwischen Glauben und Wissen kommen.

Der Intelligent Design-Gott als Lösung?

Seit 10-30 Sekunden nach dem Urknall können wir die naturwissenschaftlich fassbare Welt mithilfe naturwissenschaftlicher Gesetze – also ohne Eingreifen eines Gottes – wissenschaftlich erklären. Akzeptiert man diese wissenschaftlichen Erkenntnisse, die ganz klar gegen irgendeine übernatürliche Schöpfertätigkeit während des Evolutionsprozesses sprechen, dann bleibt als letzte offene Frage: Was passierte in den ersten 10-30 Sekunden der Existenz unseres Universums, die sich der naturwissenschaftlichen Erklärung entziehen? Die Naturwissenschaftler sprechen von einer Singularität – die physikalischen Größen nehmen unendlich große Werte an.

Nicht selten wird von christlicher Seite versucht, diese Singularität mit Gott in Verbindung zu bringen. Und in der Tat scheinen die astrophysikalischen Erkenntnisse über die Voraussetzungen, die in den ersten 10-30 Sekunden notwendig waren, um unser Universum entstehen zu lassen, der intelligente Entwurf eines Schöpfers zu sein. Dieser neo-kreationistische Ansatz hat gegenüber dem ursprünglichen kreationistischem Verständnis ganz eindeutig den Vorteil, dass er mit dem aktuellen Wissensstand nicht in Konflikt gerät und somit potentiell anschlussfähig wäre, was auch erklärt, dass einige Wissenschaftler eine gewisse Sympathie für diesen Ansatz hegen. Und: Immerhin knapp 50 % der mehr oder weniger regelmäßigen Kirchgänger in Deutschland sind Anhänger eines solchen „intelligent design“-Gottesverständnisses. Die Stellung der Kirchen zum Intelligent Design-Ansatz scheint ambivalent zu sein. Einer „offiziellen“ Ablehnung steht eine deutliche Sympathie in konservativen Kreisen gegenüber. So wurde z. B. der schon zitierte George V. Coyne 2006 vom Papst entlassen, nachdem er klar Stellung gegen die Intelligent Design-Äußerungen von Kardinal Schönborn bezogen hatte und im protestantischen Bereich wären z. B. die „Studiengemeinschaft Wort und Wissen“ und wiederum die Vereinigung evangelischer Freikirchen zu nennen, in der auch „Vertreter ... des Intelligent Design ... ihren Platz [haben]“ (http://www.vef.de/erklaerungen/kreationismus/).

Der Intelligent Design-Ansatz in seiner Grundform enthält sich zwar Äußerungen über ein Eingreifen Gottes nach der „intelligenten Konstruktion“, trotzdem stellt sich das Lückenbüßerproblem für ihn sogar noch in verschärfter Form: Was ist, wenn die Urknalltheorie falsifiziert wird, wenn wir es mit Paralleluniversen, mit diffundierenden Quanten o. ä. zu tun haben, die die Entstehung des Universums ohne „intelligent design“ erklären können, wie dies aktuell z. B. schon Stephen Hawking mit seinem „Grand Design“-Ansatz versucht? Dann wäre die (einzige und letzte) Lücke für Gott verschwunden.

Hinzu kommt das Unvollkommenheitsproblem der „intelligenten Konstruktion“. Ein Problem, das es übrigens im ur-kreationistischen Modell nicht gibt: Dort wird die perfekte Schöpfung („Paradies“) durch den Sündenfall der ersten Menschen zerstört.

Schließlich scheint mir der Intelligent Design-Gott letztlich eine Art Chemiebaukasten-Gott zu sein: Gott ist wie der kleine Forscher, der alle Zutaten für sein Experiment bereitlegt und sich dann nach dem Zusammenschütten über die ohne sein Zutun ablaufende Reaktion freut. Ähnlich sprach Gottfried Wilhelm Leibniz von einem Uhrmacher-Gott, der das von ihm hergestellte perfekte Uhrwerk in Gang setzte, welches seitdem von selbst weiterläuft.

Auch Intelligent Design als ein Nichtwissen ersetzender Glaube scheidet damit als Basis für ein anschlussfähiges Gottesverständnis aus.

Fazit: Zusammenbruch des theistischen Dogmas

Nicht nur die Form, sondern insbesondere auch der Inhalt der kirchlichen Gotteslehre hat also die Anschlussfähigkeit an die Lebenswirklichkeit verloren. Die Konsequenz zur Wiederherstellung der Anschlussfähigkeit der Gottesrede kann damit nur in der eindeutigen Abkehr von Gott als „Arbeitshypothese“ für die Erklärung von Welt liegen (Bonhoeffer 1944, S. 557). „Es gibt keinen innerweltlichen Sachverhalt, zu dessen Erklärung oder Bewältigung die Bezugnahme auf Gott geboten wäre“, so formuliert es der katholische Theologe Hans-Joachim Höhn (2010, S. 64). M.a.W.: Gott greift nicht ein. „Er steht für die Regelung innerweltlicher Verhältnisse nicht zur Verfügung“, unterstreicht Norbert Scholl (2014, S. 26).

Damit bleibt allerdings noch offen, warum Gott nicht eingreift, bzw. ob es überhaupt einen „eingriffsfähigen“ Gott gibt. Wenn ein „eingriffsfähiger“ Gott nicht eingreift, so kann das nur daran liegen, dass er entweder zwar eingreifen will, aber nicht kann (Ohnmacht Gottes), was der Allmachtsannahme des kirchlichen Gottesbildes diametral entgegen gesetzt ist. Die andere Alternative besteht darin anzunehmen, dass Gott zwar eingreifen kann, aber nicht will – „was, wie bekannt, oft genug zu manifest zynischen Konsequenzen und zur absurden Annahme von Willkür oder Grausamkeit eben dieses Gottes führt“, so Matthias Kroeger (2004, S. 109).

Die Konsequenz aus diesen Überlegungen ist schon von Dietrich Bonhoeffer (1931, S. 112) klar formuliert worden: „Einen Gott, den ‚es gibt‘, gibt es nicht.“ M.a.W.: Einen Gott, der „gegenständlich, als jenseitige Person oder Substanz existiert, als externe Macht eingreift und Wunder tut (oder eben nicht) und gelegentlich Bitten erhört (oder eben nicht).“ (Kroeger 2004, S. 109), einen solchen Gott „gibt es nicht“; mit Volker Gerhardt (2014a) „darf [es] ihn so nicht einmal geben, wenn ein Glaube an ihn sinnvoll sein soll“. Gott ist nicht irgendwer oder irgendwas; es gibt nicht außer allem, was es sonst gibt, auch noch „Gott“. Der niederländische Pfarrer Klaas Hendrikse (2013, S. 21) formuliert es aktuell so: „Ich glaube nicht, dass es Gott gibt; ich glaube aber an Gott“.

Folgt man diesen Überlegungen, so bedeutet dies die Abkehr vom theistischen Gottesbild der Kirchen. Der Benediktiner David Steindl-Rast (2003, S. 326) formuliert diese Konsequenz wie folgt: „Der Theismus bricht von innen her zusammen. Das ist ein Prozeß, den nichts aufhalten kann.“ Dorothee Sölle sah die Herausforderung, die dieser Zusammenbruch mit sich bringt, schon 1971 und stellte fest: „Die Schwierigkeit jeder theologischen Aussage heute besteht darin, dass wir zunächst den Schutt abräumen müssen, den die Tradition uns hinterlassen hat, als sie zerfiel“ (S. 19). Im englischen Sprachraum wird auch pointiert-polemisch vom Ende der „guy-in-the-sky“-Theologie gesprochen. Steindl-Rast fügt dazu passend hinzu: „Die theistische Gottheit steht nur eine Stufe höher als der Weihnachtsmann ...“.

Ein anschlussfähiger (christlicher) Gottesglaube

Damit stellt sich die Frage, ob nach dem „Abräumen des Schutts“, der (dogmatische) Theismus notwendigerweise durch einen (doktrinären) Atheismus abgelöst werden muss, oder ob der leer gewordene Platz im Leben und Glauben der Menschen anders ausgefüllt werden kann, ob es Möglichkeiten einer „Rückkehr zum Göttlichen nach Gott“ gibt (so die deutsche Übersetzung des Untertitels von Richard Kearneys Buch „Anatheism: Returning to God after God“ durch den evangelischen Theologen Stefan Schütze (2012)). Eine „Rückkehr“, die zu einem Gottesverständnis führt, das „bei aller nötigen Revision und Rekonstruktion doch die große Kraft personaler biblischer theologischer Metaphern („Du bist gemeint, und sonst kein anderer") bewahren und neu zur Geltung bringen“ (Schütze 2012) kann. Vor diesem Hintergrund sollen nun, anknüpfend an die bislang angestellten Überlegungen, Ansatzpunkte für einen (für mich) anschlussfähigen christlich fundierten Gottesglauben entwickelt werden.

Eine anschlussfähige Gottesrede

Möchte man den mehr als zweitausendjährigen theologisch-philosophischen Diskurs bei der Suche nach einer anschlussfähigen Gottesrede nicht vollständig ignorieren – und zwar ohne den „Ballast“ fast ebenso langer Dogmatisierungen theologisch-philosophischer Spekulationen – erscheint es zweckmäßig, an den Ausgangspunkt dieses Diskurses zurückzugehen, der Frage nach dem Sein und damit zur (abendländischen) Metaphysik. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage: "Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts?" Diese „gehört zu den Grundfragen der abendländischen Metaphysiktradition, wenn sie nicht sogar die Grundfrage ist. Von Leibniz, über Schelling und Schopenhauer bis zu Heidegger taucht diese Frage mit unterschiedlichen Schwerpunkten und in verschiedenen Perspektiven auf, in deren gemeinsamen Zentrum jedoch das ontologische Verhältnis von Nichts und Sein steht. Daß diese grundlegende Frage immer noch von Bedeutung ist, machen Autoren wie Hannah Arendt oder auch Jean Baudrillard mit ihren Variationen und Neuakzentuierungen der traditionsreichen Frage deutlich“ (Aus der Beschreibung eines Proseminars am Philosophischen Seminar der Universität Mainz (http://www.philosophie.uni-mainz.de/1177_ENG_HTML.php)).

Die Philosophen haben mit dieser Frage ganz unterschiedliche Begrifflichkeiten verknüpft. Parmenides: Das Sein, Heraklit: der Logos, Plato: die Idee, Stoa: die Weltvernunft; später z. B. Baruch de Spinoza: die Substanz; „moderne“ Alternativen: Transzendenz, das Anfängliche, das Umfassende, das Wesentliche, das Ursprüngliche. Der philosophische Diskurs ist offenkundig nicht abhängig vom gewählten Terminus, sodass auch „Gott“ als Antwort auf die Frage "Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts?" grundsätzlich diskursfähig ist. In diesem Sinne auch Joseph Ratzinger (1968 / 2005, S. 127): „.. wenn wir Gott sagen [meinen wir] ... allein das Sein selbst, das, was die Philosophen als den Grund alles Seins ... herausgestellt haben.“

Gott ist danach das dem Sein Zugrundeliegende, der eigenschaftslose (in den Worten Meister Eckharts „weiselose“) Urgrund des Seins; im Sinne der aristotelischen Tradition der Grund, dass etwas ist, die grundsätzlich dem Denken zugängliche ratio essendi. Dieser philosophische Ansatz ist auch grundsätzlich anschlussfähig an die oben formulierte Kritik am theistischen Gottesbild, impliziert die ratio essendi doch gerade nicht eine irgendwo existierende Gott-Person.

Gott ist also nicht irgendwer oder irgendwas, sondern Gott ist. Der brasilianische Altbischof Pedro Casaldáliga (1989, S. 314 f.) formuliert es so: „Gott ist nicht einfach die Schönheit, ... Gerechtigkeit, ... Freude, ... Wahrheit, ... Gott ist einfach Gott.“ In einer spanischen Formulierung, die der Franziskaner Ignacio Larrañaga (2007) in seiner Franziskus-Biografie sowohl als Aussprüche von Clara (S. 302 f.) als auch von Franziskus (S. 307) erwähnt, heißt es prägnant: „Dios es y basta.“ Gott ist – und das reicht.

In unserem Alltagssprachgebrauch ist die abstrakte Formulierung „Gott ist“ ohne weitere beschreibende Zusätze etwas ungewöhnlich. Aber lassen wir einmal kurz folgenden Refrain eines Liedes von Nena auf uns wirken: „liebe soll nicht, liebe kämpft nicht, liebe wird nicht, liebe ist, liebe sucht nicht, liebe fragt nicht, liebe will nicht, liebe ist.“ Dieses Lied heißt dann auch noch schlicht: „Liebe ist“. Wenn wir hier das Wort „Liebe“ durch „Gott“ ersetzen, erhalten wir einen Eindruck von der Bedeutung dieses „Gott ist“. Ähnlich Antoine de Saint-Exupéry in seinem Buch „Die Stadt in der Wüste“ (Kapitel LXVII): „Das Leben ist weder einfach noch verzwickt, weder klar noch dunkel, weder widerspruchsvoll noch zusammenhängend. Das Leben ist.“ Also: Das Leben ist, die Liebe ist, Gott ist.

Im Kontext mit dem schon erwähnten Bonhoefferzitat folgt aus diesen Überlegungen die zunächst paradox erscheinende Formulierung: „Es gibt Gott nicht, aber Gott ist“. „Gott ist“ kennzeichnet damit letztlich den „Wandel vom theistischen Gott zum non-theistischen Göttlichen“ (Kroeger 2004, S. 84).

Dieses Gottesverständnis ist in der abendländischen Philosophietradition anschlussfähig und kann auch weder Wissen noch Nichtwissen ersetzen. Es geht ja gerade nicht darum, die Frage zu beantworten, wie die Welt und das Leben entstanden sind, sondern sich der Frage zu stellen, warum überhaupt Welt und Leben sind, denn: „Eine naturwissenschaftliche Betrachtung der Welt kann aus sich heraus nicht leisten, die Existenz der Welt zu begründen und ihr einen Sinn zu geben“, so der Physiker Thomas Görnitz und die Psychoanalytikerin Brigitte Görnitz (2009, S. 23). Darüber hinaus dürfte auch mit allen, die die Sinnhaftigkeit dieser „Grundfrage“ nicht kategorisch ablehnen (wie z. B. Stephen Hawking), eine Art „Grundanschlussfähigkeit“ gegeben sein. Gleichzeitig ergibt sich damit eine offenkundige Anschlussfähigkeit an die philosophische Theologie, wie sie aktuell Volker Gerhardt (2014a) formuliert: „Das Göttliche ist .. der Sinn des Sinns: Es ist die Bedingung dafür, dass die Welt und alles, was wir darin tun, überhaupt Bedeutung für uns haben kann. Gott ist der Grund allen Sinns, der uns wiederum nur als ein menschlicher Sinn gegenwärtig sein kann“.

Damit ist allerdings noch nichts über die biblische Anschlussfähigkeit dieses Gottesverständnisses gesagt. Walter Kasper (2012, S. 92) betont: „Wichtig ... ist es aber, das Verhältnis zwischen dem philosophischen Seinsverständnis und dem biblischen Gottesverständnis in der rechten Weise zu bestimmen. Die Frage ist nämlich: ... gelingt es, beim philosophischen Seinsverständnis zwar anzuknüpfen, es dann aber vom biblischen Gottesverständnis her näher zu interpretieren und zu präzisieren?"

Die Formulierung „Gott ist“ entspricht genau der biblischen Überlieferung der Namensoffenbarung Gottes vor Mose am brennenden Dornbusch, „Ich bin der Ich bin“ (2. Mose / Ex 3,14), die Rupert Lay (2012) als „Anfang des nichtgegenständlichen Bildes des Göttlichen“ ansieht und von der Walter Kasper (2012, S. 90) festhält, dass sie „Der Ausgangspunkt der Gotteslehre war und bis heute [ist].“ Wichtig sei dabei, folgendes zu berücksichtigen: „Das Verb ‚sein‘, das in ‚ich bin‘ steckt, meint im Hebräischen im Unterschied zum Griechischen kein ruhendes sondern ein dynamisches Sein; es bedeutet nicht einfach ‚existieren‘, sondern konkret ‚da sein‘, und zwar da sein mit und für andere.” (Kasper 2012, S. 90). Dies wird dann auch in den unterschiedlichen Übersetzungen von Ex 3, 14 versucht, deutlich zu machen: Ich werde sein der ich sein werde; ich bin der ich bin da; ich bin der ist da. Meister Eckhart formuliert diesen dynamischen Aspekt so: „Alles Leben stirbt. Das Sein geht weiter.“

Die Verknüpfung von biblischem Gottesverständnis und philosophischem Seinsverständnis wurde von jüdischer Seite schon sehr früh unternommen. So lautet die Übersetzung in der Septuaginta (um 200 v. Chr.): Ich bin der Seiende. In der Begegnung mit der hellenistischen Welt, so Walter Kasper (2012, S. 92), „griff [man] den umfassendsten Begriff auf, den es im griechischen Denken gab, den Begriff des Seins, und setzte ihn in Beziehung mit Gott, der die alles bestimmende Wirklichkeit ist. Damit konnte man den universalen Anspruch des Gottes Israels in neuer Weise zum Ausdruck bringen; zugleich schuf man damit die Voraussetzung dafür, dass die biblische Rede von Gott universal kommunikabel blieb.“[3]

Dass „Gott“ als Antwort auf die Frage "Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts?" auch neutestamentlich anknüpfungsfähig ist, zeigt beispielhaft die Formulierung des Apostels Paulus von „Gott, der ... das, was nicht ist, ins Dasein ruft“ (Röm 4,17). Und zeitgenössisch greift z. B. der katholische Theologe Fridolin Stier (1981, S. 276) diese Formulierung auf, wenn er schreibt: „Mein Problem ist nicht, ob Gott ist oder nicht, das meine beginnt damit, dass er ist ...!“

In diesem Sinne kann z. B. auch problemlos Jesu Anrede Gottes als „Vater“ im Sinne einer Metapher für „Gott“ als den Ursprung allen Seins gesehen werden. Insbesondere, wenn man die antike Vorstellung von Zeugung berücksichtigt, „wonach die Frau nur Gefäß ist, das empfängt, während die Zeugung des Kindes allein auf den Mann zurückgeführt wird.“ (Gemünden 2011, S. 151). Der männliche Samen wird danach in völliger Analogie zum Pflanzensamen als „menschlicher“ Samen gesehen, der nur noch ein geeignetes Gefäß zur Reifung braucht. So, wie der biologische Vater in diesem Verständnis der (alleinige) „Seinsgrund“ seiner Kinder ist, ist „Gott“ der (alleinige) Seinsgrund von allem.

Ein allgemeiner Gottesglaube

„Gott“ als Antwort auf die Frage "Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts?"; dieses Gottesverständnis weist zwar eine umfassende philosophische und biblische Anschlussfähigkeit auf, beantwortet aber noch nicht die Frage, was es bedeutet, an „Gott“ „zu glauben“.

Das hebräische Wort für glauben bedeutet von seinem Wortstamm „aman“ her so viel wie „sich festmachen, Halt gewinnen“ (vgl. z. B. Kasper 2012, S. 60). Mit den Worten von Walter Kasper (2012, S. 62): „Man kann auch sagen: Glauben bedeutet Amen-sagen zu Gott.“. Die Formulierung „Abraham glaubte JHWH“ (1. Mose / Gen 15,6) bedeutet also nicht, dass Abraham „Gott“ irgendetwas glaubte, sondern dass er auf „Gott“ als Fundament seines Lebens vertraute (so auch wörtlich in der „Hoffnung für alle“- sowie der Buber-Rosenzweig-Übersetzung und eine entsprechende Anmerkung in der Elberfelder Bibel). Glauben im biblischen Sinne bedeutet also nicht ein „Für-Wahr-halten“ von Glaubensaussagen (vgl. Kasper 2012, S. 62). Glauben an „Gott“ bedeutet: Vertrauen auf „Gott“ als Ur-Grund und Ur-halt meines Lebens. Den Zusammenhang von Glauben und Vertrauen betont aus philosophischer Sicht auch Volker Gerhardt (2014b, S. 10): „Glauben ist das Bewusstsein der Überschreitung des Wissens im Vertrauen auf ein Ganzes ...“

Damit wird deutlich: Gottesglaube ist in dieser Perspektive Gottvertrauen. Und „Vertrauen“ ist interessanterweise auch die Grundbedeutung des im griechischen verwendeten Wortes für „Glauben“: pistis. Hans Küng (2008, S. 22) spricht von einem „vernünftigen Vertrauen“. Dieses Vertrauen ist nicht denknotwendig, aber denk-bar. Es ist im wahrsten Sinne des Wortes glaub-würdig. Es ergänzt ohne theologische Klimmzüge das philosophisch fundierte Gottesverständnis: Glauben ist mehr als Wissen. Mit anderen Worten: Wenn ich Ur-Grund, Ur-Halt und Ur-Sinn allen Seins als „Rolle für ‚Gott‘“ annehme, bedeutet das nichts anderes als „Ich glaube an ‚Gott‘.“[4]

Margot Käßmann hat, den Text eines Kirchenliedes (EGB 533) aufnehmend, dieses Verständnis von „Gott“ als Ur-Halt ihres Lebens in jüngerer Zeit so formuliert: „Ich kann nicht tiefer fallen, als in Gottes Hand.“ Dies drückt metaphorisch die existenzanalytische Bedeutung von „Seinsgrund“ als „letzten Halt“ aus, als „die ontologische Grunderfahrung, ‚daß da immer etwas ist‘, das Halt gibt und das größer ist als man selbst — eine Welt, eine Ordnung, ein Kosmos, ein Gott. Der Seinsgrund vermittelt das Gefühl: ‚Wenn das Angstmachende anhält, so kann ich es annehmen, sogar wenn ich daran sterbe, weil ich mich letztlich aufgehoben fühle.‘ Die Erfahrung des Seinsgrundes führt zur Haltung der Gelassenheit und ist Voraussetzung für die Entwicklung des Grundvertrauens.“ (Längle 2000, S. 617). Die Psychotherapeutin Elisabeth Lukas (2013) formuliert: „Was ins Sein gekommen ist, fällt aus dem Sein nicht mehr heraus. Es ist - bei Gott".

Dieses existenzanalytische Verständnis von „Seinsgrund“ ist also nicht identisch mit dem oben angesprochenen philosophischen Verständnis von „Seinsgrund“. Es geht hier nicht um Erkenntnis über den Grund, dass etwas ist, sondern um die Erfahrung, dass der Mensch „für ewig im göttlichen Grunde wurzelt.“ (Tillich 1987b, Bd. I, S. 330).[5] Dieser Seinsgrund ist das, „was der Vernunft ‚vorausgeht‘“ (Tillich 1987b, Bd. 1, S. 133). „Es ist die Frage der Vernunft nach ihrem eigenen Grund und Abgrund. Sie wird durch die Vernunft gestellt, aber die Vernunft kann sie nicht beantworten.“ (Tillich 1987b, Bd. 1, S. 144).

Damit wird deutlich, dass dieser Gottesglaube auch eine direkte mystische Anschlussfähigkeit aufweist. So stellt Gerd Theißen (2011, S. 155) fest: „Gott erfahren wir ganz unmittelbar, wenn wir darüber staunen, dass überhaupt etwas existiert und nicht nichts.“. In diesem Sinne ebenfalls schon Ludwig Wittgenstein (1922, 6.44): „Nicht wie die Welt ist, ist das Mystische, sondern dass sie ist.“ Und auch der Dalai Lama (1999, S. 127) weist darauf hin, dass es sich bei diesem Gottesverständnis um ein „profundes mystisches Verständnis“ handele und macht deutlich, dass dadurch auch für den interreligiösen Dialog eine Anschlussfähigkeit gegeben ist (S. 127): „... wenn wir Gott in diesem Sinn verstehen können – als letztendlichen Seinsgrund -, dann wird es möglich, Parallelen zu gewissen Elementen im buddhistischen Denken und in der buddhistischen Praxis zu ziehen, ebenso wie auch Parallelen im Hinblick auf die Samkhya-Schulrichtung und die Vorstellung vom Großen Brahman (Mahabrahman) im Hinduismus.“

Ein christlich fundierter Gottesglaube

Nach dem Ergebnis der obigen Überlegungen, dass es Gott nicht „gibt“, erübrigt sich die Frage, ob es denn einen spezifisch christlichen Gott „gibt“, an den man „glaube“. In diesem Sinne gäbe es demnach keinen „christlichen“ Gottesglauben. Sehr wohl kann aber die Frage gestellt werden, ob denn der zuvor formulierte „Allgemeine Gottesglaube“ neben der allgemeinen und interreligiösen Anschlussfähigkeit auch eine spezifisch christliche Anschlussfähigkeit bzw. Fundierung aufweist. Da aber dieser „Allgemeine Gottesglaube“ ja gerade aus der oben festgestellten Anschlusslosigkeit des kirchlichen Gottesglaubens heraus entwickelt wurde, kann die kirchliche Lehre hier wohl kaum als Gradmesser herangezogen werden, vielmehr muss versucht werden, direkt an die Lehre Jesu anzuknüpfen.

Das Kern-Anliegen Jesu, so sagen Exegeten übereinstimmend (vgl. z. B. Stegemann 2010, S. 299 f., 309 f.; Publik Forum 9/2012, S. 30; Jesus Seminar Phase 1 2013), sei die konkret erfahrbare Nähe Gottes bei den Menschen gewesen, das „Reich Gottes“ (griechisch „basilea thou theou“). Dabei ist zu berücksichtigen, dass der in der aramäischen Muttersprache Jesu zugrundeliegende Begriff malkut nicht etwa ein Herrschaftsgebiet meint. So auch die Antwort Jesu in Lk 17,20 f. auf die Frage, wann denn das Reich Gottes komme: „Das Reich Gottes kommt nicht so, dass man es an äußeren Zeichen erkennen könnte. Man kann auch nicht sagen: Seht, hier ist es!, oder: Dort ist es! Denn: Das Reich Gottes ist (schon) mitten unter euch“, oder es sei vielmehr schon „innerhalb von euch“, wie nach dem katholischen Neutestamentler Paul-Gerhard Müller (2009, S. 528) die Formulierung in Lk 17,21 wörtlich zu übersetzen sei. Der evangelische Theologe Gerhard Breidenstein (2014) betont: „dies bedeutet die absolute Ent-grenzung des ‚Reiches Gottes‘“ sowie „die Ent-zeitlichung der Wirklichkeit Gottes. Denn Gottes Herrschaft ist identisch mit seinem Sein und deshalb weder nur ‚nahe herbeigekommen‘ noch ‚schon angekommen‘, noch ‚zukünftig kommend‘, sondern ewig d.h. jenseits von Raum und Zeit.“. Entsprechend schlägt Breidenstein vor: „wir [sollten] nun ‚basilea tou theou‘ nicht mehr gewohnheitsmäßig nur mit ‚Reich Gottes‘ übersetzen, sondern erläuternd auch mit ‚Wirklichkeit Gottes‘“.

„Gottesglaube“ als Vertrauen auf die „Wirklichkeit Gottes“, als Vertrauen auf einen raum- und zeitlosen, ewigen Seinsgrund, ist also ganz offensichtlich anschlussfähig an die malkut-Lehre Jesu. Darüber hinaus weist die malkut-Lehre Jesu selbst aber noch eine weit umfassendere Anschlussfähigkeit auf, wie nachfolgend kurz gezeigt werden soll.

Die Betonung des dynamischen Aspektes von „Reich Gottes“ / malkut knüpft an den dynamischen Aspekt der Gottesoffenbarung in Ex 3,14 an und findet sich z. B. sowohl bei Thomas von Aquins Gottesverständnis als „actualitas omnium actuum“ (De potentia q 7, a 2, ad 9), als „Wirklichkeit alles Wirklichen“, als auch im Ansatz von Nikolaus von Kues, der in Gott die Identität von absoluter Möglichkeit und Wirklichkeit, die Wirklichkeit aller Möglichkeiten sah.[6] Während alles Seiende niemals alle seine Möglichkeiten verwirklichen könne, ist Gott das, was (er) sein kann.[7] Nikolaus von Kues prägte dafür das Kunstwort „possest“: Gott als das „Können-Ist“. Aktuell greift der us-amerikanische Philosoph Richard Kearney (2002, S. 75) diese Idee auf und interpretiert Ex 3,14 als „I am who may be“, als „signature of the God of the possible“.

Eine weitere Entsprechung finden diese Interpretationen zum einen in der Kabbala, wo malkut die Wurzel der im „Baum des Lebens“ versinnbildlichten zehn göttlichen Attribute / Emanationen ist. Sie kennzeichnet die Gegenwart Gottes in der Welt, also seine Immanenz. Zum anderen gibt es Parallelen zum buddhistischen Verständnis der „Leerheit“ (Shunyata) als „Quelle der unendlichen Möglichkeiten“ (http://www.phathue.de/allgemeines/leerheit1_tts/), als „ground of all being“ (Gafni 2012, S. 12), was wiederum dem kabbalistischen Verständnis des Ain Soph, des „großen Nichts“ als äußerster Wirklichkeit Gottes entspricht (vgl. Lapide 2011, S. 17 f.). Shunyata / Ain Soph meint also nicht „Nichts“ im Sinne eines physikalischen Vakuums, sondern beinhaltet gleichzeitig das Potential der Entstehung von Phänomenen.

Unter Berufung auf die malkut-Lehre Jesu ist also eine umfassende Anschlussfähigkeit eines christlichen Glaubens gegeben. Dies macht z. B. auch die ökumenische Initiative „Reich Gottes – Jetzt!“ deutlich, die sich „eine Reform der Kirchen auf der Basis der Reich-Gottes-Botschaft des Jesus von Nazaret“ zum Ziel gesetzt hat (http://www.reich-gottes-jetzt.de/positionspapier_rgj/ ).

Für einen sich auf Jesus berufenden Glauben reicht dies jedoch noch nicht aus, da „[s]eine unbedingte Forderung, das Gebot der Nächstenliebe,“ (Kruhöffer 2014, S. 7)[8] „nicht von seiner Gottesreichsbotschaft getrennt werden“ darf (Becker 1996, S. 277). So auch die Aussage in Mk 12,34: Derjenige, der das „Doppelgebot“ beherzige sei „nicht fern vom Reich Gottes“.

Das wichtigste Gebot besteht für Jesus also nicht im Für-wahr-halten von Glaubenssätzen, sondern im Lieben. Jesus macht dann auch sehr anschaulich deutlich, was unter „Nächstenliebe“ zu verstehen ist, in der Erzählung vom „barmherzigen Samariter“ (Lk 10,29 ff.).[9] Mit „Nächstenliebe“ ist also nicht nur irgendein Gefühl gemeint, sondern Barmherzigkeit als Eigenschaft / Grunddisposition des menschlichen Charakters, als die aus einem tätigen Mitgefühl entspringende Bereitwilligkeit, einem Leidenden zu helfen. Es handelt sich um den barmherzigen Samariter, nicht um den mitleidsvollen Samariter! Dies entspricht auch der Bedeutung des „Liebesgebots“ in Lev 19,18, auf das sich Jesus bezieht. So weist z. B. Martin Buber (1950, S. 69) darauf hin, dass dort im hebräischen Urtext der Dativ gebraucht wird, im Sinne einer „liebreichen Wesenshaltung zu einem Mitmenschen“, eines „tätigen Wohlwollens“. Die Verknüpfung von Glauben und Barmherzigkeit wird schließlich auch in dem lateinischen Wort für Barmherzigkeit sehr deutlich: Misericordia kommt von miseri cor dare, d. h. dem elenden, armen, unterdrückten Menschen sein Herz geben; diese Bedeutung zeigt auch die deutsche Lehnbildung: (b)armherzig; und das entspricht interessanterweise auch der Urbedeutung des lateinischen Verbs für glauben: Credere stammt von cor-dare, d. h. sein Herz geben - also lieben.

Jesus verknüpft also Gottesglauben und Barmherzigkeit untrennbar miteinander. Mit den Worten von Dorothee Sölle (1971, S. 20): „Denn Gott ... hat keine anderen Hände als unsere. Keine anderen Augen, keine anderen Ohren. Der Schrei, den wir nicht hören, wird nicht gehört, das Unglück, das wir nicht wahrnehmen, wird nicht wahrgenommen.“ M. a. W.: Christlicher Gottesglaube muss zur Tat werden, sonst ist er vor „Gott“ und den Menschen wertlos.

Diejenigen, die tatsächlich das Gebot der Nächstenliebe überzeugend leben (z. B. kirchliche Hilfswerke), im Zweifel sogar ihre ganze Existenz daran binden (z. B. Mutter Teresa) und dieser christlichen Glaubensüberzeugung sogar unter Einsatz ihres Lebens treu bleiben (z. B. Dietrich Bonhoeffer, Pater Maximilian Kolbe) sind von der Akzeptanzkrise der Kirchen interessanterweise weitgehend unbetroffen. Das Gebot der Nächstenliebe „erscheint vielen Menschen überzeugend, oft auch denen, die ein kritisches oder distanziertes Verhältnis zum Christentum haben.“ (Kruhöffer 2014, S. 7). M. a. W.: Dieser zur Tat werdende Gottesglaube ist anschlussfähig.

Vor diesem Hintergrund kann ich auch als Wissenschaftler sagen: „Ich glaube an „Gott““ – und zwar ohne, dass ich den Verstand an der Kirchentür abgeben muss.

Ein anschlussfähiger Jesus-Christus-Glaube
Ausgangssituation

„Ich glaube ... an Jesus Christus“, so lautet der zweite Artikel im christlichen Glaubensbekenntnis. Der evangelische Theologe Stefan Ark Nitsche beschreibt diese Glaubensaussage mit dem Bild einer Ellipse: Der eine Brennpunkt steht dafür, „was Jesus gesagt hat“ (historischer Jesus); der andere dafür, „was über Jesus gesagt wird“ (verkündeter Christus bzw. Christologie). Der historische Jesus und seine Lehre sind auch heute noch anschlussfähig (s.o.). Schwieriger ist es mit dem zweiten Brennpunkt. Hier muss es, analog zu dem oben zum Gottesglauben Ausgeführten, zu einem Konflikt kommen, wenn christologische Aussagen nicht mit wissenschaftlichen, insbesondere Erkenntnissen der historisch-kritischen Forschung, übereinstimmen. Halbfas (2009, S. 8 f.) stellt hier erhebliche Defizite fest: „Die belegten und anerkannten Resultate der historisch-kritischen Exegese werden zwar nicht mehr als ‚modernistisch‘ bekämpft, aber weiter vor der Kirchentür gehalten. Repräsentatives Beispiel dafür ist der Katechismus der Katholischen Kirche. Dieser Katechismus klammert nahezu komplett die Resultate von zweihundertfünfzig Jahren intensivster exegetischer Arbeit aus. Für eine offizielle Glaubensdarlegung existieren deren Erkenntnisse gar nicht. Die Dogmatik bleibt immunisiert gegenüber einer historisch-kritisch untersuchten Bibel. Auch dies ist eine Ursache für die Inkompetenz, Glaube, Wissen und Denken im Horizont der Zeit zusammen zu bringen.

Das „wichtigste Ergebnis ... der historisch-kritischen Erforschung der Bibel“ sei, stellt Jaschke (2000, S. 58) fest, „dass der größte Teil der neutestamentlichen Jesusworte dem Denken und Fühlen der Urkirche zu verdanken ist und nicht auf Jesus selbst zurückgeht.“ (S. 58). In diesem Sinne z. B. auch Lattke (1979, S. 299): „Daß Jesus keinen der ihm später beigelegten deutenden Hoheitstitel selbst gebrauchte, ist ziemlich übereinstimmende Meinung der protestantischen und katholichen [sic!] Bibeltheologen.“ (Hervorhebungen im Original). Nach Jaschke (2000, S. 63) „sind sich nahezu alle Bibelausleger [darüber] einig“, dass bei der Frage, ob es sich um ursprüngliche Jesusworte handelt „von vornherein alle Texte wegfallen, in denen Jesus von sich selbst in dem Sinn redet, dass er der Messias oder Menschensohn oder gar der Sohn Gottes sei“. Bestätigt wird diese Einschätzung auch durch die Ergebnisse eines mehrjährigen Forschungsprojektes, an dem über 200 Wissenschaftler beteiligt waren. Die Wissenschaftler erzielten Übereinstimmung (!) darin, dass „Jesus of Nazareth did not refer to himself as the Messiah, nor did he claim to be a divine being who descended to earth from heaven in order to die as a sacrifice for the sins of the world. These are claims that some people in the early church made about Jesus, not claims he made about himself.“ (Jesus Seminar Phase 1 2013). M. a. W.: Wenn die Kirche Jesus also als Messias und göttliches Wesen bekennt, das vom Himmel herabgestiegen ist, um als Opfer für die Sünden der Welt zu sterben, dann kann sie sich dabei nicht auf Jesus berufen, ohne dass Glauben in Widerspruch zu Wissen gerät. Will man angesichts dieses Befundes die ja immerhin fast 2000-jährige Tradition des verkündeten Christus nicht komplett aufgeben, so ergibt sich als notwendige Bedingung für einen anschlussfähigen Glauben damit die Forderung, sich redlicherweise bei diesen Glaubensaussagen ausdrücklich auf frühkirchliche Tradition und deren Weiterentwicklung zu berufen. Dies ist jedoch noch nicht hinreichend, solange nicht die Frage geklärt ist, inwieweit diese antiken Deutungen heute auch inhaltlich noch anschlussfähig sind. Dies soll im Folgenden in der notwendigen Kürze analysiert werden.

Messianität

Die biblischen Erzählungen über Jesus strotzen nur so vor wundersamen Vorgängen, bei denen (scheinbar) regelmäßig die Naturgesetze außer Kraft gesetzt werden. Folgt man der oben angestellten Überlegung, dass es einen eingreifenden Gott nicht gibt (und auch nie gegeben hat), wären diese Erzählungen als reines Phantasieprodukt, also letztlich als Märchen, anzusehen, die für unseren heutigen Glauben ähnlich bedeutungslos wären, wie die Märchen aus 1001 Nacht.

Ähnlich wie wir das schon beim Gottesglauben gesehen haben, so gilt aber auch hier: Man kann die Erzählungen über Jesus ernst nehmen oder wörtlich, beides zugleich geht schlecht. Um sie ernst zu nehmen, muss man in die Zeit nach der Hinrichtung Jesu zurückgehen. Diese Hinrichtung und die anschließenden Jesus-Erscheinungen, die ihnen die Gewissheit gaben, dass Jesus nicht ins Nichts hineingestorben ist, sondern in einer ewigen Wirklichkeit geborgen ist bzw. „lebt“, waren für die Jüngerinnen und Jünger zunächst völlig unfassbare Ereignisse. Wie konnten sie diese deuten? Natürlich nur mit den Möglichkeiten ihrer Zeit, so wie jede Generation. Für gläubige Juden, die sie allesamt waren, gab es im Palästina des ersten Jahrhunderts nur eine Deutungsmöglichkeit: „Sie mußten die geschichtlichen Ereignisse als das Wirken Gottes verstehen lernen.“ (Lapide 1977 /2010, S. 81; Hervorh. im Orig.). Das uns bekannte Ergebnis bestand darin, Jesus als den Messias (griechisch Christos, latinisiert Christus) zu deuten, wobei womöglich auch messianische Überlieferungen, wie sie in den Schriftrollen von Qumran dokumentiert sind, rezipiert wurden (vgl. Knohl 2000).

Und diese Deutung wirkte zurück auf die Erzählungen über Jesus. Um dies zu verstehen, muss man sowohl das seinerzeitige „biblische Wirklichkeitsverständnis“ (Friedrich-Wilhelm Marquardt (1990, S. 172), ev. Theologe) als auch das antike Wunderverständnis berücksichtigen, da sonst „ein modernes Weltverständnis zu Fehlinterpretationen biblischer Wunderberichte“ führt (Leroy (1999), S. 87), wie Historiker und Theologen (z. B. Thomas Ruster (2000), kath. Theologe) gleichermaßen betonen: Wenn Jesus der Messias war, dann wiederholte sich „wirklich“ in ihm die ganze Geschichte Israels: Er war „wirklich“ in Ägypten, er war „wirklich“ 40 Zeiteinheiten in der Wüste, wie auf dem Weg durch die Wüste in das gelobte Land war „Gott“ „wirklich“ in der Wolke und nahm Jesus auf, als dieser „wirklich“ wie der Prophet Elias in den Himmel auffuhr, usw. Dann hatten sich in seinem Leben „wirklich“ alle messianischen Prophezeiungen der Schrift erfüllt. Dann war sein Leben „wirklich“ voller wundersamer Zeichen seiner Messianität. Und auch aus historischen Erfahrungen wurde geglaubte „Wirklichkeit“. So hat Jesus sicher tatsächlich mit seinem Leben und seiner Lehre Menschen die Augen geöffnet (er heilte „wirklich“ Blinde), Menschen dazu gebracht, lähmende Verhärtungen und Verkrustungen zu lösen (er heilte „wirklich“ Lahme), Menschen aus „tiefer Angst und Not“ in ein neues Leben geholt (er erweckte „wirklich“ Tote) usw.

Die Jesus-Erzählungen stehen sozusagen unter Deutungsvorbehalt. Ihre Bedeutung entfalten sie nur, wenn sie unter Berücksichtigung des mit ihnen verbundenen Deutungsmusters, sozusagen durch die „Deutungsbrille“, betrachtet werden.

Ein Ergebnis der Betrachtung durch die „Deutungsbrille“ habe ich oben kurz skizziert in Bezug auf die Flucht der heiligen Familie nach Ägypten, das Fasten Jesu in der Wüste und die Himmelfahrt Jesu – diese Deutungen sind allesamt dadurch gekennzeichnet, dass sie die biblischen Erzählungen ernst nehmen und nicht wörtlich. Bei diesen Erzählungen steht die Messiasdeutung im Mittelpunkt und nicht etwa ein historisches Ereignis. Die Sprache der Bibel ist eben keine naturwissenschaftliche Faktensprache sondern eine metaphorische Bildersprache – sie ist Glaubensbekenntnis. Angefangen beim Buch Genesis bis zum Johannesevangelium. Schließlich nennt der Johannesevangelist ausdrücklich den Zweck seines Evangeliums: „damit ihr glaubt, dass Jesus der Messias ist“ (Joh 20,31) und auch der Lukasevangelist erwähnt in seinem Vorwort, dass davon erzählt werde, was sich „ereignet und erfüllt hat“ (Lk 1,1).

Das Glaubensbekenntnis zur Frohen Botschaft Jesu – dem Evangelium - bedeutet also gerade nicht, die Evangelienerzählungen etwa wörtlich nehmen zu müssen – ganz im Gegenteil.

Die oben angeführte Ellipsenmetapher illustriert, dass der historische Jesus mit seiner Lehre und der verkündete Christus nicht isoliert gesehen werden dürfen (Interessant in diesem Zusammenhang: „Was sagt ihr zu mir: Herr! Herr!, und tut nicht, was ich sage?“ (Lk 6,46)). Man kann das auch so interpretieren, dass eine Rückbindung des Christusglaubens an den historischen Jesus mit seiner Lehre erfolgen muss, weil sich sonst das Christentum „zu einem zeitlosen Geist bekennen würde“ (Breytenbach 1995, S. 249). Noch pointierter Fridolin Stier (1984, S. 207): „Jesus ist nicht nur am Kreuz, er ist auch, zum zweiten Mal, im christologischen Dogma gestorben.“

Legt man das jüdische Messiasverständnis zugrunde, dann ist mit dem endzeitlichen Heilsbringer untrennbar eine radikale, endgültige und ewige Wende zum „Schalom“ verknüpft. Berücksichtigt man, dass „Schalom” der Zustand ist, der dem „Reich Gottes“ entspricht, so wird deutlich, dass Jesus mit seiner Lehre von jedem Einzelnen eine radikale, endgültige und ewige Wende zum „Schalom“ gefordert und diese Lehre auch selbst existenziell vorgelebt hat. Berücksichtigt man ferner die zentrale Botschaft Jesu, dass das „Reich Gottes“ / der „Schalom“ nicht ein „am Ende der Zeiten“ eintretender Zustand ist, sondern vielmehr ein dynamischer Prozess, der durch die individuellen Wenden zum „Schalom“ getrieben wird, ist die Rückbindung der Messiasdeutung an die Lehre Jesu evident.

Opfertod

Nach „herrschender Lehre“ spielt bei der Feier des Abendmahles – in welcher Form auch immer – der Opfertod Jesu eine zentrale Rolle, z. B. in der Form, dass das Abendmahl „an dem einzigen Opfer Christi am Kreuz und allen seinen Gaben Anteil“ gibt (Heidelberger Katechismus, Frage 75). Die dahinterstehende Aussage, dass Jesus „für uns gekreuzigt wurde“ ist seit dem Konzil von Chalcedon (451) in Form des Nicäno-Konstantinopolitanischen Glaubensbekenntnisses gemeinsames Glaubensgut der christlichen Kirchen.

Durch die „Einsetzungsworte“ sind Abendmahl und Opfertod miteinander verknüpft. Wer, wie nicht wenige, ein mehr oder weniger großes Unbehagen bei diesem „Opfertodmythos“ verspürt, sieht sich von daher der Kritik ausgesetzt, an den Worten Jesu zu zweifeln. Damit stellt sich die Frage, wie der historisch-kritische Befund zum (Letzten) Abendmahl aussieht.

Zunächst fällt auf, dass sich schon die paulinisch-synoptischen Abendmahlserzählungen mehr oder weniger stark unterscheiden (Vgl. 1 Kor 11,23-26; Lk 22,14-20; Mt 26,17–29; Mk 14,12–26). Die älteste Erwähnung der „Einsetzungsworte“ beruht dabei ausdrücklich nicht auf den Berichten von bei diesem Mahl Anwesenden, sondern auf einer direkten Offenbarung: „Denn ich habe vom Herrn empfangen, was ich euch dann überliefert habe“ (1 Kor 11,23). Paulus legt interessanterweise insgesamt großen Wert darauf, dass er das Evangelium, das er verkündet, „ja nicht von einem Menschen übernommen oder gelernt, sondern durch die Offenbarung Jesu Christi empfangen“ habe (Gal 1,11-12). So betont er auch, dass er erst Jahre nach seinem „Damaskuserlebnis“ nach Jerusalem ging, und das auch nur, um „Kephas kennen zu lernen“ (Gal 1,18) und nicht etwa, um von ihm sozusagen aus 1. Hand etwas über das Leben und Sterben Jesu und seine Botschaft zu erfahren, geschweige denn, sich von ihm gar „belehren“ zu lassen. Hinzu kommt, dass die paulinisch-synoptische Form nicht der einzige urchristliche Abendmahlstyp war (ausführlich zu den unterschiedlichen urchristlichen Abendmahlstypen vgl. Theißen / Merz 2011, S. 366-373). So kennt die Abendmahlserzählung im Johannesevangelium (Joh 13-17) überhaupt keine „Einsetzungsworte“ – und damit auch kein Opfermahl – und in der wohl frühesten Kirchenordnung der Christenheit, der wahrscheinlich um das Jahr 100 verfassten Didache, heißt es in Kapitel 9:

„Betreffs der Eucharistie aber: Sagt folgendermaßen Dank: Zuerst den Kelch betreffend: Wir danken dir, unser Vater, für den heiligen Weinstock Davids, deines Knechts, den du uns offenbart hast durch Jesus, deinen Sohn. Dir sei die Herrlichkeit in Ewigkeit! Betreffs des gebrochenen Brotes aber: Wir danken dir, unser Vater, für das Leben und die Erkenntnis, die du uns kundgemacht hast durch Jesus, deinen Sohn. Dir sei die Herrlichkeit in Ewigkeit.“

Kein Wort von einem „Opfertod“ Jesu, kein Bezug auf die „Einsetzungsworte“.

Die unterschiedlichen Darstellungen in den urchristlichen Texten lassen mit Theißen / Merz (2011, S. 383) letztlich nur die Feststellung zu: „Es wäre wissenschaftlich unehrlich, sich nicht einzugestehen, daß wir Ablauf und Sinn des letzten Mahles Jesu nicht sicher rekonstruieren können.“ In konsequenter Fortsetzung der Position von Theißen und Merz stellt der katholische Theologe Walter Simonis (1985, S. 86) fest: „Wenn sich auch keine direkten Bedenken gegen die Annahme erheben, daß Jesus vor seiner Verhaftung mit ‚Jüngern‘ ... gespeist hat, gibt dies noch keine hinreichende Begründung für die historische Glaubwürdigkeit des sog. Abendmahlsberichtes. ... Man verläßt auf jeden Fall den Boden des auch nur einigermaßen Wahrscheinlichen und Möglichen, sobald man versucht, der evangeliaren Darstellung im einzelnen ein historisches Bild abzugewinnen...“. Erst „In der nachösterlichen Kirche wurde daraus das sogenannte Abendmahl Jesu mit den Zwölfen, bei dem er die Eucharistie eingesetzt hätte.“ (Simonis 2014, S. 74). In diesem Sinne auch der katholische Theologe Hubertus Halbfas (2013, S. 40): „Natürlich erwies sich rückblickend eine der vielen Tischgemeinschaften Jesu als die letzte, aber dass sich dieses letzte Mahl als ‚eucharistisches Vermächtnis‘ von den anderen Tischgemeinschaften Jesu abgehoben hat, um der Nachwelt ein gültiges Kultritual zu werden, ist nicht anzunehmen. ... Was hier als Tradition überliefert wird, spiegelt die kultische Entwicklung nach Jesu Tod, gibt aber nicht die Situation zur Zeit Jesu wieder."

Die frühkirchliche Deutung des letzten Mahles Jesu als Opfermahl stellt also nur einen der urchristlichen Abendmahlstypen dar, ohne dass ihr historisch eine besondere Plausibilität zukäme (wohl eher im Gegenteil). Zweifelsohne war die damit verbundene Idee eines durch einen Priester zu vollziehenden Opferkultes in der römisch-griechischen Umwelt dieser Zeit höchst anschlussfähig. Für eine für heute anschlussfähige Aktualisierung des frühkirchlichen Opfertodglaubens sehe ich dagegen keine auch nur ansatzweise überzeugende Möglichkeit. Der Schriftsteller Theodor Weißenborn (1989, S. 82) formuliert in drastischer Deutlichkeit diese Anschlusslosigkeit des Opfertodmythos:

Seit er meinen Bruder
kreuzigen ließ,
um sich mit mir zu versöhnen,
weiß ich,
was ich von meinem Vater
zu halten habe.

Hinzu kommt, dass ein Sühnetod wohl zwingend nur innerhalb eines theistischen Gottesbildes begründet werden kann.

So kann nur denjenigen zugestimmt werden, die fordern, endlich den „Abschied vom Opfertod“ (Limbeck 2012) zu vollziehen. Erlösend ist nicht der Tod Jesu, erlösend ist sein Leben, seine „Frohe Botschaft“. Vor diesem Hintergrund ist es dann auch möglich, im Abendmahl anstelle eines Sühnopfermahls (wieder) die „Lebensgaben Gottes feiern“ (Jörns 2007) zu können und damit an andere urchristliche Abendmahlstypen anzuknüpfen.

M. a. W.: Der antike „Opfertodmythos“ kann nur kontingent aus der damaligen Situation heraus nachvollzogen und in diesem Kontext dann auch theologisch begründet werden. Er stellt keine überzeitliche Glaubenswahrheit dar.

Göttlichkeit

Die jüdische, biblisch fundierte Messiasdeutung war zwar einerseits im jüdischen Umfeld der frühen Christen extrem erfolgreich, wie wir rückblickend feststellen können, trug aber andererseits nur relativ kurze Zeit. Den bald dominierenden heidenchristlichen Gemeinden war das zugrundeliegende Deutungsmuster fremd. Es bedurfte einer Anpassung, um eine für die römisch-hellenistische Umwelt anschlussfähige Christusdeutung zu formulieren. Kernpunkt dieser nachbiblischen Sekundärdeutung wurde die Göttlichkeit Jesu („wahrer Gott vom wahren Gott“). Dies war eine anschlussfähige Deutung für die Menschen zu dieser Zeit in dieser Region. Man denke nur daran, dass sich die römischen Kaiser damals u. a. „Gott aus Gott“ nennen ließen. Bis zur Mitte des 5. Jahrhunderts wurde heftigst um die Details dieser Neudeutung gerungen (z. B. Konzile von Nizäa und von Chalcedon). Dann stand die neue Deutung fest und wurde dogmatisiert. Diese dogmatisierte antike Göttlichkeitsdeutung ist bis heute gültige Lehre der Kirche.

Für die Anschlussfähigkeit dieser dogmatisierten Göttlichkeitsdeutung ergeben sich damit dieselben Probleme, die oben bereits in Bezug auf den kirchlich dogmatisierten Philosophengott erörtert wurden: Entfernung des „Menschensohns“ von den Menschen, Vergötzung des „Gottessohns“ und Entfernung des Juden Jesus vom biblischen Verständnis. Durch Zweinaturenlehre („wahrer Mensch und wahrer Gott“) und Dreifaltigkeitsdeutung sind Göttlichkeitsdeutung Jesu und Gottesrede ja auch untrennbar miteinander verknüpft. M. a. W.: Auch ein trinitarischer Mono-Theismus vermag die Probleme des theistischen Gottesbildes nicht zu lösen – wohl eher im Gegenteil.

Zudem sind auch die Anknüpfungspunkte an den römischen Kaiserkult, an die klassische griechische Philosophie oder an die griechisch-römische Götterwelt heute wohl für kaum einen Menschen noch anschlussfähig. Erst recht dürften die Parallelen zu den Horus-, Dionysos-/Bacchus- sowie Mithrasmythen nur noch Altertumswissenschaftlern zugängliche Deutungsmuster darstellen. So stellt z. B. Halbfas (2009, S. 6) fest: „Was die mit spätantiken griechischen Denkmitteln erarbeiteten christologischen Titel (Kyrios, Sohn Gottes, Menschensohn oder begriffliche Unterscheidungen wie Wesen, Natur und Person) einmal meinten, oder was begriffliche Kennmarken wie ‘Opfer’, ‘Erlösung’, ‘Auferstehung’, ‘Himmelfahrt’, ‘Jüngster Tag’, ‘Wiederkunft’, ‘Gericht’ ... besagen, ist im traditionellen Vokabular nicht mehr zu vermitteln. Das Verfallsdatum der Glaubensbegriffe wurde nicht nur erreicht, es ist bereits überschritten – aber offensichtlich entzieht sich dieser Vorgang dem innerkirchlichen Bewusstsein immer noch. Hinter dieser Sprachsklerose scheint eine religiöse und kulturelle Erschöpfung größten Ausmaßes zu stehen.“

Ohne Zweifel können aber auf der anderen Seite Christinnen und Christen durch Leben und Lehre des historischen Jesus von Nazareth den „Sinn des Sinns“ (Gerhardt 2014b), den Urgrund auch ihres eigenen Seins erkennen und erfahren. Man könnte, in Anknüpfung an die antiken Begrifflichkeiten, auch sagen, dass durch die Rolle (lat. persona), die Jesus im Leben „gespielt“ hat, in besonderer Weise das allem Seienden innewohnende Göttliche, der Urgrund des Seins, hindurchklingt (lat. personare).

Fazit: Mehr Jesus wagen

Die hier angestellten Überlegungen zur Aktualisierung der antiken Deutungen in Bezug auf Leben und Tod Jesu weisen nicht nur eine höhere Anschlussfähigkeit auf, sie ermöglichen es auch wesentlich leichter, an die jüdische Forschung über Jesus anzuknüpfen (s. z. B. Lapide / Luz 2003; Flusser 2006; Homolka 2010) und so vielleicht sogar zu einem „Jesus für Juden und Christen“ (Rabinowitz 2009) zu gelangen. Das ethische Programm des Jesus von Nazareth unter Berücksichtigung einer an die Lehre Jesu rückgebundenen, aktualisierten Deutung von Leben und Tod Jesu mit „ernst“ genommenen Evangelien – einem „Jesus vor dem Dogma“ (Schenke 2014) -, um so „die schon früh erfolgte Entjesuanisierung des Christentums wieder aufzuheben“ (Halbfas 2009, S. 5): Vor diesem Hintergrund einer aktualisierten Messias-, Abendmahls- und Göttlichkeitsdeutung kann ich auch als Wissenschaftler sagen: „Ich bekenne mich zu (ich „glaube“ an) Jesus Christus“ – und zwar ohne, dass ich den Verstand an der Kirchentür abgeben muss.

Epilog

Ein anschlussfähiger Gottesglaube und ein ebensolcher Jesus-Christus-Glaube sind m. E. von zentraler Bedeutung bei der Überwindung der Krise der Kirchen in unserer Gesellschaft; es sind aber nicht die einzigen Punkte, wie ich abschließend kurz skizzieren will.

Das Ergebnis des von mir angesprochenen Ringens führte ja nicht nur zu einer Dogmatisierung der Gottes- und Jesus-Christus-Deutung, sondern es wurde gleich der gesamte „rechte Glaube“ der Kirche dogmatisiert (Christliches Glaubensbekenntnis) und in den folgenden Jahrhunderten präzisiert und ausgebaut. Und, das was Jesus gesagt hatte, seine Lehre, spielte dabei überhaupt keine Rolle mehr! So stellt Halbfas (2009, S. 5) fest: „Das Apostolische Glaubensbekenntnis ... unterlässt ... jeden Hinweis auf seine [Jesu] spezifische Botschaft.“ Auch in diesem dogmatisierten „rechten Glauben“ finden sich nicht mehr anschlussfähige Deutungen, Vermischungen von Bekenntnis und Erkenntnis sowie der eine oder andere vernunftwidrige dogmatische Ballast. Mit den Worten des evangelischen Theologen Friedrich Schorlemmer (2011, S. 9) in Bezug auf das Apostolische Glaubensbekenntnis: „Ich halte die liturgische Dauerzelebration dieses dogmengeschichtlichen Textes für eine unnötige und höchst fragwürdige Barriere für Menschen, die heute nach dem Gottesglauben fragen und im Gottesdienst diese Antwort erhalten.“

Und wenn ich zu Beginn gesagt habe, für Verständnis und Überwindung der Kirchenkrise in unserer Gesellschaft müssen wir m. E. „viel tiefer“ gehen, dann wird spätestens jetzt deutlich, wie tief ich mit „viel tiefer“ gemeint habe. Theologisch ist dieser „Tiefgang“, sind anschlussfähige Neudeutungen von Glaubensaussagen, längst erarbeitet, wie die zahlreichen, aber trotzdem nur beispielhaften, Belege in dieser Schrift zeigen. Aus diesen wird auch deutlich, dass die aktualisierungsorientierten evangelischen und katholischen Theologen eine große Nähe zueinander aufweisen; und dies sogar weitgehend auch für aktualisierungsorientierte jüdische Positionen gilt.[10] Demgegenüber ist in allen Religionsgemeinschaften der jeweilige Abstand zu dogmatisierungsorientierten Richtungen erheblich. Die Frage ist damit, welche dieser Richtungen sich jeweils durchsetzt. Davon wird abhängen, ob, wann und in welchem Umfang Deutungsaktualisierungen Eingang in kirchliche Lehraussagen finden werden. Davon wird abhängen, ob jenseits des schnell schrumpfenden Kerns traditionell orientierter Christinnen und Christen auch solche Menschen aus Sicht der Kirche „gut“ katholisch bzw. evangelisch sind und sich der Kirche zugehörig fühlen können, für die u. a.

  • "Gott“ z. B. eher der Name für eine uns umgebende, uns umfangende, überpersönliche Wirklichkeit bedeutet als die Bezeichnung für ein allmächtiges, supernaturalistisches jenseitiges Wesen und für die daher u. a. auch „Gebet“ eher bedeutet, durch das langsame Erreichen der inneren Stille zu ihrer wahren Mitte zu gelangen und so die göttliche Wirklichkeit zu erfahren als ein jenseitiges allmächtiges Wesen zu preisen, um etwas zu bitten, oder diesem für etwas zu danken (Non-Theismus)
  • Wahrheit und Unfehlbarkeit keine Kategorien menschlicher Aussagen sind, auch nicht, wenn sie in der Bibel stehen, als Dogmen verkündet, oder als göttliche Offenbarungen behauptet werden (Kontingenz)
  • das Lebenszeugnis und die Lehre Jesu für das Christentum wichtiger sind als die Übereinstimmung mit kirchlichen Lehraussagen und für die daher das Richtige zu tun wichtiger ist als der „rechte Glaube“ (Orthopraxie)
  • die Lehre Jesu einen Weg aber nicht den einzigen bedeutet, um die Heiligkeit und Ganzheitlichkeit allen Lebens und damit die göttliche Wirklichkeit zu erfahren und aus dieser Erfahrung heraus zu handeln (Non-Exklusivität).

Dies entspricht auch meiner Überzeugung, dass es (mit den Worten von Stefan Schütze (2012)) „keine für alle Zeiten verbindliche[] und unveränderliche[] ... ‚offenbarte[]‘ (übergeschichtliche[]) Wahrheit“ gibt, keine „‘ein für alle Mal‘ gültige Norm[] (Schrift, Bekenntnis und/oder Lehramt), der es bei allen Erneuerungen zu entsprechen, die es zu ‚bezeugen‘, zu der es sich zu ‚bekennen‘ gelte...“ Vielmehr gehe ich „von der radikalen Unverfügbarkeit der ‚Wahrheit‘ für alles geschichtliche menschliche Suchen aus. ‚Wahrheit‘ ist niemals eine ‚Vorgabe‘, sondern immer ein Zielhorizont, eine ‚regulative Idee‘ (Kant), die im Suchen von Menschen immer nur tastend antizipiert, vorläufig für eine bestimmte Situation und Zeit formuliert, und diskursiv anvisiert werden kann. Keine geschichtliche Annäherung an die Wahrheit ist jemals endgültig. Echte Wahrheitssuche erfordert vielmehr die Bereitschaft zu stetem ‚Aufbruch‘ und ‚Exodus‘ aus bisherigen Gewissheiten, die doch immer nur ‚Heimat auf Zeit‘ sein können. Die ‚Wahrheit‘ des Glaubens ist immer eine Verheißung, nach der wir uns ausstrecken (Phil 3,12-14), nichts, was wir in diesem Leben jemals eindeutig erfassen und konfessorisch sichern können. Bereitschaft zur ‚Erneuerung des Denkens‘ (Röm 12,2) und zur Revision und Rekonstruktion ist darum der Grundmodus glaubender Wirklichkeitsorientierung von Anfang an. Fortwährende ‚Revisionen‘ alter Konzeptualisierungen und Erneuerungen der Glaubensperspektive gehörten darum immer schon zur Geschichte des jüdischen und christlichen religiösen Diskurses. War der im babylonischen Exil entwickelte jüdische Monotheismus nicht tatsächlich eine ‚major revision‘ der vorigen ‚JHWH-allein‘-Theologie der ‚Josianischen Reform‘, so wie diese selbst schon eine sehr radikale Veränderung gegenüber der früheren israelisch-kanaanäischen synkretistischen Religiosität war? Bedeutete das hellenistische Judentum nicht erneut eine grundlegende Rekonstruktion dieses exilischen Gotteskonzeptes? Hat Jesus dann nicht wiederum den Glauben Israels dadurch erneuert, dass er ihn reformuliert, reorganisiert, rekonzeptualisiert und damit weitreichend verändert hat? Und war nicht der Übergang vom Glauben Jesu zum Glauben an Jesus bei den frühen Christen wieder eine solche ‚major revision‘ im religiösen Paradigma?“.

Denk-würdige und sinn-volle, anschlussfähige Deutungsaktualisierung statt ahistorischer Deutungsdogmatisierung, „... dann schmilzt das theistische Eis der Dogmen und lebenspendendes Wasser sprudelt.“ (Steindl-Rast 2003, S. 326); dann könnte gelten: Intra ecclesiam religio denuo est; dann - nur dann - ist es mir letztlich möglich, den Verstand nicht an der Kirchentür abgeben zu müssen; und – auch den Glauben nicht an der Hörsaaltür.

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Anmerkungen

[1]    Da eine Welle ein zeitlich und räumlich beschränktes Phänomen ist, sollten die nicht abebbenden „Austrittswellen“ wohl weniger euphemistisch eher als Austrittsflut oder –schwemme bezeichnet werden.

[2]    Unter „Mystik“ sei hier dem entsprechend weder religiöser Wahn noch naiv-romantische Schwärmerei verstanden, sondern allgemein die Erfahrung einer unmittelbaren göttlichen Wirklichkeit.

[3]    Interessanterweise spricht Kasper hier non-theistisch von „Gott“ als „alles bestimmender Wirklichkeit“ und betont, dass die Rede von „Gott“ „universal kommunikabel“ bleiben muss.

[4]    Es sei darauf hingewiesen, dass mit dieser Form eines non-theistischen Glaubens nicht notwendigerweise die vollständige Aufgabe sämtlicher personaler Gottes(an)rede verbunden ist: „Personalität ist ein Bild, eine Projektion, die wir uns machen (denn das „Geheimnis“ „ist“ keine Person), - allerdings eine begründete, denn das Geheimnis ist bzw. wirkt personal.“ (Kroeger 2004, S. 106). „Es gehört .. zu den Möglichkeiten des religiösen Mutes, dass er – im völligen Bewusstsein des ungegenständlichen und überpersönlichen (non-theistischen) Göttlichen und im klaren Wissen, dass es keine separate Gottperson gibt - ... die Ansprache des „Du“ wagen kann.“ (Kroeger 2004, S. 105). In diesem Sinne auch Scholl (2006, S. 209): „Gott – nicht Person, aber Du“ oder Gerhardt (2014b, S. 24): „Und wo es einem Menschen gelingt, sich zu diesem Göttlichen in ein ihn persönlich berührendes Verhältnis zu setzen, hat er einen guten Grund, das Göttliche als Gott anzusprechen. Dagegen ist aus Sicht der Philosophie kein Einwand zu erheben...“.

[5]    In Analogie zur philosophischen ratio essendi könnte man hier vielleicht von der radix essendi sprechen.

[6]    „deus sit absoluta potentia et actus atque utriusque nexus et ideo sit actu omne possibile esse“ (Trialogus de possest, Nr. 8).

[7]    „solus deus id sit quod esse potest“ (Trialogus de possest, Nr. 7).

[8]    Unbeschadet der kontroversen Diskussion (vgl. Theißen / Merz 2011, S. 344 f.), inwieweit die Evangelien im Doppelgebot ein authentisches Jesuswort wiedergeben, oder sekundäre Ge-meindebildung darstellen, soll mit Theißen / Merz (2011, S. 345) davon ausgegangen werden: „Sollte das doppelte Liebesgebot ... sekundär sein, wurde es Jesus doch mit sachlichem Recht zugeschrieben.“

[9]    Hier scheint weitgehender Konsens zu bestehen, dass es sich um authentische Worte Jesu handelt (vgl. z. B. Jesus Seminar Phase 1 2013).

[10]   Eine besondere Bedeutung könnte hierbei mystischen Ansätzen zukommen, da bei diesen „konfessionelle Grenzen hinfällig [sind].“ (Ringler 2008, S. 13) und die sogar Wege zur Überwindung des „Ur-Schismas“ zwischen Christen- und Judentum auftun (vgl. Hälbig 2011).

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/94/vl1.htm
© Volker Lingnau, 2015