Kurz und Gut III

Vorstellungen ausgewählter Kurzfilme: Ach, Gott

Andreas Mertin

Der mehrfach ausgezeichnete Kurzfilm „Brain Hack“ aus dem Jahr 2015 wird eröffnet mit dem Warnhinweis:

EPILEPSY WARNING:
THIS FILM CONTAINS STROBE LIGTNING AND FLISCHING IMAGES.
VIEWER CAUTION IS ADVISED.

Dieser Hinweis ist einerseits sicher berechtigt, andererseits aber auch schon Teil des Darstellungsgehaltes dieses Films. Als metaphysischen Thriller charakterisieren die Urheber ihr Werk. Am Anfang stehen Szenen, die an eine Kombination des Blair Witch Projectes mit dem Kinofilm Matrix erinnern. Ein in Panik geratener junger Mann, der überhastet seine Sachen und Manuskripte zusammenpackt und dann in seinem Zimmer von einem Unbekannten getötet wird. Zuvor erkennt der Betrachter auf den zusammengerafften Blättern noch Satzfragmente, die von Engel und dem Paradise Lost handeln, Bildmotive aus Goyas Caprichos, Fotos mittelalterlicher Kirchen und Kuppeln. Schnitt. Zwei junge Männer sitzen in einem verdunkelten Seminarraum und schauen alte Kinofilme. Der eine studiert Computerwissenschaften, der andere ist Filmstudent. Sie geraten ins Gespräch, wie Gott visuell zu erfahren sei. In der Folge wollen sie die perfekte Bilderfolge finden, die im Gehirn eine Gottesvision auslösen kann. Dazu studieren sie altes Bildmaterial und fragen sich, was diese im Blick auf das Gehirn bewirken. Lustig übrigens die Szene, in der sie in einer altehrwürdigen Bibliothek sitzen, nur um bei der Google-Bildersuche nach Renaissancekunst zu suchen. Welcher Voraussetzungen bedarf es, um Gotteserfahrungen zu stimulieren? Wüstenerfahrungen, Askese und Eremitenexistenz? Ist die Symmetrie der Natur ein Argument? Was passiert bei der Mustererkennung in unserem Gehirn? Und ist vielleicht die Gottesidee eine Fehlfunktion unseres Gehirns? Mehr der Epilepsie verwandt als sonst etwas?


Michelangelo: Die Bekehrung des Saulus, 1542-45, Fresko, 625 x 661 cm, Paolina Kapelle, Vatikan

Die Frage ist, kann man die Gotteserfahrung durch visuelle Reize auslösen? Eine Frage, die zur Beantwortung ein persönliches Experiment zu erfordern scheint.

Durch zwischendurch eingeschobene Sequenzen aus Überwachungskameras wird deutlich, dass die Recherchen der jungen Leute nicht unbeobachtet geschehen, was ihnen irgendwann auch auffällt. Nicht allen scheint ihr Treiben zu gefallen. Und sie selbst geraten nach und nach in eine Art Verfolgungswahn.

Unter Androhung von physischer Gewalt zwingt der eine Student den anderen, sich eine Gott-Sequenz anzuschauen, aber der meint anschließend, nichts wahrgenommen zu haben, jedenfalls nicht Gott. Er verlässt seinen Freund und geht spazieren und plötzlich, nach 20 Minuten hat er eine Vision und bricht ohnmächtig zusammen. Als er wieder aufwacht, scheint er in einem Krankenzimmer bei jener Gruppe zu liegen, die ihn verfolgt hat. Er bricht aus, sucht seinen Freund auf, aber dessen Wohnung ist verwüstet und der Freund offenbar ermordet (s. Eingangssequenz).

Nach einer weiteren Flucht findet er zu Hause einen an ihn adressierten Brief mit einigem Material und einem USB-Stick mit der Aufschrift PLAY ME. Dieser Stick enthält die letzten Sekunden im Leben seines Freundes (also die Eingangssequenz). Eine dazugehörende Tonbandkassette enthält Aufzeichnungen eines Gesprächs zwischen den beiden Studenten.

Nun scheint der Filmstudent die Zusammenhänge allmählich zu begreifen, er rennt in sein Studio, um „Brain Hack“ mit einigen Action-Szenen zusammenzuschneiden und ins Internet zu laden. Dabei wird er noch einmal von einer geheimnisvollen gegnerischen Figur bedrängt, die immer näher kommt, während er den fertiggestellten Film auf Youtube hoch lädt. [Die Folgeszene muss ich aus Spoiler-Gründen überspringen, sonst macht es für spätere Betrachter keinen Sinn mehr.] Es folgt abschließend die 35 Sekunden währende Mustersequenz, die die Gotteserfahrung (oder einen Epilepsie-Anfall) auslösen soll. Ende des Films.

Erkennbar arbeitet sich der etwas zu lang geratene Low-Budget-Kurzfilm nicht nur an der Gottesfrage, sondern vor allem auch an verschiedenen cineastischen Vorlagen ab und verknüpft unterschiedliche bekannte Handlungsmotive zu einem neuen Setting. Da ist die vieles aus den Dan Brown-Verfilmungen zu finden, einiges aus 2001 Odyssee im Weltraum, etwas aus dem Blair-Witch-Project, manches aus Altered States von Ken Russel. Das wird angereichert mit neurotheologischen Fragestellungen und der Suggestion bildgebender Verfahren in den Neurowissenschaften, die aber alle zwischenzeitlich ihre Bedeutung für die religiöse Frage eher eingebüßt haben. So einfach lässt sich mit bildgebenden Verfahren Gott im Gehirn dann doch nicht verorten. Und die Frage, ob die „Religion pur“, also die Stimulation der reinen religiösen Gefühle im Gehirn die Lösung (sozusagen von der Kirche und der Kirchengeschichte) ist, darf man bezweifeln. Aber es ist ja nur ein Kurzfilm zum Nachdenken.

The Brain Hack - Short Film von Joe White (2015, 19:12)

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/94/am496.htm
© Andreas Mertin, 2015