Notizen VI

Ein Blogsurrogat

Andreas Mertin



Die 68er - 05.06.2014

Wenn es einen Feind der Traditionalisten, der Evangelikalen, der wahren Gläubigen, der romtreuen, der bekenntnistreuen Christen gibt, dann ist es der 68er. Er ist heute für alle Verbrechen der Welt zuständig und steckt hinter jedem Anschlag, den man sich nur denken kann. Gerade wieder hat er so einen Skandal verursacht: er hat eine Broschüre der Katholischen jungen Gemeinde in Auftrag gegeben, die für alle Ziele der 68er Werbung macht. Aber ein wahrer Christ lässt sich nichts vormachen:

„Problem ist, dass sowas meist nicht von der Jugend kommt, sondern von verbiesterten, alten Berufsjugendlichen, die ihre späte 68er-Frustra­tion ausleben und sich anmaßen, uns Jugendliche zu vertreten ... Pfui Teufel!“ (Forum kath.net).

Ja, klar, die Berufsjugendlichen der 68er. Man kann sie sofort erkennen:

„studierte hauptamtliche Soziologen die an der UNI durchgegendert wurden“ (Forum kath.net).

Das fragliche Schreiben ist 2014 erschienen. Um ein 68er zu sein, müsste man vor 1945 geboren sein (um nach 13 Jahren Schule, Militär- bzw. Zivildienst und einem Grundstudium 1968 an der Uni politisch aktiv sein zu können). Ein 1945 Geborener wäre jetzt 69 Jahre alt. ‚Richtige‘ 68er wie Rudi Dutschke wären dagegen heute 74 Jahre alt.

Ich habe einmal in der Liste der Gremienangehörigen der KjG gestöbert. Aber bei noch so intensiven Studien ist mir kein 70 oder 75jähriger aufgefallen. Die Ältesten scheinen mir um die Mitte der 70er Jahre geboren zu sein, waren zu den berüchtigten 68er Zeiten also noch nicht einmal geboren. Die Mehrzahl der Gremienmitglieder ist nach 1980 geboren, sie sind allenfalls ‚Opfer‘ der 68er (Vorsicht Ironie), aber sicher keine 68er. Die Leute, die derlei Blödsinn schreiben, betreiben reaktionären Populismus. Es wird schon keiner nachrechnen. Einer der betreffenden Diskutanden ist etwa 21 Jahre alt. Ich weiß nicht, wo er auf die verbiesterten alten Berufsjugendlichen der 68er gestoßen sein könnte. Aber vermutlich ist es einfach nur eine Phrase.

Man muss die Positionen der KjG ja nicht teilen, aber man kann akzeptieren, dass sie eine eigene Meinung haben. Dass kath.net, diese unverbesserliche Blogwartseite, gleich wieder die Adressen der Bischofskonferenz und deren Vorsitzenden zur Beschwerdeführung hinzufügt, zeigt, dass sich seit den Zeiten, in denen Blockwarte in Deutschland Mode wurden, wenig geändert hat. Noch immer dienen Blockwarte als Propagandisten der rechten Ideologie, melden Abweichler und Freunde der Kirche von unten an die Leitung, organisieren den Verteidigungskampf gegen den Feind und geben Leumundszeugnisse ab und sind allgegenwärtige Ansprechpartner für Denunziationen. Können sie stattdessen nicht einfach sagen, dass sie anderer Meinung sind? Das wär doch mal was für den Anfang.


Dramatischer Werteverfall - 06.06.2014

Aus dem Forum eines „wertekonservativen“ katholischen Blogs:

Daran ist einiges bemerkenswert. Klar, der Bezug auf Temperaturwerte ist ironisch gemeint. Kelvin wird aber nicht in Grad gemessen, vielmehr wurde die Temperaturdifferenzangabe Grad durch Kelvin abgelöst. 0 K wäre also -273,15° Celsius und wäre der unterste Grenzwert, also der absolute Nullpunkt. 0 Grad wären aber 273,15 Kelvin. Gemeint ist auf jeden Fall:

Christliche Werte drohen wie schon der Wert des Euro gegen Null zu gehen.

Also schauen wir mal: Die erste Notierung des Euro fand am 4. Januar 1999 in Frankfurt statt. Damals bekam man für einen Euro noch 1,1789 Dollar. Tagesaktuell (6. Juni 2014) bekommt man für einen Euro immerhin 1,3634 Dollar. Knapp 16% Wertsteigerung. Soweit zum Werteverfall im Rahmen des nordatlantischen Bündnisses. Aber vielleicht ist ja der Wertverlust gegenüber dem russischen Rubel gemeint? Ende 2006 bekam man für einen Euro etwa 35 Rubel. Tagesaktuell bekommt man für einen Euro 46,9 Rubel. Mit der Systemdifferenz Ost/West wird das Argument also nicht besser – im Gegenteil, 33% Wertsteigerung. Aber vielleicht leidet ja auch die russische Orthodoxie unter einem Werteverfall? Wenden wir uns also einem atheistischen System zu. Und tatsächlich: Nur gegenüber der chinesischen Währung Renminbi Yuan kann man von einem Wertverlust sprechen. Ende 2006 bekam man für einen Euro etwa 10 Renminbi Yuan. Tagesaktuell bekommt man für einen Euro nur noch 8,5 Renminbi Yuan, also ein Verlust von 15%. Aber auch hier tendiert der Wert nicht gegen Null, sondern weist innerhalb des letzten Jahres sogar wieder einen Trend nach oben auf. Heißt das, es gibt eine Rückkehr der Werte? Eher nicht.

Fazit: Keine Korrelationen zwischen (religiösen) Werten und Währungen. Die religiösen Werte mögen langfristig zurückgehen, der Wert des Euro eher nicht.


Man fasst es nicht - 10.06.2014

Auf dem Blog des Redaktionsleiters der Deutschsprachigen Redaktion von Radio Vatikan, Bernd Hagenkord, entspinnt sich nach dem Gebetstreffen in den vatikanischen Gärten zu Pfingsten eine surreale Diskussion. Eigentlich ging es um einen einfachen symbolischen Akt. Zwei Vertreter aus Israel und Palästina kommen mit Vertretern der drei monotheistischen Buchreligionen zusammen, um Gebete um Frieden zu sprechen. Damit keiner es missversteht, werden die Gebete nacheinander gesprochen. Im Anschluss an das Geschehen kommt die Vermutung auf, ein beteiligter Imam habe die Schlussverse der 2. Sure gesprochen, die in meiner Übertragung des Quran so lauten:

„Allah erlegt keiner Seele mehr auf, als sie zu leisten vermag. Ihr kommt nur zu, was sie verdient hat, und angelastet wird ihr nur, was sie verdient hat. Unser Herr, belange uns nicht, wenn wir etwas vergessen oder einen Fehler begehen. Unser Herr, lege uns keine Bürde auf, wie Du sie denjenigen vor uns auferlegt hast. Unser Herr, bürde uns nichts auf, wozu wir keine Kraft haben. Verzeihe uns, vergib uns und erbarme Dich unser! Du bist unser Schutzherr. So verhilf uns zum Sieg über das ungläubige Volk!“

Ein Kommentator macht daraus die Unterstellung, der Imam habe den Sieg über das Volk der Ungläubigen erfleht. Vom Text ist das nicht gedeckt. Eigentlich erbittet er den Sieg des Glaubens über den Unglauben – religiös ein fast normaler Vorgang. Es folgt eine lange Diskussion darüber, was Muslime ‚eigentlich‘ meinen, wenn sie diese Verse vortragen. Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Aber, selbst wenn sie den Sieg über die Andersgläubigen erflehen würden, wäre das bei einem Friedensgebet mit den anders Gläubigen doch eher peinlich für den Bittenden. Aber ich glaube nicht, dass der Imam das meinte. Ganz im Gegenteil. Nun aber wuchert die Diskussion auf Hagenkords Blog. Und hier kommt es nun zu einem Beitrag, den man als Antijudaismus, wenn nicht sogar Antisemitismus in Reinkultur bezeichnen müsste. Da schreibt jemand warnend:

„Die Diskussion spielt jenen in die Hände, die Religion per se für die Wurzel allen Übels halten: die Menschen fanatisiert, im göttlichen Auftrag ‚ruchlose Taten‘ vollbringen läßt. Die Gebetssprache der drei monotheistischen Religionen hat alttestamentarische Wurzeln: die Allmacht Gottes wird aus dem Erfahrungshorizont von kriegerischen Stämmen und Volksgruppen beschrieben. König David war ein Gewalttäter und dennoch singen wir seine Lieder: allein, um Gottes Macht, Treue und Barmherzigkeit zu preisen und NICHT um in Kategorien und Strategien seiner Zeit zu denken und zu handeln.
Das Friedensgebet hat ein Jünger Jesu Christi initiiert: warum wohl er? Warum verstehen Christen im Allgemeinen nicht den Hass der alttestamentarischen Fundamentalisten gegeneinander? Eben weil sie Christen sind und einem neuen Gesetz gehorchen. Wer dem Kriegsgott des Alten Testament allein huldigt und nicht dem Dreifaltigen Gott des Neuen Testaments, der bleibt dazu verurteilt Krieg und Unfrieden inkauf zu nehmen. ‚Jerusalem, du tötest die Propheten‘: auch manche Christen tun das mental und stellen sich damit auf eine Stufe mit Islamisten und radikalen Juden. Eigentlich hat Gott uns in Jesus Christus eines Besseren belehrt!"

Besser hätte es sich die Propagandaabteilung von Alfred Rosenberg auch nicht ausdenken können. Ist schon die Sprache zutiefst antisemitisch (die Formulierung ‚alttestamentarisch‘ ist, wie der katholische Exeget Erich Zenger schrieb, besonders von den Nationalsozialisten gepflegt worden), so verschlägt der Kern der Argumentation einem doch den Atem. Klar, die Juden kennen es nicht anders, die sind seit ewigen Zeiten einem Kriegsgott verpflichtet (auch wenn der sich auf irgendeine verquere Weise später als Vater von Jesus Christus erweist [Ich und der Kriegsgott sind eins]).

Da hört man den ganzen mittelalterlichen Antijudaismus des Christentums nachklingen:

Wer dem Kriegsgott des Alten Testament allein huldigt und nicht dem Dreifaltigen Gott des Neuen Testaments, der bleibt dazu verurteilt Krieg und Unfrieden in Kauf zu nehmen.

Das muss man mal Wort für Wort lesen. Kriegsgott! Huldigt! Krieg! Unfrieden! Verurteilt! In Kauf nehmen! Ja, so ist der ewige Jude, Schuld ist er selbst am Unfrieden in Palästina, ganz so, wie es Dore in seinem Bild des Ahasveros eingefangen hat. Man fasst es nicht. Wer bringt den Menschen eigentlich immer noch solchen Schwachsinn bei? Auf diesen antijudaistischen Müll kommt man doch nicht von selbst. Da muss es doch Geistliche und Lehrer geben, die, gefüllt von Gift und Galle, Derartiges unter das Volk bringen. Aber Christen sind natürlich nicht so, die stehen – normalerweise – auf einer anderen Stufe. [Diese kleine Reminiszenz an die mittelalterliche Ständelehre zeigt, wie tief sitzend derartige Schemata sind.]

Christen jedenfalls laden sogar die „alttestamentarischen Fundamentalisten“ zu einem Friedensgebet. Das hätte ein Jude oder ein Moslem nicht gekonnt.

Das Friedensgebet hat ein Jünger Jesu Christi initiiert: warum wohl er? ... Eben weil sie Christen sind und einem neuen Gesetz gehorchen.

Ich kann gar nicht so viel Kotzen, wie es an dieser Stelle angemessen wäre. Ob das Christentum jemals seinen 1900 Jahre währenden Antijudaismus und seine über 500 Jahre währende Islamphobie abstreifen wird? Wenn man diese Äußerungen liest, zweifelt man dran. Dass sich aus einem Friedensgebet der drei monotheistischen Weltreligionen derartig abstruse Folgerungen ableiten lassen, sollte einen doch nachdenklich werden lassen.

Hagenkord selbst macht es übrigens nicht viel besser, wenn er auf die islamophoben Äußerungen seiner Forumsteilnehmer entgegnet, dass schließlich auch die Psalmen gewalttätig seien. Da kann man doch nur ergänzen: Und erst mal dieser ‚Sektenführer‘ Jesus! Man ahnt ja kaum, wie gewalttätig der war! Vor dem mussten sich sogar – wie es zumindest Giotto dargestellt hat – die Kinder mit ihren Tauben verstecken, nur weil der seine Wahrheit mit Gewalt im Tempel durchsetzen wollte.


In-Humanität - 30.06.2014

Am heutigen Tag hat der Ratsvorsitzende der EKD, Nikolaus Schneider, seinen Rückzug von seinem Amt angekündigt und diesen mit der Erkrankung seiner Frau begründet. Dies ist ein durch und durch nachvollziehbarer Schritt, der unserer Solidarität gewiss sein kann und außerhalb jeder Rechtfertigungsbedürftigkeit steht. Nikolaus Schneider gehört sicher zu den großen und beeindruckenden Ratsvorsitzenden der EKD, immer authentisch, immer engagiert, aber immer auch vermittelnd.

Nicht aber für die Leser der Online-Ausgabe jener Zeitung, hinter der angeblich immer ein kluger Kopf steckt. Ich habe selten so empörende Äußerungen von Inhumanität gegenüber einem humanen Akt gelesen wie in den ersten Reaktionen auf die FAZ-Meldung vom persönlich bedingten Rückzug von Nikolaus Schneider. Als erstes meldet sich ein Sozialwirt mit folgender unglaublicher Stellungnahme:

"In einer laut Derrida nicht anders als stets multidimensional gegebenen Welt bewegt sich der Einzelne zwischen deren unterschiedlichen Ausdehnungen. Dessen Wesen lässt sich daher allein als ein nie unvollständig sozial existentes begreifen. Lediglich die medizinische Dimension in den Blick zu nehmen und die ärztlich gestellte Diagnose eines an Krebs erkrankten Menschen herauszuheben, verübt deshalb illegitim Gewalt auf die Ganzheitlichkeit des Patienten um des eigenen Vorteils willen. Dem auf diese Weise sozial eintretenden Tod folgt insofern rasch der körperliche. Anders gesagt: Fügen sich vor allem die Pfleger von Frau Schneider nicht dem besagten Tatbestand, kann der heutige Ratsvorsitzende der EKD selbst dann das sich dadurch rasch vollziehende Ableben seiner Ehefrau nicht aufhalten, wenn von ihm das in Rede stehende Amt nie übernommen worden wäre."

Interessant schon, dass man sich die Autorität auswärts meint borgen zu müssen, mit der man dann über andere herzieht. Aber mit dem Denken von Derrida hat dieses rasende Gefasel der Gegenaufklärung Gott sei Dank überhaupt nichts zu tun. Es ist vielmehr die Bösartigkeit des Schreibenden selbst, die den humanen Akt noch in sein Gegenteil zu kehren sucht. Infam ist eine noch zu harmlose Bezeichnung für diese Stellungnahme.

Der nächste Kommentar ist freilich nicht besser:

Das wird die evangelische Kirche wohl nicht mehr retten, aber ihren Niedergang entschleunigen. Wie kein anderer hat Schneider die Kirche politisiert und zu einer rot-grünen Vorfeldorganisation umgebaut. Um der Wahrheit willen muß das gesagt werden dürfen, auch wenn der Anlaß für seinen Rücktritt ein menschlich anrührender ist.

Was das alles mit der Meldung vom krankheitsbedingten Rückzug zu tun haben sollte, erschließt sich einem nicht. Zudem ist es auch wahrheitswidrig und es reduziert Menschen gerade in ihren humanen Akten zu funktionalen Elementen bzw. Schachfiguren in einem kirchenpolitischen Spiel. Wer Nikolaus Schneider kennt, weis, dass das mit der Wirklichkeit seiner Person überhaupt nichts zu tun hat. Es ist nur bösartiges Gerede mit Schaum vor dem Mund.

Ein weiterer Forumsteilnehmer schreibt:

Die zahllosen Politaktivisten meist grünlinker Provenienz in Talarsverkleidung, die sich mittlerweile in den EKD herumtreiben, haben Charakter und Erscheinungsbild der protestantischen Kirchen bis zur Unkenntlichkeit verändert. Der Säkularisierungsprozeß wurde damit noch einmal beschleunigt, so daß von einer Kirche im Sinne einer Gemeinschaft von christlichen Gläubigen kaum noch gesprochen werden kann. Inzwischen präsentieren sich die EKD als ein Verein von Gutmensch_Innen mit Samariterkomplex, allerdings weniger für einheimische Bedürftige und Verlassene, sondern mehr für die 3. Welt oder was man dafür hält. Wahlweise auch als Ableger für den Kampf-gegen-Rechts. So eine Kirche schafft sich selber ab. Es bleibt zu hoffen, daß die Synoden sich einen gläubigen Christen als Präsident wählen und zum Kern der Kirche - der Verkündung der Frohen Botschaft - zurückkehren.

Das ist der ekelhafte Sud, den man sonst auf PI News findet, erkennbar allerdings von jemandem artikuliert, der nicht der evangelischen Kirche angehört. Der Sprachgebrauch ist explizit außenperspektivisch. So blind kann man doch nicht sein, dass man den Ratsvorsitz mit dem Sy­nodenpräses (nicht: Präsident!) verwechselt. Ein Mitglied der Evangelischen Kirche wüsste jedenfalls, dass der Ratsvorsitzende nicht direkt aus der Synode gewählt wird, sondern von Kirchenkonferenz und Synode gemeinsam aus dem Kreis der Ratsmitglieder.

Dass der Schreiber allerdings dennoch Schneider und die Protestanten quasi aus Versehen über die Maße lobt, merkt er gar nicht. Jemandem einen Samariterkomplex zu unterstellen, sagt ja – um es für religiös Unmusikalische zu übersetzen -, dass dieser versucht, Jesus nachzufolgen. Der Samariter ist ja gerade jemand, der nicht nur Menschen aus der eigenen Volksgruppe hilft, sondern schlichtweg einem Bedürftigen, sprich: einem unter die Räuber Gefallenen. Das erscheint manchen Reaktionären in dieser Gesellschaft bereits als verwerflich. Inwiefern das Engagement für die Dritte Welt religiös ehrenrührig sein soll, muss er einem evangelischen Christen daher erst einmal erklären. Jener Religion, die in ihrem Heiligen Schriften betont: Da ist nicht Jude noch Grieche, nicht Knecht noch Freier, nicht Mann noch Weib; denn alle seid ihr Einer in Christus Jesus, vorzuwerfen, sie kümmere sich zu viel um Fremde statt um Einheimische, ist schon pervers. Ebenso wie die Bösartigkeit, Schneider seine Gläubigkeit und sein Christsein abzusprechen. Was muss man für ein erbärmlicher und feiger Charakter sein, um angesichts der Meldung der FAZ an seiner Tastatur zu sitzen, und derartig Erbärmliches von sich zu geben.

Aber wer glaubt, Protestantismus hinge tatsächlich an Positionen einzelner Personen, der irrt. Es ist eine grundsätzliche Haltung der Freiheit und des Engagements, d.h. der Bindung. Es ist eine Haltung, die Humanität immer noch über dogmatistische Verengung gestellt hat – eine Lehre, die es nicht zuletzt aus seiner eigenen Geschichte gezogen hat. Wer glaubt, die evangelische Theologie ändere sich, weil einer ihrer Ratsvorsitzenden wechselt, irrt sich. Der Protestantismus hat in den letzten 500 Jahren alle Religionen und Positionen dieser Welt den Zwang zur Häresie (Peter Berger) und den Charme der Häresie nahegebracht – und er wird das weiter tun, wer immer im November zum nächsten Ratsvorsitzenden gewählt wird. Die Protestantisierung der Welt ist unaufhaltsam.


Wer will schon Gerechtigkeit? - 14.07.2014

Auf evangelisch.de wird in Leserkommentaren Stimmung gemacht gegen eine geschlechtergerechte Sprache. Schon der Versuch, Gerechtigkeit sprachlich herzustellen, wird verworfen. Dass dabei u.a. Peter Hahne das Wort führt, überrascht niemanden. Man kann ihn aber auch schlecht für einen kulturell ambitionierten Menschen halten. Und um Kultur geht es in dieser Frage schließlich: wie wir unser Sprechen so kultivieren, dass nicht gleich die Hälfte der Menschheit ausgeschlossen bzw. nur „mitgemeint“ ist. Früher wandte man sich gegen den darin angeblich zum Ausdruck kommenden Feminismus. Heute hat die religiöse Rechte ein neues Feindbild erkoren: die Menschen, die sich um Gender-Fragen kümmern. So kann man nicht nur gegen Feministinnen, sondern auch noch gegen Schwule, Lesben und Transsexuelle hetzen. Wenn es Hahne & Co. Spaß bereitet, sollen sie das ruhig machen. Ernst nehmen wird das kaum ein vernünftiger Mensch. Aber es gibt Menschen, die sich durch derlei Äußerungen verblöden lassen. So findet sich unter der Meldung bei evangelisch.de folgendes Statement:

Das ist aus mehreren Gründen interessant. Geschenkt sei die Phrase von der sogenannten "Bibel in gerechter Sprache". Es ist ein Pleonasmus. Entweder Anführungsstriche oder „sogenannt“. Und tatsächlich ist sie nicht sogenannt, sondern sie wird von ihren AutorInnen so bezeichnet. Das muss man ja nicht teilen. Bedenklich finde ich dagegen, dass jemand offen zugibt, ein nicht überprüftes Gerücht weiterzugeben bereite ihm/ihr Vergnügen – zumal dann, wenn das Gerücht sich anschließend als unwahr herausstellt. Aus der Formulierung „worden sein sollen“ lässt sich nämlich schließen, dass man/frau tatsächlich nur vom Hörensagen spricht. Das ist ziemlich dreist.

Aber schlagen wir mal nach: Tatsächlich gibt es sehr viele Göttinnen in der Bibel in gerechter Sprache – aber keine direkte Bezeichnung „Göttin“ für Gott. Vielmehr werden – entsprechend der Theologie der Hebräischen Bibel – die Leserinnen und Leser aufgefordert, nicht den fremden Göttinnen und Göttern zu folgen. Das scheint mir durchaus sinnvoll zu sein, weil sich ja in der altorientalischen Umwelt viele Göttinnen tummelten. Aber es gibt auch weibliche Zuschreibungen für Gott (du bist mir Vater und Mutter), die jeweils gut begründet werden. Nur eben die Bezeichnung Göttin kommt nicht vor, es macht ja auch begrenzt Sinn, den Andropomorphismus durch einen analogen zu ersetzen. Dass tatsächlich der Teufel als männlich dargestellt wird, liegt nun schlicht daran, dass die Bibel ihn als männlich vorstellt: „Ihr kommt vom Teufel als Vater(sic!) her, und seinen Begierden wollt ihr entspre­chen.“ Gut biblisch also. Der Rest des Textes wirkt nun so, als ob jemand schlicht mit dem Denken aufgehört hätte. Das kommt meines Erachtens davon, wenn man auf Peter Hahne hört.


Das Elend des Christentums - 16.07.2015

Es gibt im Internet von Christen betriebene Seiten, die einem Atheismus sympathisch machen. Da wird eine Verhärtung des Herzens betrieben, die unbegreiflich ist. Ich glaube nicht, dass es den Bösen gibt, wohl aber das Böse. Und auf diesen Seiten sammelt sich das banale Böse, als würde es von einem Magneten angezogen. Was immer Menschen zustößt, was immer Menschen sagen, wenn ihre Reaktionen von der reinen Lehre abweichen, werden sie bewusst fertiggemacht. Blogwartseiten wie kath.net haben einen Ehrgeiz darin, Menschen herunterzuputzen, koste es was es wolle und sei es die eigene Humanität.

Der Ratsvorsitzende der EKD hat zusammen mit seiner Frau der Zeitschrift DIE ZEIT ein Interview gegeben, in dem sie darüber sprechen, was sie im Augenblick bewegt. Es ist ein sehr menschliches Interview, das in die Verzweiflung aller Menschen, die derartigen Situationen ausgesetzt sind, Einblick gibt; das aber auch die Solidarität, die zwei Menschen einander geben können, eindringlich vor Augen führt. Die Nachrichtenagenturen haben sich daraus die Meldung herausgepickt, dass Schneider seine Frau auch gegen seine theologische Grundhaltung im Falle einer in Anspruch genommenen Sterbehilfe solidarisch begleiten werde. Das ist im Grunde eine pure humane Selbstverständlichkeit.

Die katholische Nachrichtenagentur KNA bringt diese Meldung, kath.net übernimmt sie. Nun gehört es zu den charakteristischen Eigenarten von kath.net, bei Agenturmeldungen die eigene Haltung durch eine hinzugefügte Überschrift kundzutun. Das war schon so, als kath.net einmal bei einer Meldung zum Thema Protestantismus und Homosexualität im Titel von Protestunten sprach (und das aber schnell wieder zurückzog).

Nun titelt kath.net die KNA-Meldung wie folgt: „EKD-Ratsvorsitzender würde seiner Ehefrau bei Euthanasie helfen“. Die Zusammenfassung von KNA lautete dagegen zutreffender Weise: „Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, würde seine schwer an Krebs erkrankte Ehefrau auch bei einer möglichen Sterbehilfe begleiten.“ Das aber klang kath.net zu human und so versuchte man, bei der eigenen Klientel das Ressentiment zu schüren: „EKD-Vorsitzender würde ... bei Euthanasie helfen“.

Diese Formulierung ist einfach nur widerwärtig. In der Sache ist sie unzutreffend. Es geht darum, einen Menschen, der (s)einen Weg gewählt hat, zu begleiten. Das ist eine religiöse Pflicht. Es geht nicht darum, handelndes Subjekt einer Sterbehilfe zu sein. Kath.net vermengt beides und das nenne ich bösartig. Nach der Art des Bösen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Seite mit offiziellen Mitteln der katholischen Kirche gefördert wird.

Dass diese Art der Agitation erfolgreich ist, ist nun an den geifernden Leserkommentaren erkennbar. Da wendet sich tatsächlich jemand an Schneider und schreibt:

„Es wird eine Zeit der tiefen Trauer kommen. Um wieviel tiefer wird diese Trauer sein, wenn Sie sich mit dem Gedanken quälen müssten, Hand an das Leben Ihrer geliebten Frau gelegt zu haben.“

Und die kath.net-Redaktion lässt diesen Müll einfach stehen! Der Gipfel ist aber ein Kommentar, der zur Sterbehilfe an Schneider aufruft:

„Vielleicht hat er ja Pech und seine Frau kommt ihm zuvor! Ich meine: zweifelt hier einer daran, dass der Mann ganz schlimm krank ist“.

Da die Redaktion das stehen lässt, ansonsten Äußerungen aber gerne 'moderiert', muss ich so eine Äußerung wohl für gut katholisch halten – oder zumindest für etwas, was kath.net für gut katholisch hält. Christlich ist es nicht.


Touristen und ihre Hunde - 27.07.2014

Während landauf, landab der Kirchenbesuch abnimmt, klagen einige der bauästhetisch privilegierten Kirchengemeinden über das Verhalten ihrer touristischen Besucher. Die würden den religiösen Charakter der Gebäude und den Gottesdienst nicht respektieren. Das ist wohl wahr. Aber wer einmal die in den Kirchen ausliegenden Beschreibungen der Gebäude zur Kenntnis genommen hat, kommt von selbst auf die Idee, dass es sich eher um kulturgeschichtliche Präsentationsorte und weniger um religiöse Orte handelt.

Zudem klagen Kirchengemeinden, die Menschen würden sich nicht angemessen benehmen. Und sie nennen Beispiele: Die Besucher kämen mit Bratwurst und Glühwein in die Kirchen. Das ist tatsächlich ein Problem, aber das werden Museen auch haben. Dafür gibt es Besucherordnungen. Ein anderes Problem wird so beschrieben:

Eine spirituelle Atmosphäre angesichts einer Million Besucher pro Jahr herzustellen, sei schwierig, klagt Wallfahrtspfarrer Gottfried Fellner. "Manche wollen auch ihre Hunde mitbringen und wenn man sie darauf anspricht, sagen sie, das seien doch auch unsere Mitgeschöpfe", erzählt er. "Ich frage dann immer, ob sie ihre Mitgeschöpfe auch in die Oper mitnehmen würden."

Das scheint nur auf den ersten Blick plausibel, ist es aber nicht wirklich. Die Menschen wollen doch nur wissen, warum ein Verhalten, das über 1000 Jahre in Kirchen möglich war, heute nicht mehr möglich ist. Selbstverständlich waren früher Hunde und Katzen bei Besuchen des Kirchenraums mit dabei und sie haben sogar am Gottesdienst teilgenommen.

Ich greife einfach mal einen Maler und Architekten heraus, der uns verschiedene Gemälde von Kircheninterieurs hinterlassen hat: Bartholomeus van Bassem, geboren 1590 in Den Haag und dort auch 1652 gestorben.

Auf dem nebenstehenden Detail eines seiner Gemälde vom Anfang des 17. Jahrhunderts sehen wir zwei Werktagsbesucher einer nicht näher bezeichneten Kirche mit gleich drei spielenden Hunden, die ganz selbstverständlich von der Kirche Besitz ergriffen haben.

Und auf diesem Detail aus einer Studie zu einem möglichen königlichen Grabmal in einer gotischen Kirche sehen wir, wie die Hunde zweier unterschiedlicher Besuchergruppen der Kirche sich gerade vorsichtig kennenlernen und beschnuppern.

Mein drittes und letztes Beispiel vom selben Maler stammt aus dem Jahr 1636 und zeigt ein Detail seiner Studie des Inneren der Kirche von Rhenen. Auch hier hat nahezu jeder der Besucher einen Hund dabei, der frei in der Kirche herumläuft. Kirche war einfach öffentlicher Raum.

Dass Hunde sich dabei nach bürgerlichen Maßstäben nicht immer korrekt verhalten, offenbart ein lustiges Detail eines Kirchenbildes von Emmanuel de Witte von 1650. Es zeigt das Innere der Oude Kirk von Delft und im Detail einen Hund, der gerade an eine Säule pinkelt, während im Vordergrund zwei Knaben eine andere Säule mit Graffitis verzieren. Dass sich Mensch und Tier aber auch nicht benehmen können!

Nun sind Hunde in Kirchen nicht nur ein niederländisches Phänomen (wenngleich dort besonders ausgeprägt und oft gemalt, gerade auch in reformierten Gottesdiensten). Skizzen und Gemälde von Canaletto zeigen uns zahlreiche Haushunde in San Marco in Venedig und zwar während des Gottesdienstes!

Wie Gozzoli 1464-65 auf einem seiner Fresken in San Gimignano behauptet, gehörte ein Hund sogar zu den eifrigsten Zuhörern der Predigten Augustins in Rom, weshalb er ihn gleich unterhalb des Heiligen ins Zentrum des Bildes stellt.

Die Tatsache, dass wir heute aus durchaus nachvollziehbaren Gründen Tiere in den Kirchen nicht mehr zulassen, sollte uns also nicht dazu verführen, daraus eine Selbstverständlichkeit zu machen. Selbstverständlich ist das keineswegs.

Der Ausschluss der Tiere aus dem Kirchenraum macht erst dann Sinn, wenn wir diesen nicht mehr als öffentlichen Raum, als Agora begreifen. Insofern ist der Ausschluss der Tiere selbst schon ein Krisensymptom und nicht erst das aktuelle Ansinnen, diese mit in den Kirchenraum nehmen zu wollen.

Werfen wir abschließend noch einen Blick auf ein Bild des Letzten Abendmahls von Stefano d'Antonio Vanni (1405-1483), das dieser für die Kirche San Martino in Sesto Fiorentino bei Florenz angefertigt hat:

Nicht nur, dass diese Darstellung mit Hunden und Katzen gefüllt ist, Vanni behauptet zudem, die Jünger hätten den zu ihren Füßen kauernden Tieren auch noch Knochen und Brocken vom Letzten Abendmahl zugeworfen. So viel Tierfreundschaft im religiösen Ritus muss heute erst wieder gelernt werden.

Last, but not least: Tiere, respektive Hunde kommen in der religiösen Ikonographie natürlich nicht immer nur gut weg. Auf einem Bild des Letzten Abendmahls von Jakob Jordaens aus dem Jahr 1654 sehen wir ebenfalls einen Hund bei Tisch, nur dass er ausgerechnet Judas in besonderer Verbundenheit zugewandt ist.

Die Kunsthistoriker streiten über die symbolische Bedeutung dieser Darstellung. Entweder setzt sie Judas mit dem als negativ konnotierten Hund in eine enge Beziehung (weniger wahrscheinlich) oder sie versucht anzudeuten, dass Hunde treuer als Menschen sind.


Fußballgötter – Oder: Was ist das für eine Religion? 28.07.2014

In liberal-theologischen Kreisen wird man nicht müde, Fußball als Religion zu bezeichnen. Gerade im Umfeld der Fußballweltmeisterschaft wird dann von Fußballgöttern, der Hand Gottes, Heiligem Rasen, kultischen Handlungen und so weiter schwadroniert.

„Wenn die WM beginnt, pilgern wieder Zuschauermassen  in die Stadien und auf die Fanmeilen. Alles dreht sich um das Spektakel auf dem heiligen Rasen, Spieler werden verehrt wie Heilige.  Wir haben uns genauer angesehen, welche Parallelen zwischen Fußball und Religion bestehen ... Unsere These: Fußball ist eine Religion.“

Und blickt man auf das Rezeptionsverhalten, dann kann man schlecht leugnen, dass hier auch religionsanaloge Elemente zum Ausdruck kommen. Allerdings sollte man dabei doch zwischen bloßen Strukturanalogien und Gemeinsamkeiten unterscheiden. Nur weil etwas ähnlich ist, ist es noch nicht gleich. Nur weil mir etwas heilig ist, ist es nicht schon heilig. Sonst entleert man die Begriffe völlig und macht sie willkürlich. Ich vermute, dass die Fußballsprache noch nicht so entwickelt ist, dass sie über eigene Begrifflichkeiten verfügt, weshalb  sie bei anderen kulturellen Sphären Anleihen im Sprachgebrauch macht. Wenn man aber ernsthaft vom Fußball als Religion spricht, dann sollte man das auch in aller Konsequenz tun. Dann sollte man die religiösen Phänomene auch dort kritisch betrachten, wo es darum geht, den Anderen herabzusetzen, ihn zu verhöhnen, ihn fertig zu machen. Es gibt kaum eine Kultur, in der der Vernichtungswille so groß, die Konfessionskämpfe so persönlich und so heftig geführt werden, wie im Bereich des Fußballs. Die unerträgliche Herabsetzung des Gegners, die sich im Gaucho-Tanz der deutschen Nationalspieler unter dem Brandenburger Tor zeigte, wird in der Öffentlichkeit damit erklärt, dass dies doch ganz normale Fan-Gesänge aus den Stadien seien. Als ob das etwas rechtfertigen würde. Es ist so, als ob das Töten des Andersgläubigen damit gerechtfertigt wird, dass dies bei den An­hän­gern des Islamischen Staates im Irak doch ganz normal sei. Wenn Bastian Schweinsteiger in nächtlicher Kneipentour das Lied von den BVB-Hurensöhnen singt, dann wird auch das damit entschuldigt, dass dies eben zum Usus der Fans gehöre. Religiöses Standardrepertoire sozusagen. Was ist das denn für eine Religion? Wenn zur Kultur des Fußball als Religion die Herabsetzung (und nicht die Achtung) des Gegners gehört, was tut man dann dem Religionsbegriff an, wenn man diese assoziative Verknüpfung bestehen lässt? Zumindest die modernen Religionen sollten über diese Konfessionsbildung hinaus sein. Die modernen Religionen haben (hoffentlich) aus ihrer traurigen und erschütternden Religionsgeschichte gelernt, dass die Herabsetzung des Anderen kein Weg sein kann. Wir begreifen die Verbrennung des Korans durch einen evangelikalen Fundamentalistenprediger als den archaisch-überholten Akt, der er ist. Hier greift die moderne Religionskritik sofort. Das Gleiche sollte deshalb auch dort geschehen, wo die Religion des Fußballs ihre archaischen Züge der symbolischen Vernichtung des Gegners zeigt. Wenn also die Rede vom Fußball als Religion einen Sinn haben soll, dann tritt uns hier die Religion der Vergangenheit vor Augen.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/90/am477.htm
© Andreas Mertiin, 2014