Hans Blumenbergs Reflexionen zur Exotheologie

Eine Notiz

Andreas Mertin

„Exotheologie - Man erschrecke nicht bei der Überschrift. Aus der Sache ist nichts geworden. Es war ein Fehlversuch in Euphorie.“ – Mit diesen Worten beginnt Hans Blumenberg in seinem „astronoetischen“ Werk „Die Vollzähligkeit der Sterne“[1] den Abschnitt über die Exotheologie (S. 145-150). Und wenn das Buch ein Aphorismus-Band und nicht ein Essay-Band wäre, wäre die Sache damit auch schon zu Ende. Tatsächlich aber sind die Worte nur die ersten in einem interessanten Versuch, den Kern von Exotheologie zu bestimmen.

Exotheologie sei, so meint Blumenberg,

... in der langen Geschichte dieser Grenzgänge und Extremierungsversuche ein ‚modern‘ nur anmutendes Stück jener Art von ‚Gelegenheitstheologie‘, die sich bei spektakulär gegebenem Anlaß ausbildet: bei Erdbeben und Epidemien, Revolutionen und Legitimitätskrisen, Untergängen und Gründungen aller Art, Phobophonien und Emanzipationen ... (145)

Nun ist eine auf aktuelle Anlässe reagierende „Gelegenheitstheologie“ ja nicht das Schlechteste (und wenn man an das Erdbeben von Lissabon denkt, vielleicht das Aufregendste, was man sich nur denken kann), aber Blumenberg meint dann doch zeigen zu können, dass diese Art der Theologie „beim Anwendungsversuch der Gegebenheiten ihrer eigenen Grenzgangsunfähigkeit überführt wird“ (146). Deshalb seien exotheologische Fragestellungen immer auch „ein Paradestück der Aufklärer“ gewesen:

„Sie sollten das Monopol des terrestrischen Menschen, das sie vor allem durch die theologische Heilsgeschichte und die in ihr behauptete besondere Aufmerksamkeit Gottes begründet und in Vereinigung mit der Illusionsbereitschaft des Egoismus verstärkt glaubten, wirksam brechen“ (146).

Nicht zuletzt die in dieser Ausgabe von tà katoptrizómena publizierte und von Christian Weidemann kommentierte Schrift des anonymen Laien „Über die Versöhnung unsers Planeten und anderer Welten mit Gott durch Christum“[2] zeigt dies ja eindrücklich. Wie auch die dort gegebenen Antworten jene Tendenz der „rationalen Theologie“ belegt, die Blumenberg unter Verweis auf die Engellehre exemplifiziert:

„Gott konnte seine Macht und Weisheit nicht in einem bis dahin vor der Vernunft so kläglich versagenden Wesen wie dem Menschen verausgabt haben. Auch die christliche Theologie hatte implizite diesem Einwand durch die Ausbildung der Engellehre Rechnung getragen. Sie waren, insofern sie von den antiken Sphärenbewegern abstammten, durchaus kosmische Intelligenzen von höherer, befriedigender Qualität gewesen.“ (146)

So schreibt der „Geheime Kirchenrath Seiler“ in seinem Abschnitt über den Versöhnungstod Jesu, den er seinem Brief an den unbekannten Laien beifügt: „Viele vernünftige Geschöpfe sind ohne Zweifel, gleich den Engeln, ihrem Schöpfer gehorsam, und haben keinen solchen Versöhner, wie wir, nöthig“.

Den Philosophen war dagegen der Verweis auf die Engel nicht so plausibel, in ihren Überlegungen war kein Platz für sie: „Engel und Götter waren daher systemwidrig.“ (146)

Das zentrale Problem für die Theologen war jedoch weniger die Möglichkeit anderer Wesen auf fremden Planeten, als vielmehr die „Kontingenz, die durch die Wahl eines terrestrisch-menschlichen Leibes bei der Inkarnation auf die Gottheit selbst zurückfiel. Hätte sie sich des niederen Organs bedienen dürfen, wenn ihr höhere und würdigere Leiber zur Verfügung gestanden hätten?“ (147)

Was also ist der Wert der Inkarnation? Denn wenn „der Gottessohn durch seine terrestrische Menschwerdung ein für allemal geschichtlich geworden und festgelegt ist, kann er nicht durch einen vergleichbaren Akt noch andere Sünder auf anderen Gestirnen auf gleiche Weise dem Unheil entreißen.“ (148) Wenn man sich darauf einlassen würde, dann wäre Christus auf dieser Erde nur scheinhaft gestorben. Oder wie es der anonyme Laie in seinem Schreiben formuliert: „Christus hätte von Planet zu Planet wandern müssen, um allezeit eben dasselbe zu leiden und eben die Rolle – wenn ich mich so ausdrücken darf – öfters zu spielen. Ist aber das ein der Gottheit anständiger Gedanke?“ Und das hieße dann, wie Blumenberg schreibt, dass „der Doketismus droht, der altböse Feind des christologischen Realismus als der endgültigen Festnagelung der Gottheit an das Kreuz der Menschheit. Also muß der adamitische Sündenfall im Universum die Ausnahme sein und bleiben.“ (148)

In der Konsequenz müsste man sich dann die Bewohner anderer Planeten als vernünftige Wesen ohne Sündenfall vorstellen. „Es muß den Menschen reizen, die Nicht-Sünder seiner Spezies kennenzulernen, vielleicht um sie zu fragen: Wie macht man es, Mensch zu sein und dennoch vernünftig?“ Und süffisant schließt er an: „Diese Frage könnte die endgültige Vereinigung von Pelagianismus und Aufklärung bedeuten – vorausgesetzt, daß sie jemals einen Adressaten fände, an den sie gestellt werden könnte.“ (150)

Theologisch stellen sich die Dinge aber anders dar. Ganz am Ende beschließt Blumenberg seine Reflexionen zur Exotheologie mit folgenden Worten: „Die Erfüllung der Hoffnung auf interstellare Kommunikation müßte dem Christentum wie jeder Religion den Garaus machen.“ (150) Wie gut, dass es nicht danach aussieht, dass wir in den nächsten tausenden von Jahren damit zu rechnen haben. Denn wenn, wie Blumenberg ironisch an anderer Stelle schreibt, „der Erfolg von SETI ... (darin bestände), einen von höheren Intelligenzen bewohnten Weltkörper im Andromedanebel zu entdecken“, dann wäre damit nicht viel gewonnen, „denn das würde bedeuten, dass wir die Antwort auf eine von uns dorthin gesandte Anfrage erst in fast fünf Millionen Jahren zu erwarten hätten“. Ob wir dann freilich noch wüssten, welche Frage wir eigentlich gestellt haben, ist zweifelhaft.

Jedoch, darauf hatte Blumenberg zuvor verwiesen, kommt es anders als bei der Exobiologie bei der Exotheologie gar nicht auf die reale Begegnung mit extraterristischen Vernunftformen an. Während Exobiologen nur auf das Ereignis warten müssen, stellt sich für Exotheologen die Frage dringlicher. Sie müssen heute schon aus dogmatischen Gründen eine Antwort geben, wie sie sich zur rein theoretischen Möglichkeit verhalten: die Theologie muss „schon jetzt auf den Konjunktiv der Frage ohne Nachlaß eingehen, was es bedeuten würde, wenn die Exobiologie eines Tages Grund bekäme, zur Exoanthropologie zu werden.“ (149)

Und das ist der Grund, warum es in der Gegenwart so viel Spaß bereitet, Exotheologie zu betreiben. Blumenbergs „Astronoetik“ sei jedenfalls allen Interessenten an dieser Fragestellung zur Lektüre empfohlen.

Anmerkungen

[1]    Blumenberg, Hans (2000): Die Vollzähligkeit der Sterne. Frankfurt a. M: Suhrkamp (Suhrkamp Taschenbuch, 3115).

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/89/am470.htm
© Andreas Mertin, 2014