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Blasphemie im Film

Inge Kirsner

Blasphemie?

Gibt man das Stichwort "Blasphemie im Film" im Internet ein, erscheint unweigerlich als erste Nennung "Das Leben des Brian". Dies entspricht auch der Alltagserfahrung des Religionslehrers, wenn die SchülerInnen mal wieder "einen Film" sehen wollen und erwarten, dass die Lehrerin/der Lehrer erstmal erschrickt (das Erschrecken allerdings bezieht sich einfach auf die Wiederholung; "nicht schon wieder...."?)

Was an "Brian" als blasphemisch gilt, dem wollen wir im Anschluss an einigen Szenen daraus nachgehen. Zunächst aber einmal kurz zur Klärung die Frage, was Blasphemie ist oder was als blasphemisch gilt. Ist die etymologische Ableitung aus dem Griechischen (blasphemia = "Gotteslästerung") zunächst einfach, ist die nächste Frage, was eigentlich Gotteslästerung ist, viel schwieriger.

Der Begriff ist in Auseinandersetzung mit islamischen Fundamentalisten wieder ins Gespräch gekommen, und wurde daraufhin auch in der Intellektuellenszene neu verhandelt. Besonders stark diskutiert wurde 2012 eine Stellungnahme des Schriftstellers und bekennenden Katholiken Martin Mosebach, der geradezu ein Blasphemieverbot samt Zensurgebot  forderte  und aufzeigte, warum es seiner Meinung nach der Kunst und dem sozialen Klima dient, wenn Blasphemie wieder strafbar ist.[1]

Das Problem: Blasphemie ist ein äußerst uneindeutiger Begriff. [2] Im Laufe seiner Definitionsgeschichte (von der ´Gottesbeleidigung´ in der Antike - über die ´Häresie´ in der Reformation - bis zur Aufklärung, wo es um Religionsfreiheit und Menschenrecht ging) verschiebt sich der Fokus von Gott auf den Menschen. In der Mitte dieser Beziehung siedelt sich eine Warnung Johannes Paul II an: " Wo Gott und sein Gesetz nicht beachtet werden, erhält auch der Mensch nicht sein Recht".

In Folge der Aufklärung setzt sich - in Deutschland flächendeckend allerdings erst nach 1989 - die Auffassung durch, dass der Staat weniger Gott als vielmehr den Menschen zu schützen habe, nämlich seine jeweilige Religion und deren freie Ausübung.  Wo hier die Grenzen verlaufen, das gestaltet sich zum Diskussionspunkt jeder Blasphemiedebatte, in der es v.a. um den Schutz des öffentlichen Friedens gehen muss und zugleich um den Schutz der Pressefreiheit u.a. aufklärerischer Errungenschaften.

Eine erste Arbeitshypothese, bevor wir in die Konkretion anhand der jeweiligen Filmausschnitte einsteigen: Blasphemisch wäre der Missbrauch des Gottesnamens zu nennen, indem er für die Autorisierung einer nationalistischen oder religiös-politischen Idee oder Kampfrichtung benutzt wird.  Die Diskussion darüber, was Gotteslästerung ist, drückt insofern keine Spaltung zwischen den Religionen, sondern eine innerhalb der Religionen, in der Auseinandersetzung zwischen liberalen und fundamentalistischen Kräften und Mächten aus. Hier ist die eigentliche Trennlinie, wo die Auslegungsgebote, was z.B. das erste und das zweite Gebot betrifft, definiert werden.

Der Missbrauch Gottes im nationalistischen, politischen Sinn z.B. wäre ein Verstoß gegen das zweite und weitergehend auch gegen das erste Gebot.

Was Blasphemie sein könnte, die mit dem ersten Gebot in Konflikt kommt, hat einmal Fjodor Dostojeweski sehr schön in seiner Erzählung "Der Großinquisitor" (innerhalb seines "Die Brüder Karamasow) beschrieben. Der hier beschriebene Großinquisitor wirft Jesus vor, dass er den Menschen überschätze und ihm eine Freiheit des Glaubens und Denkens zugemutet habe, die er nicht verkraften könne. Er hätte die drei teuflischen Versuchungen persönlich zwar zurückweisen, solches aber nicht auch noch von den Menschen verlangen dürfen. Insbesondere das Zurückweisen des Brotes macht er ihm zum Vorwurf: "Hättest Du das Brot angenommen, so hättest Du damit einem allgemeinen und ewigen menschlichen Sehnen entsprochen, einem Sehnen des einzelnen Menschenwesens wie der ganzen Menschheit zusammengenommen, jenem Sehnen, das sich in der Frage ausspricht: Wen soll ich anbeten? Es gibt für den Menschen, wenn er frei geblieben ist, keine dauerndere, quälendere Sorge, als möglichst rasch jemand zu finden, den er anbeten kann. Aber der Mensch möchte nur etwas anbeten, was bereits unbestritten ist, so unbestritten, daß sich alle Menschen zugleich zu gemeinsamer Anbetung bereit finden. Denn es ist nicht so sehr die Sorge dieser kläglichen Geschöpfe, etwas zu finden, was ich oder ein anderer anbeten kann, sondern etwas, woran alle glauben und was alle anbeten, unbedingt alle zusammen. Und eben dieses Bedürfnis nach gemeinsamer Anbetung bildet die wesentliche Qual jedes einzelnen Individuums wie der ganzen Menschheit seit Anbeginn der Zeiten. Um der gemeinsamen Anbetung willen vernichteten sie sich gegenseitig mit dem Schwert. Sie schufen sich Götter und riefen einander zu: Entsagt euren Göttern und betet unsere an – oder Tod euch und euren Göttern! Und so wird es sein bis ans Ende der Welt, selbst wenn die Götter aus der Welt verschwinden. Das macht den Menschen nichts aus, dann werden sie eben vor Götzen niederfallen."[3]

Wollte Jesus den Menschen himmlisches statt irdisches Brot bescheren, so weisen sie dieses Geschenk zurück. Sie wollen Gott nicht um seiner selbst willen ehren, sondern weil sie das Bedürfnis nach Anbetung haben. So wird Gott zum Götzen - wie Jesus Christus in Kevin Smiths Film "Dogma" zum "Kumpel Jesus" wird und so von seiner Tiefenwirkung kraft eines neuen kirchlichen Erlasses befreit werden soll.

Eine solche Verharmlosung, wie sie der respektlose und unterhaltsame Film "Dogma" (der niemanden in seinem Glauben angreifen will, wie es im Intro versichert wird) satirisch angreift, wird i.a. als weniger blasphemisch eingestuft als die Sexualisierung der Figur Jesu, wie sie Martin Scorcese nach seinem Film "Die letzte Versuchung" vorgeworfen wurde. Dabei ist möglicherweise die Trivialisierung des Heiligen viel gefährlicher als seine Sexualisierung, weil weniger greifbar.

Wenn wir uns nun im Folgenden mit der Blasphemie im Spiegel des Films auseinandersetzen, konzentrieren wir uns auf die Darstellung Jesu, unserem fleischgewordenen Wort Gottes und also Inkarnation, (wie entsprechend der Koran das Wort Gottes im Islam ist).

Nach den Beispielen werden wir uns Gedanken darüber machen, was wir persönlich als blasphemisch empfinden, was uns "heilig" ist. Es gibt Gedankenfiguren, Menschen oder Dinge, die uns heilig sind und wo sich jeder Schabernack verbietet. Ich konnte es beispielsweise nicht gut verkraften, dass mit Michael  Herbigs "Der Schuh des Manitu" (D 2001) eine heilige Figur meiner Kindheit (und auch noch Jugend), nämlich Winnetou, verballhornt wurde. Und meine Kinder, noch bevor sie den Original-Winnetou kennenlernen konnten, in der Kindertagesstätte den "Schuh des Manitu" ansehen mussten (was ihnen wahrscheinlich nicht so geschadet hat wie befürchtet; und sie später außerdem "Winnetou" kennen und lieben lernten, ohne ihn je mit Abahachi in unlösbare Verbindung zu bringen). Letztlich ist das Ganze eine Nummern- bzw. Slapstick-Revue, die es in sehr viel tiefsinnigerer und klügerer Weise in dem als blasphemisch geltenden "Das Leben des Brian" gibt.

1. Filmbeispiel: Das Leben des Brian (Terry Jones, GB 1979)

Der Film von Terry Jones, der im "Leben des Brian" eine Mutter spielt, die an sich schon Strafe genug wäre, gilt immer noch als die Urmutter des blasphemischen Jesus-Films. Bei näherem Hinsehen lässt sich dieses (Vor-)urteil kaum rechtfertigen, wird mit Brian doch eine Parallelfigur geschaffen, der alle möglichen Dinge widerfahren, die seine Feinde oder Nachfolger freiwillig oder unfreiwillig auf den Weg gebracht haben. Die Monty Pythons machen sich in und mit diesem Film nicht über Jesus oder den Glauben, sondern "über die Dummheit der Leute lustig", so Terry Jones in einem Interview.[4]

Der Film eröffnet mit einer Szene, die aus einem ´traditionellen´ Jesusfilm stammen könnte. Ein Blick in den nächtlichen Sternenhimmel, dann der Stern von Bethlehem, der den 3 Königen aus dem Morgenland den Weg weist in eine Krippe... Nun beginnt das Spiel mit den Erwartungen, gibt es die erste Irritation, wenn die Mutter des Babys vor Schreck auf ihrem Schemel hintüber kippt, als die drei offensichtlich perückenbewehrten Männer den Stall betreten. Erst als die Besucher Geschenke ankündigen, wird die Mutter zugänglicher. Doch nicht lange hat sie Freude an dem Mitgebrachten, von dem sie sowieso nur das Gold für wertvoll erachtet - die drei haben inzwischen die ´echte´ Krippe gefunden, die nun wieder ganz traditionell im Schein des Sterns dargestellt wird und reißen die Gaben Brians Mutter aus der Hand, um es dem richtigen Jesus-Kind zu bringen.

Dieses sehen wir nach dem Vorspann (übrigens eine Parodie auf die James-Bond-Intros, insbesondere "Goldfinger") als Erwachsenen, auf dem Berg stehend und die Worte der Bergpredigt intonierend - eine traditionelle Panorama-Einstellung, die ebenfalls einem historisierenden Jesusfilm entspringen könnte. Doch hier, wie im Stall, gleich die ersten Irritationen, wenn sich die eigentlichen Protagonisten der Szene gegenseitig den Blick verstellen, kein Wort verstehen oder das Gehörte missverstehen und es am Rande der Friedenspredigt schließlich zu einem derartigen Tumult kommt, dass die römischen Soldaten eingreifen müssen, um die Leute wieder zu befrieden.

Die Szene kurz vor der Kreuzigung ("Jeder nur ein Kreuz") ist reiner Slapstick, spielt mit dem unbedingten Ernst einer Hinrichtungsart, bei welcher der Spaß noch lange nicht aufhören muss. Gesprochen wird dabei reinstes und höflichstes Oxford-English (das nimmt den getragenen Ton der meisten Bibelverfilmungen auf und parodiert ihn zugleich), was das Ganze noch absurder macht, und gesungen wird bei der Kreuzigung auch in höchstem Englisch.

Die Frauen am Kreuz handeln leider nicht so, wie Brian es erhofft. Die eine (Judith) denkt nicht daran, ihn vom Kreuz herunterzuholen, was möglich gewesen wäre, da die römischen Bewacher sich gerade gegenseitig massakriert haben, die andere (Mandy), seine Mutter, schimpft ihn wegen Fernbleibens aus und geht wütend weg. Als Brian darob gerade den Kopf hängen lassen will, wird er aufgemuntert durch einen anderen Mithänger, der anstimmt: "Always look on the bright side of life", was wiederum die zwanghaften Hollywood-Happyends parodiert.

Seitdem sind die Auferstehungen Brians in zahlreichen religions- und Konfirmandenstunden nicht abgerissen, und man kann auch über ihn lachen, wenn man die Jesusgeschichte selbst nicht gut kennt. Er funktioniert auf der Slapstickebene genauso wie auf der Satire- oder eher: Parodieebene. Er kann nach wie vor als Gleichnis für die Auswüchse fundamentalistischer Strömungen jeder Couleur angesehen werden (man denke nur an die "Volksfront von Judäa" und die mit dieser verfeindete "Kampagne für ein freies Galiläa") und für die Blasphemie-Debatte als Beispiel dafür, was jedenfalls keine Gotteslästerung darstellt.[5]

Die Verbindung des Heiligen mit dem Lächerlichen zieht ebenso schnell den Blasphemievorwurf auf sich wie seine Verbindung mit der Sexualität, wie es im Fall von Scorceses "Die letzte Versuchung" zu erleben war.

2. Filmbeispiel: "Die letzte Versuchung Christi" (Martin Scorsese, USA 1988)

Die Verfilmung des Romans von Nikos Kazantzakis aus dem Jahr 1951 zeigt Jesus in seiner Menschlichkeit, als Zweifelnden und Hadernden, der sich in die Prostituierte Maria Magdalena verliebt, deren Werben aber zurückweist und schließlich, am Ende seiner Lehr- und Wanderjahre,  seinen Freund Judas bittet, ihn an die Sanhedrin zu verraten. Dieser gehorcht widerwillig, und als Jesus schließlich am Kreuz hängt, gibt sich ihm ein junges Mädchen als sein Schutzengel zu erkennen. Er nimmt dessen Angebot an, vom Kreuz zu steigen und unerkannt ein normales Leben zu führen. Er heiratet Maria Magdalena, und als diese bei der Geburt des gemeinsamen Kinders stirbt, nimmt er Maria und Marta zur Frau und hat mit ihnen weitere Kinder. Als er schließlich alt und lebenssatt sterben will, kommen seine Jünger, Judas und Paulus zu ihm, um ihn des Verrates an seinem Auftrag zu bezichtigen. Sie klagen ihn so hart an, dass er aufsteht und betet, er möge wieder ans Kreuz zurück. Dort findet er sich wieder, hat die letzte Versuchung überstanden und der angebliche Schutzengel erweist sich als satanischer Einflüsterer.

Da die Vision eines gewöhnlichen menschlichen Lebens, in dem das Wort, dem Johannesevangelium folgend, in allen Bereichen Fleisch wird, sich als teuflische Versuchung erweist - der Jesus letztlich doch standhält - erweist sich dieser als blasphemisch geltende Film im Innersten als überaus fromm.

Jedoch rief der Film bei seinem erscheinen 1988 Kontroversen und v.a. unter konservativen Christen wütende Proteste hervor. Die Geschichte von einem Jesus, der an seiner Berufung zweifelt, mit den Römern zusammenarbeitet und ihre Hinrichtungsinstrumente zimmert, eine Frau begehrt und mit ihr schließlich, sich dem Tod am Kreuz verweigernd, eine Familie gründet, wurde als Blasphemie betrachtet.

Gewalttätige Proteste wie der Brandanschlag auf ein französisches Kino und Versuche, ein Verbot der Aufführung des Films über Protestschreiben beim FSK zu erreichen, waren die Folge.

Im "Lexikon des Internationalen Films" wird der Film selbst (der von den meisten ungesehen verurteilt wurde) problematisiert: „Nicht als Übertragung des biblischen Stoffes, sondern als Verfilmung des Romans von Kazantzakis zu verstehender Versuch, sich mit der Person Jesus von Nazareth, seiner Verkündigung und seinem Kampf bis zur Kreuzigung auseinanderzusetzen. Dabei wird Jesus in seiner Menschlichkeit dargestellt […] Der in mehreren Darstellungen biblischer Episoden plakative und enttäuschend flache Film stellt sich durch sein Gottesbild und die Zeichnung Jesu Christi in grundsätzlichen Widerspruch zur christlichen Heilsbotschaft. In ihrem ikonografischen Charakter wirken die Bilder ohne spirituelle Kraft und verfehlen den zentralen Aspekt des christlichen Glaubens, die erlösende Anteilnahme Gottes am existentiellen Sein der Menschen. Zuschauer, die den dargestellten Jesus als Jesus der Bibel missverstehen, können zu Recht Anstoß nehmen.“[6]

3. Filmbeispiel: "Mary - This is My Blood" (Abel Ferrara, USA 2005)

Blasphemie wurde dem Spielfilm "Mary" von Abel Ferrara (dessen "Bad Lieutenant" von 1992  in katholischen Kreisen durchaus Anstoß erregte) nicht vorgeworfen, vielmehr wird der Vorwurf im Film selbst thematisiert.

Der 1952 in New York, in der Bronx geborene Abel Ferrara lässt sich in den Medien immer wieder als "zweifelnder Katholik" ansprechen. Seine Filme handeln von der exzessiven Gewalt in Großstädten, von Schuld und der Suche nach Erlösung: Immer wieder hat er sich mit Ausdrucksformen expliziter Religion beschäftigt, wie etwa in „Bad Lieutenant“ (1992) und „The Addiction“ (1994). In seinem Film „Mary“ unternimmt er eine metaphysische Abenteuerfahrt durch Israel und durch New York. Es ist eine österliche Geschichte, die vom Karfreitag und von (Wieder-)Geburt erzählt.

Die Schauspielerin Marie Palesi (Juliette Binoche) will nach Filmaufnahmen nicht wieder zurück nach New York. In Israel hat sie einen Jesus-Film mit dem Regisseur und Hauptdarsteller Tony Childress (Matthew Modine) abgedreht, in dem sie Maria Magdalena verkörperte. Anschließend weigert sie sich, Childress in die Heimat zu begleiten. Stattdessen beginnt sie in Israel eine Art Pilgerfahrt, umgeben von den Wirren des Nahostkonflikts.

Abel Ferraras „Mary“ spielt dann hauptsächlich in New York, dennoch bleibt Israel – und hier vor allem Jerusalem – als zweiter Schauplatz präsent, als gespenstischer Hintergrund und mysteriöse Brechung eines Films, der auch ohne diese zweite Ebene verwirrend genug ist.

Tony Childress (Matthew Modine), der für seinen Film das apokryphe Evangelium der Maria (auch „Evangelium der Maria Magdalena“ genannt) zu Grunde gelegt hat, macht sich daran, sein Filmprojekt, dem Blasphemie vorgeworfen wird, zu bewerben, und begibt sich zu diesem Zweck in die Fernsehtalkshow von Ted Younger (Forest Whitaker). Dieser führt in seiner Sendung regelmäßig Interviews mit Gästen zu religiösen Fragestellungen. Doch angesichts der Arroganz des sich als leidender Gottesknecht präsentierenden Regisseurs verliert er seine Beherrschung; als Childress sagt: "Ich werde ans Kreuz genagelt - die ganze Gesellschaft wird ans Kreuz genagelt", will er dieses Pauschalisierung nicht durchgehen lassen.

Ted Younger gibt sich zunächst als interessierter Skeptiker, er kommt gut an in den Medien, liebt seine Frau, die das erste gemeinsame Kind erwartet und betrügt sie mit einer Arbeitskollegin. Gerne würde er zur Sendung über den umstrittenen Jesusfilm neben dem Regisseur auch die Hauptdarstellerin einladen; doch bleibt der Kontakt auf Telefongespräche zwischen New York und Israel beschränkt. Schließlich ruft der smarte Talkmaster, dessen Leben gerade zerbricht, als die Frau mit dem zu früh geborenen Kind ins Krankenhaus eingeliefert wird, Marie Palesi verzweifelt an, um von ihr zu erfahren, was er tun soll. Sie rät ihm dazu, sich an Gott zu wenden.

Das Jesusgeschehen wird „gleichzeitig“, wenn die Filmausschnitte des Films „This is My Blood“ in die gegenwärtige Handlung eingeschnitten werden. Die Botschaft wird gegenwärtig, so, wie die Maria-Magdalena-Darstellerin Marie Palesi ihre Rolle als Führerin in ein neues Glaubensverständnis erlebt. Das Erleben beider – Palesis Erfahrung mit einem Bombenattentat in Jerusalem, Youngers Erfahrung mit der Krankheit und dem drohenden Tod seines neugeborenen Sohnes – wird durch Montage als Parallele gezeigt. Die Gefahr und die Einsicht in eigenes Verschulden öffnet Younger für das Gespräch mit Gott. Dieses wurde vorbereitet durch das letzte Telefongespräch mit Palesi, die die Geschichte zwischen (Gott-)Vater und Sohn für den zunächst Ungläubigen aufschlüsselt. Younger erkennt nach einem intensiven, im Film sehr ausführlich gezeigten Gebet in einer Kirche angesichts des Kreuzes, dass Gott seinen Sohn für die Menschen geopfert hat - und also den Verlust selbst erlitten hat, den Younger gerade befürchtet.

Maria und nicht Jesus ist in diesem Film die Jesusfigur, der „Jesus incognito“. Die Botschaft bleibt lebendig, weil es auch in der Gegenwart immer neue Botinnen und Boten gibt, die das Geschehen aktualisieren. Der in historischem Gewand daherkommende Jesusfilm im Film wäre trotz seiner (apokryphen) Vorlage wenig revolutionär, würde das Potential nicht für heute zumindest andeutungsweise – durch Brechung – aufgeschlossen. So stellt der Film zugleich eine Abrechnung mit dem Genre der Jesusfilme dar, besonders mit sich historisch gebärdenden Vertretern wie „Die Passion Christi“. Auch das große mediale Getöse um Mel Gibson wird kommentiert, wenn  nach einer Bombendrohung in einer Szene Spezialeinheiten einen Kinosaal durchsuchen, während über ihren Häuptern Bibelszenen über die Leinwand flackern. Ein großer Schlussmoment ist die Szene, als der Regisseur Childress als einziger von der Vorführkabine aus den Film im geräumten Kinosaal laufen sieht – und „seine“ Maria zu ihm von der Leinwand aus spricht und er die Botschaft dieser Frau versteht, die sich von ihm gelöst hat und wie der Film selbst nun einen ganz eigenen Weg geht. Die Botschaft klingt einfach und enthält das Schwerste: Du musst dein Leben ändern!

Abel Ferrara stellt in seinem Film eine ungewöhnliche Maria-Magdalena-Figur vor. Er bedient sich dazu des Evangeliums von Maria Magdalena, das, wie das ebenfalls gnostisch inspirierte Thomas-Evangelium, keinen Eingang in die kanonischen Schriften des Neuen Testaments gefunden hat. Es schildert Marias Auseinandersetzungen mit den Jüngern, vor allem mit dem eifersüchtigen Petrus, der erster aller Jünger sein wollte und nicht akzeptierte, dass Jesus einiges nur einer Frau anvertraut haben sollte.

Einige Textpassagen aus dem Evangelium nimmt der Film auf. „… Der Sohn des Menschen ist inwendig in euch. Ihm sollt ihr nachgehen! Wer ihn sucht, wird ihn finden.“ Im Film versucht Maria, den Jüngern zu sagen, was Jesus ihr mit diesen Worten anvertraut hat und was damit gemeint ist; Petrus aber entgegnet: „Sollte er tatsächlich mit einer Frau allein gesprochen und uns ausgeschlossen haben? Sollten wir ihr etwa zunicken und alle auf sie hören? Hat er sie uns vorgezogen?“

In dem Film geht es darum, das Geschehen um Jesus, den Anspruch seiner Botschaft heute wieder gegenwärtig zu machen und der Stimme einer Frau Gehör zu verleihen, die ihre Sicht einer frohen Botschaft vermittelt. Ferrara zeigt Maria Magdalena dabei weder als Sünderin noch als Büßende, sondern als einen Menschen auf der Suche, der etwas findet, was seinem Leben wieder Richtung und Sinn verleiht und diese Erkenntnis weiterzugeben versucht.

Zum Schluss: Was also ist blasphemisch?

Der Blasphemie-Vorwurf, der im Film gegen den historizierenden Jesusfilm gerichtet wird, bliebt schwer nachvollziehbar. Doch die Mechanismen, die ein solcher Vorwurf nach sich zieht, werden deutlich gezeigt. Lästerlich findet dann auch der Talkmaster nicht den Film, sondern das Verhalten des arroganten Filmemachers und dessen Umgang mit seinen SchauspielerInnen. Für manche Zuschauenden mag es schwierig erscheinen, einen Menschen (wenn auch einen Schauspieler) bei einem so intensiven Gebet zu beobachten.

Es bleibt festzuhalten: Als blasphemisch wird etwas empfunden, was "Heiliges" in mir berührt, etwas angreift, was "mir heilig ist".  Dabei können kaum für eine ganze Gesellschaft die Dinge festgeschrieben werden, die ihr "heilig" sein sollen. Die Grenze liegt jeweils dort, wo Menschenrecht, wo Menschenwürde angegriffen wird. (In diesem Sinn wäre eine Untersuchung interessant, die sich mit sog. Torture-Porn-Filmen auseinandersetzt, die den Leib, jenen "Tempel des Heiligen Geistes" in allen möglichen Stadien der bewussten Zerstörung zeigen[7]).

Blasphemisch wäre auf jeden Fall auch eine Trivialisierung des Heiligen zu nennen, in allen möglichen Spielarten wie Verkitschung etc.  Darunter könnten sowohl einige Bibelverfilmungen fallen (die wie soap operas daherkommen) als auch derzeit gängige religiöse Lebenskunst-Bestseller, aber das muss von Fall zu Fall entschieden werden. Generalverdammungen sind nie hilfreich.

Anmerkungen

[1]    Martin Mosebach, Vom Wert des Verbietens, in: Berliner Zeitung vom 18.6.2012, entnommen unter http://www.berliner-zeitung.de/kunst/kunst-und-religion-vom-wert-des-verbietens,10809186,16414828.html am 9.10.2013. Eine kritische Stellungnahme von vielen: Alexander Margiuer, Die Religionspolizei, in: Cicero, Magazin für politische Kultur, vom 27.6.7.2012, unter http://www.cicero.de//berliner-republik/deutschlands-religionspolizei/49843, entnommen am 9.10.13

[2]    Vgl. Christian Danz, Soll man Blasphemie bestrafen? in: Dt. Pfarrerblatt 9/2013, 508-511, 508

[3]   Fjodor Dostojewskij, Der Großinquisitor, Anaconda 2007, 32f

[4]    In dem Dokumentarfilm "Jesus Christ Moviestar. Der Heiland im Kino", Harvey Cox, USA 1992, ausgestrahlt vom NDR 1993 in deutscher Synchronisation.

[5]    Wikipedia zu "Leben des Brian: "Die Satire zielt auf den Dogmatismus religiöser und politischer Gruppen. Insbesondere christliche, aber auch jüdische Vereinigungen reagierten mit scharfen Protesten auf die Veröffentlichung. Die folgenden Aufführungsboykotte und -verbote in Ländern wie den USA, Großbritannien oder Norwegen fachten die Kontroverse um Meinungsfreiheit und Blasphemie weiter an. Obwohl der Vorwurf der Blasphemie von praktisch allen Seiten entkräftet wurde, ist die Satire nach wie vor bei strenggläubigen Christen umstritten und gilt aufgrund ihrer rezeptionsgeschichtlichen Bedeutung als Paradebeispiel für die Reibungspunkte zwischen künstlerischer Meinungsfreiheit und Religionstoleranz", entnommen am 11.10.13 unter http://de.wikipedia.org/wiki/Das_Leben_des_Brian.

[6]    Lexikon des Internationalen Films, am 11.10.2013 entnommen unter http://www.zweitausendeins.de/filmlexikon/?wert=2099&sucheNach=titel

[7]    Siehe dazu: Stefan Geil, Torture Porn - Die Renaissance des Folterns, in: Inge Kirsner/Michael Wermke, Passion Kino. Existentielle Filmmotive in Religionsunterricht und Schulgottesdienst, Göttingen 2009, 121-135. Stefan Geil setzt sich hier v.a. mit  "Passion Christi" von Mel Gibson auseinander.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/87/ik11.htm
© Inge Kirsner, 2014