Oktober 2013

Liebe Leserinnen und Leser,

in seinen Theses upon Art and Religion today schreibt Theodor W. Adorno in der Mitte der vierziger Jahre über eine bestimmte sich religiös gebende Literatur:

It glorifies religion because it would be so nice if one could believe again. Religion is on sale, as it were. It is cheaply marketed in order to provide one more so-called irrational stimulus among many others by which the members of a calculating society are calculatingly made to forget the calculation under which they suffer. This consumer's art is movie religion even before that industry takes hold of it.
[Sie glorifiziert Religion, weil es so schön wäre, wenn man wieder glauben könnte. Religion gleichsam als Warenartikel. Sie wird billig vermarktet, um einmal mehr einen sogenannten irrationalen Stimulus unter vielen anderen zu liefern, mit dem die Mitglieder einer berechnenden Gesellschaft berechnend dazu gebracht werden, die Berechnung unter der sie leiden zu vergessen. Das ist Religion a la Hollywood, noch bevor die Film-Industrie sich hier engagiert hat.]  

Inzwischen ist aber die Kirche in ihrem unstillbaren Verlangen nach allgemeiner Aufmerksamkeit noch viel tiefer gesunken. Nun meint man, sich der Schlagermusik anbiedern zu müssen. Waren die diversen Traum- und Rosenkirchen auf den Hessentagen schon ein Tiefpunkt in der Geschichte des Protestantismus, so geht es nun radikal bergab. Das Evangelium des gekreuzigten und auferstandenen Christus wird nun mit jenen verkündet, bei denen die kapitalistische Berechnung bis in jede einzelne Note und Textzeile hinein spürbar ist und die mit ihrer Soße den größten gemeinsamen gesellschaftlichen Nenner suchen: die Dummheit. Es begann schon mit dem Kulturpapier der EKD und wenn es so weiter geht, führt die evangelische Kirche demnächst missionarische Kaffeefahrten mit Evangeliums-Verkaufsveranstaltung ein. Aber es sollte, ja es darf nicht so weiter gehen. Es reicht, wenn die andere Konfession sich an Herzergießungen eines kitschliebenden Klosterbruders ergötzt. Der Protestantismus muss sich auf seine Werte besinnen, die einmal an Vernunft und Bildung orientiert waren. Mehr dazu finden Sie in unseren Aufruf „Gegen fromm polierte Schnulzen“.


Das aktuelle Heft des Magazins für Kunst | Kultur | Theologie | Ästhetik hat ein breites Spektrum und umfasst mehr als 100 Seiten. Unter VIEW finden Sie zunächst Reflexionen zum Zusammenhang von Film, Zeit und Religion von Jörg Herrmann. Von Harald Weiß kommen Reflexionen über Religionskritisches und Medienreligiöses in den Filmen Clint Eastwoods. Hans-Jürgen Benedict steuert zwei Hauptbeiträge bei: Reflexionen zur Aktualität von Dostejewskijs Großinquisitor und literarische Reisereflexionen aus Luzern.

Unter RE-VIEWs gibt es von Marco A. Sorace eine Besprechung der umstrittenen Beuys-Biographie, von Wolfgang Vögele Annäherungen an den neuen Roman von Daniel Kehlmann,  von Hans-Jürgen Benedict Skizzen zu einer Literaturlesung von J.M. Coetzee sowie diverse Besprechungen und Vorstellungen von Andreas Mertin.

Unter POST stehen zwei Beiträge: Andreas Mertin setzt sich mit dem Trend zu kirchlichen Kunstpreisen auseinander und stellt verschiedene Videoclips unter dem Stichwort „Ein Vierteljahrhundert“ Zeitgeschichte vor.

Wir wünschen eine angenehme und erkenntnisreiche Lektüre!


Andreas Mertin, Jörg Herrmann und Horst Schwebel