Sicherheit und Wagnis

Der Container als künstlerisch-philosophisch-theologisches Konstrukt

Matthias Giesel

In unserer heutigen, von Effizienz und gleichzeitig Mobilität geprägten volltechnisierten, unglaublich schnelllebigen Zeit ohne Netz und doppelten Boden werden Inseln subjektiver Erkenntnis im Strom der (Ir-)Realität[1] immer wichtiger, welche auch in individuellen, persönlichen Phasen von Not, Kummer, Vereinzelung und Bedrängnis halten und tragen. Für diese Inseln können als Wirkungszentren schützende Sphären von Belang sein, die Wissen bewahren, im Diskurs Positionen klären, Freiräume entwickeln und so mögliche Grundlagen für neue Denkprozesse eröffnen.

Gleich eines schützenden ´Containers´ auf einem Schiff mit vielen unterschiedlichen Gütern, mit dessen pflegender Umhüllung die wertvolle Fracht durch Stürme und Fluten des Meeres unbeschadet hindurchgeleitet wird, scheinen daher gefestigte, sichernde Konstrukte einer „Fern-, Rund- und Rücksicht[2] bedeutsam, die sich gleichzeitig jederzeit gegenüber schwankenden Wellentälern und peitschenden Winden, die in alle Richtungen am Schifflein zerren, zu beweisen haben:

Denn welche Ladung, fragt man sich, ist im Container enthalten? Was wird zusammengehalten? Wohin bewegt sich die Fracht? Welchem Ziel steuert das Schiff entgegen? Wer steht am Steuerrad und übernimmt in der Verantwortlichkeit seiner eigenen Person als ´Antwort-geben-dürfen´ (gegenüber wem?) die Legitimation eines guten und behüteten Fortkommens, wenn, wie in Kafkas berühmter Parabel Fremdes, Dunkles[3] aus dem Inneren des Schiffchens heraus einen Richtungswechsel anstrebt und in die Speichen des Steuerrades zu greifen beabsichtigt?

„Hält der Inhalt auch, was die Verpackung verspricht?“ würde B. Beuscher daher vermutlich an dieser Stelle ganz zu Recht fragen. Vielleicht lockert der Container durch Besonderheit und Beschaffenheit seines Inhaltes vorgefertigte, festgefügte, schubladenartig platzierte Sichtweisen, „ent-täuscht heilsam“[4] und überrascht vielleicht zugleich, indem er durch seine in sich bergenden wertbeständigen, künstlerisch-vielfältigen ‚Produkt-Konstellationen‘ neue Sichtweisen und Erkenntniswerte schafft und damit festgefahrenes Wissen positiv gesehen ein Stück weit ent-sichert, neu arrangiert und auslegt. Daher bezeichnet man den Container „heute besonders im technischen Sinn“ nicht umsonst als eine Vorrichtung, „mit der etwas gesichert“, aber auch „im Notfall blockiert“[5] und damit Raum für Neues geschaffen wird.

So fungiert er gleichsam als progressiver[6] Bewahrer kunst- und religionswissenschaftlicher Prozesse und verknüpft mit diskursiver Größe und Exaktheit sprachphilosophische Diskurse mit der ‚Güte und Barmherzigkeit‘[7] hell leuchtenden Sonnenlichts theologischer-phänomenologischer Einschätzung und anschließender Auslegungshermeneutik, welche so viele in konfessionell-kultureller[8] Weite geöffneter Luken und Fenster eines jeden Winkels verschiedenartigster Containerbereiche und -inhalte mit Licht durchflutet und die einladenden Balkone mit Helligkeit aufnehmenden geöffneten Fenstern als Gnade einer Theologie der Freiheit begreift[9], wie Abb.1 eines kunstvoll arrangierten Containerwohnhauses symbolisch verdeutlichen möchte:

Abb.1[10]

Insofern stellt sich der im Theomag jährlich erneuernde Container abstammend vom lateinischen ‚continere‘ als für mich persönlich im positiven Sinne mit einer immensen Bedeutungsvielfalt verknüpfter Terminus dar, welcher lexikalisch-brainstormartig z.B. ein „Zusammenhalten, Festhalten, im Gange halten, Behalten, Beieinanderhalten, Aufrecht- und Innehalten, Umfassen und Aufbewahren[11] in sich trägt und in Verbindung mit einer der zahlreichen Ableitungen des nachklassischen lateinischen Verbs continor als ´jemandem begegnen´, ´sich treffen´[12] hinsichtlich Interaktionen zwischen diskurswilligen Subjekten charakterisiert werden kann.

Dabei kommt es in der heutigen Welt individualisierter Überkompensation in menschlichen, allzu menschlichen[13] Kontexten natürlicherweise oftmals auch zur Sprachlosigkeit des Vergessens, welche den Nächsten „nicht nur verlustig, sondern gar zum strategisch-instrumentellen Element der eigenen Autonomiekompetenz werden“[14] lassen möchte. Insofern gibt H. Burckhart an dieser Stelle zu bedenken, dass die Gefahr besteht, dass „der Orientierungsverlust der Gegenwart nur ein gigantisches Sich-nicht-mehr-Verstehen oder -verständigen-Können über oder wegen zu viel Identität als Autonomiekompetenz“[15] darstellen könnte, welches sich nur noch als „strategisch-orientiert“ etabliert und daher als letzte Hoffnung überwunden bzw. als „unabdingbares Selbstverständnis“ wenigstens „zu überwinden gesucht[16] werden müsse. Auch F. Nietzsche betont in diesem Zusammenhang die grundlegende Beschaffenheit von Redevorgängen hinsichtlich ihrer Bedeutsamkeit darin, dass man nur an derjenigen Stelle „reden soll, wo man nicht schweigen darf; und nur von dem reden, was man überwunden hat, alles Andere“ sei „Geschwätz“ und „Mangel an Zucht“[17] und könnte einem heutigen, talkshowartigen Selbstoffenbarungszwang entgegenstehen.

Bei der Analyse von Ergebnis- und Erkenntnisgewinnung systematischer Prozesse kommt es demnach auf die Überwindung an, wobei auch der auf ein Ziel hinführende Prozess von Bedeutung ist, wie in Offenbarung betont wird, „Wer überwindet, der wird es alles ererben“[18]. D.h. nicht, wer überwunden hat, sondern wer überhaupt Willens und Glaubens ist, die Kraft und damit positive Bereitschaft zur Überwindung aufzubringen, wird unter sprachlich-diskursivem Blickwinkel in Aussicht und Rückblick einer „Zeit, der Genesung, der Ferne, der Distanz“[19] zum Ziel gelangen.

Im Sinne philosophischer Wagnisse schafft der Container daher positive interaktionistische Räume der Begegnung mit lebenswichtigen Diskursen. Da der Mensch ein auf Kommunikation angelegtes sprachlich-erkennendes Wesen ist, kann er niemals ´nicht´ kommunizieren (H. Burckhart), sondern ist darauf angewiesen, sich bei allen künstlerisch-theologischen Erkenntnisprozessen immer wieder seiner in der philosophischen Wissenschaft bei vielen Diskursen erörterten Sprachlichkeit, die auf seine Nächsten hin angelegt ist, zu versichern.

Dabei basieren auch in der Theologie so immens bedeutsame moralisch-ethische-erkenntnistheoretische Aspekte auf unabkömmlicher Sprachgestaltung als diskursethischem Konstrukt[20], bei denen alle diejenigen kommunikativ-interaktiven Anteile, die Subjekte an Erkenntnisleistungen vorweisen, austauschen und diskutieren bedeutsam für jegliche Erkenntnisgewinnung und -gewissheit sind, nach I. Kant als „größtes Mittel, sich selbst und andere zu verstehen.“[21]

Dies führt in einem eindeutigen Gegensatz zur heutigen Sprachlosigkeit zur „regulativen Idee unbegrenzter Verständigungsgemeinschaft“[22] mit dem reinen und klaren Willen freiheitlich-interaktionisch-diskursiver Weltgestaltungsambitionen, welche als transzendentales Element in einer Autonomie der Konzeption und Gestaltung von Wert und Würde dialogisch-diskursiv verfassten Menschseins auch in theologischen Zusammenhängen im Diskurs entwickelte Ethiken bedeutsam werden lassen: und zwar in einer intrinsischen Intersubjektivität, die mit ihrer vernunftbefähigten Kompetenz in der Pflicht zur „diskursiven Dialogizität“ die Schaffung und Bewahrung von „Mitverantwortung, Toleranz und Gerechtigkeit“ (H. Burckhart) und darin begründeter Würde betonen möchte.

Nicht umsonst verweist I. Kant in seinem Nachlass noch einmal in grundlegender Weise und mit Nachdruck darauf, dass „der höchste Standpunkt der menschlich-praktischen Vernunft ein Bestreben des Wissens zur Weisheit“[23] sei, bezweifelt aber gleichzeitig, ob es ein menschliches „Wesen von solchem Range gäbe“ und, wenn man davon ausgeht, „hiervon eine <ganze> Spezies gedacht werden könne oder der Weise einzig sei“[24] und folgert daher gleichsam als Wegbereiter der später entwickelten Diskursethik:

„Da aber weise zu sein das menschliche Vermögen übersteigt und nur Gott <allein> (...) weise ist, so ist Weltweisheit eine solche, welche dem Menschen angemessen, ein Analogon der Weisheit ist und nichts anderes als wahre echte Liebe zur Weisheit.“[25] und ein damit verbundenes Ringen im Diskurs um ethisch-moralisch verantwortbare Wege oder, wie M. Käßmann jüngst theologisch treffend titelte, als „protestantischer Streit um die Wahrheit“[26] innerhalb der jeweiligen Verständigungsgemeinschaft durch praktische Vernunft als höchstes gottgegebenes Gut, das es zu erhalten und zu bewahren gilt.

Dabei zieht I. Kant gleichsam als ´messerscharfes´ Resümee einer ausschließlich auf menschlichen Grundsätzen basierenden Vernunftsdefinition den Schluss, dass sein Konstrukt moralisch-praktischer Vernunft dem Menschen letztlich (nur) die Wahl lasse, sich entweder „zu verdammen“, d.h. selbst anzuklagen oder „zu entschuldigen“[27], unterstellt es höheren theologischen Bedeutungszusammenhängen einer Idee von „Gott als lebendigem“ und wahrhaft existentem Gott, der als „Schicksal“ „dem Menschen unausbleiblich“ bevorstehe[28] und belegt damit als unabdingbares Selbstverständnis einer bei P. Tillich weiter ausdifferenzierten Religionsphilosophie die enge Verzahnung von Philosophie und Theologie.

Nietzsche hingegen bringt sprachlich vorsichtiger immerhin noch die Begrifflichkeit „des Verzeihens“ gleichsam als spätere Gnade ins Spiel werthaft-moralischer Interessengemeinschaft subjektiv rekapitulierten Mensch-seins und entfaltet so, wenn auch unbeabsichtigt, den theologisch-vorurteilsloseren Geist des Aufatmens und der Befreiung, wenn er in jüngeren Jahren noch unbeschwert dichtet:

Schön ist´s, mit einander schweigen,
Schöner mit einander lachen
“ (...)
Kein Entschuld´gen! Kein Verzeihen!
Gönnt ihr Frohen, Herzens-Freien
Diesem unvernünft´gen Buche
Ohr und Herz und Unterkunft
Glaubt mir Freunde, nicht zum Fluche
Ward mir meine Unvernunft!
(...)
Lernt aus diesem Narrenbuche,
Wie Vernunft kommt - ´zur Vernunft´!
[29] -

Solcherlei verschiedenartige Schätze könnten in einem Container lagern, der mit seinem freien, interdisziplinären, ´lebensweisen´[30] Geist des „Gefühls und Mitgefühls“[31] auch gleichzeitig das „soziale“ rahmengebende Format und konstruktive Element der „Förderung und Bewahrung von Dialog- und Autonomiekompetenz“ einer „verständigungsorientierten Kommunikationsgemeinschaft“[32] unterstreicht.

So werden im Container des Theomag hohe religionsphilosophische Güter als Kleinode kulturell wertvoller künstlerisch-ästhetischer Prozesse gewagt (und) arrangiert und damit auch Fragestellungen und Erfahrungen theologischer Gestaltungsformen unter literarischem und künstlerischem Blickwinkel vorgestellt, (auf-)bewahrt und zugleich diskutiert, deren Blickrichtungen, wie Gründer und Herausgeber A. Mertin so eindrucksvoll verdeutlicht, darauf fokussieren, an welcher Stelle Theologie für uns heute in „lebendigen gegenwartsrelevanten Aussagen“ „geistesgegenwärtig“[33] werden kann.

Dabei ist unter „religiöser Perspektive“[34] ein „erkenntnisproduktiver Umgang mit der pluralistischen zeitgenössischen Kultur“, z.B. in Form eines „Kunstwerkes oder Literaturstückes“, von Bedeutung, welches „ebenso einen eigenen Wahrheitsanspruch“ „wie eine religiöse Aussage“[35] besitzt. Daraufhin wird sodann ein wissenstheoretischer „ästhetischer Prozess“ in den Fokus genommen, um als mögliche „religiöse oder theologische Deutung“, in einer „Unterbrechung der ästhetischen Erfahrung“, als Auslegungsmöglichkeit durch „theologische Hermeneutik“ „Erkenntnisse für die Theologie zu gewinnen“[36].

Insofern trägt die heutige Ausgabe des Theomag als eines der größten theologischen Internet-Magazine ganz zu Recht alle Jahre wieder und immer wieder neu den Titel ´Container´ und sollte hiermit in diesem Zusammenhang als eigene wertvolle Gattungsform etabliert und gewürdigt werden.


Anmerkungen

[1]    vgl. K. Reich, Die Ordnung der Blicke, Perspektiven eines interaktionistischen Konstruktivismus, Band 1: Beobachtung und die Unschärfen der Erkenntnis, 2.völlig überarb. Aufl., online, http://www.uni-koeln.de/hf/konstrukt/reich_works/buecher/ordnung/ band1/reich_ordnung_band_1.pdf, 28f, Internet 2012.

[2]    Duden, Das Herkunftswörterbuch, Nachdr. der 2.Aufl., Mannheim 2007, 673.

[3]    F. Kafka, Der Steuermann, www.google.de, Internet 2012.

[4]    B. Beuscher, Keine Zukunft für Illusionen, Heilsame Enttäuschungen in Theologie und Psychoanalyse, Marburg a.d. Lahn 1987, 21ff.

[5]    Duden, Das Herkunftswörterbuch, a.a.O., 673.

[6]    progressiv aus dem Französischen im Sinne von ´sich entwickelnd´, ´fortschrittlich´, Duden-Bibliothek, Internet 2012, A.d.V.

[7]    Vgl. Psalm 103.8, „Barmherzig und gnädig ist <Gott>, der Herr, geduldig und von großer Güte.“, Lutherbibel, Historische Fassung, Köln 1912, 627, A.d.V.

[8]    vgl. in diesem Zusammenhang das Impressum des Theomag, www.theomag.de/info/ impressum.htm, 2. Absatz, Internet 2012.

[9]    Für weitergehende theologische Ausführungen vgl. K.v. Stosch, Freiheit als theologische Basiskategorie, www.google.de, Internet 2012, bzw. M. Luther, Vom unfreien Willen, München 1940.

[10]   Shipping Container Architecture, www.google.de, Bilder, Internet 2012.

[11]   vgl. dazu LateinWiki, www.lateinwiki.org/continere, Internet 2012, 1.

[12]   vgl. Pons - Das Sprachenportal, de.pons.eu/latein-deutsch/continor, Internet 2012, 1.

[13]   vgl. F. Nietzsche, Menschliches, Allzumenschliches, Bd. 1 und 2, Berlin 1967.

[14]   H. Burckhart, Nichthintergehbarkeit und Unverzichtbarkeit einer diskursethischen Begründung von Moral, de.wikipedia.org/wiki/Holger_Burckhart, Internet 2012, 1.

[15]   Ebd.

[16]   ebd., 87.

[17]   F. Nietzsche, Menschliches, Allzumenschliches, a.a.O., Bd.2, 3.

[18]   Offenbarung 21.7, Lutherbibel, a.a.O., 326.

[19]   F. Nietzsche, Menschliches, Allzumenschliches, a.a.O., 3.

[20]   vgl. z.B. Johannes 1.1 u. 3: “Im Anfang war das Wort“ und „alle Dinge sind durch dasselbe gemacht, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist.“, Lutherbibel a.a.O., 127.

[21]   I. Kant in: R. Eisler, Kantlexikon, 4. unveränd. Nachdr., Hildesheim 1994, 506.

[22]   H. Burckhart, Nichthintergehbarkeit und Unverzichtbarkeit einer diskursethischen Begründung von Moral, a.a.O., 38.

[23]   I. Kant, Die drei Kritiken - Eine kommentierte Auswahl, unveränd. Neudruck, 11. Aufl., Stuttgart 1993, 498.

[24]   ebd.

[25]   ders.

[26]   M. Käßmann im Vorwort der Zeitschrift ´idea Spektrum´, Nr. 45, November 2012, 3.

[27]   I. Kant, Die drei Kritiken - Eine kommentierte Auswahl, a.a.O., 497.

[28]   Ebd., 499.

[29]   Auszüge, Gedicht, Unter Freunden, ein Nachspiel, F. Nietzsche, Menschliches, Allzumenschliches, a.a.O, Bd.1, 379ff. Es wird empfohlen, das gesamte Gedicht, das hier der Kürze halber nur in wenigen markanten Versen zitiert wurde, zu lesen, A.d.V.

[30]   F. Nietzsche, Menschliches, Allzumenschliches, a.a.O., Bd.1, 13.

[31]   Ebd.

[32]   H. Burckhart, Nichthintergehbarkeit und Unverzichtbarkeit einer diskursethischen Begründung von Moral, a.a.O, 86.

[33]   A. Mertin, Sich auf der Höhe der Kunst ihrer Herausforderung stellen, Interview, www.google. de, Internet 2012, 1.

[34]   ebd.

[35]   ebd.

[36]   ebd., 2.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/80/mg5.htm
© Matthias Giesel, 2012