Tee am Fujiyama

Stichworte zur Malerei von Kazuo Katase aus den letzten drei Jahren

Barbara Wucherer-Staar

Für ihn ist es die Verbindung zwischen zwei Kontinenten - Japan und Europa, wie er sie immer wieder in seinen Fotografien, Skulpturen, Licht-Installationen und Projekten formuliert, seit er 1975 nach Deutschland übersiedelte: „Meine Existenz lässt Licht und Schatten tanzen. Mit den Augen denken.“ Der, der das sagt, Kazuo Katase, (*1947 in Shizuoka, Japan) bezieht in seinen erweiterten Kunstbegriff die Erlebniskraft mit ein; er nahm teil an den documenta-Ausstellungen 9 und 11, ist Träger des Otto-Ritschl-Preises. Sein Inselprojekt „Frosch + Teemeister“ zum Ruhr-Atoll auf dem Baldeney-See im Kulturhaupstadtjahr 2010 zeigt seine einfache, selbstverständliche Auseinandersetzung mit der Philosophie, Religion und Literatur Japans und Europas. Seine dreiteilige Skulptur-Installation „Lichtfossil“ (2010) am Stadteingang Bottrops an der Essener Straße oder sein Beitrag Helle Kammer Schwarzer Berg (Lünen, 2010) auf der 1. Internationalen Biennale für Lichtkunst nehmen in anderer Form ebenso Bezug auf die Industrie-Region.

Erstmals außerhalb Japans zeigt das Josef Albers Museum Quadrat in seiner klug konzipierten Reihe „Josef Albers im Kontext“ eine beeindruckende, meditative Schau seiner Pastellarbeiten auf großen, schweren Papierbögen aus den letzten drei Jahren. Diese Serien konzentrieren sich in unglaublicher Finesse auf zwei Motive: auf den Berg Fujiyama und vor allem auf eine Teeschale, ein Alltagsobjekt, wie es in Japan für die traditionelle Teezeremonie üblich ist. So wie Albers in der strengen Form des Quadrats seine Farben entwickelt hat, sind für Kazuo Katase Teeschale und Fujiyama Medium für die Entfaltung einer malerischen Äußerung - für die Entwicklung der Farbe und ihres Auftrags, sagt Museumsleiter Liesbrock. Ebenso verbinde die serielle Aneinanderreihung gleicher Motive beide Meister.

Ein Höhepunkt äußerster Klarheit.

Zeigt seine Arbeit „Trink eine Schale Tee“ (Furka-Paß Schweiz, 1987) eine große Schale inmitten eines ausgetrockneten Wasserreservoir auf dem Furka-Paß, konzentriert sich die Schau heute auf 26 gleich große querformatige Pastellarbeiten mit je einer Schale - nach Vorlage oder aus dem Gedächtnis mit trockenen Pastellfarben intuitiv mit den Händen gemalt: in Rot, Gelb oder Blau, monochrom oder gemischt, auch mit Schwarz und Weiß, klare Formen vor unterschiedlich vagen - vielleicht mit Himmel und Wolken assoziierbarem –Grund: in blau, blau-weiß, gelb, grau u.a. zarten Tönen.

Zentral im Oberlichtsaal des Museums findet sich ein beeindruckender Dialog zwischen einer Serie dieser Schalen-Bilder an drei Wänden, je einem der Quadratbilder von Albers in zurückhaltenden Farben seitlich an den beiden Durchgängen sowie drei Masken aus dem japanischen No-Theater vor dunkelgrauem Grund der vierten Wand.

Seine künstlerische Strategie: Licht und Schatten, Positiv und Negativ, Innen und Außen, Hülle und „erfüllte Leere“ („Kern“) findet sich ebenso in einer überdimensionalen Schalen-Skulptur inmitten des Raumes als auch transponiert in die scheinbar vor dem Bildgrund schwebenden, harmonischen, schlichten - poetischen - Schalen. Jede in einer anderen Farbe und vor anderem Hintergrund.

Eine Gelbe Schale, 24.3.2012, changiert in der Mitte ins Bläuliche, das sich auch im Hintergrund oben in der Bildmitte findet, ähnlich wechselt eine Blaue Schale, 20.3.2012 ins Gelb-gewölkte; die gelbe Form könnte als ein im Himmel schwebendes Gefäß gesehen werden, die blaue als ein Licht-Form-Ereignis. Andere - wie eine Rote Halbkugel - Schale, 28.5.2012 - zeichnen sich klar konturiert vom grau-getönten Bildgrund ab, wie beleuchtet ist sie in hellere und dunklere Licht-Schatten-Zonen moduliert. Ebenso verfährt er bei der blauen Schale, 30.5.2012.

„Die Schale“, so Heinz Liesbrock „versinnbildlicht die im Zen Buddhismus beheimatete Vorstellung der erfüllten Leere. In der vollen Gegenwart der Dinge werden (… diese Schalen … ) zugleich ungreifbar, verwandeln sich in eine geistige Erscheinung.“

Ein wesentlicher Unterschied zum Design ist Katases einfaches, in seinen Fotografien praktiziertes Verfahren von positiv-negativ-Umkehrungen: statt eines Schattens eine helle Stelle am Boden jeder Schale. Ein etwas höherer hinterer Rand, wie in minimaler Aufsicht, hielte man die Schale in den ausgestreckten Händen, macht gerade im Vergleich mit der stehenden Schalen-Skulptur im Raum, um die man herumgehen und in die man hineinsehen kann deutlich, wie das Schalen-Objekt einen eigenen Raum in einem eigengesetzlichen, assoziativ aufgeladenen Bild gewinnt.

Ablauf in der Zeit

Ideell fließen mehrere Facetten in seine Arbeit ein. Katase, der sagt, er habe Deutsch gelernt, um Philosophen wie Martin Heidegger oder Georg Friedrich Wilhelm Hegel im Original zu lesen nimmt Bezug - wie viele Künstler in der Kunst nach 1945 - auf Heideggers existentialphilosophische Schrift „Sein und Zeit“, ebenso wie auf die Zen-Philosophie. Es finden sich Anklänge an die Auffassung des traditionellen japanischen No-Theaters von Stille, wo Kunst und Leben mit sehr wenig Gesten ausgedrückt werden: die beeindruckenden No-Masken an der Seitenwand sind so gestaltet, dass mit einer Maske aus unterschiedlichen Blickwinkeln heraus unterschiedliche Emotionen gezeigt werden können. Auch, so mehrere Autoren, gebe es Bezüge zu einer romantischen Weltsicht, dem Streben nach Weisheit, dem Unendlichen, der Sehnsucht, wie es in einem zentralen Symbol, der Suche nach der blauen Blume, zum Ausdruck kommt.

Albers´ Farbenlehre und dessen künstlerische Strategie - „to open eyes“ (das Sehen soll aktiv und achtsam werden) – basiere darauf, so Liesbrock, dass Farbe für ihn das relativste Medium sei. Immer wieder neu erkunde er, wie eine Farbe sich im Wechsel mit ihren Nachbarfarben verändert. In seiner nahezu vollkommenen Reihe der übereinandergelegten Rechtecke von „Hommage to the Square“ setzt er die Farbe klar voneinander ab, nimmt alles Handschriftliche zugunsten eines handwerklichen, regelmäßigen Farbauftrags zurück, stellt ungewöhnliche Farbkombinationen nebeneinander.

Ebenso zielt Katases Strategie auf ein unvoreingenommenes, intensives und konzentriertes Schauen ab. Er macht Prozesse des Sehens, Abläufe in der Zeit, Veränderungen im Raum durch seine intuitive, meisterhafte Malweise mit den Händen zum Ereignis. Um ein ständiges Verändern des Sehens ein und desselben Objektes zu unterstreichen, dafür stehen nicht nur die Umkehr von Positiv und Negativdarstellungen mit vertauschten Licht- und Schattenbildungen wie in der Fotografie, dafür stehen auch Katases Datierungen jedes fertigen Schalenbildes, vergleichbar den konzeptuellen Datumsbildern von Roman Opalka oder Hanne Darboven.

Illusion von Gegenwart

Beide - Katase und Albers – finden durch sachlich klare, von der Natur unabhängige Ordnungen ruhige und dennoch sehr lebendige Formen für eine „Meditation des Sehens“. Sie überlassen es dem Betrachter, den Dialog mit dem Bild zu aktualisieren, wenn sich nach längerem Schauen die Farben verändern, die jeder in Nuancen unterschiedlich wahrnimmt oder wenn die Formen im Bild zu schweben beginnen.

Die unterschiedliche Bildorganisation, die auf eine ganzheitliche Wirkung der Farbe in ihren Eigenarten abzielt entsteht vor unterschiedlichen Hintergründen: Albers kommentiert seine (eigene) analytische Malerei so: zwei Farben nebeneinander zu stellen versetze ihn in höchste Erregung. Katase verweist bei einem Rundgang durch die Schau abschließend auf sein dialogisches Prinzip von Innen und Außen, Hülle und erfüllter Leere („Kern“) aus einem anderen Blickwinkel am Beispiel einer frühen Skulptur-Installation - Felsenglocke, 1993 - wo eine Kirchenglocke und eine dort scheinbar hineinpassende Kugel einander gegenüberliegen.


Kazuo Katase. Gegenwart Josef Albers Museum Quadrat, Im Stadtgarten 20, 46236 Bottrop, Tel. (02041) 29716; Dauer:  bis 9.12; Öffnungszeiten: Di-Sa 11-17 Uhr, So- und Feiertage 10-17 Uhr Bis 9. Dezember 2012

Katalog in Vorbereitung; www.quadrat-bottrop.de

  • Josef Albers, Interaction of Color, Grundlegung einer Didaktik des Sehens, Köln: dumont, 1970
  • Detlef Bluemler, Kazuo Katase, Im Niemandsland zwischen Gelb und Weiß, in: Künstler, Kritisches Lexikon der Gegenwartskunst, Ausgabe 20, München: WB-Verlag, 1992
  • Kazuo Katase, Umsicht, eine Übersicht über die Werke Kazuo Katases: www.kazuo-katase.com
  • Herbert Köhler, Kazuo Katase, Er schneidet in ein Stück Natur, in: Künstler, Kritisches Lexikon der Gegenwartskunst, Ausgabe 56, München: WB-Verlag, Heft 33, 2001
  • Heinz Liesbrock, Michael Semff, Malerei auf Papier, Josef Albers in Amerika, Ostfildern: Hatje Cantz Verlag, 2011

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/80/bws8.htm
© Barbara Wucherer-Staar, 2012