Kirche und Kommerz

Einige Anmerkungen zur Kontroverse um eine Michel-Veranstaltung

Ulrich Hentschel

Etwas Erfreuliches hat die Kontroverse um die Durchführung des „Wirtschaftsforums“ im Michel am 2.12.2011 doch bewirkt: Es wird – wieder einmal – diskutiert, worin der Wert unserer Kirchen besteht und wie dieser Wert zu erhalten oder neu zu gewinnen ist.

Schon in der Verwendung der Worte Wert und gewinnen deutet sich an, wie sehr sich die Welt der Ökonomie mit den Intentionen einer biblischen Ökumene vermischt und leicht verwechseln lässt. Enttäuschend ist, dass dies auch in den kirchlichen Begründungen für die Durchführung der exklusiven Wirtschaftsveranstaltung im Michel geschieht. Denn es geht um zwei deutlich voneinander zu unterscheidende Fragen:

Die erste Frage lautet: Dürfen in Kirchen als heilig gehaltenen Räumen ausschließlich traditionelle Veranstaltungen wie Gottesdienste, Amtshandlungen und Konzerte stattfinden oder sollen nicht auch ungewöhnliche kulturelle Angebote von nichtkirchlichen Initiativen und Debatten wichtiger gesellschaftlicher Themen Raum in einer Kirche finden?

Propst Dr. Claussen hat diese Frage in einem Beitrag des Hamburger Abendblatts (6.12.2011) klar protestantisch beantwortet: Kirchen sind nicht an und für sich heilig, es sind also grundsätzlich alle Veranstaltungsformen legitim und möglich. Er schränkt diesen Gedanken allerdings gleich ein: „Jede neue Form bedarf einer inhaltlichen Begründung“. Ja, das ist zunächst einmal nachvollziehbar … wird aber . im Konkreten sofort schwierig. Denn konkret ist z.B. die kommerzielle Vermietung für den Erhalt vieler Kirchen unabweisbar notwendig, auch das kann inhaltlich begründet werden. So ist es m.E. legitim und widerspricht der protestantischen Grundposition keineswegs, die Kirchen auch zu kommerziellen Zwecken zu vermieten, allein um des Geldes / des schnöden Mammons wegen. Dazu gehört auch die Vermietung für Unternehmerveranstaltungen, zu welchen Eintrittspreisen auch immer. Das ist zwar höchst unerfreulich, aber in einer Gesellschaft, die – wie in diesen Monaten nun jedermann einsichtig gemacht wird - vom Kapitalismus strukturiert wird und darum auch Kulturgüter wie Kirchen diesem Zwecke unterordnet, unvermeidbar.

Auch wenn dieser Gedanke provokant klingt, so ist er nur die Ausformulierung einer Praxis, die in unseren Kirchen durchaus gepflegt wird, wenn auch selten so bewusst. Der „Verkauf“ einer Konzert-Aufführung an eine große Firma, das Sponsoring von kirchlichen Veranstaltungen (z.B. Motorradgottesdienst) und Baumaßnahmen durch Wirtschaftsunternehmen geschieht nie uneigennützig, sondern (fast) immer mit dem Zweck der eigenen Imageverbesserung, also als Werbung nach innen und außen. Dabei lassen wir uns oft auch von Firmen sponsern, deren ökonomische Praxis (wie z.B. bei großen Banken, in Rüstungsproduktion involvierten Unternehmen...) mit den von der Kirche formulierten ethischen Grundsätzen nicht vereinbar ist. Unsere Kirchen sind also keine kommerzfreien Zonen, wenn sie es überhaupt jemals in diesem Land gewesen sind.

Nur - und darauf kommt es an - muss diese Abhängigkeit, diese Angewiesenheit auf kommerzielle Vermietung und Förderung transparent gemacht werden. Es sollte jeder Versuch unterbleiben, dafür eine theologische, ethische oder sonst wie „höhere“ Begründung und Legitimation zu schaffen. Kommerzielle Veranstaltungen sind keine christlichen Veranstaltungen und gehören nicht zum Verkündigungsauftrag der Kirche, auch wenn sie in einem Kirchenhaus stattfinden. Das ist zwar schwer zu unterscheiden, auch weil und solange die „Gemeinschaft der Heiligen“ sich in ihrer Selbstdarstellung so sehr über ihre Kirchengebäude definiert. Gerade darum aber ist es notwendig und an der Zeit, für Eindeutigkeit und Transparenz zu sorgen, auch in unseren Diskussionen.

Damit kommen wir zur zweiten, wichtigeren Frage: Welche Merkmale machen eine Veranstaltung in einer Kirche zu einer kirchlichen, zu einer christlichen Angelegenheit?

Für mich gehören dazu vor allem drei Kriterien: die Einbringung biblisch-theologischer Aussagen und Impulse, die Möglichkeit, darüber kontrovers zu diskutieren und die Zugänglichkeit für alle Gemeindemitglieder.

Alles das war bei der ZEIT-Veranstaltung im Michel nicht gegeben. Auch ein noch so gut gemeintes und kritisches Grußwort des Hauptpastors gibt den anschließenden (Selbst-) Darstellungen prominenter Unternehmer und Politiker nur eine gewisse Weihe, kann aber den eigenständigen theologischen Beitrag nicht ersetzen. Kontroverse Diskussionen über die Verantwortung der „Wirtschaftseliten“ waren im Michel nicht vorgesehen. Und die Gemeinde war durch den hohen Eintrittspreis faktisch aus ihrer Kirche ausgeschlossen. Eine solche Veranstaltung ist darum keine kirchliche Angelegenheit und als solche nicht zu legitimieren.

Sinnvoller wäre es gewesen und darüber hinaus auch notwendig, Diskussionen anzubieten und zu führen zu den fatalen Auswirkungen der kapitalistischen Ökonomie auf die Lebensbedingungen vieler Menschen. Dafür gibt es in unseren Kirchen hohe Kompetenz, gebildet und geschärft auch in jahrelangen Auseinandersetzungen um die Frage, was es heißt, dass man nicht gleichzeitig für die Armen beten, aber unsere Ökonomie, unser Geld gegen sie arbeiten lassen kann – oder um es mit dem bekannten Bonhoeffer-Wort zu sagen, dass wir nicht nur die Opfer zu verbinden, sondern auch dem Rad in die Speichen zu greifen haben. Beispielhaft sei dazu auf das kirchliche Engagement gegen die Ausbeutung von Kindern in der Teppichindustrie, zur Unterstützung von Unrechtsregimes durch Banken, zum profitablen Geschäft mit Waffen und Krieg verwiesen. Bei all dem geht es darum, in verantwortungsvoller Weise christliche und kirchliche Existenz auch in komplexen ökonomischen Bezügen zu leben. Ein aktuelles Beispiel ist die Clean Clothes Campaign. Diese Kampagne, die sich einsetzt für menschenwürdige Lebensbedingungen der Produzentinnen und Produzenten der bei uns verkauften Kleidung, ins kirchliche Rampenlicht zu bringen und die Verantwortlichen der Bekleidungsindustrie mit deren Forderungen zu konfrontieren, ist ebenso eine kirchliche Angelegenheit wie die nun wieder einmal sehr aktuell gewordene Forderung nach einem Schuldenerlass (immerhin fest verankert in der Konkretisierung des Sabbatgebots).

In der evangelischen Kirche wird dieses von Initiativen und kirchlichen Profis gleichermaßen getragene Engagement aber oft nur als Ausdruck von Betroffenheit geliebt. Es darf geforscht, gedacht, diskutiert und gehandelt werden, um „ein Zeichen zu setzen“. Den Betrieb aber, also das harmonische Miteinander und das Wohlwollen der politischen und ökomischen Entscheider, soll es nicht beeinträchtigen. Genau das aber, nämlich die produktive Störung des kapitalistischen „Normalbetriebs“ oder zumindest die Verstörung ihrer Protagonisten ist ein wichtiges Ziel dieser kirchlichen Tätigkeit. Daraus könnte sich ein theologisch und kirchlich wirkungsvoller Beitrag zu Diskussionen entwickeln, wie sie jetzt im Michel stattgefunden haben.

Das wäre doch was, wenn der Michel oder eine der anderen Haupt- oder Nebenkirchen zum Leuchtturm einer Solidarität mit den Armen würde, zum Haus eines kritischen Diskurses und guter Streitkultur. Das wäre ein Wert ganz eigener Art, unbezahlbar und darum für alle zugänglich.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/79/uh2.htm
© Ulrich Hentschel, 2012