Die Kraft des Verdrängens

Zur Aktualität des Religiösen in der postmodernen Religionspädagogik

Matthias Giesel

1. Im Anfang angedacht: Ästhetische Ansprüche postmoderner Religionspädagogik

Postmoderne Religionspädagogik? Was ist das überhaupt? Könnten Sie diese Frage ad hoc in einem Satz beantworten? Ich nicht. Denken Sie, dass es darauf eine allgemeingültige Antwort gibt? Nein - zumindest nicht in der Postmoderne. Denn diese trägt bereits die Forderung pluralen Denkens in sich, will heißen: Einzigartigkeit, Einheit, Eindeutigkeit verliert seinen alleinigen Anspruch zugunsten vielartiger, gleichberechtigt nebeneinander bestehender Interpretationsmöglichkeiten theologischer Glaubensinhalte ohne einen gemeinsamen übergeordneten Wahrheitsbegriff. Bei meinen wissenschaftlichen Forschungen[1] in diesem Bereich habe ich immer wieder gleichermaßen Bedürfnis und Anspruch fragender Gesichter erkannt, nach hilfesuchendem Ringen um Einsicht endlich einmal eine mögliche tragende Antwortoption zum Verständnis postmoderner Religionspädagogik eröffnet zu bekommen - gleichsam als Rettungsanker im Sturm pluraler Orientierungsbemühungen.

Aber wird das Bestreben einer leicht verständlichen, begreif- und vor allem fassbaren Darstellung pluralistischem Denken heutiger Zeit überhaupt gerecht? Oder kommt es nicht unabhängig jeglicher Denkart genau darauf an, Fragenden postmoderne Religionspädagogik verständlich zu erklären, damit Menschen daraus einen positiven Nutzen für ihr Leben, ihren Glauben und ihre Andacht ziehen können, sich aber auch möglicher Gefahren oder Konsequenzen bewusst werden?

So wäre es mein Wunsch, dass der Leser, die Leserin Antworten darauf finden kann, welche Bedeutung postmoderne Religionspädagogik einnimmt und sich eine Erkenntnis über die Ansprüche ihre Ästhetik herausbildet, auch wenn es nicht einfach und gerade erklärtes Ziel postmoderner Gestaltung zu sein scheint, nicht fassbar und damit unangreifbar zu sein.

Ästhetik versteht man ursprünglich als Anschauung und Bestimmung des Wünschenswerten innerhalb eines bestimmten Kontextes, das einen absoluten Vorrang vor anderen Werten einnehmen soll. Eng damit verknüpft ist somit als weiteres entscheidendes Element, das in diesem Zusammenhang zu erörtern sein wird, auch die Frage danach, welche Andacht als An-gedachtes, Vor-gedachtes, zuvor Bestimmtes, Festgelegtes solcherlei ästhetisches Denken nach sich zieht.

Denn Postmoderne in ihrer Vielheit der Gültigkeit unterschiedlicher wissenschaftlich-theologischer Denkmodelle bedeutet auch immer ´De-Konstruktion´, d.h. letztlich ganz profan Abschaffung in der Moderne geglaubter und als richtig erkannter allgemeingültiger Wahrheit als Kraft des Verdrängens. Aber was genau möchte sie denn verdrängen? Sie verdrängt althergebrachte, religiöse Sichtweisen und zwar all jene Strukturen universaler Gültigkeit, die in ihrem Denken einen übergeordneten, zentralen Wahrheitsanspruch implizieren. Ihre ureigenste Ästhetik ist also als Umwandlungsprozess alleinwahrer Glaubensinhalte zu begreifen, die nun auf vielschichtiger Ebene präsentiert bzw. in den Plural gesetzt werden sollen.

Wie postmoderne Religionspädagogik dazu gekommen ist, warum sie keine Wahrheit mehr ´im Singular´ akzeptiert und sich dabei mit dem Gewande des Unfassbaren kleidet, auf welche Weise sich etwaige Fundamente, Wesensmerkmale und Wahrheitsansprüche gestalten, summa summarum: welcher ästhetische Charakter ihrem Wesen zu eigen ist, soll in den Punkten 2 bis 4 umrissartig skizziert werden. Im Anschluss daran spielen in Punkt 5 Orientierungsmöglichkeiten biblischer, gottgewirkter Offenbarung und Erkenntnis eine Rolle, die in Punkt 6 mit der Frage verknüpft werden, wie postmoderne Religionspädagogik von ihren ´Kränkungen´ genesen und als Erziehungskonzept zur zeitgemäßen Vermittlung religiöser und theologischer Lerninhalte fruchtbar werden könnte.

Diese Ausarbeitung stellt damit auch eine Zusammenfassung mehrjähriger wissenschaftlicher Forschungsarbeit des Autors zu diesem Themenkomplex dar.

2. Back to the roots: Fundament und Verwurzelung postmoderner Religionspädagogik

Bezüglich des Fundamentes postmoderner Religionspädagogik lassen sich im Wesentlichen zwei Hauptkriterien entdecken, deren Basis die Notwendigkeit zum Bau des religionspädagogisch-ästhetischen Konstruktes bilden soll:

a. Das Tillichsche Protestantische Prinzip

Dieses kann als eine vom Religionsphilosophen Paul Tillich initiierte Richtschnur bezeichnet werden, bei der sich jegliche Theologie als angeblich menschlich ´verunreinigte´ Rede und Lehre von Gott dahingehend überprüfen lassen soll, dass sie Wahrheit sozusagen nicht für sich gepachtet habe. Sie sei eine menschlich unzulängliche Auslegung und bedürfe daher der Dekonstruktion, d.h. einer kritischen Beleuchtung mit anschließender Auflösung ihrer Gültigkeit, indem sie zunächst Fragen, Kritik und zweifelnden Abwägens ausgesetzt werden müsse. Dabei wird eine systematische, transparente und nachvollziehbare Struktur bewusst vermieden, damit diese nicht wiederum zur Ideologie mutiere. Alle Lehrenden, so wird gefordert, sollten dieser Ästhetik nach den Anspruch auf Erkenntnis aufgeben und auch auf die Verkündigung einer allgemeingültigen Aussage oder Wahrheit verzichten, um nach postmodernem Verständnis nicht in Gefahr zu geraten, einer Wahrheit den Vorzug geben zu wollen.

Das Protestantische Prinzip entspringt einer panischen Angst vor Ideologien. Um diese zu vermeiden, möchte es als Warninstanz einer kritischen Beleuchtung und Hinterfragung jeglicher theologischer Auslegung fungieren und mag unter historischen Gesichtspunkten durchaus seine Berechtigung finden; konsequent angewendet bedeutet es jedoch immer Aufgeben von Wahrheitsansprüchen bei der theologischen Verkündigung und Lehre und Übertragung von Theologie in den Plural, da eine einzelne Wahrheit nicht mehr existieren darf, aus Angst, sie könnte eine Ideologie nähren.

Insofern wäre in der Postmoderne, so die Forderung, manch unbequeme Bibelstelle berühmter ´Ich bin´-Worte Jesu mit singulärem, personellem Anspruch wie z.B. in Johannes 14.6 „Jesus spricht (…): Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich.“[2] oder Johannes 11.25 „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt (…)“ in stringenter Weise von der Spannung unbedingter Eindeutigkeit zu befreien; neben beliebig vielen existierenden Wahrheiten einer großen Anzahl von Religionsstiftern würde sie dann nur noch als ein möglicher Weg idealisierter Lebensvorstellung aufzufassen und somit zu relativieren sein. So glaubt man, ein ästhetisches Prinzip als Richtschnur dessen, was wünschenswert erscheint, entwickelt zu haben, das viele Wahrheiten gleichberechtigt nebeneinander bestehen lässt. Zum Selbststudium sei an dieser Stelle Apostelgeschichte 4.12 empfohlen, in welcher hingegen noch einmal die auch im wörtlichen Sinne aufzufassende Einzigartigkeit biblischer Glaubenswahrheit verdeutlicht wird, es sei in keinem anderen Namen ´unter den Himmeln´ Heil zu erfahren als in Christus, ein singulärer Wahrheitsanspruch, der nicht in den Plural gesetzt werden kann.

Postmoderner religionspädagogischer Ästhetik gemäß soll aber jegliche aufgestellte Norm relativiert und vom personalen Anspruch des Christus eigenen ´Ich-bin´-Titels befreit werden; und dies nicht nur innerhalb einer bestimmten Interessengemeinschaft, sondern angewandt auf jegliches religiöse Konzept und Verständnis von Welt; undenkbar auch für viele andere Gebote von Gott verordneter Menschlichkeit und Nächstenliebe, wie z.B. in 2. Mose 20.13 „Du sollst nicht töten.“, wenn diesen weltumspannenden Ansprüchen nur eingeschränkte Gültigkeit zugrunde liegen dürfte.

Wir sehen also, dass aus theologischer Sicht bei gewissen Grundvorstellungen eine objektive Wahrheitssetzung dringend erforderlich ist, auch und gerade wenn diese Idealvorstellung nicht immer vollständig umgesetzt wird: der Anspruch muss erhalten bleiben; eine Dekonstruktion und damit Relativierung als gebrochenes Ideal würde in diesem Fall Verlust jeglicher Humanität als Bestandteil menschlicher Werte bedeuten.

So befindet sich das protestantische Prinzip im Dilemma der Spannung zwischen einerseits dem Anspruch unmittelbar betreffender göttlicher Glaubenswahrheiten, die den Charakter von allgemeiner Gültigkeit erfordern; andererseits scheint es von einer panischen Angst getrieben zu sein, bei Predigten, Auslegungen oder Interpretationen nicht Opfer totalitärer oder ideologischer Irrtümer werden zu wollen.

Es ist daher dringend erforderlich, dass postmoderne Religionspädagogik solcherlei Spannung zulassen und ertragen lernt. Als Zeichen der Erkenntnis einer demütigen Ohnmachtsstellung des unvollkommenen Menschen müsste sie anerkennen, dass es oftmals eben nicht möglich ist, biblische Aussagen, Grundkonstanten und unbequem scheinende Wahrheiten göttlicher Verheißung und Verordnung einfach einem dekonstruktiven postmodernen System anzupassen und in den Plural zu setzen und somit auch Predigten, Vorträge, jegliche Rede und Lehre von Gott dies ausdrücken darf. Auch wenn in der heutigen Zeit alles dem Prinzip der Einfachheit unterworfen zu sein scheint und z.B. in der Werbesprache „einfach einfach einfach“[3] ist, so überaus einfach sollte man es sich trotzdem nicht machen, vor allem nicht, ohne genauestens mögliche Auswirkungen postmoderner Relativierung zu prüfen.

b. Drei Kränkungen des menschlichen Ego

Ein zweites fundamentales Hauptkriterium postmoderner Religionspädagogik stellen die in vielen Abhandlungen immer wieder ausgeführten sogenannten ´drei Kränkungen´ dar, durch die der Mensch, und damit angeblich auch alle seine Wahrheitsfindung hinsichtlich Auslegung, Interpretation, Lehre und Verkündigung, nicht mehr als gefühlter Mittelpunkt der Welt existiere. Daraus wird die Notwendigkeit zur Dekonstruktion abgeleitet.

Kränkung meint hier Hilflosigkeit, die sich anhand einer als unsicher empfundenen Stellung des Menschen entwickelt habe. Nach S. Freud sei sie dadurch zustande gekommen, dass man herausfand, dass die Erde weder Mittelpunkt des Weltalls ist, noch sich die Sonne um die Erde dreht, es noch ungezählte andere Planeten im All gibt und durch das Fehlen einer Alleinherrschaft angeblich das narzisstische Ich des Menschen erstmals gekränkt erscheine.

Eine zweite sogenannte Kränkung bezieht sich auf Darwins Hypothese der gemeinsamen Abstammung von Mensch und Tier, nach welcher der Mensch nicht mehr als ´Nonplusultra´, als Krone der Schöpfung im strahlenden Lichte glänze, sondern nur noch als etwas besserer, cleverer Affe deklassifiziert wird. Dessen gesamtem Verhalten sei somit keinerlei Freiheit der Handlung immanent, sondern sein Gehirn könne nur das behalten und verwerten, was dem eigenen Fortkommen und Überleben diene. Unter diesem Vorzeichen erscheint er dann zugegebenermaßen zu Recht gekränkt.[4]

Begründet durch seine eigenen berühmten Forschungen attestiert S. Freud dem im wechselseitigen Kampf zwischen anerzogenen gesellschaftlichen Moralvorstellungen und durch Triebe gebeutelten Ich auch noch eine Versklavung durch Über-Ich und Es. In dieser verlorenen Schlacht etabliere sich die dritte große Kränkung des Menschen, der bei all seinen Kränkungsphantasien in einem Teufelskreis gefangen sei und angeblich gar nicht mehr ein noch aus wisse.

Das Problem aber dabei ist, der Beobachter ist der Gekränkte, er wirft einen gekränkten Blick auf Gottes gute Welt. In seinem speziellen hilflosen Blickwinkel hat er vorgebaut, Gedankengebäude erschaffen, die diese Kränkung ausdrücken. Seine gekränkte Sicht beeinträchtig sein Testfeld, betrachtet alles unter einem voreingenommenen Blickwinkel, aus dem er auch gar nicht mehr herauskommt, da er zuvor sämtliche ideale Bestrebungen und Offenbarungen Gottes ausgeschlossen und durch eine Resignation möglicher Erkenntnis universeller Wahrheiten schon von Anfang an aufgegeben hat. Er ist noch nicht befreit zum Leben eines Christen.[5]

Daraus lässt sich nun gewissermaßen als in sich logisch scheinende Konsequenz die Basis für die Ausbildung postmoderner Ästhetik ableiten: Da nun der Mensch, so argumentieren Religionspädagogen, wo er sich doch innerhalb einer solch labilen Stellung befinde und schon den Glauben an die Alleinherrschaft im All verloren habe weder Mittelpunkt der Erde noch Krone der Schöpfung und jetzt auch noch nicht einmal Eigentümer seines eigenen Lebensgebäudes oder Herr über sein Ich sei, das auch noch die Last eines andauernden Widerstreites mit Über-Ich und Es zu tragen habe, dürfe er dann auch nicht mehr den Anspruch auf Erkenntnis allgemeingültiger Wahrheit erheben, wo er doch in seinem ganzen Dasein solcherlei Hilflosigkeit anheim gefallen sei.

Als theologische Konsequenz ergibt sich daraus eine Fokussierung auf allzu Menschliches, Profanes. Aus Angst, durch eigenes Hinzutun und eigenbestimmte Auslegung gewissermaßen die ursprüngliche Lehre zu verfälschen, dürfen nach Maßgabe postmoderner Religionspädagogen deshalb in der heutigen Zeit in eindeutiger Weise gar keine direkten Glaubensaussagen mehr getätigt werden; dass es auch von Gott inspirierte Übersetzung und Auslegung als Offenbarung durch eine höhere, dem unvollkommenen menschlichen Dasein entzogene, unbeschränkte Vermittlung gewirkter Erkenntnis gibt, wird verdrängt. Dabei lägen doch hier gerade Chancen gottgewirkter Verkündigung und Andacht wie in Punkt 5 erörtert wird.

3. Wissen, was man nicht will: Wesensmerkmale postmoderner Religionspädagogik als Dekonstruktion

Interessant und neuartig an postmoderner Religionspädagogik ist, dass sie ganz genau weiß, was sie nicht will. Sie bezieht sich damit auf einen Schrei K. Barths „Nicht ich, sondern Gott (…)“[6], der trotzdem alle Blicke auf Barth gelenkt habe und möchte theologische Wahrheiten gerade nicht in den Fokus von Eindeutigkeit und Verbindlichkeit stellen; deshalb lenkt sie in einer praktischen pädagogischen Abwendung der Auslegung und Weitervermittlung göttlicher Glaubenswahrheiten den Blick von sich selbst weg und fokussiert ihn auf die andere, ungeordnete, nicht etablierte Seite der Theologie, dem sogenannten ´Profanen´ als eigenem Wissenschaftszweig. Lexikalisch betrachtet bedeutet das Adjektiv ´profan´ „vor dem heiligen Bezirk liegend, weltlich, gewöhnlich“[7], d.h. im Bilde gesprochen, dasjenige betreffend, welches außerhalb des heiligen Tempels, fernab jeglichen idealisierten Anspruches zu finden ist. Dadurch etabliert sich eine Auffassung von Welt, die alles durch die Brille des sogenannten gebrochenen Ideals, gleichsam als Demontage idealistischer Weltsicht, betrachtet.

In einer Dekonstruktion als Gegenentwurf favorisiert postmoderne Religionspädagogik einer Ästhetik, welche ihren Fokus auf jene Bereiche menschlicher Existenz legt, die das Alltägliche, Gewöhnliche in sich tragen, um darin gleichermaßen wahres, nicht überhöhtes Göttliches oder Religiöses zu entdecken, „Götterfunken aus dem Staub zu schlagen“[8], wie F. Schiller einmal pathetisch formulierte. Religionspädagogik präsentiert sich damit im neuen, unfassbaren Gewand mit nahezu pantheistischem Ansatz, nach dem Gott und Welt identisch seien und sich in allem weltlich Existierenden auch Göttliches finde. Dennoch wird die Welt in Galater 1.4 als eine „böse“, von welcher der Glaubende zu erretten sei, in Hebräer 9.27 u.v.a.m. als eine gefallene, einst von Gott zu richtende betrachtet: „(…) Christus, der sich selbst für unsere Sünden dahingegeben hat, dass er uns errette von dieser gegenwärtigen, bösen Welt nach dem Willen Gottes (…)“ bzw. „Und wie den Menschen bestimmt ist, einmal zu sterben, danach aber das Gericht (…)“.

Weiterhin wird der Mensch u.a. nach 1. Mose 8.21.b oder Matthäus 15.19 als vom Grunde seines Herzens böse angesehen: „(…) das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf.“ bzw. „aus dem Herzen kommen böse Gedanken (…)“, etc. Damit befinde er sich im Widerstreit zu Gottes guter Ordnung.[9] Dies stellt die Suche nach Göttlichem innerhalb des menschlich Profanen zumindest nach biblischem Verständnis in Frage.

Rede, Lehre, Auslegung und Verkündigung biblischer Wahrheiten auf Basis des in den Glaubenden hineingelegten, gottgewirkten Offenbarung (s. Punkt 5) werden somit durch Weisheiten ersetzt, die aus Erfahrungen der täglichen Lebenswelt des Menschen gewonnen werden und ihrerseits Religiöses beinhalten sollen. Dabei ist es Wesensmerkmal postmoderner Religionspädagogik, sich dergestalt mit dem Gewande des Unfassbaren zu bekleiden, dass sie nur einen kleinen Ausschnitt, der den Überblick auf das Ganze verwehrt, betrachten möchte. Lernen und die daraus gewonnenen Erkenntnisse werden als nicht abgeschlossener Teil eines großen, unübersichtlichen Prozesses angesehen. Wie ein Archäologe, der bei einer Ausgrabungsstelle nur einen kleinen, ihm unbekannten Teil eines Bauwerkes untersucht, jedoch niemals im Ganzen erkennen wird, um welches Gebäude es sich eigentlich handelt, geschweige denn, welche religiöse Funktion und Stellung es gehabt haben mag. Dies relativiert allgemeingültige Erkenntnisse und übergeordnete Wahrheitsansprüche und schließt sie damit letztlich aus.

So kann sich nach postmoderner Denkart „ein und derselbe Sachverhalt in einer anderen Sichtweise (…) völlig anders darstellen (…), diese andere Sichtweise doch ihrerseits keineswegs weniger Licht besitzen als die erstere - nur ein anderes. Licht (…) ist immer Eigenlicht. Das alte Sonnen-Modell - die eine Sonne für alles und über allem - gilt nicht mehr, es hat sich als unzutreffend erwiesen. Fortan stehen Wahrheit, Gerechtigkeit, Menschlichkeit im Plural.“[10]

D.h. entsprechend individuellem Fokus und jeweiliger Interessengemeinschaft wandelt sich der Wahrheitsbegriff und alle mit ihm verknüpften Tugenden, und es gewinnt eine fragmentarische Sicht der Betrachtung von Unvollendetem, Bruchstückhaftem Bedeutung, nicht mehr Anspruch auf und Ringen nach Erkenntnis und Sinn im Gesamtzusammenhang: „Und doch ist die Sicht des Ganzen nicht aus dem Auge zu verlieren, weil erst im Gesamtzusammenhang Kenntnisse zu Erkenntnissen werden können.“[11] Es stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, warum man sich denn unbedingt dieser Gefahr aussetzen will, im Prozesshaften nicht mehr den Blick auf das Ganze zu wagen und sich so nach J. Bennack jeglicher Erkenntnisgewinnung zu berauben? -

Der Psalmist sann hingegen in Psalm 1.2 noch „(…) über <Gottes> Gesetz Tag und Nacht“. Bewahrt vor Ideologien wurde sein ´Sinnen´ nach 1. Korinther 2.16.b durch eine Übereinstimmung mit oder anders formuliert ein Bestimmt-sein durch „Christi Sinn“ des ´Verbum externum´ als nicht durch menschliche Unvollkommenheit verkürztes oder verändertes Wort Gottes, das nicht im menschlichen Inneren entstanden, sondern von außen durch eine von Gott gewirkte Einsicht oder Erkenntnis in den Glaubenden hineingelegt wird (vgl. Punkt 5).

Formulierte J.A. Comenius seine ästhetische Sichtweise in diesem Sinne noch als „omnes omnia omnino“[12], allen alles in Rücksicht auf das Ganze zu lehren, aber zumindest den Anspruch einer Bemühung auf Erkenntnis in ihrer Gesamtheit aufrecht zu erhalten, so nimmt der postmoderne Forscher nur einzelne Teile seiner erforschten Spezies wahr, da er Erkenntnisse im Gesamtzusammenhang ablehnt. Er möchte den Sinn sozusagen ´los´ sein. Daraus leitet sich eine Folgerung ab, die fast schon als Warnung anmutet:

„Nach dem Sinn zu fragen heißt, die postmoderne Gesellschaft nicht zu wollen.“ Die Grundthese der Postmoderne lautet daher, „dass die Suche nach (…) Sinn eigentlich eine Flucht aus der Komplexität“[13] sei. Erst darin, den Sinn los zu sein, finde sich wahre Erfüllung. Um nicht mehr einer Wahrheit einen ideologiebehafteten Vorzug zu geben, werden mehrere gleichberechtig nebeneinander gestellt und mögliche Wahrheitsfindungen allenfalls im Plural akzeptiert. Einzelne Elemente zur Ausbildung dieser Ästhetik sollen nun nach Art und Weise postmoderner Dekonstruktion auch in praktischen Momenten konkreter erlernbar gestaltet und eingeübt werden. Dabei spielt auch hier die Sprache, durch die Erkenntnisse vermittelt werden, eine elementare Rolle. Dazu möchte man der heutigen, oftmals mangelnden Bildung mit einer Art Umbildung begegnen, die auch in der Praxis die Einhaltung der oben erläuterten postmodernen Standards einübt.

In Lehrveranstaltungen soll beispielsweise erlernt werden, nicht zu genau hinzusehen, Dinge, Sachverhalte, Aussagen nur zu beobachten oder beschreiben, aber nicht zu verallgemeinern oder auszulegen, damit kein übergeordneter Erkenntniszusammenhang entstehen kann. Man möchte die Teilnehmer von ihrem gewohnten Deutungsmuster der Einordnung und Interpretation einzelner Lern- oder Erfahrungswerte in eine gesamtheitliche Metaebene lösen, sie dazu anlernen, ihre Erkenntnisgewinnung nur noch ´in Vielheit´ zu vollziehen.

Da jede Erkenntnis Sprache als Basis benötigt, wird gerne auch eine Rekodierung von Sprache vollzogen. Worte wie z.B. fragwürdig, bedingt oder unbedingt, entdecken, enttäuschen, Abbruch, Zweifel, Ungewissheit, Unsicherheit und viele andere werden nicht mehr in ihrem natürlichen Bedeutungskontext, so wie sie heute verstanden werden, verwendet, sondern rekodiert, in eine andere Zielsprache, in diesem Falle die postmoderne übersetzt:

So würde wie o.g. fragwürdig nicht mehr als ´zweifelhaft´ und ´unseriös´, sondern als Würde des Fragens oder Aufwertung des Frageprozesses, bedingt nicht mehr im Sinne von ´teilweise´, sondern als Adjektiv zu dingen, in den Dienst gestellt, im Sinne von unterdrückt, unbedingt in der Bedeutung ´in jedem Fall´ als nicht von der Unterdrückung betroffen, in der Substantivierung Unbedingtes gar als Synonym für Gott verwendet. Entdecken würde nicht mehr als Herausfinden, sondern als Aufdecken, ans Licht bringen und Enttäuschen als Zerstörung einer Erwartung als von der Täuschung befreien und Abbruch, Zweifel, Ungewissheit, Unsicherheit als Freiraum bzw. Chance für einen Neubeginn oder Lerngewinn rekodiert. Dabei kann es geschehen, dass z.B. auch negative Wortbedeutungen ins Positive übertragen und damit uminterpretiert und inhaltlich neu besetzt werden.

Betroffen von dieser sprachlichen Umbildung ist oftmals auch eine Veränderung des gesamten Formulierungsstils postmoderner Texte oder Vorträge. Diese dürfen nun nicht mehr ´klar´, ´eindeutig´, für den Hörer oder Leser verständlich formuliert und auf ein (Lern-) Ziel ausgerichtet werden, da man den Überblick auf das große Ganze vermeiden möchte und nur einzelne Prozesse und Teile untersucht. So werden z.B. die bestimmten Artikel, der, die, das vermieden und von der Syntax her neuartige Formen der Satzbildung erzeugt, auf stringente Gliederungen und Zielorientierung verzichtet und keine allgemeingültigen Definitionen mehr verwendet. Auch Hilfsverben werden z.B. in ihrer Festsetzung des ´ist´ als zu direkt empfunden und in Formulierungen umgewandelt, die ein ´Könnte, Sollte, Vermutlich oder Vielleicht´ ausdrücken. Dies alles dient der o.g. Dekonstruktion, da auch durch die Form die postmoderne Dezentralisierung als bewusste Nicht-Ausrichtung auf ein etwaiges Zentrum einer allgemeingültigen Wahrheit ausgedrückt werden soll. Sprache und Aufbau unterstützen und unterstreichen dabei sozusagen eine bruchstückhafte Sicht auf alles Theologische.

Aus dem Blickwinkel eines Germanisten weisen postmoderne Texte bei der Verwendung von Zitaten oftmals ein Konglomerat unterschiedlichster Zitatsammlungen auf, die in ihrer Vielfalt manchmal nur schwerlich eine Gemeinsamkeit erkennen lassen, wohl als Untermauerung der eigenen Aussagen dienen sollen und kunstvoll in den eigenen Text eingeflochten werden. Dabei ist auffällig, dass die Anzahl der verwendeten Zitate häufig die Menge des eigenen Textes um ein Vielfaches übersteigt, Zitate unkommentiert stehen bleiben und gar nicht mehr ausreichend interpretiert oder in der Notwendigkeit ihres Gebrauches begründet werden. Texte präsentieren sich nur noch als Ansammlung von Bruchstücken und Aneinanderreihung von Zitaten, die gar nicht mehr eine konkrete Einordnung in einen Gesamtzusammenhang erkennen lassen. Der gute alte rote Faden scheint verloren gegangen zu sein und damit eine eindeutige Aussage als Sicht auf das Ganze.

Eng mit dieser Rekodierung von Sprache ist eine gesamte Didaktik als besondere Art der Wahrnehmung symbolischen Verstehens verbunden; diese zielt darauf ab, das traditionelle, christlich überlieferte Symbolverstehen `aufzubrechen` und Symbole auch von ihrer angeblich abgründigen, negativen, haltlosen, zerstörerischen, also ambivalenten Seite zu beleuchten, auch wenn ihr Erscheinen erkennbar einen positiven Ausgang herbeiführt:

Eine tosende Sturmflut in Matthäus 14.22-33, die den sinkenden Petrus bedroht, wird von Jesus gestillt und Petrus gerettet. In einem gleißend hellen Licht, das in Apostelgeschichte 9.1-19 zur Erblindung des Paulus führt, offenbart sich ihm Jesus und er wird wieder sehend, und schließlich in Lukas 23 und 24 wandelt sich das Symbol des Todes eines sterbenden Christus am Kreuz in Erlösung und Neubeginn für alle Menschen, die dies für sich annehmen. Das ´Symbolische´, der hinter den Symbolen zutage tretende symbolische Charakter wird in der Bibel, auch wenn sie in ihrem Auftreten und in ihren Auswirkungen zunächst noch so negativ erscheinen, immer als Weg Gottes mit den Menschen zu einem positiven Ziel verwendet. Dem hätte eine Symboldidaktik in angemessener Weise zu entsprechen und nicht pausenlos auf eine angebliche Haltlosigkeit oder Negativität zu verweisen.

4. So wahr mir Gott helfe: Kritische Betrachtungen zum Wahrheitsanspruch postmoderner Ästhetik

Problematische Startbedingungen eines jeden neuen postmodernen Konstruktes bestehen darin, dass alle Aussagen, die in ihrer Mehrzahl Fundament und Wesen postmoderner Ästhetik bestimmen, ihrerseits absolute Gültigkeit voraussetzen. Warum ist das so? Ging es hier nicht gerade darum, absolute Wahrheitsansprüche als angebliche Ideologiefalle zu vermeiden? Diese Einschätzung ist richtig, jedoch nur solange zutreffend, wie es um eine Anwendung postmoderner Standards innerhalb des eigenen Wirkungsbereiches geht. Da postmoderne Ästhetik aber nicht nur innerhalb der eigenen Interessengemeinschaft Veränderungen bewirken, sondern als Prinzip generelle Geltung beanspruchen will, drückt sie damit den Wunsch nach Einschränkung und Vielheit zugleich aus: Einschränkung in der Gültigkeit ihrer Akzeptanz von Wahrheitsansprüchen bei gleichzeitiger Vielheit hinsichtlich der Berechtigung der Existenz mehrerer Wahrheiten.

Das Dilemma, in dem sie sich befindet ist aber, dass sie ein plurales Weltbild ohne übergeordnete, allgemeingültig fassbare Wahrheiten vermitteln möchte, gleichzeitig aber aussagenlogisch für ihr eigenes Konstrukt den allgemeinen Wahrheitsanspruch erhebt, sie selbst habe so, wie sie konstruiert wurde, für alle als wahr zu gelten. So sehr man also, oftmals auch zu Recht, Kritiker und deren Wahrheitskonstrukte zerlegt, beansprucht man dabei aber immer uneingeschränkte Gültigkeit des eigenen Konstruktes. Dies ist der geltungslogisch gesetzte, feststehende Kern und zentrale, übergeordnete Wahrheitsanspruch, der selbst für postmoderne Religionspädagogik nicht hintergehbar ist. Diskursive Versuche, am Gerüst zu rütteln, postmoderne Ästhetik selbst zu hinterfragen, werden immer noch tabuisiert und erfordern daher großen Mut in der Auseinandersetzung.

Aber genau darin besteht das Problem: Ein Konzept, das keine andere übergeordnete Wahrheit akzeptiert, muss jedoch die Unfehlbarkeit des eigenen Konstruktes selbst uneingeschränkt für wahr halten, um sich nicht ad absurdum zu führen und beweist damit gleichzeitig, dass allgemeine Wahrheiten existieren müssen. Denn es wäre erkenntnistheoretisch und aussagenlogisch paradox, ein System zu konstruieren, bei dem man schon zu Beginn davon ausgeht, es sei nicht uneingeschränkt wahr; d.h. auch postmoderne Religionspädagogik trägt diese Forderung in sich und beansprucht damit universale Gültigkeit.

Um auch im Inneren des Konstruktes Dekonstruktion zu betreiben, müsste man unter diskursethischen Gesichtspunkten postmoderne Religionspädagogik selbst hinterfragen und argumentativ und interaktionistisch, d.h. im gleichberechtigten Diskurs aller Teilnehmer beurteilen dürfen, ohne dass sich gleich von Anfang an eine Metaebene bildet, die sich oberhalb jeglicher Kritik und Ideologiegefahr sozusagen als erhabenen Außenstandpunkt ansiedelt. Denn auch der postmoderne Wissenschaftler ist als Beobachter schon im von ihm kritisierten System immanent, d.h. gleichzeitig Teil seines Konstruktes und nicht außen vor.

Der Verfasser von 1. Korinther 13 scheint sich dessen vollends bewusst zu sein, wenn er ab Vers 9 all unser Reden und die damit verbundene Interpretation der theologischen Lehre als ´Stückwerk´ bezeichnet, dennoch aber gleichzeitig Wissen um und Anspruch auf Vollkommenheit bestehen lässt und nicht verdrängt, auch, und gerade dann, wenn es im Bewusstsein geschieht, diesem niemals völlig zu entsprechen, denn hierin liegt große Kraft, wie es in Martin Luthers unnachahmlich brillanten Altdeutsch heißt: „Denn unser Wissen ist Stückwerk, und unser Weissagen ist Stückwerk. Wenn aber kommen wird das Vollkommene, so wird das Stückwerk aufhören.(…) Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunkeln Wort; (…) Jetzt erkenne ich´s stückweise; dann aber werde ich erkennen, gleichwie ich erkannt bin.“ (1. Korinther 13.9+10+12).

Die Lösung liegt zwar in der Akzeptanz des Fragmentes des stückweisen Erkennens, ist aber niemals losgelöst, sondern immer verknüpft mit der gleichzeitigen Option auf Existenz des göttlich inspirierten Vollkommenen, durch dessen Offenbarung unser menschliches Stückwerk ergänzt werden wird. Damit laufe man nach P. Tillich auch nicht Gefahr, eine Religionspädagogik zu konstruieren, die „das Unbedingte <d.h. eine Ausrichtung auf Gott, A.d.V,> verfehlt und dann in ihrer ganzen Existenz von etwas bestimmt wird, das hinter dem Unbedingten zurückbleibt“[14]. Postmoderne Religionspädagogik dürfte sich nicht solchermaßen von der Suche nach Weltlichem beeinflussen lassen, dass die Sicht auf Göttliches verstellt wird. Man darf sich durch ein Konstrukt nicht Möglichkeit und Aussicht auf Wahrheitserkenntnis nehmen und sich so sehr mit Profanem befassen, dass göttliche Wahrheit, die niemals in den Plural gesetzt werden kann, relativiert wird.

5. Orientierungsmöglichkeiten biblischer Erkenntnis: Wesenszüge gottgewirkter Offenbarung

Wenn man bei jeglicher postmoderner religionspädagogischer Konstruktion davon ausgeht, dass all ihre Bestrebungen der Relativierung von Welt, Glaube, Religion und Theologie dienen, berücksichtigt man im Grunde nicht Wesenszüge gottgewirkter Offenbarung, die alle menschliche Ideologiegefahr und Unvollkommenheit übersteigt.

Im Titel dieser Ausarbeitung ist daher von Verdrängung die Rede und einer Kraft, die in ihr liege. Versucht man, diese fruchtbar werden zu lassen, muss man sich mit der Frage befassen, was denn verdrängt werden soll. Den Mut, den es erfordert, hierauf eine Antwort zu wagen, liegt in einer möglichen Verdrängung gottgewirkter und gottgegebener Offenbarung, denn es ist ein wesentliches Merkmal des Christentums, dass es durch Situationen, die wir als Offenbarungssituationen bezeichnen, begründet wird.

In der systematischen Theologie verbindet man mit dem Begriff des Offenbarungsgeschehens in der Regel das „Heilsgeschehen der Selbstmitteilung Gottes“ durch die Schöpfung, in seiner Geschichte mit dem Volk Israel und seinem Versöhnungswerk in Christus.[15] Innerhalb der deutschen Etymologie lässt sich der Offenbarungsbegriff in einer Ableitung vom altgermanischen Adjektiv ´offen´, verwandt mit der Wortgruppe ´offenbar´ als „deutlich, klar, ersichtlich, eindeutig“ und dem Wort ´offenbaren´ als „enthüllen, kundtun“ spezifizieren.[16] Gleichzeitig wird in der religiösen Tradition durch die Zeitwörter ´apokalypto´, ´enthüllen´ und ´phaneroo´, ´sichtbar machen´ im übertragenen Sinne eine veränderte Sichtweise, Einsicht bzw. ein Einleuchten eines neuen, durch Gott gewirkten Sinnes oder Verständnisses verdeutlicht.

Als Gleichnis, das auf anschauliche Art und Weise ein Offenbarungsgeschehen zu verdeutlichen vermag, wäre z.B. in Matthäus 13.44-46 das Gleichnis „vom Schatz im Acker und der kostbaren Perle“ zu nennen und zwar als Ausdruck des Suchens, Findens und Wertschätzens und einer damit verbundenen geeigneten Umsetzung und Konsequenz dieser Offenbarung. Weitere Offenbarungssituationen innerhalb des christlichen Kontextes finden sich z.B. in 2. Mose 3.2f in der Berufungsvision des Mose durch die Offenbarung Gottes im brennenden Dornbusch und der damit verbundenen Anweisung für Mose, den Pharao zu bitten, das Volk Israel aus Ägypten führen zu dürfen; ebenso im Brief an die Galater 1.1-16, in welchem von der Berufung des Paulus zum Apostel in die Gnade Christi berichtet wird.

In diesem Zusammenhang wird auch deutlich, welche Aufgabe die christlich begründete Offenbarung für den Glaubenden beinhaltet, nämlich eine Erkenntnis über die Versöhnungstat Christi und des damit verbundenen unbedingten Versöhnungswillens Gottes mit anschließendem Auftrag zur Verkündigung wie im Folgenden in Apostelgeschichte 18.5 formal ausgeführt wird: „<So> richtete sich Paulus ganz auf die Verkündigung des Wortes und bezeugte den Juden, dass Christus der Christus ist“, weiterhin in Apostelgeschichte 13.38+39 verknüpft mit einer speziellen Erörterung, worin denn inhaltlich diese Verkündigung bestehe: „So sei euch nun kundgetan (…), dass euch durch <Christus> Vergebung der Sünden verkündigt wird; und in all dem, worin ihr durch das Gesetz Mose nicht gerecht werden konntet, ist der gerecht gemacht, der an Ihn glaubt.“

Wie oben schon angedeutet erschließt sich dem Glaubenden die Offenbarung stets auf eine passive, empfangende Art, in der Gewissheit einer für sein Leben grundlegenden christlichen Wahrheit. In einer Hinwendung begegnet ihm dabei notwendiger Weise Gott als Urheber, wobei der als wahr akzeptierte Inhalt mit einer Offenbarung des unbedingten Versöhnungswillens Gottes durch Christus verknüpft ist; in der Annahme, d.h. im ´Fürwahrhalten´ des Offenbarten entwickelt sich eine persönliche Gewissheit von dem Versöhnungsgeschehen.

So „sind Offenbarungssituationen generell als Erschließungssituationen zu verstehen, die eine ethisch orientierende und bindende Wahrheitsgewissheit entstehen lassen.“[17] Als Grundlage religiöser Gewissheit leuchtet dem Glaubenden eine Wahrheit bezüglich seines eigenen Lebenssinnes auf eine ´passive´ Weise ein. Es handelt sich dabei um eine Situation, in welcher dem Menschen etwas Grundlegendes einsichtig gemacht wird, eine Erkenntnis, die über jegliche ideologiebedrohte, unvollkommene Existenz hinausgeht. Die persönliche Annahme dieser Erkenntnis bezeichnet man als ´glauben´.

Nach K. Stock ist darin auch das Leitbild einer christlichen Existenz begründet, und es ergibt sich u.a. nach F. Schleiermacher als Konsequenz christlicher Offenbarung und zugleich praktische Aufgabe der Theologie die Vermittlung der Ausrichtung des menschlichen Lebens in der „Selbstverantwortung vor Gott.“[18] Mit diesem Begriff wird „das Leitbild der christlichen Lebensführung bezeichnet, die sich auf dem Fundament des durch <Gottes> Wort und Geist, durch äußere (…) und innere Klarheit erschlossenen Lebenssinnes bewegt (…)“[19] und „die Selbstprüfung der handelnden Person vor Gott erfordert (…).“[20]

Damit schließt sich auch der Kreis zur o.g. von J.A. Comenius geprägten Pädagogik mit ganzheitlichem Anspruch mit der u.a. noch einmal im berühmten Missionsauftrag in Markus 16.15 bekräftigen Anweisung „Gehet hin in alle Welt und predigt das Evangelium aller Kreatur“ und einer dadurch in göttlichem Auftrag verknüpften pädagogischen bzw. theologischen Aufgabe, diese zentrale Thematik für andere zu erschließen und auszulegen.

6. Genesung von der Kränkung: Rückbesinnung als Fortschritt

Durch die im Glauben gewonnene und angenommene Erkenntnis des in Punkt 5 erläuterten Versöhnungsgeschehens folgt auf jegliche Kränkung unbedingter Wahrheitsansprüche im Allgemeinen bestenfalls auch wieder eine Heilung. Nach und nach wird der Patient wieder gesund und erholt sich ggf. von etwaigen geistigen Leiden einer ´Ideologie-Verängstigung´, indem er sich zunehmend als Gottes geliebtes Geschöpf begreift. Dies gelingt nicht sofort und unmittelbar, sondern oftmals nur in kleinen, von vielen Reha-Maßnahmen begleiteten Schritten der Rückbesinnung und Rückbetrachtung, aus denen in diesem Fall Fortschritte werden; und nur dort liegt Fortentwicklung.

Die Festsetzung „möglicher positiver Determinanten für einen präzisen Postmodernismus“ in der Ausbildung einer “radikalen (…) Pluralität“[21] zu suchen, erscheint dabei jedoch problematisch: Denn Radikalität, egal auf welcher Basis und zu welchem Zweck ist immer der falsche Weg; das hat die Rückbetrachtung unserer Vergangenheit in vielfältiger Weise gelehrt.

Postmoderne Religionspädagogik ist neben aller ihr eigenen großartigen Freiräume des Experimentierens, einer erfrischenden und motivierenden Andersartigkeit, Befreiung aus traditionellen Zwängen und Kreation menschlicher Ausgleichsmöglichkeiten gegenüber einer von unverzeihlicher Präzision, Effizienz und gnadenloser Perfektion geprägten heutigen technisierten Wirklichkeit jedoch in Bezug auf das pluralistische Wesen ihrer Ästhetik zu überdenken.

Denn wie gezeigt wurde gehen biblische Aussagen in ihrer Konzeption und Intention oftmals so weit, dass sie nicht mehr in den Plural gesetzt werden können. So muten sie zu, Spannungen nicht-pluraler Wahrheiten ertragen zu lernen. Die Kraft des Verdrängens in der postmodernen Religionspädagogik sollte daher nicht gegen unbequeme Wahrheiten gerichtet, sondern in einen hilfreichen diskursiven Prozess einbezogen werden. Dabei wäre die Frage in einen aufrichtig geführten Diskurs zu stellen, durch welchen akzeptablen und vor allem nicht-radikalen Konsens man postmoderne Religionspädagogik auf dem Boden überlieferter und geoffenbarter göttlicher Wahrheit fruchtbar werden lassen könnte.

Mit ihrem Anspruch als Erziehungskonzept zur zeitgemäßen Vermittlung religiöser und theologischer Lerninhalte müsste postmoderne Religionspädagogik sich offener und leichter verständlich präsentieren, ihren diskursiven Charakter sich selbst gegenüber mehr zur Geltung bringen und die Chancen der ihr eigenen Kraft des Verdrängens als ´Ringen´ um das Gute positiv nutzen, wie es in 1. Thessalonicher 5.21 heißt: „Prüfet aber alles, und das Gute behaltet“. So wünsche ich mir eine Religionspädagogik, die die Größe besitzt, sich hinsichtlich ihres postmodernen Wesens immer wieder kritisch zu hinterfragen, damit sie nicht in Gefahr gerät, ihrerseits zur Ideologie zu werden und auch anderen Konzepten von Welt und Gesellschaft Toleranz entgegen zu bringen. Auf diese Weise müsste Andacht gehalten, an-, zurück- und vorausgedacht werden.-

Was versteht man nun unter postmoderner Religionspädagogik? Haben Sie für sich eine Antwort darauf gefunden? Denn eines ist sicher: Wenn es gelänge, diese in einem Satz zu definieren, dann wäre sie nicht mehr postmodern, aber auch nicht mehr verdrängt, unfassbar und unangreifbar, sondern diskursiv und: versöhnt[22]. - Bleiben wir im Diskurs.


Literatur

Bennack, Jürgen/ Ingbert von Martial, Einführung in schulpraktische Studien, 4. Aufl., Hohengehren 1997.

Beuscher, Bernd: Leistungskurs Religion. Vorlesungen zur Kunst der Religionspädagogik, Norderstedt 2000.

Derselbe (Hrsg.): Prozesse postmoderner Wahrnehmung. Kunst-Religion-Pädagogik, Wien 1996.

Derselbe/ Dietrich Zilleßen: Religion und Profanität. Entwurf einer profanen Religionspädagogik, Weinheim 1998.

Bolz, Norbert: Kulturmarketing - Von der Erlebnisgesellschaft zur Sinngesellschaft, Aufsatz in Google, Internet 2001.

Comenius, Johann Amos: Große Didaktik, 8. Aufl., Stuttgart 1993.

Giesel, Matthias: Call me - Interferenzen von Glaube und Kommunikationstechnologien am Beispiel Handy, München 2009.

Koopmann, Helmut: Schiller Kommentar zu den Dichtungen, Bd. I, München 1969.

Luther, Martin: Von der Freiheit eines Christenmenschen, Leipzig 1936.

MacDonald, William: Das tat Gott, 3. Aufl., Bielefeld 2005.

Stock, Konrad: Die Theorie der christlichen Gewissheit, Tübingen 2005.

Tillich, Paul: Offenbarung und Glaube, Schriften zur Theologie II, GW, Bd. VIII, Stuttgart 1970.

Welsch, Wolfgang: Unsere postmoderne Moderne, 6. Aufl., Berlin 2002.

Wilson, Edward: Die Einheit des Wissens, Berlin 1998.

Anmerkungen

[1] vgl. M. Giesel, Call me - Interferenzen von Glaube und Kommunikationstechnologien am Beispiel Handy, München 2009, 71.

[2] Revidierte Lutherbibel, Stuttgart 1990. Alle im Folgenden zitierten Bibelstellen sind dieser Ausgabe entnommen, A.d.V.

[3] Simyo Werbung, aus: www.simyo.de, Internet 2010.

[4] vgl. E. Wilson, Die Einheit des Wissens, München 2000 und J. Dupré u.a. in: T. Thiel in: FAZ, 24.9., Nr. 224, Frankfurt a.M. 2008, N3.

[5] vgl. Martin Luther, Von der Freiheit eines Christenmenschen, Leipzig 1936.

[6] Bernd Beuscher, Leistungskurs Religion, Vorlesungen zur Kunst der Religionspädagogik, Norderstedt 2000, Fußnote, 111.

[7] Günther Drosdowski (Hrsg.), Duden Fremdwörterbuch, a.a.O., 659.

[8] Benno von Wiese in: Helmut Koopmann, Schiller Kommentar zu den Dichtungen, Bd. I, München 1969, 13.

[9] vgl. u.a. 1. Mose 50.20 bzw. Römer 7 und 8.

[10] Wolfgang Welsch, Unsere postmoderne Moderne, 6.Aufl., Berlin 2002, Einleitung, 5.

[11] Jürgen Bennack, Einführung in schulpraktische Studien, 4. Aufl., Hohengehren 1997, 80.

[12] J.A. Comenius, Didactica magna, caput XI, Sp. 49, aus: www.wikipedia.de.

[13] Norbert Bolz, Kulturmarketing - Von der Erlebnisgesellschaft zur Sinngesellschaft, Aufsatz in Google, Internet 2001.

[14] P. Tillich, Offenbarung u. Glaube. Schriften z. Theologie II, GW, Bd. VIII, Stuttgart 1970, 150.

[15] vgl. Theodor Schlatter (Hrsg.), Calwer Bibellexikon, 6. Aufl., Stuttgart 1989, 975 ff.

[16] M. Wermke (Hrsg.), Duden Etymologie - Herkunftswörterbuch der deutschen Sprache, Bd. 7, Mannheim 1997, 496.

[17] Konrad Stock, Die Theorie der christlichen Gewissheit, Tübingen 2005, 71.

[18] ebd., a.a.O., 265ff.

[19] ebd., 267.

[20] ebd., 268.

[21] Bernd Beuscher (Hrsg.), Prozesse postmoderner Wahrnehmung. Kunst-Religion-Pädagogik, Wien 1996, 16.

[22] Vgl. in diesem Zusammenhang zunächst 2. Korinther 5.19-21. Der Aspekt der Versöhnung wird ggf. noch in einem separaten Artikel in besonderer Weise zu erläutern sein, A.d.V.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/67/magi1.htm
© Matthias Giesel, 2010