Meilensteine der Architektur

Eine Kurzvorstellung

Andreas Mertin

Kastorff-Viehmann, Renate (2010): Meilensteine der Architektur. Baugeschichte nach Personen, Bauten und Epochen: Alfred Kröner Verlag Stuttgart.

Eine Baugeschichte nach Personen, Bauten und Epochen legt Renate Kastorff-Viehmann, Professorin für Baugeschichte an der Fachhochschule Dortmund, mit diesem verdienstvollen Buch vor. Auf 580 Seiten entfaltet sie ein Panorama menschlichen Bau-Schaffens von den „Archetypen der Frühen Hochkulturen und der Antike“ bis zur „Zweiten Moderne – Postmoderne – Spätmoderne. Tendenzen nach 1945“. Dabei ist ihr Buch so geschrieben, dass man es sowohl als Nachschlagewerk wie als fortlaufende Geschichte lesen kann.

Die Meilensteine, so schreibt Kastorff-Viehmann, „sollen also helfen, Architektur zu verstehen, jedoch nicht mithilfe von Stilkunde und Stilkritik (zur Stilkritik liegt eine Reihe brauchbarer Bücher vor), wobei einige markante Stilmerkmale auch in den ‚Meilensteinen’ aufgeführt werden, auch nicht über eine Geschichte der Bautypen oder Baukonstruktionen, ebenso wenig über eine detaillierte Geschichtsschreibung zur Architektur, die sich ausführlich den Epochen und den die jeweilige Epochen prägenden Kulturen widmet (auch dazu gibt es jeweils sehr gute, oft mehrbändige Veröffentlichungen) – entsprechend der Intention der Reihe ‚Meilensteine’, die personen- und geistesgeschichtlich angelegt ist, werden hier Personen, Bauwerke und Stile vorgestellt und auf ihre ideengeschichtliche und gesellschaftliche Grundlage zurückgeführt, die als ‚Meilensteine’ die Geschichte der Architektur geprägt haben“ (S. 2f.)

Das geschieht dann so, dass etwa in dem 21 Seiten umfassenden Kapitel zur Gotik der Leser bei seinem Erwartungshorizont abgeholt wird, dann typologische, konstruktive und formale Merkmale der Kathedralgotik zusammengefasst werden und dann an einzelnen Beispielen wie der Kathedrale von Laon, Notre Dame in Chartres, Notre Dame de Paris, den Kathedralen von Amiens und Rheims das ganze dargestellt wird.  Aus England kommt noch die Gloucester Cathedral, aus Deutschland die Marienkirche in Lübeck und schließlich die Marienburg bei Danzig hinzu. Damit hat man eine gute Grundlage für das Studium dieser Bauepoche.

Der Schwerpunkt des Buches liegt aber klar auf der Moderne und den sie begründenden Architekturbewegungen, denen knapp die Hälfte des Buches gewidmet ist. Das ist insofern legitim, weil es auch Gegenstand der aktuellen Debatten zur Architektur ist und daher auf ein breites Interesse stößt. Hier wird man über alle wesentlichen Personen und Bewegungen informiert.

Kritisch anzumerken habe ich nur Weniges: Zum einen hätte ich mir als Ergänzung zum Personen- und Gebäude-Register noch ein Orts-Register gewünscht. Gerade wenn man eine Städtereise vorbereitet, will man ja nicht nur die Gebäude nachschlagen, auf die man gestoßen ist, sondern erst einmal wissen, was denn überhaupt Ausgezeichnetes vor Ort ist. Dazu wäre ein solches Register hilfreich. Zum zweiten wäre es schließlich ein Wunschtraum, wenn ein Buch wie dieses mit einem elektronischen Anhang versehen wäre, so dass man die besprochenen und vorgestellten Bauwerke online betrachten könnte. Ein solches Museum der Baugeschichte ist ein eindeutiges Desiderat. Zum dritten frage ich mich, wer Kulturhistorikern und Lektoren eigentlich die Fachsprache beibringt, wenn ich immer noch in Lexika die antijudaistische Rede von „alttestamentarischen Zeiten“ lese, die dann auch noch assoziativ mit „Mythen“ verknüpft werden. Vielleicht sollte man, um diesen Unsinn offenzulegen, im Gegenzug statt von ‚architektonisch’ einfach mal konsequent von ‚architektarisch’ reden. Wenn man seine Verachtung alter Kultur zum Ausdruck bringen will, reicht es doch von „biblischen Zeiten“ zu schreiben.

Ansonsten empfehle ich das Buch uneingeschränkt für den an der Architektur und ihrer Entwicklung Interessierten. Es ist ein guter Begleiter durch die Jahrhunderte, sachkompetent und anschaulich geschrieben.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/64/am311.htm
© Andreas Mertin, 2010