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Krachmodern?

Eine Gegenrede

Andreas Mertin

Die Kunsthistorikerin und Kirchenpädagogin Erika Grünewald hat in Ausgabe 04/2008 der Kunsttexte (www.kunsttexte.de) sich mit den „Widersprüchen im Verhalten der Kirchen“ gegenüber der Bildenden Kunst auseinandergesetzt. Genauer: es sind die evangelischen Kirchen und noch genauer: die lutherischen, die sie meint. Diese seien in ihrem Kunstverhältnis „Gefangen zwischen Wegschauen und Hinwendung“. Wenn man auf die „kircheneigene Kunst“ schaue, müsse man mit Horst Schwebel von einem Versagen der Kirche in der Wahrnehmung sprechen, schaue man auf die „nicht kircheneigene Kunst“ so treffe man auf „krachmoderne“ Werke, die aber mit der Kirche und ihrer Botschaft nichts zu tun hätten bzw. sich durch „niedrigschwellige religiöse Empfindung“ auszeichneten und zudem nur temporär präsentiert würden.

Im Abstract des Textes lautet das Ganze so: "Die vor allem lutherische Kirche hat das vom thematischen Diktat emanzipierte Kunstwerk in der Form von Ausstellungen zurückgeholt, aber der Umgang mit ihm fällt ihr schwer. In der Praxis sind kirchliche Ausstellungen flexibler weil weniger aufwändig als Museen und experimentierfreudiger als Galerien, die auf den profitablen Absatz ihrer Kunstwerke angewiesen sind. In Ausstellungen abgekapselt, können Kirchen es sich erlauben, eine nichtgemeindliche Öffentlichkeit anzulocken, sie aber auch zu provozieren, gar zu brüskieren, denn die dort ausgestellten Werke sind oft "krachmodern" und gehören nicht der sie ausstellenden Kirche. Die gegenwärtige Ausstellungspraxis in den Kirchen unterteilt die Gegenstände in "Kunst in der Kirche" und "kirchlichen Ausstellungen", eine Teilung, die Widersprüche im Selbstbild der Kirchen enthüllt und womöglich auch einen Riss in der gegenwärtigen lutherischen Theologie aufzeigt."

Ich will an dieser Stelle gar nicht bestreiten, dass Erika Grünewald mit ihrer doppelseitigen Beschreibung von unzulänglicher Kirchenkunst einerseits und effekthascherischer Präsentation zeitgenössischer Kunst andererseits über weite Strecken recht hat, insbesondere im Blick auf das kirchenleitende Handeln, das die kulturelle Selbstghettoisierung der Christenheit pflegt und zugleich die zeitgenössische Kunst als Speck für ästhetische Mäuse einsetzt. Bis in die jüngsten Verlautbarungen hinein lautet die Rechtfertigung der Präsentation moderner Kunst in der Kirche, dass man so ein Publikum anspreche, das sonst nicht in die Kirche käme. Und auf der anderen Seite ist sich selbst der Bischof der die documenta-Begleitausstellungen verantwortenden Kirche nicht zu schade, vor seiner Synode zu sagen, Ausstellungen mit zeitgenössischer Kunst seien nichts für die Kerngemeinde. Insoweit hat Erika Grünewald Recht.

Und dennoch kann und muss man gegen diese Form der Darstellung des Verhältnisses von Kunst und Kirche in den lutherischen Kirchen einige Einwände vorbringen und zwar im Interesse der Begegnung und des Dialogs. Man sollte eben nicht nur auf die Kerngemeinde und die Kirchenleitungen blicken, wenn man dieses hochkomplexe Verhältnis untersucht, sondern sollte den Protestantismus und seine Theologie gerade in der pluralistischen Vielfalt wahrnehmen, die sie seit 200 Jahren charakterisiert. Und da sehen die Perspektiven etwas anders aus. Das möchte ich im Folgenden darlegen.

Zum einen kann man bestreiten, dass die von Erika Grünewald herangezogenen Wolfenbütteler Empfehlungen von 1991 irgendwelche Bedeutung für das kirchliche Verhältnis zur bildenden Kunst haben. Dazu muss man wissen, was der Evangelische Kirchbautag ist, wie er sich zusammen setzt und welche Kompetenz er im Blick auf die Bildende Kunst hat. Was immer man seinen periodisch erscheinenden Verlautbarungen zugute halten möchte, auf dem Stand der Begegnung von Kirche und zeitgenössischer Kunst waren sie noch nie. Man kann sich fragen, ob sie je zeitgenössisch waren – aber das ist eine andere Frage. Die norma normans, wie Kunst in der Kirche aufzufassen sei, sind die Wolfenbütteler Empfehlungen jedenfalls sicher nicht. Das wird schon aus ihren Formulierungen mehr als deutlich, weil sie den Funktionalcharakter zum Kriterium des Kunstwerks machen, was in der säkularen Beschreibung von Kunst seit der Aufklärung als unsinnig gilt. Was die Wolfenbütteler Empfehlungen beschreiben ist Kunsthandwerk oder mit einem neueren Wort „religiöses Design“. Folgt man den Wolfenbütteler Empfehlungen kann man eo ipso nie auf Kunst stoßen. Glücklicherweise hält sich in der evangelischen Kirche niemand an derartige Empfehlungen, weshalb wir trotz ihrer auf dauerhafte Kunstwerke im Zentrum des religiösen Ritus im Protestantismus treffen. So ist Anish Kapoors Altar in der Unterkirche der Dresdner Frauenkirche der Kunstcharakter nur schwer abzusprechen. Er ist eine beeindruckende Skulptur, die jenseits aller funktionalen Versuchungen eigenständig Erfahrungen auslöst und zugleich doch auch  in die Überlieferungen früherer Generationen eingebunden ist (analoges gilt im katholischen Bereich für den Altar von Chillida in der Kunststation St. Peter in Köln). Aber mit aussagekräftigen Gegenbeispielen ist hier noch nicht viel geholfen.

Statt dessen krankt Erika Grünewalds Darstellung daran, dass sie Paradigmen verwendet, die für die evangelische Kirche meines Erachtens nicht mehr gültig sind. Und eines dieser Paradigmen lautet: die religiöse Haltung zur Kunst entscheidet sich am Kult. Das ist – wenn überhaupt - ein durch und durch katholisches Paradigma, wobei man Lutheranern den Vorwurf nicht ersparen kann, allzu oft diesem Kriterium wider besseren Wissens gefolgt zu sein. Statt dessen gilt aber für die Protestanten seit der Reformation (und wie Bazon Brock und auch Umberto Eco je auf ihre Weise überzeugend gezeigt haben, eigentlich schon seit den Libri Carolini Karls des Großen): die religiöse Haltung zur Kunst entscheidet sich an der Kunst! Sie ist m.a.W. von einer säkularen Haltung schlicht nicht unterscheidbar. Die lutherische wie die allgemeine protestantische Haltung kann nach evangelischer Lehre aus einer kultischen Verpflichtung oder Einbindung keine besondere Wertschätzung ableiten. Das ist eine Grundlehre der Reformation, die aus der Auseinandersetzung mit der seinerzeitigen Bevorzugung des Klerikerstandes hervor gegangen ist.

Gottesdienst, auch das muss wieder und wieder hervorgehoben werden, heißt nicht, Sonntags fleißig in die gleichnamige Veranstaltung zu gehen, sondern heißt, Gott mit seiner Arbeit und seinem Leben zu dienen. Jedes gelungene Kunstwerk ist in diesem Sinne ein gelungener Gottesdienst und jedes schlechte Kunstwerk ein schlechter Gottesdienst. Wer daher davon spricht, Umgang mit (moderner) Kunst in der Kirche sei bloß etwas für die Leute außerhalb des Gottesdienstes (wie jüngst Bischof Martin Hein in seiner Synodenansprache), reduziert den Gottesdienst des Menschen auf sein Ritualverhalten. Gegen diese gerade für die Künste so fatal wirkende Verkürzung des Gottesdienstes auf die Ritualpraxis gilt es, den umfassenden Gottesdienstbegriff wieder zur Geltung zu bringen: „Luther sieht den begnadigten Sünder durch seinen Rettergott an einen je eigenen Ort in der Welt gestellt. Hier an diesem Lebensort soll er seine konkreten Verantwortlichkeiten wahrnehmen, in Ehrfurcht vor Gott, zum Wohl seiner Nächsten, als gelebten Gottesdienst“ (Friedrich Wilhelm Graf).

Gute Kunst zu schaffen ist derartiger gelebter Gottesdienst. Sich mit schlechter Kunst zufrieden zu geben, ist schlechter Gottesdienst. Was dabei gut und schlecht ist, entscheidet sich nicht religiös, sondern am je eigenen Ort, so wie sich auch die Qualität der Arbeit an je ihrem Ort entscheidet. In vielen Gesprächen über Ausstellungen fragen mich Künstler, was denn die Kirche von ihnen erwarte. Das ist eine ebenso erschrockene wie erschreckende Frage. Aber die Antwort darauf kann immer nur heißen: Gib Dein Bestes! Mach gute Kunst!

Der Protestantismus hat in seiner Weltsicht die alten religiösen Paradigmen revolutionär und dauerhaft verabschiedet und das betrifft auch die Haltung zur Kunst. Jesus Christus ist „die Befreiung der bildenden Künste zur Profanität“ hat Kurt Marti vor 50 Jahren(!) treffend formuliert. Und mit Befreiung zur Profanität ist eben tatsächlich die radikale Freiheit (die sich die Künste zu dieser Zeit natürlich selbst schon genommen hatte) gemeint.

Erika Grünewald geht aber noch einen Schritt weiter: die in den Kirchen temporär gezeigten Werke seien flüchtiger Natur ohne Bezug auf Tradition und Überlieferung: „Die gezeigten Kunstwerke sind keineswegs Zeugnisse der Lebendigkeit vergangener Generationen und teilweise derart provokativ, dass sich weder Gemeinde noch Besucher darin wieder finden.“ Das ist natürlich deskribtiv im Blick auf die Wolfenbütterler Empfehlungen gemeint. Aber es ist auch ein wenig an der Sache vorbei: Als ob ausgerechnet das ein Kriterium von gelingender Kunstbegegnung wäre, dass sich die Rezipienten darin wieder finden. Und als ob die mediale Inszenierung des Protestes ein Indiz dafür wäre, dass die Werke provokativ seien. Weder Martin Kippenbergers gekreuzigter Frosch war provokativ noch die von Grünewald genannte Marzipanfigur in der Hamburger Katharinenkirche. Man sollte die gezielt bediente Medienmaschinerie nicht mit der Auseinandersetzung mit Kunst verwechseln.

Jene Kunst, die von sich aus Sinnfragen aufgreife und zum Gegenstand der ästhetischen Reflexion mache, zögen, so Grünewald, „die Kirchen sich nun in Sonderinstallationen und Ausstellungen zu sich heran – und mit ihnen deren Sinnangebot – zu sich, aber die theologische Integration bleibt aus.“ Ja, das ist das Interesse mancher Veranstalter, aber es beschreibt nicht das, was wirklich geschieht. Präziser kann man das Missverständnis an dieser Stelle kaum bezeichnen. Denn mit Horst Schwebel ist darauf hinzuweisen, dass die theologische Integration gar nicht mehr vonnöten ist und mit Martin Luther, dass mit dem Entstehen des Kunstwerks selbst bereits das Entscheidende geschehen ist. Nur in einem katholischen ordo bedürfte es jetzt noch der theologischen Integration, der Weihe oder wie auch immer man es bezeichnen möchte. Nach neuerem evangelisch-theologischen Verständnis ist mit der Hereinnahme in die religiöse Reflexion das Zentrale geschehen.

Auch die von Woydeck übernommene Rede von Gottesraum einerseits und Kunstraum andererseits lässt sich nicht wirklich in die evangelische Lehre übersetzen. Zunächst lässt sich banal fragen, ob es einen Raum geben kann, der nicht Gottesraum ist, angesichts dessen, der Himmel und Erde gemacht hat. Schärfer formuliert: muss man sich den Kunstraum dann als gottlosen Raum vorstellen? Und ist der Gottesdienstraum Gottes Raum? Ganz sicher nicht, wenn darunter ein abgegrenzter Raum im Sinne des Hauses Gottes in der alten Tempeltradition verstanden wird. Grundsätzlich machen die Distinktionen von ‚kirchlich’ und ‚weltlich’, ‚heilig’ und ‚profan’  im protestantischen System keinen Sinn mehr.

Alles, was Grünewald dann, Woydack parapharisierend, zur Subjektivierung der Kunstwahrnehmung benennt, ist genuin protestantisches Weltverhältnis, ist das, was seit der Reformation diese Konfession an- und vorangetrieben hat. So „ist für Luthers reformatorischen Protest ein prinzipieller Vorrang des frommen Einzelnen vor der Kirche als Institution grundlegend“ (Friedrich Wilhelm Graf). Die hohe Übereinstimmung von modernem Kunstsystem wie moderner Kunstbetrachtung und protestantischer Weltauffassung liegt nicht nur darin begründet, dass beide ihre Wurzeln in der europäischen Individualisierung haben, sondern auch darin, dass sie in der Spezialisierung der Lebensbereiche eine Antwort auf die Herausforderungen ihrer Zeit gefunden haben. Die Autonomie des Subjekts, die Grünewald so hervorhebt, ist ein Teil der protestantischen Kultur- und Geistesgeschichte und es ist nicht ihr unbedeutendster Teil.

Dass die Evangelische Kirche sich die ‚krachmoderne’ Kunst in ihre Räume holen würde ohne sie in den Gottesdienst zu integrieren, ist daher nach all dem Ausgeführten einfach nicht wahr. Nicht einmal nach dem katholischen Paradigma, Kunstgebrauch erweise sich durch Kultintegration, stimmt die Behauptung. Seit vielen Jahren steht – sicher nur an einigen ausgezeichneten Stellen – die moderne Kunst als solche auch im Zentrum des sonntäglichen Gottesdienstgeschehens.

Und gerade auch die temporären Interventionen, die Grünewald meines Erachtens zu niedrig bewertet, haben immer auch den sonntäglichen Gottesdienst mit einbezogen. Es war geradezu ein Kriterium der von mir kuratierten Ausstellungen der evangelischen Kirche zur documenta seit 1997, dass die Kunstwerke auch im Rahmen des Kultus zur Sprache kommen und zwar nicht nur als "zu besprechende" Objekte, sondern als Kunstwerke, die im benjaminschen Sinne "die Augen aufschlagen", m.a.W. im Kirchenraum als Subjekte agieren. In diesem Sinne stand 1997 eine zeichenhafte Stahlskulptur von Robert Schad im zentralen Gang der Martinskirche und war der Altarraum mit einer autonomen Skulptur von Madeleine Dietz gefüllt. Wer durch die Kirche ging, ging durch eine Klangkörperskulptur von Alba D’Urbano, die sich gleichzeitig auf die behauptete Christuspräsenz in diesem Raum bezog. 2002 hatte Thom Barth die Kirche als Raum derart einer radikalen Befragung unterzogen, dass kein einziger Gottesdienst mehr ohne diesen Bezug auskam. Nicola Stäglich hatte die alt-metaphysische Orientierung von Kirchenräumen einer ebenso eindringlichen wie radikalen Befragung unterzogen. Und Bjørn Melhus ganz autonom und unabhängig von der Kirche entstandene Videoarbeit fragte nach ihrer Integration in den religiösen Raum, was macht der Geistliche eigentlich da vorne? 2007 griff Yves Netzhammer in seiner Doppelinszenierung auf der Biennale in Venedig und in der Karlskirche in Kassel das Thema der räumlichen Kontextualisierung und der narrativen Eigenwelt auf. Und auch für die vorangegangenen Ausstellungen zur documenta ließe sich ebensolche „Einsichten“ aufweisen, insbesondere im Blick auf die Ausstellung „Abendmahl“ aus dem Jahr 1982. Das Abendmahlsbild von Harald Duwe schenkte sich als Flappsigkeiten und fragte wirklich nach der Wörtlichkeit des Abendmahls, einer zu dieser Zeit auch unter Religionsanthropologen diskutierte Frage.

Wenn Kunst in der Kirche eines nicht sein darf, dann etwas, dass man sich gourmethaft „hin und wieder gönnen sollte wie ein gutes Essen“. Das ist Banausensprache. Speck für ästhetische Mäuse hat Friedrich Niebergall das beizeiten genannt. Um noch einmal Karl Barth zu bemühen: „Das wäre eine schlottrige Auffassung, nach der die Kunst ein Fakultativum für solche wäre, denen es zufällig Spaß macht.“ Nein, die Begegnung mit Kunst ist konstitutiv in den evangelischen Glauben eingeschrieben, denn „das Wort und Gebot Gottes fordert Kunst“. Nur dass er sie nicht als funktionale Integration fordert, sondern als Freiraum in die Hände des Menschen legt.

Die skizzierten neuen Einsichten in der Theologie sind nun so neu wiederum nicht. Wenn etwas die Theologie (und ich meine nicht die Verlautbarungen der Kirchen) auszeichnet, dann das, dass sie diese Fragen frühzeitig aufgegriffen haben. Das gilt selbstverständlich für die Künstlerphilosophentheologen der Romantik, Friedrich Schleiermacher allen voran. Es gilt aber auch für das erste Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts, in dem so viele Erörterungen zum Thema Kunst und Kirche bzw. Kunst und Religion erschienen, dass man sie kaum überblicken kann. Das gilt auch für die Zeit der Dialektischen Theologie, in der Karl Barth und Paul Tillich die Rahmensetzungen für die Beschäftigung mit freier Kunst abklopften und zum Teil zu Lösungen kamen, die bis heute unübertroffen sind.

Das gilt auch für die Zeit der ausgehenden 50er-Jahre als Urs Lüthi und Kurt Marti als Künstlerphilosophentheologen die autonome Kunst theologisch reflektierten. Es gilt für die 60er-Jahre, als Hans-Eckehard Bahr, Rainer Volp und Horst Schwebel ihre grundlegenden Werke schrieben. Und es gilt wieder für die 80er-Jahre, die Zeit der so genannten ästhetischen Kehre in der Praktischen Theologie, als Albrecht Grözinger und Henning Luther ästhetisches Denken in die Grundlagenreflexion der (Praktischen) Theologie einführten und mit dem Arbeitskreis für Theologie und Ästhetik über ein Jahrzehnt die wichtigsten Geister in dieser Frage regelmäßig versammelten. Sicher repräsentierten sie nicht den common sense der protestantischen Theologie – den kann es aus vielerlei Gründen auch gar nicht geben -, aber sie stellten einen gewichtigen Flügel dar.   

Selbstverständlich sollte man nicht so tun, als wäre das Verhältnis von Kunst und Kirche in Ordnung, als gäbe es keine Probleme in der Begegnung vor Ort. Das ist sicher nicht so und das Magazin für Kunst, Kultur, Theologie und Ästhetik berichtet ja oft genug davon. Nur sind die Probleme ganz anderer Art. Erika Grünewalds theologischer Denkhorizont beschränkt sich auf die Lösung Paul Tillichs, nach der die Kunst uns zu letzten Fragen führt, die die Theologie bzw. die Theologen dann beantworten sollen. Dieses Denken ist meines Erachtens in der Theologie seit 20 Jahren überholt. Das Defizit besteht darin, dass der Kunst weiterhin prototheologische Funktionen zugeschrieben werden. Dieses Denken ist hoffnungslos modern. Statt dessen gilt es, das Verhältnis von Kunst und Kirche konsequent post-modern zu begreifen.

Post-modern heißt, beide Bereiche – Kunst und Religion – als an und für sich eigenständige Diskurse wahrzunehmen und zu achten, sie nicht auf gegenseitige Funktionalisierungsmöglichkeiten (interessante Ausstellungsräume, offene Fragen) zu reduzieren. Es heißt zu unterstellen, dass jeder Bereich für sich spricht und alle Fragen und Antworten in sich birgt. Es heißt, dem nachzugehen, was Georg Simmel schon 1907 schrieb: „An und für sich haben Religion und Kunst nichts miteinander zu tun, ja sie können sich in ihrer Vollendung sozusagen nicht berühren, nicht ineinander übergreifen, weil eine jede schon für sich, in ihrer besonderen Sprache, das ganze Sein ausdrückt. Man kann die Welt religiös oder künstlerisch, man kann sie praktisch oder wissenschaftlich auffassen: es sind die gleichen Inhalte, die jedes Mal unter einer andern Kategorie einen Kosmos von einheitlich-unvergleichbarem Charakter formen.“ Post-modern heißt vor allem, alle Wünsche, auf die eine oder andere Art Einheit oder Übereinstimmung herstellen zu wollen, als Täuschung oder wenigstens doch als Illusion zu begreifen.

Vor gut 60 Jahren hat Theodor W. Adorno geschrieben, die emphatisch beschworene Einheit von Kunst und Religion sei das Ergebnis einer romantischen Projektion. Den Grund der Versuche, Kunst und Religion zu versöhnen, sieht Adorno in der Sehnsucht nach einem sinnstiftenden, integrierenden Moment. Jedoch liefe die Engführung von Kunst und Religion auf das Gegenteil dessen hinaus, was sie intendierte: Kunst und Religion würden so zu beliebig austauschbaren kulturellen Waren gemacht. Nur durch eine asketische Abstinenz von religiösen Themen könne Kunst ihre wahre Affinität zur Religion bewahren. Adorno kommt zu dem Ergebnis: Religiöse Kunst heutzutage ist nichts als Blasphemie.

P.S.: Gekünstelte Formulierungen wie „krachmodern“ mag ich nicht. Was soll das sein? Die Assoziation zu „krachledern“ ist offensichtlich ebenso wenig intendiert wie die an „postmodern“. Was aber dann? „Modern auf Teufel komm raus?“ „So modern, dass es jedes Mal kracht?“ „Nur jene Kunst, von der man hofft, dass es kracht?“ In jeden Falle ist es eine Diskriminierung der Kuratoren, deren Vermittlungsarbeit herabgesetzt wird, ohne dass man auch nur ansatzweise zeigen könnte, diese machten ihre Arbeit nur, um Konflikte zu provozieren. Wir Kuratoren arbeiten, um die Dinge auf den Punkt zu bringen, um Erkenntnisse auszulösen und um Erfahrungen zu ermöglichen. Wenn es dabei kracht, ist das so. Das ist aber nicht der Zweck des Spiels. Es zeigt allenfalls, dass etwas auf dem Spiel steht. Aber vielleicht wird hier nur ein Klischee bedient. Wenn ein Jesuitenpater zeitgenössische Kunst in seiner Kirche zeigt, ist das ein interessanter Dialog von Kunst und Kirche. Wenn ein Protestant das Gleiche macht, ist es Anpassung an den Zeitgeist. Wie einfach die Welt sein kann.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/57/am268.htm
© Andreas Mertin, 2009