Kitsch - Kopie - Nostalgie


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„Nicht ohne meine Kirche“?

Kirchenpolitische Unsinnigkeiten

Andreas Mertin

Gleich mehrfach hat der Präses[1] meiner westfälischen Landeskirche in letzter Zeit öffentlichkeitswirksam zum Thema „Verkauf von Kirchengebäuden an Muslime“ Stellung bezogen. Zuletzt vermeldete die Nachrichtenagentur IDEA am 15.11.2008, dass der westfälische Präses Alfred Buß sich nachdrücklich gegen die Umwidmung von Kirchen in Moscheen ausgesprochen hat: „Wenn Kirchen nicht mehr als Gotteshaus genutzt werden, sollte ihre zukünftige Verwendung nicht dem ursprünglichen Zweck widersprechen. Die Umwidmung zu einem Restaurant etwa stehe diesem Anspruch nicht entgegen, da schließlich auch Jesus gerne gegessen und getrunken habe. Die Menschen würden es dagegen nicht verstehen, wenn ihre Kirche, in der sie getauft wurden, plötzlich zu einer Moschee umgewandelt werde, so Buß.“[2]

Scheinbar muss ein immenser Druck auf der Landeskirchenleitung liegen, nicht mehr genutzte Kirchengebäude an Muslime abzugeben, anders kann man sich es kaum erklären, dass diese Thematik immer wieder gegenüber der Presse aufgegriffen wird. Es scheint, als ob überall in Westfalen die Muslime vor evangelischen Kirchen stehen und diese in Moscheen verwandeln möchten. Kenner der Szene, die ich nach dem Realitätsgehalt dieser Phantasie befragte, erklärten mir, dass es in den letzten Jahrzehnten allenfalls zwei Anfragen in diese Richtung gegeben habe, die sich zu einem Teil auch nur auf den Kauf eines bisher gemieteten Gemeindehauses bezogen hätten. Wenn aber kaum Nachfrage besteht, worauf zielt dann die Intervention des Präses? Es geht also offenkundig nicht um die Beantwortung einer Sachfrage, sondern um eine öffentlichkeitswirksame Zeichensetzung. Präses Buß möchte ein Zeichen setzen. Fragt sich nur, welches Zeichen für wen? Sicher soll dies kein Zeichen für die Muslime sein. Und vermutlich ist es auch kein Zeichen für die Kirchenvorstände, die mit Fragen der Gebäudeerhaltung beschäftigt sind, denn wie gesagt, die Frage stellt sich in aller Regel gar nicht. Eher ist es daher die vox populi, die hier im Blickfeld liegt, vermutlich die vox populi der Kerngemeinde, sofern man darunter die regelmäßigen Gottesdienstbesucher versteht.

In der üblichen Unterscheidung von „Menschen“ und „denen, die anders denken“ (eine Unterscheidung, die selbst totalitärer Natur ist) dekretiert Buß, „die Menschen“ würden es nicht verstehen, wenn „ihre Kirche“ zu einer Moschee umgewandelt werden. Ich gehöre offensichtlich nicht zu „den Menschen“ von denen der Präses spricht, denn ich persönlich hätte es durchaus verstanden, wenn zum Beispiel seinerzeit die Hagener Lutherkirche, in der ich getauft wurde, an die muslimische Gemeinde verkauft worden wäre. Aber ich gehöre eben nicht dazu, denke anders und daher spricht der Präses offensichtlich auch nicht für mich. Seine autoritative These, Kirchengebäude dürften nicht an Muslime abgegeben werden, würde bei mir auch auf entschiedenen Widerspruch stoßen, denn sie hat theologisch keinen Bestand. Es handelt sich um eine rein kirchenpolitische und darin auch noch populistische Äußerung.

Einige der berühmtesten Kirchen dieser Welt haben eine wechselhafte Geschichte hinter sich – vom Tempel zur Kirche zur Moschee zurück zur Kirche –, ohne dass das die religiöse Bedeutung oder den religiösen Ritus in irgend einer Form geschmälert hätte. Eine davon, die Mezquita de Córdoba trägt bis heute in der öffentlichen Rezeption nach immerhin 770 Jahren christlicher Nutzung den Namen Moschee, obwohl es sich de facto um die Mariä Empfängnis Kathedrale von Cordoba handelt. Was also ist schlimm daran? Umgekehrt assoziiert ein guter Teil der Menschen mit der Hagia Sophia weiterhin die orthodoxe Sophienkirche auch wenn diese vor 555 Jahren zur Moschee und vor 75 Jahren in ein Museum umgenutzt wurde. Was ist schlimm daran? Ein guter Teil aller religiösen Gebäude, die älter als 150 Jahre alt sind, hat derartige religiöse oder säkulare Umnutzungen zwischenzeitlich erfahren. Das kann doch kein Grund sein, darin einen Angriff auf den Glauben zu sehen. Worum aber geht es dann?

Man mache einmal ein kleines Gedankenexperiment: Man stelle sich vor, die Muslime wären eine Gruppierung von der Größenordnung der Hindus in Westfalen. Hätte der Präses dann auch laut sein Wort erhoben und die Umwandlung einer Kirche in einen Tempel als undenkbar bezeichnet? Ich vermute nicht, vielmehr wäre der Vorgang auf einer untergeordneten Sachebene entschieden worden. Nun aber gibt es mehr Muslime als Hindus in Deutschland und auch in Westfalen und da werden einige in der Kirche nervös. Wenn aber gar nicht die Theologie (im Sinne der Gotteslehre) die Äußerungen des Präses bestimmt, sondern die bloße Zahl der Muslime in Westfalen, dann geht es im Kern um eine Art von Fremdenfeindlichkeit. Man möchte kein Zeichen setzen, dass die Muslime sich noch weiter „ausbreiten“. Die entsprechende Handreichung meiner Kirche beginnt daher auch mit dem Argument der Zahl: „seit mehr als 40 Jahren leben Muslime in größerer Zahl bei uns. Es gibt Kommunen in unserer westfälischen Landeskirche, in denen die Zahl der muslimischen Mitbürger an die Zahl der evangelischen Gemeindeglieder heranreicht.“ Was ist das für ein Satz? Volkhard Krech nennt in seiner Studie „Was glauben die Menschen in NRW?“ aus dem Jahr 2006 folgende Zahlen: „Religiöse islamische Gemeinschaften sind besonders stark in Duisburg, Hamm und Gelsenkirchen vertreten, aber auch im nördlichen und östlichen Ruhrgebiet, im Märkischen Kreis, in Wuppertal und Remscheid. Insgesamt lässt die Verteilung jedoch kein Muster erkennen. Die Präsenz variiert zwischen 7,2 und 0,07%.“ Für Hamm in Westfalen gibt die gleiche Studie den Anteil der beiden großen Konfessionen mit je über 30% an. Nimmt man die niedrigste Präsenz der evangelischen Landeskirche in Kommunen NRWs im Vergleich zur höchsten Präsenz der Muslime in Kommunen NRWs so ist das Verhältnis 13% zu 7,2%, also doppelt so viele Evangelische wie muslimische Bürger. Wie kann dann ein Satz von der Zahl der muslimischen Mitbürger, die an die Zahl der evangelischen Mitbürger heranreicht, zu Stande kommen? Weil man einfach ein Stadtviertel mit muslimischer Bevölkerung herausgreift und es zu der Zahl der Evangelischen in Beziehung setzt? Ist das nicht eine bösartige Verdrehung der Realitäten?

Dass die Zahl der Muslime das eigentliche Problem ist, wird auch aus Äußerungen des bayrischen Bischofs Friedrich in einem Kommentar in der Zeitschrift Chrismon deutlich: „Eine Kirche in eine Moschee umwandeln zu lassen, kommt für mich hingegen nicht infrage. Das wäre ein völlig falsches Signal: Es würde dem Eindruck Vorschub leisten, das Christentum sei auf dem Rückzug, der Islam auf dem Vormarsch. Davon kann in Deutschland keine Rede sein.“ Schaut man genauer hin und liest zwischen den Zeilen, dann wird deutlich, worum es nach Friedrich geht: wir befinden uns im Krieg. Denn nur dort ist die Metapher vom „Rückzug“ oder vom „Vormarsch“ zu Hause. Es darf nicht der Anschein erweckt werden, als ob die christlichen Glaubenstruppen auf dem Rückzug wären. Das ist meines Erachtens Kreuzrittersprache und sollte mit der frühen Neuzeit überwunden sein. Was aber meint die Rede vom „auf dem Vormarsch sein“ bzw. sich „auf dem Rückzug befinden“? Meint Friedrich empirische Fakten oder kulturgeschichtliche Zusammenhänge, die ja immer gedeutete Zusammenhänge sind?

Sachlich-empirisch lässt sich der Tatbestand für Bayern selbst ja leicht überprüfen. Die Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland kommt aufgrund der Volkszählungen und anderer statistischer Erhebungen zu folgendem Ergebnis: „Von 1970 bis 2004 hat sich der Anteil der katholischen Kirchenmitglieder an der Bevölkerung in Bayern von 70,4% auf 57,8% verringert. Ebenso hat sich der Anteil der evangelischen Kirchenmitglieder von 25,2% auf 21,8% verringert. Der Anteil der „Personen aus muslimischen Umfeld“ ist von 0,9% auf 2,2% gestiegen und der Anteil der „Konfessionslosen und Sonstigen“ ist von 3,5 % auf 18,2 % gestiegen.“ (http://fowid.de) Daraus lässt sich ableiten: Tatsächlich gibt es einen Rückgang der Kirchenzugehörigkeit in Bayern von 95,6% auf 79,6%, tatsächlich steigert sich die Zahl der Muslime im gleichen Zeitraum von 0,9% auf 2,2%. Daraus ein Bedrohungsszenario zu machen, wäre so, als wolle man mit diesen Zahlen behaupten, die beiden Volksparteien in Bayern wären auf dem Rückzug, während die FDP oder auch die Grünen auf dem Vormarsch wären. Das ist zwar zutreffend, gibt aber nicht annähernd die Verhältnisse wieder. Gestiegen ist aber – und nicht nur in Bayern oder in NRW – die Zahl der Konfessionslosen. Wollte man sich der Zeichensetzungs-Rhetorik der beiden Kirchenleiter anschließen, dürften Kirchengebäude also auf keinen Fall an Konfessionslose abgegeben werden, um nur ja keine falschen Zeichen zu geben. Diese Schlussfolgerung habe ich aber noch nicht gehört – und möchte sie auch nicht hören, weil sie ebenso absurd wie die andere ist.

Ich vermute, womit hier fahrlässig gespielt wird, ist der Umstand, dass der „gefühlte“ Anteil an Muslimen in der Gesellschaft um ein Mehrfaches über dem realen Anteil liegt. Selbst wenn man von einem realen Anteil von Menschen mit muslimischem Hintergrund in NRW von etwa 5,5% der Bevölkerung ausgeht (was nicht dem Anteil der sich zum Islam Bekennenden entspricht), dann ist das immer noch ein sehr kleiner Anteil. Hier müsste eine Kirchenleitung aber nicht weiter verunsichern und desorientieren, sondern müsste aufklärerisch tätig werden und zum aktiven Miteinander aufrufen, statt unsinnige Parolen in die Welt zu setzen.

Es geht aber noch um etwas Anderes, nämlich darum, dass so getan wird, als ob an den Kirchengebäuden selbst tatsächlich etwas substantiell Christliches inkorporiert sei. So wird unter der Hand die Rückkehr der Dingmagie im Protestantismus gefördert. Denn es wird unterstellt, an den Steinen der Kirchengebäude hafte mehr als bloße subjektive Erinnerung, vielmehr trügen die Dinge substantiell etwas vom Gehalt evangelischen Glaubens. Ist das noch evangelische Lehre? Heißt religiös erwachsen werden nicht zugleich auch, sich von solchen Vorstellungen der Dingmagie zu verabschieden? Wenn aber an den Dingen nichts haftet (worauf jüdische Aufklärer wie Jesaja[3] ja unermüdlich hingewiesen haben), was verteidigen(sic) wir dann mit den Gebäuden?

Präses Buß meint: „Ein Sprachkurs, eine Geburtstags- oder Hochzeitsfeier sind sicher eher unproblematisch. Bei der Überlassung von Gemeinderäumen anlässlich ritueller Gebete oder für zentrale islamische Feiern, etwa für das Opferfest oder für Beschneidungen, sollten Kirchengemeinden sehr genau prüfen, ob diese Feiern nicht im Grundsatz dem Auftrag eines kirchlichen Gebäudes widersprechen. Die Überlassung wie auch der Verkauf von Kirchen und Gottesdiensträumen an muslimische Gemeinden ist ausgeschlossen.“

Noch einmal gefragt: wie viele Anträge auf Überlassung eines Gemeindehauses für muslimische Beschneidungen gibt es überhaupt? Oder ist die Botschaft nicht die: Liebe Mitchristen, wenn wir den Muslimen unsere Gebäude überlassen, werden die dort so Schreckliches wie Beschneidungen durchführen? Dann diente die Argumentation aber nur dem Ressentiment, statt anzuerkennen, dass zwei der drei so genannten abrahamitischen Religionen aus religiösen Gründen tatsächlich Beschneidungen durchführen.

Und was soll das Gerede vom Auftrag eines kirchlichen Gebäudes? Die Funktion kirchlicher Gebäude wird von den Reformatoren präzis beschrieben: „Wie nun Gott den Gläubigen das gemeinsame Gebet in seinem Wort gebietet, so müssen auch öffentliche Kirchengebäude da sein, die zum Vollzug dieser Gebete bestimmt sind ... Dann müssen wir uns aber auf der anderen Seite hüten, sie nicht etwa, wie man das vor einigen Jahrhunderten angefangen hat, für Gottes eigentliche Wohnstätten zu halten, in denen er sein Ohr näher zu uns kommen ließe; auch sollen wir ihnen nicht irgendeine verborgene Heiligkeit andichten“ so der Reformator Johannes Calvin in seiner Institutio. Gilt denn nicht mehr, was Daniel Friedrich Schleiermacher schrieb, dass die kirchlichen Gebäude "nur eine äußere Bedingung, mithin Nebensache, nicht ein Teil des Kultus selbst" sind?

Zur Zeit wird besonders gerne auf die religiösen Gefühle der den Kirchenraum nutzenden Menschen verwiesen.[4] Mit der subjektiven Erinnerung und Bindung an Kirchengebäude ist es aber so eine Sache. Fragen wir doch mal „die Menschen“, in welcher Kirche sie getauft wurden und ob sie immer noch in dem Gemeindebezirk wohnen, in dem sie geboren wurden. Und fragen wir dann nach, ob bei all ihren Entscheidungen über berufliche Veränderungen der Gedanke an die Taufkirche jemals eine Rolle gespielt hat. Im Laufe meines bisherigen Lebens bin ich in der einen Kirche meines Gemeindebezirks getauft, in einer danach erbauten anderen konfirmiert worden. Später war ich Gemeindeglied der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin, dann Mitglied der Gemeinde der Elisabethkirche in Marburg. Mit jeder dieser Kirchen verbinde ich Erinnerungen, bedeutsame Erinnerungen. Aber nicht im Traum käme ich auf die Idee, dass in einer dieser Kirchen mehr an substantieller Religion vorhanden wäre als das, was sich von Gottesdienst zu Gottesdienst in jeder Kirche dieser Welt ereignet. Wenn also ein Kirchengebäude aufgegeben würde und an Muslime verkauft würde, dann wäre die einzige sinnvolle Frage doch die, wo denn nun der Gottesdienst stattfindet.

Ich glaube daher, dass es bei der Rede vom unerlaubten Verkauf von Kirchen an Muslime um politische Theologie geht, um Machtpolitik und nicht zuletzt um das leichtfertige Spiel mit der Xenophobie. Es stünde uns gut an, in dieser Frage in der Tradition der Reformation statt auf diffuse Gefühle und Ressentiments auf Vernunft und Bildung zu setzen.

Anmerkungen

[1]    Ein Präses, das muss einem Nicht-Westfalen vielleicht noch erläutert werden, ist so etwas wie ein Bischof oder ein Kirchenpräsident einer Landeskirche.

[2] Idea-Meldung. Die Argumentation hat schon realsatirische Züge. Man kann sich ja vorstellen, was Jesus als Mensch so getan und gelassen hat, um daraus erlaubte und unerlaubte Nutzungsformen für Kirchen zu entwickeln. Als Hotels eignen sich Kirchen demnach nicht, weil der Herr ja auch keinen Platz in der Herberge hatte; als Fischerei-Museum eignen sich Kirchen dagegen sehr, weil Jesus ja viele Fischer als Freunde hatte; ….

[3]   "Die Götzenverehrer haben keinen Verstand. Ihre Augen sind verklebt, so dass sie nichts sehen; ihr Herz ist verschlossen, so dass sie nichts begreifen. Wer sich ein Götzenbild macht, denkt nicht darüber nach, was er tut; sonst würde er zur Einsicht kommen und sagen: ‚Die Hälfte des Holzes habe ich verbrannt, über dem Feuer habe ich Fleisch gebraten und in der Glut mein Brot gebacken. Und da sollte ich aus der anderen Hälfte eine Götzen machen, mich vor einem Holzklotz niederwerfen?’ Genauso gut könnte er die Asche anbeten. Sein törichtes Herz hat ihn in die Irre geführt. Auf diesem Weg rettet er nicht sein Leben. Er müsste zur Einsicht kommen und sagen: ‚Das ist doch Lug und Trug, was ich da in der Hand halte!’“

[4]   Andererseits sagen beteiligte Pfarrerinnen und Pfarrer, die stärksten Proteste gegen andere Nutzungsformen kämen gar nicht von den Kirchenmitgliedern im engeren Sinne, sondern gerade von denen, die niemals eine Kirche aufsuchen, sondern sie als Symbol im Stadtbild begreifen und dieses verteidigen wie den üblichen Bismarckturm oder das vertraut gewordene Rathaus.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/57/am267.htm
© Andreas Mertin, 2009