Motiviert zur Bibel greifen

Eine Rezension

Christoph Fleischer

Gerd Theißen. Zur Bibel motivieren. Aufgaben, Inhalte und Methoden einer offenen Bibeldidaktik. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh. 1. Auflage 2003. ISBN 978-3-579-05393-6.

Mit dieser Rezension möchte ich auf ein wichtiges Buch des Neutestamentlers Gerd Theißen hinweisen, das 2003 im Jahr der Bibel erschien und nun beim Gütersloher Verlagshaus zum halben Preis zu erhalten ist.

Theißen legt ein Werk zur Bibeldidaktik vor als ein Bibelwissenschaftler, der den hermeneutischen Ansatz vertritt und als ein pädagogischer Praktiker, der als Lehrer und Hochschullehrer immer auch mit der Vermittlung biblischer Inhalte zu tun hat bzw. hatte. Eine praktische Anwendung seines bibeldidaktischen Ansatzes legte er bereits vor mit der Erzählung „Der Schatten des Galiläers“ (1986).

Im Unterricht geht es immer im Grundsatz um Motivation, ohne die effektives Lernen schlechterdings nicht möglich ist. Die Ausarbeitung zur Motivation, die Gerd Theißen im zweiten Teil seines Buches entfaltet, kombiniert diese direkt mit der Hermeneutik und führt zu deren differenzierter Anwendung im Unterrichtsgeschehen selbst. Seine Grundlage ist hierbei wie schon im Buch „Die Religion der ersten Christen“ (2000) das Verständnis von Religion selbst hier als motivierende Kraft in den Bereichen religiöser Motive, religiöser Erfahrungen, religiöser Sensibilität und allgemeinem Sinnverlangen. Die Selbsterschließung der religiösen Inhalte lässt sich wiederum auf konkrete Motive der biblischen Überlieferung des christlichen Glaubens beziehen wie des Schöpfungsmotivs, des Weisheitsmotivs usw. Der erste Teil des Buches widmet sich der biblischen Hermeneutik und zielt auf diese vierzehn Grundmotive der biblischen Religion, sowie die Grundaxiome des Gottes- und Christusglaubens. Diese werden hier sowohl ins Gespräch gebracht mit unseren säkular geprägten Denkvoraussetzungen als auch mit Aspekten des interreligiösen Dialogs.

Seinen Grundansatz skizziert Gerd Theißen folgendermaßen: „Die Bibel wird in ihrer ganzen inneren Pluralität dargestellt. Sie ist noch größer als die Vielfalt der christlichen Kirchen und Gemeinschaften. Ihre Vielfalt weist auf Strömungen im Christentum, die quer zu traditionellen Kirchengrenzen verlaufen: Befreiungstheologie und Fundamentalismus, feministische Theologie , jüdisch-christlicher Dialog – alle spiegeln den inneren Reichtum der Schrift wieder. … Diese Fülle ist mit dem Ende einer Hermeneutik, die nur einen einzigen möglichen Sinn von Texten akzeptierte, noch größer geworden. Es ist heute leichter, verschiedene Lesarten anzuerkennen. Hermeneutische Bürgerkriege um Textauslegungen sind unmöglich. Wenn es überzeugend gelänge, für heutige Leser transparent zu machen, warum sich Protestanten und Katholiken, Lutheraner und Orthodoxe, Baptisten und Methodisten, aber auch Mormonen, Neuapostolische und Zeugen Jehovas in verschiedener Weise auf dieselbe Schrift beziehen, so wäre das ein Beitrag zur Verständigung in einer pluralistischen Gesellschaft.“

Die Beschäftigung mit einem solchen offenen Ansatz der Bibeldidaktik kann nicht mit dem Ende eines Bibeljahres ad acta gelegt werden. Dies gilt zumal Menschen christlicher Religion zum Zeugnis gegenüber Menschen anderen Glaubens und säkularer Entfremdung aber auch neuer religiöser Neugier herausgefordert sind.

Zur Selbstmotivation sei sowohl dieses Buch als auch die Lektüre der Bibel selbst empfohlen.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/55/cf14.htm
© Christoph Fleischer, 2008