Froschperspektiven

Ein Foto aus dem Bürgerkrieg

Überflüssiges - Über Flüssiges - Überflüssiges

Andreas Mertin

Überflüssiges

Info Andreas MertinEs gibt im Bereich von Kunst und Kirche Konflikte, die sind so überflüssig wie sonst nur etwas. Sie sind deshalb so ermüdend, weil auf allen Seiten mit leicht durchschaubaren Motiven gearbeitet wird, weil niemand sich für die Sache selbst, also für die Kunst oder die Religion interessiert, sondern jeder sein eigenes Süppchen kocht, um sich möglichst gut in Szene zu setzen. Dabei ist das Szenario immer wieder dasselbe.

Schritt 1

Jemand geht hin und produziert in der Hoffnung auf einen Skandal ein Objekt. Er macht das, weil er die religiösen Menschen im tiefsten Herzen für ihre Rückständigkeit verachtet, weil er sich das Recht heraus nimmt, unbeschadet der Bedeutung von Religion damit zu spielen und zwar in einer Weise, die nichts mit Religion zu tun hat, sondern ganz simpel auf die Verletzung eines Gegenübers zielt. An diesem Schritt ist überhaupt nichts Aufklärerisches, weil wir uns gar nicht mehr in jenen Zeiten befinden, in denen die kalkulierte Verletzung religiöser Gefühle noch eine aufklärerische Funktion hatte. Vielmehr hat dieser Gestus etwas vom Klassenclown, der immer den Religionsunterricht stören musste, weil es hier nicht so riskant war, seine Witze zu reißen, denn man lebte von der Toleranz der Verachteten.

Schritt 2

Notwendig folgt dem ersten Schritt der zweite, nämlich die öffentliche Aufregung der scheinbar Brüskierten. Zwar gibt es an sich überhaupt keinen Grund sich aufzuregen, denn die Souveränität Gottes oder der Religion kann durch den ersten Schritt nicht tangiert werden. Aber das sehen die scheinbar Brüskierten nicht ein, sie meinen, man müsse öffentlich zeigen, dass man sich „so etwas“ nicht gefallen lasse. Und so wird der erste Schritt zur öffentlichen Gefährdung oder Beleidigung der Religion hochstilisiert – wo sie doch nur ein kaum beachtenswerter und vielleicht sogar nur pubertärer Ausdruck ist –, um dann mit entsprechenden verletzten Gefühlen reagieren zu können. Man fordert die sofortige Beseitigung der scheinbaren Beleidigung, eine Entschuldigung, wenn nicht sogar Bestrafung der Verantwortlichen. Anderenfalls sehe man sich gezwungen … (hier folgen ja nach Religion und Region unterschiedliche Drohungen).

Schritt 3:

Es folgt die Reaktion der öffentlichen Hand, der Politiker, die ihre Aufgabe weniger in der sachlichen Lösung als vielmehr in der Moderation, also in der Befriedung des Konflikts sehen. Und sie präsentieren je nach ausgeübtem Druck sofort Schein-Lösungen: Könnte man nicht das Objekt des ersten Schritts so platzieren, dass es den zweiten Schritt vermeidet? Vielleicht so, dass man es nicht sieht oder so mit Kommentaren umstellt, dass es seine Provokation verliert? Oder man beschränkt den Zugang zum Objekt so, dass jeder Betrachter das Objekt auf eigenes Risiko anschaut. Vielleicht sollte man aber auch die ganze Veranstaltung einfach absagen und einen der Verantwortlichen opfern? Je nach der zeitlichen Nähe von politischen Wahlen und der angezielten Wählergruppe können die Reaktionen der Politiker aber auch anders ausfallen.

Schritt 4:

Der zweite und der dritte Schritt rufen nun die Verteidiger des ersten Schritts auf den Plan, die daraus angesichts der Reaktion der Brüskierten und der politischen Moderation im Objekt selbst einen zu verteidigenden Schritt der Emanzipation und Befreiung sehen und als selbst berufene Verteidiger der Freiheit der Kunst dies nun auch tatkräftig angehen. Sie verweisen auf die fehlende Kunstfertigkeit der Kritiker, betonen, dass die Provokation notwendig zur Kunst gehöre und die Freiheit der Kunst unantastbar sei, weil sie einen höchsten Wert darstelle. Wer nun den Kunstcharakter des Objekts bestreitet, muss in dieser Perspektive notwendig zur Gruppe der Brüskierten gehören und ist deshalb in seinem Urteil befangen. Am Besten lässt man alles so, wie es ist, nur wäre man gelinde enttäuscht, wenn der zweite Schritt einmal ausfiele, weil man sich dann nicht mehr als modern, offen und liberal erweisen könnte.

Die Schritte zwei bis vier oszillieren im Verlauf der Auseinandersetzung noch ein wenig hin und her, bis das Ganze an öffentlicher Aufmerksamkeit verloren hat oder der nächste Konflikt ansteht. Auf zum nächsten Kampf.

Über Flüssiges

Ein Beispiel, das nach dem gerade skizzierten Muster abläuft, ist der andauernde Streit um Martin Kippenbergers Frosch am Kreuz, den er 1990 unter dem Titel „Fred Frog Rings The Bell“ schuf. Es handelt sich um ein Multiple aus geschnitztem Holz mit Stahlnägeln in der Größe von 130x110x25 cm und einer Auflage von 7+3 Stück. Das erklärt, warum es unterschiedliche Erscheinungsformen des Objekts gibt. Auch der Titel des Objekts scheint unterschiedlich zu sein: „In the exhibition which was on display at the Galerie Gisela Capitain in December 1990, the object was titled "Was ist der Unterschied zwischen Casanova und Jesus: Der Gesichtsausdruck beim Nageln" (What is the difference between Casanova and Jesus: the facial expression when being nailed).“ (Quelle) Andere Überlieferungen nennen als Titel auch noch: „Zuerst die Füße“.

Natürlich gibt es eine offensichtliche Verbindung dieses Werks zum Bild von George Grosz mit dem Titel „Maul halten und weiter dienen“, die diesem ab 1927 einen mehrjährigen Gotteslästerungsprozess einbrachte. Zu sehen war eine menschliche Figur, die an einem Kreuz hing, an dem ein Schild mit der Aufschrift INRI stand. Die Figur war mit einen Lendenschurz bekleidet, trug Soldatenstiefel und Gasmaske und hatte ein Kreuz in der linken Hand. Unter dem Blatt dieser Lithographie stand der Titel „Maul halten und weiter dienen“. Grosz wurde zunächst wegen dieses Kunstwerks verurteilt, später aber freigesprochen. Tucholsky hat die Verurteilung in der Weltbühne kritisch kommentiert.

Nicht unplausibel erscheint es mir auch, eine Beziehung zu dem Christusbild des amerikanischen Fotokünstlers Andres Serrano herzustellen, das einige Zeit vor Kippenbergers Objekt einen Skandal auslöste. Dieser hatte 1987 ein Foto gezeigt, das ein Kruzifix in Urin zeigte und es unter dem Titel „Piss Christ“ öffentlich ausgestellt.

Während das Werk von George Grosz noch eindeutig in die Kategorie des befreienden Protestes gegen unterdrückende Zustände gehört, kann das weder für Andres Serrano noch für Martin Kippenberger unmittelbar gelten. Aufgrund der spezifischen Bildwirkung würde ich auch noch Serranos Werk zu den bemerkenswerten Kunstwerken zählen, die in der Materialdurchformung ihre Begründung finden.

Kippenberger dagegen ordnet sich mit seiner Arbeit meines Erachtens eher in die Reihe der Titelbilder der Zeitschrift „Titanic“ ein, die etwa Jesus als Toilettenrollenhalter zeigten. Satirisch ist das sicher legitim und es gilt keinen plausiblen Grund, sich darüber in extenso aufzuregen. Die Frage bleibt aber die nach dem künstlerischen Wert, die für die Titanic nicht, für Kippenberger aber wohl in Anschlag zu bringen ist.

Wenn man nicht geneigt ist, alles, was ein Künstler macht, für Kunst zu halten, dann muss es zumindest Argumente geben, die anhand des konkreten Werks plausibel machen, was dieses Werk als Kunstwerk auszeichnet.

Aktuell entzündet sich die Auseinandersetzung um Kippenbergers Frosch an einer Ausstellung im neuen Museion in Bozen, in dessen Eingangsbereich das Kunstobjekt zunächst platziert wurde. Es handelt sich um die grüne Variante mit einem Bierkrug in der einen und einem Ei in der anderen Hand. Niemand kann das Objekt derartig inszenieren ohne schon im vorhinein mit einem öffentlichen Skandal gerechnet zu haben. Die Auseinandersetzung war kalkuliert. Und tatsächlich gab es schon bald Proteste vor allem katholisch-konservativer Kräfte, die hier eine Verletzung religiöser Gefühle witterten und nun Samstag für Samstag eine Demonstration mit Kreuz und Madonna vor dem Museum veranstalten. Martin Kippenberger hätte das sicher gefallen.

Nachdem der Konflikt eskalierte, schaltete sich die Politik ein und suchte eine „Lösung“, die schließlich auf das nahezu vollständige Verdecken des Kunstwerks hinauslief. Was den Politikern vor allem Sorge bereitete, war der Umstand, dass der Papst im Sommer in Bozen sein würde und man den Führer eines befreundeten Staates ja nicht vor den Kopf stoßen wollte.

Es folgten die Verteidiger der Kunstwerkes, die in der Verhängung des Kunstwerks durch Presseberichte zu Recht eine Zensurmaßnahme gegenüber der Kunst witterten und darin auch keine „Vermittlungsmaßnahme“ des Museums im Blick auf den „Volkszorn“ erkennen konnten. Es fällt auf, dass die Verteidiger weitgehend abstrakt argumentieren: nicht dieses Kunstwerk, sondern die Kunst wird in Schutz genommen.

Auch die Museumsleitung suchte zur Entspannung der Situation beizutragen und ‚erläuterte’ das Kunstwerk mit folgendem Text:

„Der deutsche Künstler arbeitete an der Grenze der herkömmlichen künstlerischen Auffassung und stellte mit konstanter Ironie bestehende Traditionen und soziale Tabus an den Pranger. Die Werke von Kippenberger haben, ausgehend von einem auf die kleinen, banalen und manchmal vulgären Dinge des Alltags berichteten Blick, eine klare erzählerische Natur. Genau mit diesem Blick, spielerisch und wissend gleichzeitig, untersucht Kippenberger die Tragik des Lebens und des Todes.
     In den 90er Jahren hat sich Kippenberger in Tirol aufgehalten, wo er mit lokalen Kunsthandwerkern an der Realisierung einer Reihe von Skulpturen gearbeitet hat. Zum Land Tirol, das Kippenberger besuchte und gut kannte, gehören auch die „Kneipen“, Lokale in denen Bier in Übermaß konsumiert wird und wo man sich am Feierabend unter dem Kreuz, das normalerweise in diesen Lokalen hängt, versammelt um über sexuelle Themen zu witzeln und zu scherzen. „Nageln“ ist im Jargon eine Bezeichnung für den sexuellen Akt und “Fred Frog rings the bell” ist ein Aufruf für die letzte Runde Bier des Abends.
     Mit Humor und Sinn für das Tragikkomische, das seit der griechischen Tragödie an zur Kunst gehört, stellt sich Kippenberger gerade in seiner Tiroler Zeit den Leiden, die sich in vielen seiner Werke äußern, wie z.B. in einer Videoarbeit, in der er sich selbst kreuzigt.“

Das ist schon eine merkwürdige Apologie eines Kunstwerks. Was erfahren wir aus diesem Text? Dass in Tiroler Kneipen Kreuze hängen. Dass in Tiroler Kneipen Bier im Übermaß getrunken wird. Dass man sich in Tiroler Kneipen unter dem Kreuz versammelt, um über sexuelle Themen zu witzeln und zu scherzen. Dass dabei auch Worte wie „nageln“ fallen, was nichts anderes als Geschlechtsverkehr bedeute. Und dass in Tiroler Kneipen der Abend traditionell mit dem englischen Ausdruck “Fred Frog rings the bell” beendet wird. Wer’s glaubt, wird selig. In einem im Internet publizierten biografischen Text zur Situation Bozens Anfang der 90er-Jahre wird berichtet, Bozen habe nur zwei nennenswerte Kneipen gehabt. Und in einer aktuellen Bewertung der Kneipenszene von Bozen wird empfohlen, statt Bier zu trinken, lieber auf den landestypischen Wein auszuweichen. Vermutlich gehört der Text des Museums daher eher zu jener Kunst, mit konstanter Ironie bestehende Traditionen an den Pranger zu stellen. Was will das Museum uns also eigentlich mitteilen? Das Kunstwerk von Kippenberger sei eine künstlerische Persiflage Tiroler Verhaltens am Anfang der 90er-Jahre? Und die Tiroler sollten sich deshalb erst mal selbst bessern (das ist ja der Sinn des an den Pranger Stellens) bevor sie das Kunstwerk kritisieren? Ich weiß nicht, ob das als Begründung ausreicht.

Ergänzend wird im Feuilleton kolportiert, Martin Kippenberger habe den Frosch geschaffen, weil er sich im Rahmen des Alkohol- und Drogenentzuges wie ein Gekreuzigter gefühlt habe. Es sei also keine Kritik des Christentums, sondern eher schon eine Christusidentifikation. So eine Begründung hat was und könnte die Konflikte vielleicht minimieren. Nur schafft es ein neues Problem: seit wann machen die gesundheitlichen Zustände eines Künstlers dessen Werk plausibel? Wird van Goghs Kunst besser, weil er ab und an durchgedreht ist? Wurde die Lyrik Erich Frieds besser oder plausibler, als er an Krebs erkrankte? Ist Kunst also ein Stück Krankentherapie? Das haben die Verächter jeglicher moderner Kunst immer schon behauptet. Ein Argument wird aber nicht besser, wenn man es von der Kritik zur Verteidigung wendet.

Ich vermute, dass außer dem Tatbestand, dass dieses Objekt vom früh verstorbenen Martin Kippenberger stammt und dieser sich auch einmal in Tirol aufgehalten hat, den Apologeten wenig zum Gegenstand einfällt. Die Informationen, die zum Objekt bekannt sind, schließen allerdings das biografische Argument aus. Das Objekt ist ein sorgsam von Holzschnitzern als Multiple hergestelltes Objekt. Es wurde bei der Erstpräsentation in Köln tatsächlich nicht in einen biographischen, sondern in einem religionskritischen Kontext präsentiert (Wie soll man den Satz "Was ist der Unterschied zwischen Casanova und Jesus: Der Gesichtsausdruck beim Nageln" anders interpretieren – und wer mir erzählt, dieser Witz werde typischerweise in Tirol nach ausreichendem Biergenuss in der Kneipe unter dem Kreuz erzählt, den erkläre ich für bescheuert). Es handelt sich um eine künstlerisch kalkulierte Inszenierung zu der man sagen kann, dass sie einmal ihren historischen Ort hatte (aber vermutlich doch besser in die zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts oder in die 70er-Jahre passt). Dass Punk in der Kunst-Szene bedeutet, sich über religiöse Symbole lustig zu machen, wird nicht einmal der vertreten wollen, dem Religion egal ist. Es ist einfach nur simpel und keinesfalls, wie Veit Loers noch vor kurzer Zeit zur Verteidigung des Objekts sagte, provokativ.

Die Kuratoren der Ausstellung in Bozen sind für den Skandal, den sie ausgelöst haben, selbst verantwortlich. Sie haben den billigen Protest bewusst in Kauf genommen und sie haben der Kultur einen Bärendienst erwiesen. Wer das Objekt so inszeniert, dass es wie ein Kruzifix in deutschen Amtsstuben wirkt, manipuliert den Werkkontext. Wo immer ich Kippenbergers Arbeit gesehen habe, sind die Kuratoren so vorgegangen. Sie haben dem Werk einen anderen Sinn gegeben. Das mag legitim sein, aber dann ist man auch für die Reaktion verantwortlich.

Die Politiker machen nichts anders, als was man in Zeiten der Politikverdrossenheit von ihnen erwartet. Sie drehen sich nach dem Wind. Und der kommt je nach Klientel aus verschiedenen Richtungen. In Bozen mag das noch grotesker gewesen sein als sonst (wann gibt es schon mal einen Hungerstreik, nur damit ein Kunstwerk abgenommen wird – das ist Absurdistan pur).

Eine besondere Rolle spielt das Feuilleton. Für Feuilletonisten war der Bozener Konflikt ein gefundenes Fressen. Ein berühmter Künstler, eine protestierende katholische Landbevölkerung, einige wankelmütige Politiker und ein keckes Kunstwerk – was will man mehr. Da kann man als Feuilletonist noch einmal so richtig loslegen. Die taz nutzt gleich mehrere Titelvarianten bei gleichem Text: etwa der etwas kryptische „Der hl. Martin an Kreuz !“ oder der sprachlich elegantere „Der Frosch des Anstoßes“. Das Alpenjournal titelt „Frosch sorgt für Aufruhr in Südtirol“, der humanistische Pressedienst ergänzt „Südtiroler Museum übersiedelt gekreuzigten Frosch“. Schön dagegen die vieldeutige Formulierung der Wiener Zeitung: „Hungerstreik gegen gekreuzigten Frosch“. Noch besser die österreichische ‚Presse’: „Gekreuzigter Frosch löst Hungerstreik aus“. Das ist dann schon die Überschrift für skurrile Meldungen unter Vermischtes.

Die taz nutzt den Konflikt, um ihre hinreichend bekannte Blasiertheit gegenüber Andersdenkenden herauszustreichen und um schnell noch ein paar antijudaistische Klischees loszuwerden. Folgt man der Autorin der taz, dann schwillt den kirchlichen Protestierenden nämlich keinesfalls der christliche Kamm, sondern eigentlich ist es das Jüdische, das da durchkommt: „Ein kurzer Blick auf die Seiten der Leserbriefe genügt, um zu bemerken, auf welchem Hasspegel die sich inzwischen eingeschossen hat. "Ans Kreuz mit den Künstlern!", gehört lange nicht zum Ärgsten. Köpfe müssen rollen, mindestens. Tatsächlich erstaunt die Wucht, mit der sich ein nahezu biblischer Zorn hier Bahn bricht, ein Zorn, der an den zürnenden Gott des Alten Testaments erinnert, rachsüchtig und böse.“ Diese Beschreibung ist entweder maßlos dumm oder an Bösartigkeit kaum zu überbieten. Sie bezieht sich auf die antijudaistische Überlieferung des Neuen Testaments, in der „die Juden“ für die Kreuzigung Christ verantwortlich gemacht werden: „Pilatus jedoch sagte: »Was hat er denn Böses getan?« Und sie schrieen noch lauter: »Er soll gekreuzigt werden.« (Mt 27, 23 par). Die Autorin parallelisiert nun die Kritiker des Kunstwerks von Martin Kippenberger mit den von den Evangelisten beschriebenen schreienden Juden und verknüpft das mit dem antisemitischen Stereotyp vom alttestamentlichen Rachegott. Das ist wirklich ein Skandal. Aber es passt in eine kulturelle Situation, in der, wer an Gott glaubt, schon gleich für alle Verbrechen der Welt verantwortlich ist. Warum da noch unterscheiden zwischen Stammtisch-Äußerungen und religiösem Protest, ist doch alles dasselbe.

Überflüssiges

Nein, mit Kippenbergers Frosch wird nicht die Freiheit der Kunst verteidigt. Die Kunst wäre verteidigt worden, wenn man das Objekt in eine Reihe von anderen Kunstwerken gestellt hätte, an deren Ende Kippenbergers Arbeit dann freilich nur noch wie ein billiger Abklatsch gewirkt hätte. Diese Reihe begänne mit Albrecht Dürers Selbstbildnis, ginge über James Ensors Christusidentifikation am Beginn des 20. Jahrhunderts, zeigte die inkriminierten Werke von George Grosz und Max Ernst und führte zur Aktion Celtic und der Kreuzigungsgruppe von Joseph Beuys. Und würde schließlich enden mit den postmodernen Rest-Bildverwertern Andres Serrano, Alma Lopez, Chris Ofili, Michael Royen oder Blalla W. Hallmann. Sie provozieren nicht mehr, sondern sie rekurrieren auf Situationen, in denen die Darstellung derartiger Motive noch eine gesellschaftliche Bedeutung hatte. Heute aber ist der Frosch am Kreuz so bedeutungslos (im wörtlichen Sinne) wie die dagegen Protestierenden.

Nein, mit Kippenbergers Frosch wird nicht das religiöse Gefühl verletzt. Die Bildgeschichte des Christentums beginnt mit einem nahezu analogen Bild auf dem Palatin in Rom um 238-244 n.Chr. mit der Darstellung Jesu als einem Esel und der Aufschrift: „Alexamenos verehrt einen Gott“. Insofern könnte man als Christ dankbar sein für ein Anschauungsobjekt, das zeigt, woher man kam, bevor das Christentum an die Schalthebel der Macht gelangte und selbst beginnen konnte, Kultur zu unterdrücken.

Nein, es gibt bessere Werke als dieses von Martin Kippenberger, um das Verhältnis von Kunst und Religion zu thematisieren. Aber dann müsste man wahrnehmen, nachdenken, in Beziehung setzen und vor allem: mit den Sinnen reflektieren. Das aber erscheint heute vielen überflüssig zu sein.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/55/am258.htm
© Andreas Mertin, 2008