Die Vermittlung religiöser Kraft

Eine Rezension

Christoph Fleischer

Manfred Josuttis. Kraft durch Glauben. Biblische, therapeutische und esoterische Impulse für die Seelsorge. Gütersloher Verlagshaus 2008

Eine seelsorgerliche Haltung fragt danach, mit welchem Ziel sie sich dem Anderen zuwendet. Hierbei tritt nun im Gegenzug zur empirischen Wende, zu der Manfred Josuttis seinerzeit selbst gehörte, die Vermittlung der Stärken des religiösen Elements wieder in den Vordergrund. Die Grundentscheidung, die dabei zu treffen ist, betrifft das Verständnis des Religiösen selbst. Wer heute von Gott redet, muss zugleich sagen, dass die Erfahrung der Gegenwart Gottes zu einer menschlichen Erfahrung wird. Die Bezüge, die Manfred Josuttis anführt, sind mit einer Vielzahl von Bibelstellen, aber auch Hinweisen auf die Mystik, sowie religiöser Kraftquellen anderer Religionen geprägt. Was hier unter Esoterik verstanden wird, hat im Grunde mit interreligiösen Anspielungen zu tun, wobei der Schwerpunkt der Begründungen auf der rein theologischen Ebene verbleibt. In einer Hinsicht wird damit natürlich auch inhaltlich die endgültige Abwendung von den Wurzeln in der dialektischen Theologie vollzogen, indem nicht nur sehr oft von dem "Heiligen" die Rede ist, sondern Manfred Josuttis auch ausdrücklich formuliert: "Seelsorge sorgt für die Seele, weil die Seele das Zentrum des leiblichen Daseins und den Anknüpfungspunkt für die Gottesbeziehung bildet." Der Vorteil daran ist, dass es keinen doppelten Begriff der Seele mehr gibt.

Die Ausführungen bleiben dabei immer konkret auf die Seelsorge und die Seelsorger selbst bezogen, was sicherlich dadurch begünstigt wurde, dass der Autor seine Ausführungen auf zahlreichen Pfarrkonferenzen und Fortbildungen zur Diskussion gestellt hat.

Wer Gott sagt, sagt auch Kraft. Diese Kraft wird z.B durch Segenshandlungen vermittelt. Wenn die Seelsorge diese religiöse Grunderfahrung verschweigt, verarmt sie und verzichtet auf den Rückbezug dieser fundamentalen Ressource des Lebens. Die Vermittlung erfolgt durch Rituale und durch den Rückbezug auf religiöse Traditionen. Die Kraftdimensionen der Sprache kommt zum Tragen, eine gezielte Betonung des Gesprochenen durch Pausen und durch den Blickkontakt verstärkt diese. Dadurch ermöglichen die Seelsorger zuerst einmal die Entdeckung der eigenen Seele, die zugleich eine Verbindung zwischenmenschlicher Art und ein Medium in Bezug auf Gott selbst ist, der dadurch den Menschen Kraft zukommen lässt.

Um die ganzheitlichen Bezüge der Vermittlung des Religiösen zu unterstreichen, konkretisiert diese Josuttis an den konkreten persönlichen Alltagsabläufen wie Aufstehen, Waschen, Essen bis zum Einschlafen. Diese Bezüge zur Alltagsseelsorge lassen sich ebenso in den Gleichnissen Jesu finden, die die Menschen oft sehr präzise in Alltagssituationen beschreiben. Josuttis geht es hierbei hauptsächlich darum, den energetischen Austausch von Lebenskraft in diesen Situationen darzustellen. Die kann dann immer auch auf religiöse Handlungen beziehen, wie z. B. die des religiösen Waschens im Islam oder des Essens beim Abendmahl. 

Die religiöse Erfahrung wird in den Kontext des globalen Lebens gestellt, wie als die religiöse Wahrnehmung des Leibes beschrieben. Das Evangelium befreit auch vom "Gesetz der Globalität" und eröffnet einen "Freiheitsraum". Das Motiv der Leiblichkeit umschreibt unterschiedliche Formen religiöser Wahrnehmungen. Er kritisiert dabei besonderes die reine Inhaltsbezogenheit der Theologie z. B. im Umgang mit dem Begriff Hermeneutik. Dass gerade das Hören eine wichtige leibliche Erfahrung ist, und auch zur Wahrnehmung des Göttlichen führt, wird in einem gesonderten Abschnitt am Beispiel des Gehörs konkretisiert. Dadurch wird Seelsorge zu einer leiblichen Vermittlung der Gotteserfahrung. Durch das Hören wird der ganze Alltag eines Menschen einbezogen, da Hören zum "Gehorsam" führt, "Zugehörigkeit" vermittelt und auf die Lebensvollzüge zu beziehen ist, indem es lehrt, "was sich gehört". In den Bereich der Spiritualität hinein führt die Beschreibung von Ritualen, die der Autor besonders auf das Lebensende hin konkretisiert: Rituale des Abschieds.

Wie die Vermittlung von Lebensenergie durch Spiritualität denkbar ist, zeigt Josuttis unter Einbeziehung fernöstlicher Vorstellungen wie die der Chakren, die aber durch esoterische Strömungen in unserer Gesellschaft auch schon sehr bekannt geworden sind. Der rein theologische Bezug ist dabei ein Rückgriff auf die Vorstellung des Glaubenskampfes, der in der Botschaft "Jesus ist Sieger!" einen ungeheuren Kraftgewinn sieht. Josuttis unterstreicht seine Ausführungen immer wieder mit biblischen Bezügen und Beispielen aus der Geschichte, wie J. Ch. Blumhardt oder M. Luther. Das diese ganzheitliche Sicht der leib orientierten Seelsorge vor dem Begriff der Heilung nicht halt macht, muss nun nicht überraschen. Interessant auch auf die herkömmliche Medizin bezogen ist hier metaphorisch die Einbeziehung des Ortsraums und des Leibraums z. B. des behandelnden Arztes. Von hier aus wären hierbei auch noch einmal kritische Anfragen an Raumsituationen im klinischen Kontext möglich, die aber Josuttis nicht benennt, da er sich auf den energetischen Austausch vor allem unter religiösem Aspekt beschränkt.  Stichworte sind hierbei: Die Unterscheidung von guten und bösen Mächten, Wahrnehmung eines Heilungsprozesses, Vertreibung der Trauermacht, Geistheilung durch die göttliche Macht und die Kräfte der geistigen Welt. Hierbei ist das Gebet die wichtigste Handlung, die als Kontaktaufnahme mit der Lebenskraft des Heiligen verstanden wird. Josuttis beobachtet zu recht, dass sich die Seelsorgelehre im Blick auf "Heilung" schon vom Beginn der Poimenik an von der biblischen Überlieferung unterscheidet. Ich finde es auch nur redlich zuzugeben, dass es schon einer menschlichen Regung entspricht, im seelsorgerlichen Kontakt mit Menschen deren Heilung zu wünschen und zu wollen. In der Verkündigung der Evangelien zeigt sich, dass Jesus sehr oft deutlich macht, dass der Glaube eines Menschen zur Heilung beiträgt: "Menschen befinden sich dadurch, dass sie vom Glauben ergriffen sind zu ihrem Heil im Raum des Evangeliums und dürfen wegen der in diesem Raum wirkenden Gottesgaben auch Heilung erfahren."

Trotz seiner Ausflüge in die Esoterik bleibt Josuttis eindeutig bei der Orientierung am evangelischen Auftrag und vermag diesen auf profunde Art ganzheitlich zu verbreitern und zu bestärken.

Durch eine religiöse Haltung wird Seelsorge zur Verkündigung ohne zu predigen.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/54/cf11.htm
© Christoph Fleischer, 2008