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Magazin für Theologie und Ästhetik


Kirchenbau als Ostentation

Andreas Mertin

Ich habe mehrfach im Magazin für Theologie und Ästhetik meine Vermutung geäußert, dass das derzeitige Beharren auf den großen Kirchengebäuden unter dem Aspekt ihres symbolischen Charakters weniger der theologischen Reflexion als vielmehr dem Willen zur Ostentation, um nicht zu sagen: dem Willen zur Macht entspringt.[1] Alle Rede von den zu berücksichtigenden Emotionen der Gläubigen und der Bürger, von der Predigt der Steine und der Verräumlichung des Glaubens etc. wäre dann nur Camouflage, die zur Tarnung der tatsächlichen Absichten herangezogen wird. Die uni sono von beiden Konfessionen vehement vorgetragene Abwehr des Gedankens, man könne kirchliche Gebäude Muslimen überlassen, stützt diese Vermutung. Denn wenn Kirchenbau vor allem der Ostentation dienen würde, dann wäre die Aufgabe eines Gebäudes zugunsten eines Konkurrenten in den Augen derer, die sich des ostentativen Charakters bedienen, natürlich eine absolute Katastrophe.

Ostentation ist aber nicht nur eine Sache des Reichtums und keinesfalls eine bloße Frage der persönlichen Moral. Es gibt eben auch die ostentative Armut, erzählerisch als die wiederholte Geschichte vom reichen Erben, der auf alles verzichtet und es den Armen gibt - oder dem diese Handlung zumindest angetragen wird (Mt 19, 16ff.par). Grundsätzlich gilt, dass die Dialektik von ostentativer Armut und ostentativem Prunk die gesamte Geschichte des Christentums durchzieht und vielfach bereits in den biblischen Schriften als Dialektik von Nomadentum und Urbanisierung, vom dinglichen Lobpreis Gottes und der Fürsorge für die Armen (Mt 26, 6ff.par) angelegt ist und als Dialektik von Ethik und Ästhetik auch nicht leicht zu entschlüsseln und zu beantworten ist.

Kleiner Exkurs zur conspicuous consumption

Um den Gestus des Ostentativen in seiner Bedeutung und Tragweite nachvollziehen zu können, müsste man sich intensiver mit den Arbeiten des Soziologen und Ökonomen Thorstein Veblen (1857-1929) auseinandersetzen, der als einer der ersten Sozialwissenschaftler das Beziehungsgefüge zwischen Güterverbrauch und gesellschaftlichem Wohlstand analysierte. Seine These: Die ökonomischen Prozesse von Produktion, Distribution und Konsumption müssten im Kontext der Reproduktion von Institutionen, von Glaubenseinstellungen, Geschlechter- und anderen Verhaltensweisen verortet werden.

Theodor W. Adorno ist in seinem Aufsatz "Veblens Angriff auf die Kultur" dem Grundgedanken von Veblens Theorie kritisch nachgegangen: "Veblens 'Theory of the Leisure Class' ist berühmt geworden durch die Lehre von der conspicuous consumption. Ihr zufolge soll der Güterkonsum von einem sehr frühen Stadium der Geschichte an, das durch das Prinzip des Beutemachens bezeichnet ist, bis heute in weitem Maße nicht der Befriedigung der wahren Bedürfnisse der Menschen dienen oder dem, was Veblen mit Vorliebe die Fülle des Lebens nennt, sondern der Aufrechterhaltung von gesellschaftlichem Prestige, von 'Status'."[2]

Nach Adorno lässt sich Veblens Grunderfahrung als die der falschen Einmaligkeit charakterisieren: "Alle Kultur der Menschheit wird ihm zur Fratze nackten Entsetzens ... Hat heute die Kultur den Charakter der Reklame, des bloßen Kitts angenommen, so ist sie bei Veblen nie etwas anderes gewesen als Reklame ... Die echten Tempel, Kathedralen und Paläste sind ihm schon so falsch wie die Imitationen. Die Weltgeschichte ist die Weltausstellung. Er erklärt die Kultur aus dem Kitsch, nicht umgekehrt".[3]

Veblens Kritik an der Falschheit gesellschaftlicher Einrichtungen, an der Grundtendenz der Menschen, sich vor anderen auszeichnen zu wollen, "neidvolle Vergleiche" zu ziehen, wird von Adorno als verblendete und doch zugleich unbestechliche Kritik von Kulturindustrie und Gesellschaft, am "barbarischen Charakter der Kultur" aufgegriffen und dialektisch gewendet. Veblens Leistung sei es, das falsche Besondere, das die Werke der Kultur von sich behaupteten, als unwahr benannt zu haben: "Der böse Blick ist fruchtbar. Er trifft Phänomene, welche man verfehlt und verharmlost, solange man sie als bloße Fassade der Gesellschaft von obenher abtut, ohne bei ihnen zu verweilen".[4] Böse ist der Blick, weil er kalte Rationalität und Technokratie verkörpert, die nichts außerhalb ihrer selbst gelten lassen wollen. Schrecklich wäre eine Welt, die sich allein dieser Rationalität und Technokratie fügte. Fruchtbar ist der Blick, weil er tatsächlich in den kritisierten Dingen etwas ihnen Inhärentes trifft, nämlich nicht für die Menschen gemacht zu sein, sondern im Interesse von Wirkungen und Strategien.

In diesem Sinne kann man natürlich fragen, ob das historische wie aktuelle Handeln der Kirchen beim Kirchenbau nicht etwas mit dieser Form der Ostentation zu tun hat, die nicht der Befriedigung der Bedürfnisse der Menschen dient, sondern der Aufrechterhaltung von gesellschaftlichem Prestige und Status. Schon die ersten Kirchenbauten wären so imperiale Gesten.

Historie

Die Lektüre der dreibändigen "Geschichte der Deutschen Kunst" von Heinrich Klotz und Martin Warnke[5] hat mich dazu gebracht, den Gedanken der Ostentation im Zusammenhang des Kirchenbaus noch einmal aufzugreifen und mit historischen Hinweisen zu vertiefen. Es ist der Vorteil dieses Kompendiums, dass es immer wieder auf den Zusammenhang von ästhetischer Gestaltung und ostentativer Geste hinweist und zugleich die beiden Möglichkeiten des ostentativen Verzichts und des ostentativen Reichtums herausarbeitet.

Heinrich Klotz schreibt im ersten Band, der dem "Mittelalter 600-1400" gewidmet ist: "Mit der Christianisierung Germaniens wurden auch die wesentlichen Grundlagen für die Anfänge der deutschen Kunst gelegt." Die Christianisierung erfolgt in zwei Phasen und mit bauästhetisch zwei unterschiedlichen Gesten, vollzogen von der irischen Mönchsmission einerseits und der Mission des Bonifatius (672-754) andererseits. Es geht mit anderen Worten um die massenmediale Inszenierung von Mission. Verkündigung ist immer auch massenmediale Kommunikation wie es Ernst Gombrich in seiner Geschichte der Kunst[6] als Ablösung der wehrhaften durch eine triumphale Kirche beschrieben hat und Hans Ulrich Reck am Beispiel der ikonografischen Wandlung der Kathedralsplastik des Tympanons gezeigt hat: "Im Mittelalter waren über Jahrhunderte die Kirchenportale, zusammen mit den anderen an der Kirche angebrachten Bildwerken von den Kapitellen bis zur Apsis, die einzigen als solche wirkenden 'Bilder' (zu verstehen als Agglomerate von Repräsentanzen, Vorstellungen, Referenzen und visuell Erscheinendem), die in der Öffentlichkeit überhaupt existierten: Visuelle Monopolmedialität im Dienste einer weltexpansiven, dennoch die Welt verneinenden Ideologie charakterisiert die spezifisch mediale Bedeutung dieser Bilder ... Ingesamt ist es also berechtigt, das romanische Kirchenportal und die gotische Kathedrale als Massenmedium in einem strikten Sinne anzusprechen."[7] Reck spricht daher auch von einer "in ihren erdrückenden Dimensionen kaum mehr vorstellbaren exklusiven Totalisierung des Bildmediums im Dienste einer Ideologie."[8]

Kehren wir zurück zu den irischen Mönchen und zu Bonifatius. Beide Missionsbewegungen lassen sich nicht nur im Sinne von Vorläufer und Vollender beschreiben, sondern durchaus auch als Konkurrenz von symbolischen Paradigmen und massenmedialer Kommunikationsstrategie. "Vor allem die Bücher und deren Illustrationen zeichnen die irische Mönchskultur aus. Und wenn auch der erste Architekturplan Europas in der Klosterbibliothek von St. Gallen aufbewahrt wird, …. so haben die irischen Mönche auf dem Kontinent doch kaum monumentale Architektur gekannt, selbst nicht die ersten irischen Mönche in St. Gallen. Wir haben mit wenig ansehnlichen Kleinbauten, meist kleinmaßstäblichen hölzernen Oratorien und den zugehörigen Einzelzellen der Eremiten zu rechnen, wie sie - allerdings in Stein - in Irland erhalten sind."[9]

Das änderte sich erst mit Bonifatius. Die Missionsreisen des Bonifatius darf man sich weniger als verbale Überzeugungsarbeit als vielmehr eher als eine Art Expedition vorstellen, auf die er sich mit Kriegern und Handwerkern begab, um Niederlassungen und Klöster zu gründen und in symbolischen Besetzungen die Überlegenheit des Christentums zu demonstrieren. Die von ihm im hessischen Raum errichteten Kirchen mussten, wie Heinrich Klotz schreibt, "wie das Signum einer neuen Zeit wirken. Schon das Material dieser neuen Architektur, der Stein, war, verglichen mit dem heimischen Holz- und Fachwerkbau, Zeichen eines neuartigen Anspruchs." Im Blick auf das Kloster in Fulda schreibt Klotz: "Der Bau, den Bonifatius als bereits Siebzigjähriger im Jahr 744 zu errichten befahl, muss auf die ansässige Bevölkerung eine überwältigende Wirkung ausgeübt haben. Anders als die ersten Kirchen des Bonifatius war die Fuldaer Klosterkirche ein überragendes Monument, das die neue Geltung der römischen Kirche und der Benediktinischen Ordensregel bekräftigen und der Welt demonstrativ vor Augen führen wollte."[10] Bonifatius setzte sich dabei demonstrativ vom 'Stil' der iro-schottischen Mönche ab, die er wegen ihrer Unabhängigkeit von Rom überdies als Heiden denunzierte. Deren Einsiedlerzellen ließen eben "kaum einen Repräsentationsanspruch erkennen. Ebenso bescheiden - gegenüber der steinernen Großbasilika, wie sie auf Geheiß des Bonifatius in Fulda entstanden war - waren die kleinen hölzernen Saalkirchen der ersten Missionszeit … Die monumentale Repräsentation 'more Romano' war eine Demonstration des architektonischen Zeichenrepertoires, das die römische Kirche gegen die vermeintliche Kulturlosigkeit und die Irrlehren der Heiden und Briten einsetzte."[11] Summa summarum: "Stil wurde nun zum bewusst eingesetzten Mittel zur Darstellung allgemeingültiger höchster Werte."

Nicht nur anekdotisch interessant, sondern durchaus zeichenhaft ist eine Episode anlässlich der Klostererweiterung durch Ratgar, den dritten Abt in Fulda. Seine Mönche beklagten sich bei Ludwig dem Frommen, "dass sie Tag und Nacht für die Erweiterung der Kirche beansprucht würden und nicht einmal mehr die Zeit zum Gebet fänden. Anlass der Beschwerden war der Aufbau eines geradezu riesenhaften, mit dem Langhaus verbundenen Westquerhauses, das nun die Ähnlichkeit mit einem bestimmten römischen Vorbild, mit der frühchristlichen Basilika von St. Peter suchte."[12] Ludwig der Fromme entschied, künftig "keine weiteren Großbauten und keine 'unnötigen Werke' (opera non necessaria) zu errichten".[13]

Am Anfang der deutschen Architekturgeschichte des Kirchenbaus steht freilich, wie Klotz betont, nicht die auf Wirkung zielende Monumentalarchitektur, nicht einmal der nachgebaute Typ der römischen Basilika, sondern "die denkbar einfache Raumform der Saalkirche".[14] Aber auch diese Saalkirchen dienten nicht allein der Versammlung der Gläubigen, sondern waren oft so genannte Eigenkirchen eines Grundherren und dienten damit auch der Ostentation.

Klotz summiert diesen Abschnitt der Kirchengeschichte so: "Kaum gab es eine großformatige Steinarchitektur, hat sie bereits ihre Kritiker gefunden. Kaum gab es den Anspruch repräsentativer Kunst, trat ihr auch schon das Misstrauen der Kirchenreformer entgegen. Es war der Glaube an einen 'benediktinischen' Gott, der solche Kunst in Zweifel zog ... In der Kunstgeschichte Europas lebte dieser Widerstreit immer wieder auf, wenn einerseits die Repräsentation in luxuriöse Dekoration und unmäßige Größe ausartete, andererseits die Gegenbewegung im Aufruf zu Einfachheit, Zweckmäßigkeit und Nützlichkeit in die Sinnenfeindlichkeit und den Bildersturm entglitt."[15]

Ein Beispiel für die noch vorreformatorische Gegenbewegung zum ostentativen Kirchenbau ist die uns heute noch in ihrer Schlichtheit so eindrücklich erscheinende Kunst und Architektur der Zisterzienser. Bernard von Clairvaux (1090-1153) ist außerordentlich beredt in der Kritik der vom eigentlichen Geschehen ablenkenden Ausschmückung der Kirchen, aber er weiß auch, dass er sie letztlich nicht verhindern kann: "Ich sehe jetzt ab von der unheimlich übertriebenen Höhe der Bethäuser, von ihren maßlos in die Länge gezogenen Langhäusern oder ausschweifend unnützen Breiten, von ihrem aufwendigen Unterhalt und den phantastischen Gemälden: Während diese Dinge die Blicke der Beter auf sich ziehen, bis sie sich die Hälse verdrehen und das Aufkommen der Andacht verhindern …, aber es ist nun einmal so und mag zur Ehre Gottes geschehen."[16] Und selbst die Kunst und Architektur der Zisterzienser wurde ja zunehmend ostentativer, ein Zug der Zeit, den keine asketische und keine Armuts-Bewegung dieser Zeit aufhalten konnte.

Im Blick auf die sich anschließende Kunst und Architektur der Gotik, deren ostentativer Charakter ja geradezu buchstäblich vor Augen liegt, soll das Resümee von Heinrich Klotz genügen: "Die gotische Kathedrale appellierte als überdimensionales Gesamtkunstwerk mit allen zur Verfügung stehenden Künsten an das Schaubedürfnis des Publikums und der Pilgerscharen. Dem Wunsch, sich des Außerordentlichen zu vergewissern, entsprach auf der anderen Seite ein gewachsenes Vorzeigebedürfnis der kirchlichen Institutionen. Die 'multimediale' Inszenierung der Heilsbotschaft war ihre Propaganda; sie sollte die Gläubigen stets aufs neue überzeugen und die Pilger vor die Reliquien führen."[17]

Das alles ist nur eine gedrängte Sammlung der einschlägigen Fundstellen aus dem ersten Band der "Geschichte der deutschen Kunst" zum Thema ostentative Gesten in der Geschichte des Kirchenbaus im Mittelalter. Natürlich enthält der Band noch zahlreiche weitere Belege und vor allem detaillierte Studien, aber für das zugrunde liegende Problem mag es damit zumindest für diesen historischen Abschnitt sein Bewenden haben.

Kirchenbau in Deutschland ist offenkundig von den ersten Belegen an mit bewussten ostentativen Gesten verbunden gewesen. Selten haben dabei die Gläubigen anders als zu beeindruckende und visuell zu überwältigende Subjekte im Zentrum des Interesses gestanden. Als reiner Versammlungsraum diente der mittelalterliche Kirchenbau eben so wenig wie als reiner Lobpreis Gottes, obwohl es für beides durchaus innerkirchliche Ansätze gab. Dennoch überwog in aller Regel der demonstrative Gestus, die Funktionalisierung der Architektur des Kirchengebäudes im Sinne der Aufrechterhaltung von gesellschaftlichem Prestige, von 'Status' wie Thorstein Veblen es genannt hat. Und das sollte sich auch in der Neuzeit nicht ändern.


Der zentrale religiöse Konflikt in Europa am Beginn der Neuzeit, der sich ja nicht zuletzt auch an der Finanzierung einer Monumentalkirche entzündete, war die Reformation. Martin Warnke schreibt im zweiten Band der "Geschichte der deutschen Kunst" über "Spätmittelalter und Frühe Neuzeit 1400-1750" und kommt dabei auch im VI. Kapitel über die Sakralarchitektur zum protestantischen Kirchenbau. Was die Kirchen-Architektur betrifft, so hat der Protestantismus zunächst die vorhandenen Kirchen einfach übernommen, sie zwar um evangelisch anstößige Elemente wie Stiftungsaltäre bereinigt, sie ansonsten aber normal genutzt. Aber auch wenn sich die Reformation zum Teil gegen die ostentative Funktionalisierung gewandt hat, so ist sie ihr doch nicht entronnen: "Gemeinsam ist den beiden großen Konfessionen auch das immer deutlicher hervortretende gouvernementale Element. Die lutherische Kirche hat in der Regel den Landesherrn als obersten Kirchenherrn, der auch in den Kirchenräumen meist unübersehbar gegenwärtig ist: Der 'Fürstenstuhl' gehört zur Grundausstattung vieler protestantischer Kirchen. Für den katholischen Kirchenbau wird gerne der Eindruck erweckt, die prachtvolle und bunte Architektur, zumal des 18. Jahrhunderts, entspringe entweder gegenreformatorischem Eifer oder einer Volksfrömmigkeit, so dass gelegentlich sogar von einem 'Volksbarock' gesprochen wird. Doch allein schon die für Deutschland charakteristische Einrichtung der Fürstbistümer, in denen weltliche und geistliche Gewalt für riesige Territorien in einer Person zusammenkamen, zeigt die Verkettung politischer und konfessioneller Verhältnisse."[18]

Mit den Landesfürstentümer kam dann jedoch eine Interessenslage ins Spiel, die sich auch im Kirchenbau repräsentiert sehen wollte, die nicht nur eigene Logen und Grabmahle wünschte, sondern den gesamten Bau als Geste verstand und verstanden wissen wollte. Keinesfalls entsprach dies der genuinen Bedürfnislage der Gemeinden, wie Warnke hervorhebt: "Wenn es also nach den Bedürfnissen der normalen protestantischen Gemeinden gegangen wäre, hätte man die überkommenen Kirchen nur um- und ausgeräumt, neu eingerichtet, denn man benötigte allein Altar, Taufstein, Kanzel, Orgel und reichlich Gestühl." Exemplifiziert wird dies von Warnke anhand der ev. Hauptkirche in Wolfenbüttel, bei der die Gemeinde sich eine Kirche wünschte, in der man "die Predigt allenthalben hören könnte" und in der "dieser gantzen Commun zu höchster Nothdurft" geistlich gedient werden könne.[19] Statt dessen bekommt sie aber einen repräsentativen Bau. Nicht zufällig waren die ersten spezifischen protestantischen Kirchenbauten vor allem Schlosskapellen. Geradezu demonstrativ wehrt sich Luther gegen diese Tendenz, wenn er anlässlich der Einweihung der Torgauer Schlosskapelle 1544 den funktionalen Charakter des Kirchenbaus betont, weshalb man Kirchen bauen solle, "das nichts anders darin geschehe, denn das unser lieber Herr selbs mit uns rede durch sein heiliges Wort, und wir wiederumb mit jm reden durch Gebet und Lobgesang."

Ein besonders subtiles Beispiel für den Hang zur Ostentation führt Warnke mit der Stadtkirche zu Bückeburg an. Dort steht mit demütiger Bescheidenheit an der Fassade: Exemplum Religionis Non Structurae - nur der Religion, nicht der Zier solle der Bau dienen. Die güldenen Anfangsbuchstaben fügen sich aber dann zum Namen Ernst des regierenden Fürsten, der, wie Warnke süffisant anmerkt, "somit auch noch den Bescheidenheitsgestus dem eigenen Ruhm zuschlägt".[20] Die Verquickung von fürstlicher und kirchlicher Macht führt so dazu, dass auch nachreformatorisch in beiden Konfessionen der ostentative Charakter des Kirchenbaus über die Bedürfnisse der Gemeinden triumphiert.


Im letzten Band der "Geschichte der Kunst", in dem sich Heinrich Klotz unter dem Titel Neuzeit und Moderne der Zeit zwischen 1750 und 2000 widmet,[21] zeichnet sich der Übergang zum Museum als der neuen, ästhetischen Kirche ab. Im Kapitel Avantgarde und Klassische Moderne kommt der Kirchenbau gerade noch auf einem Bild von Lyonel Feininger vor, ist aber ansonsten kaum der Beachtung wert. Kathedralen als ostentative Gesten sind nun eher Fabrikhallen, Banken, Stadien oder Flughäfen.

Weder gesellschaftlich noch gestalterisch hat die räumliche Gestaltung der Kirchen noch jene ostentative Bedeutung, die sie vorher einmal gehabt hatte. Dies ist allerdings weniger einer gewandelten Programmatik zu verdanken (wiewohl es auch diese gegeben hat), als vielmehr einer veränderten Rolle und Wahrnehmung der Kirche in der Welt. Ostentative Gesten im Kirchenbau (die es weiterhin gibt) haben nun einen spezifischen Retro-Flair, sie reklamieren eine urbane Bedeutung des Kirchenbaus, die ihnen im Gefüge der Stadt zumindest funktional nicht mehr zukommt.

Erst in den letzten Jahren und angesichts des sich angeblich abzeichnenden Kampfes der Kulturen werden Kirchenbauten als ostentative Zeichenensembles wieder entdeckt. Und wiederum ist es nicht die Religion und der Glaube, die hier zum Ausdruck kommen sollen. Vielmehr handelt es sich auch hier - wie immer in der langen Geschichte der kirchenbaulichen Zeichensetzungen - um eine politische Strategie. Während viele Gemeinden und Kirchenvorstände sich eine Kirche wünschten, in der man "die Predigt allenthalben hören könnte" und in der "dieser gantzen Commun zu höchster Nothdurft" geistlich gedient werden könnte, geht es bei der symbolischen Besetzung von Räumen und Orten nicht um Predigt und Seelsorge, sondern um politische Theologie im Sinne der Funktionalisierung theologischer Gehalte zur Legitimierung politischer Positionen in den gegenwärtigen globalen Auseinandersetzungen.

Anmerkungen
  1. Vgl. meine Überlegungen unter dem Titel "Denkmal? Ein Beitrag zu einer ruinösen Diskussion" im Magazin für Theologie und Ästhetik 27
  2. Theodor W. Adorno, Kulturkritik und Gesellschaft I/II: Veblens Angriff auf die Kultur. Gesammelte Schriften 10.1, S. 72.
  3. Ebd., S. 78.
  4. Ebd.
  5. Klotz/Warnke, Geschichte der deutschen Kunst 600 - 2000, München 2003
  6. Ernst H. Gombrich, Die Geschichte der Kunst, Stuttgart/Zürich 1977, S. 145ff.
  7. Hans Ulrich Reck, Kunst als Medientheorie. Vom Zeichen zur Handlung, München 2003, hier S. 317ff: "Massenkommunikative Rhetorik und mediale Bilderpolitik als Aufgabe und Leistung von Kunst am Beispiel eines romanischen Tympanons." Zitat S. 323.
  8. Ebd., S. 324
  9. Klotz, Mittelalter 600-1400, a.a.O., S. 37
  10. Ebd., S. 43
  11. Ebd., S. 47.
  12. Ebd., S. 44.
  13. Ebd. S. 82.
  14. Ebd. S. 66.
  15. Ebd. S. 83.
  16. Zit. nach Klotz, Mittelalter 600-1400, a.a.O., S. 224.
  17. Ebd. S. 240.
  18. Warnke, Spätmittelalter und Frühe Neuzeit 1400-1750, a.a.O., S. 309.
  19. Ebd., S. 315
  20. Ebd.
  21. Klotz, Neuzeit und Moderne 1750-2000, a.a.O.
© Andreas Mertin 2006
Magazin für Theologie und Ästhetik 42/2006
https://www.theomag.de/42/am192.htm