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Magazin für Theologie und Ästhetik


Bildverlust

Corporate Identity

Andreas Mertin

Trivialisierungen

Neben den Skandalisierungen adaptierter scheinbar genuin religiöser Motive, die die Gemüter bewegt, gibt es aber auch die Trivialisierung von Bildmotiven, die Verabschiedung aus der abendländischen Bildgeschichte und die Einordnung in den freien Fluss der beliebigen Bilder.

Fragen wir uns zunächst: Was ist Seelsorge? Der grundsolide Brockhaus gibt folgende Auskunft: Seelsorge, im Sprachgebrauch der katholischen Kirche auch Pastoral, in den christlichen Kirchen die Unterstützung und Begleitung des Einzelnen in Fragen des Glaubens und der Lebensführung durch dafür ausgebildete und beauftragte Mitarbeiter (neben den Geistlichen und Ordensleuten z.B. Diakone, Diakonissen, Pastoralreferenten, -referentinnen). Die wissenschaftliche Analyse und Darstellung der Seelsorge ist Gegenstand der praktischen Theologie.

Und die freie Enzyklopädie Wikipedia stellt zum Stichwort fest: Seelsorge ist das christlich motivierte Bemühen um die Seele des Menschen und dessen Beziehung zu Gott. Die Methoden der Seelsorge werden in der Poimenik reflektiert. Diese Lehre von der Seelsorge ist Teilgebiet der Praktischen Theologie und wird meist als Pastoraltheologie bezeichnet. Seelsorgliches Handeln ist nicht zu verwechseln mit psychotherapeutischem Handeln. Jedoch kommen in der Seelsorge auch psychotherapeutische Methoden zur Anwendung. Insbesonders die durch Carl Rogers und die holländische Seelsorgebewegung in Deutschland beeinflusste Pastoralpsychologie legt auf einen engen Austausch zwischen Seelsorge und Psychologie (hier meist Psychotherapie) Wert. Seelsorgliches Handeln ist nicht an ein kirchliches Amt gebunden. Jeder Christ ist zur Seelsorge berufen und befähigt. Seelsorge versteht sich als ein Beziehungsgeschehen zwischen zwei oder mehreren Personen. Im speziellen Sinn gibt es jedoch auch amtlich bestellte Seelsorger. Kirchliche Seelsorge geschieht heute in den verschiedensten Handlungsfeldern (Gemeinde, Krankenhausseelsorge, Notfallseelsorge, Psychiatrie, Telefonseelsorge, Schule, Polizei, Beratungsstellen, Altenarbeit, Behindertenarbeit, Internetseelsorge etc.). Gemeinsam ist allen Handlungsfeldern der Anspruch, Menschen in Lebens- und Glaubensfragen zu begleiten. Dies geschieht im persönlichen Gespräch, durch Gebet, aber auch durch soziale Unterstützung.

Das alles umschreibt vermutlich ziemlich präzise, was man mit dem Stichwort Seelsorge verbindet und was ein aufgeweckter Zeitgenosse mit dem Thema assoziieren sollte und könnte. Es ist sicher nicht einfach, dieses Stichwort zu visualisieren und mit einem Bild deutlich zu machen, was die Kirche und ihre Seelsorger de facto seit jeher auf diesem Gebiet leisten.

Meine Frage ist nun, wie bringen wir das gerade Beschriebene mit dem folgenden Bild -> aus dem Internet in Verbindung? Das Bild findet sich auf der Seelsorgeseite der EKD, genauer, es ist das zentrale blickfangende und einführende Bild auf dieser Seite, mit dem das Thema Seelsorge visualisiert werden soll.

Ich vermute einmal, was derjenige, der das Bild ausgesucht und eingesetzt hat, damit assoziierte - denn um mehr als Assoziationen kann es sich in diesem Falle nicht gehandelt haben - , war folgendes: Da ist ein junger aufgeschlossener Mann mit gefalteten Händen, der erkennbar jemanden zuhört. Ich bin für Sie da und ich höre Ihnen zu - könnte das Bild signalisieren. Der Mann scheint verheiratet zu sein, jedenfalls trägt er einen Ring. Er steht also für Solidität, Werte, Vertrauen. Und tatsächlich kommuniziert er auch: Denn auf dem Bilds ist noch ein anderer Mann, dem er zuzuhören scheint, eine anonyme Gestalt, die uns den Rücken zukehrt. Die dargestellte Figur könnte etwas älter als der junge Zuhörer sein, aber das ist nicht ganz sicher.

Schaut man sich diese Konstellation ein zweites Mal genauer an, stellt man fest, dass die konkrete situative Verortung des Gesprächs nicht erkenntlich ist. In der jetzigen Form könnte es ebenso ein Gespräch beim Steuerberater sein, wie bei einem Behördenvertreter, beim Arbeitsamt oder bei der Lebensversicherung. Wir wissen es nicht. Bei einem kunsthistorischen Werk müsste man nun nach weiteren Bilddetails und -spuren suchen, Und so kommt ein weiteres Viertel des Bildes ins Spiel: Am rechten Bildrand schiebt sich ein massiver Bildschirm ins Gesichtsfeld. In irgendeiner Weise muss die Kommunikation des Zuhörers mit seinem Gegenüber etwas mit einem Bildschirm respektive Computer zu tun haben. Die beiden Sitzen ja offenkundig nicht einfach an einem Tisch oder auf dem Sofa, sondern an einem modernen Schreibtisch mit sichtfüllendem 17-Zoll-Monitor. Hier verdichten sich die Bildinformationen, dass es sich um eine Beratung handeln könnte, etwa tatsächlich um die Steuer oder um einen neuen Arbeitsplatz, über deren Daten der Computer Auskunft gibt. Niemand würde so geschmacklos sein, eine Eheberatung vor dem Computerbildschirm sitzend abzuhalten. Auch Trauergespräche sind hier ikonographisch auszuschließen. Ein Bewerbungsgespräch wäre noch denkbar, aber dann wäre es schon kommunikationstechnisch nicht sehr freundlich inszeniert. Mein eigenes Bildgedächtnis lässt mich eher an Situationen bei der Verlängerung des Personalausweises denken.

Bleibt zur Bestätigung unserer Bildbedeutungsanalyse noch das letzte bisher ausgeblendete Bilddetail, der Bildhintergrund. Nun wird es klarer, wir sehen einen Duden, einige Gesetzesbücher und Verwaltungsvorschriften auf einem Regal im Hintergrund der Szene. Wie uns die Bildannäherung zunehmend auch vermittelt hat, befinden wir uns in einem Verwaltungsbüro zur Klärung anstehender Fragen.

Verwunderlich ist allerdings, warum ausgerechnet dieses Bild auf der Seite der EKD auftaucht. Erklärbar wäre das Bild vielleicht noch, wenn es um den Wiedereintritt ginge (aber auch dann wäre es nicht besonders gelungen). Statt dessen lautet das Thema aber ganz spezifisch Seelsorge. Und schaut man sich den Namen der jpg-Datei genauer an, heißt er sogar explizit chatseelsorge.de !! Das erklärt zwar unter Umständen den Computer auf dem Bild, aber kaum das Bild selbst im Kontext kirchlicher Seelsorge.

Einmal unterstellt, die Kirche wäre tatsächlich noch so bildmächtig wie in früheren Zeiten, Bilder würden also nicht zufällig oder beliebig ausgewählt, sondern ganz bewusst eingesetzt, weil man sowohl um ihre Macht wie um ihre Wirksamkeit weiß - was soll dann dieses Bild im Kontext von Seelsorge oder Chatseelsorge aussagen? Dass ein Chatseelsorger im Zweifelsfall nebenbei noch ein weiteres Beratungsgespräch führt? Dass ihm bei der Beratung das seelsorgerliche Umfeld relativ egal ist und für Seelsorge auch der Charme einer Bürokratenstube mit Gesetzestexten ausreicht? Dass Seelsorge inzwischen einer normalen Bürotätigkeit angeglichen ist und höchst modern unter Zuhilfenahme des Computers erledigt wird? Dass es keine spezifische (und vor allem auch nicht im Bild erfassbare) Differenz zwischen einem Kundenberatungsgespräch der Sparkasse und dem Gespräch im Rahmen der kirchlichen Seelsorge gibt? Dass das seit Jahren angestrebte Unternehmen Kirche inzwischen so erfolgreich der Unternehmenswelt angepasst ist, dass es für die spezifisch kirchlichen Aufgaben auch gleich die Bilder aus dem Designbüro von Werbeagenturen übernehmen kann? Dass im Rahmen kirchlicher Beratungstätigkeit Gesetzestexte und Computer einen zentraleren Stellenwert haben als die Seelsorge selbst?

Was immer hinter der Bildauswahl stecken soll, sie ist eher paradigmatisch. Wer in der Bildersuchfunktion von Google das Wort Seelsorge eingibt, stößt inzwischen häufiger auf Bilder aus dem Kontext der Krankenhausseelsorge (und hier in der Regel tatsächlich auf semantisch gehaltvolle Bilder) als auf Bilder, die auf einen der Kernbereiche der Gemeindearbeit hinweisen: die Sorge um die Seelen der Gemeinde. Und da Google zwischen evangelisch und katholisch nicht unterscheidet lautet meine These: Rein bildtechnisch können die großen Konfessionen mit der Seelsorge nichts mehr anfangen.

Man kann dagegen bei bildenden Künstlern bis in die Gegenwart lernen, dass bei ihnen kein Bilddetail jemals zufällig ist, sondern sorgfältig komponiert wird. So werden sowohl alte wie moderne Kunstwerke lesbar indem man sich auf die Spuren der Bilddetails begibt. Ein Werk wie das von Rogier van der Weyden zeigt die beiden differenten Welten der Alltagsrealität des Stifters, der Hilfe erbittet, und der Transzendenz, von der er sich Hilfe erhofft. Seine Hände reichen in die andere Welt hinein und die Engel links oben sorgen in Verbindung mit den Hirten für das Hineinragen der göttlichen Zusagen in die Welt. Über vergleichbare Bilder verfügt die Kirche nicht mehr.

Hilflos

Der hilflose Umgang mit Bildern in den großen Kirchen wird auch dort deutlich, wo die Kirche gegen die Verwendung von Bildern aus traditionellen Seelsorgesituationen protestiert. Das einzige wirkungsmächtige Bild, das sich zur Seelsorge in der Kirche finden lässt, ist folgendes: Eine ganz normale und alltägliche Situation: wir sehen eine junge Frau, die nach der Beichte noch ein kleines Schwätzchen mit dem Priester in freundlicher Atmosphäre führt.

Dagegen, nein: -> dagegen hat die katholische Kirche protestiert und den Werberat um ein Verbot gebeten: Nun kann man sagen, der durch die katholische Kirche erfolgte Protest geschehe zu Recht, schließlich hat die Firma WEST hier nicht nur neutral eine kirchliche bzw. religiöse Szene aufgegriffen, sondern offenkundig ganz bewusst einige populärkulturelle Dreistigkeiten und antiklerikale Stereotypen eingetragen: Die Platzierung der Zigaretten - phallisch nach oben beim Priester, erdverbunden nach unten dagegen bei der jungen Frau - ist ganz sicher nicht zufällig erfolgt, die Kontrastierung von eingeschlossenem Seelsorger und offener, freier Gesprächspartnerin ebensowenig. Das Bild kolportiert also nicht nur die vielen Menschen vertraute Situation der Beichte, sondern es trägt relativ offen kirchenkritische und sexuelle Konnotationen ein bzw. legt sie offen.

Darüber kann man streiten und sollte dies in einem öffentlichen Diskurs mit allen Beteiligten tun. Sich dabei auf verletzte religiöse Gefühle zu berufen scheint mir aufgrund der Beliebigkeit des Arguments wenig plausibel zu sein. Unliebige Bilder verbieten zu wollen, sie zu zerstören, nicht kommunikabel zu machen, ist sicher in jedem Fall der falsche Weg.

Keine ihrer selbst bewusste Institution, kein Glaube, keine Religion kann durch Bilder oder Worte real tangiert werden. Berührt wird Religion im Gegenteil dadurch, dass sie der Kommunikation ausweicht und nicht in der Sache nachweist, dass sie die besseren und wirksameren Argumente hat. Für die christlichen Kirchen stünde dabei am Anfang erst einmal das Bemühen, die Sprache der Bilder neu zu lernen, visuelle Kompetenz zu erreichen. Davon sind sie heute weit entfernt. Wer Medienereignisse wie die mediale Begleitung des Todes eines Papstes, die Wahl seines Nachfolgers oder einen Weltjugendtag für einen Ausweis von visueller Kompetenz hält, irrt. Visuelle Kompetenz heißt, mit wirkungsmächtigen Bildern arbeiten zu können. Das müssen wir erst lernen.


© Mertin 2006
Magazin für Theologie und Ästhetik 40/2006
https://www.theomag.de/40/am182.htm