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Magazin für Theologie und Ästhetik


Religion und Kunst als Waffen im Kampf der Kulturen

Die EKD hat eine neue Kulturbeauftragte

Redaktion

Seit Anfang 2006 hat die Evangelische Kirche in Deutschland eine Kulturbeauftragte - quasi ein Pendant zum Kulturstaatsminister der Bundesregierung. Künftig soll das bisher eher planlose Auftreten der Evangelischen Kirche in Kulturfragen besser koordiniert und organisiert werden. Das ist ein konsequenter Schritt nach dem Kulturpapier der EKD " Räume der Begegnung". Zu hoffen bleibt, dass das neue Amt nicht so folgenlos bleibt wie dieses Papier, das eher zur Selbstberuhigung der Kirche diente, man würde sich im Bereich der Kultur engagieren, statt dass es einen kulturellen Aufbruch des Protestantismus ins 21. Jahrhundert gefördert hätte.

Das neu geschaffene Amt der Kulturbeauftragten der Evangelischen Kirche in Deutschland bekleidet Petra Bahr, den Leserinnen und Lesern des Magazins für Theologie und Ästhetik durch mehrere Aufsätze und eine längere Zeit der Mitherausgeberschaft dieser Zeitschrift bekannt und vertraut. Wir wünschen ihr für die Arbeit in Berlin gutes Gelingen!


Kommunikationstechnisch und kulturpolitisch begann ihre Tätigkeit freilich gleich mit einem GAU, dem größten anzunehmenden Unfall in der kirchlichen Beschäftigung mit Kunst und Kultur in der interkulturellen Diskussion des 21. Jahrhunderts. Denn während sich alle wichtigen kulturellen Veranstaltungen mit Weltbedeutung, wie etwa die letzte documenta, mit dem Zusammenleben der Völker beschäftigt, scheinen manche in der evangelischen Kirche Religion und Kunst als Waffen im Kampf der Kulturen zu begreifen. Das, was die EKD auf ihrer Topseite im Internet als Begründung für die Einrichtung der Stelle einer Kulturbeauftragten anführte, ist mehr als skandalös - es zwingt jeden in der Kirche mit Kunst und Kultur Beschäftigten, sich von der Kulturarbeit der EKD zu distanzieren. Zumindest so lange, bis geklärt ist, was diese neokonservative Rhetorik in einer Verlautbarung der Kirchen zu bedeuten hat. Man muss die Meldung der EKD schon mehrfach lesen, weil man es einfach nicht glauben kann und ist doch jedesmal wieder konsterniert. Auf der Seite der EKD heißt es (s. nebenstehender Ausriss):

"Die Kirche will ihr kulturelles Profil schärfen. Seit Kultur durch den Anschlag vom 11. September 2001 zu einem politischen Thema wurde, wird sie auch in der Kirche nicht mehr so leicht als Nischenthema abgetan. Am «Kampf der Kulturen» (Samuel P. Huntington), der Auseinandersetzung mit religiösem und kulturellem Pluralismus, kommt der Protestantismus nicht vorbei."

Nimmt man das ernst - aber wer könnte das? - dann wurde die Kultur für die evangelische Kirche erst im Rahmen einer - auch von ihr selbst positiv rezipierten - politischen Theologie beachtenswert. In dieser Tradition ist die Theologie mit dem öffentlichen Kult des Staates identisch und dient der Sanktionierung des Primats der Politik. Das ist Wasser auf die Mühle all jener, die in der elaborierten Kunst der Moderne immer schon ein Projekt gegen alle nichtwestlichen Kulturen gesehen hatten (in diesem Sinne hatte die CIA schon den abstrakten Expressionismus im Kalten Krieg als Kunst gegen den Kommunismus geförderet). Nur dass der Begriff der "Westkunst" einmal ein kritischer war und nun zur politischen Parole im Clash of Civilisations verkommt. Wie weit wollen wir Samuel P. Huntington denn auf diesem Weg folgen? Etwa auch in seiner Forderung nach einer Rückbesinnung auf die anglo-protestantischen Werte der ersten europäischen Siedler in den USA, die die wahren menschlichen Werte verkörperten? Und was heißt das für die Künstler, die von den evangelischen Kirchen zur Mitarbeit eingeladen werden? Dass sie sich damit am Clash of Civilisations beteiligen und in der Abwehr des Angriffs auf die westlichen Werte seit dem 11. September 2001 involviert sind? Dass im Rahmen der evangelischen Kirche zu arbeiten zugleich Kulturkampf heißt? Das ist nicht nur ein Hohn auf alle, die sich seit mehr als einem halben Jahrhundert engagiert für einen offenen Umgang mit der zeitgenössischen Kultur einsetzen. Es begrenzt die Kultur auf ihre funktionalistische Dienlichkeit im Rahmen der Strategien der Kirche.

Letztlich ist es auch eine unerträgliche sprachliche Entgleisung, den 11. September überhaupt funktional für ein geändertes Kirche-und-Kultur-Verhältnis in Anschlag zu bringen. Denn es ist ja keine bloße Zeitangabe und auch keine reale empirische Feststellung (wenn es eine sein sollte, ist sie gründlich mißlungen und zeigt eine erschreckende Unkenntnis der vielseitigen politischen Funktionalisierung der Künste im 20. Jahrhundert). Der 11. September wird hier als kulturpolitisches Argument im Kampf der Kulturen in Anspruch genommen. Das ist inhuman und keinesfalls evangelisch!


© Redaktion 2006
Magazin für Theologie und Ästhetik 39/2006
https://www.theomag.de/39/red1.htm