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Magazin für Theologie und Ästhetik


Stifte statt Waffen

Warum Menschen sich für eine Welt einsetzen, von der alle profitieren

Karin Kontny

Stuttgart. „Die andere Globalisierung – Porträt einer Bewegung“ heißt die Ausstellung, die in der Kleinen Schalterhalle im Stuttgarter Hauptbahnhof zu sehen ist. Die Berliner Fotografin Katharina Mouratidi zeigt 36 über-lebensgroße Foto-Porträts und Interviews von Engagierten der globalisierungskritischen Bewegung weltweit. Alle Fotografierten antworteten der Künstlerin auf die Frage „Warum tun Sie das, was Sie tun?“

Fatima Hussaini war es leid. Wenn die dreiundzwanzigjährige Literatur-Studentin im Internet in Chatrooms ging, fragten sie die anderen Teilnehmer, woher sie komme. „Afghanistan“, schrieb Fatima und keiner wollte mehr mit ihr reden. Weil Afghanistan für viele gleichbedeutend ist mit den Taliban, der Al-Qaida, mit Terrorismus. „Nein, wir sind keine Terroristen. Wir sind Menschen wie ihr“, sagt Fatima und lächelt. Früher haben Fatima solche Reaktionen einfach nur still und traurig gemacht, jetzt aber sind es Momente, in denen sie erkennt, dass sie „mit anderen daran arbeiten muss, ihre Einstellung zu ändern.“ Mit der rechten Hand rückt sie ihr Kopftuch zurecht und blickt aus ihren dunklen Augen entschlossen geradeaus. Dann macht es klick und die Fotografin Katharina Mouratidi hat eine Aufnahme von Fatima im Kasten.

Seit November 2002 bis Oktober vergangenen Jahres war die Fotografin mit ihrer Kamera unterwegs. Sie ließ Teilnehmer großer globalisierungskritischer Treffen aus unterschiedlichen Nationen erzählen, warum sie sich für eine andere Welt einsetzen und machte ein Foto von ihnen. Sie sprach unter anderem in Seattle oder Caucun mit Engagierten, die Hilfsmitteltransporte organisieren, die sich gegen Gen-Manipulation von Lebensmitteln aussprechen, die weltweit für faire Arbeitsbedingungen werben und sich im Umweltschutz engagieren. 36 Porträts und Interviews sind nun für zwei Wochen in Stuttgart zu sehen. Auf den Porträts finden sich Prominente wie Maude Barlow, Trägerin des alternativen Nobelpreises 2005 aus Kanada und Joseph Stiglitz, Nobelpreisträger für Wirtschaft und früherer Topmanager der Weltbank aus den USA, die ehemalige Sozialarbeiterin Doris Henrichson vom Stuttgarter Wasserforum genauso wie andere alte und junge Leute aus der ganzen Welt. Wie Fatima Hussaini wollen sie dazu beitragen, dass sich Menschen unterschiedlicher Nationen und Religionen friedlich begegnen oder dass natürlichen Ressourcen wie Wasser gerecht verteilt werden.

Fatima Hussaini hat in ihrem eigenen Land damit angefangen, die Einstellung der Menschen zu verändern und ein positives Bild von Afghanistan zu entwerfen. Sie arbeitet bei „Good Morning Afghanistan, einer täglichen, frühmorgendlichen Radiosendung. Es ist das erste regierungsunabhängige Programm im Land und wird von der Europäischen Kommission unterstützt. Hier versucht Fatima durch Hintergrundinformationen die Konflikte zwischen den unterschiedlichen ethnischen Gruppen aufzuklären und damit ein wenig Frieden und Demokratie in das Land zu bringen. 80 Prozent der afghanischen Bevölkerung können das Programm empfangen. Seit 2002 ist „Good Morning Afghanistan“ auf Sendung und immer mehr Menschen hören allmorgendlich Fatimas klarer Stimme zu, wenn sie mit politischen Witzen die Ereignisse des Tages erzählt oder wissenschaftliche Nachrichten verständlich macht. Die Radiostation ist wichtig für Fatimas Mitbürger, unter denen es zahlreiche Analphabeten gibt. Ohne den Sender könnten sich viele von ihnen weder mit politischen noch sozialen Themen auseinandersetzen. „Wir Afghanen brauchen keine Waffen, wir brauchen Stifte, nichts anderes“, meint Fatima.

Die Ausstellung der Fotografin Katharina Mouratidi ist für Fatima Hussaini und die 35 anderen Befragten mehr als nur eine Dokumentation ihrer persönlichen Beweggründe. Mit ihren Fotos verleiht die Künstlerin den Engagierten ein Gesicht und gibt ihnen eine Stimme über die globalisierungskritischen Treffen hinaus. Nachdem die Fotografin Fatima Hussaini nach der Motivation für ihr Engagement befragt hatte, meinte sie: „Die Welt sieht Afghanistan“. Für sie und auch die anderen Porträtierten der Ausstellung gilt: sie sind Gesichter einer anderen Welt.

Infokasten: Die Ausstellung ist vom 31.Oktober bis zum 13. November Tag und Nacht in der Kleinen Schalterhalle im Stuttgarter Hauptbahnhof zu sehen. 2006 wird die Ausstellung außerdem an weiteren öffentlichen Plätzen in Köln, Wien, London, Genua und Houston/Texas zu sehen sein. Im Februar erscheint in der Edition Braus/Heidelberg das Buch „Die andere Globalisierung – Porträt einer Bewegung“, in dem sich unter anderem die in Stuttgart ausgestellten Porträts und Statements finden.


© Kontny 2005
Magazin für Theologie und Ästhetik 38/2005
https://www.theomag.de/38/kk6.htm