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Magazin für Theologie und Ästhetik


White Cube XVII

Vielfalt oder Einheit?

Karin Wendt

Den Raum der Münsteraner Überwasserkirche verzauberte anlässlich des Bistumsjubiläums[1] eine scheinbar frei im Mittelgang schwebende Installation der Essener Künstlerin Gabriele Wilpers. Zwischen den Kapitellen war Draht gespannt, an dem in dichten Abständen waagerechte Fäden geknüpft waren, von denen wiederum unzählige bunte Fäden senkrecht herabhingen, am Ende beschwert mit Fingerhüten. So entstand ein filigranes Liniennetz und der Eindruck eines farbigen Lichtregens, der den Raum geheimnis-, fast verheißungsvoll erhellte und wie in verschiedenen Tonhöhen vibrieren ließ. Nur mühsam gelang die Differenzierung in Einzelfäden, immer wieder überließ man sich leicht überwältigt dem Schauer von rieselnden "Sternen" (Gabriele Wilpers). Dass dort genau 23.000 Fäden und Fingerhüte im Raum hingen, mag die Dichte der Vernetzung verdeutlichen.

Die Evozierung von Licht und Klang fügte sich für meinen Geschmack jedoch etwas zu bruchlos in den Raum einer Kirche. So war es vor allem ein synästhetischer Genuss angesichts des epiphanen Charakters - die angedachte Komplexität der Idee zu dieser Arbeit aber, die sich dem Fund eines Fingerhuts und damit verbundenen Recherchen verdankt, wurde meines Erachtens nur bedingt ästhetisch bearbeitet und war damit wenig oder doch nur eindimensional erfahrbar.

Im Zuge der Vorbereitungen zum Bistumsjubiläum der Stadt Münster hatten Frauen der Katholischen Frauengemeinschaft die Künstlerin beauftragt, sich Gedanken "zum Thema Spurensuche von Frauen in der Geschichte des Bistums" zu machen. Beim Besuch der Ausgrabungsstätte eines ehemaligen Damenstifts bei der Liebfrauenkirche Überwasser erfuhr sie, dass dort Nähutensilien gefunden worden waren, unter anderem ein Fingerhut aus Bronze, vermutlich aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts, heute im Stadtmuseum zu sehen. Dies gab den Anstoß zu ihrem Projekt, in der Kirche Zehntausende Fingerhüte zu installieren als Erinnerung an das in den 1770er Jahren säkularisierte Damenstift, dessen Vermögen zur Gründung der Universität verhalf, und als Erinnerung daran, dass sich Tausende Frauen nur mit Näharbeit über Wasser halten können.[2]

In einem Interview mit den Westfälischen Nachrichten erklärte Wilpers ihren Blick auf die Fingerhüte: "Ich betrachte sie wie kleine Kunstwerke, die mich richtig begeistern können. Wenn man sie einzeln ansieht, dann wirken sie fast wie monumentale Skulpturen. Ich sehe die Fingerhüte auch unter dem Aspekt der bildnerischen Sprache: Wie ist er gearbeitet? Ist er grob? Ist er archaisch? Das kann ein klassizistischer Fingerhut sein oder ein ganz neuer, der vielleicht schon ganz verbeult ist, oder auch eine Sahnetülle, die man sich aufgesetzt hat. Was auch interessant ist: Die älteren Fingerhüte sind oft sehr liebevoll gestaltet. Die modernen sehen alle gleich aus, die Vielfalt ist verloren gegangen." Auf die Frage, wie sie so viele sammeln konnte, sagte sie: "Nach einem Aufruf haben Frauen im ganzen Bistum Münster Fingerhüte gesammelt. Viele waren begleitet von kleinen Briefen, in denen die Frauen ihre Geschichte erzählt haben. Das war sehr eindrucksvoll." Die Vielfalt der verwendeten Fingerhüte reicht vom 17. Jahrhundert bis in die heutige Zeit und spiegelte so sehr schön den Stilwandel eines kleinen Gebrauchsgegenstandes.

Wilpers will den Fingerhut aber auch als Zeichen einer der weit verbreitetsten und wenig anerkannten typischen Arbeiten für Frauen verstanden wissen. "...Zahlreich wie die Sterne des Himmels" ist der Titel der Arbeit, den sie so erläuterte: "Das sind die zahlreichen unbekannten Frauen, die die Kirche im Bistum mitgestalten. Sie werden durch die Fingerhüte repräsentiert. Der Titel ist doppeldeutig. Wenn man in die Fingerhüte hineinschaut, sind viele vom Arbeiten durchstoßen und durchstochen. Im Gegenlicht sehen die Lichtpunkte aus wie Sterne. Das Gewölbe einer Kirche ist symbolisch unser Himmelszelt, und da hinein hängen wir unsere kleinen Fingerhüte, die wie Sterne blinken."

Wenn es aber auch um eine ästhetische Reflexion der Lebens- und Arbeitsbedingungen von Frauen im Raum der Kirche gehen sollte, dann las sich die Visualisierung von Arbeit doch allzu leicht romantisch als tätiger Glaube in Demut. Sie wirkt damit nicht aufklärend, sondern führt die problematische Quellenlage in Bezug auf Frauenkommunitäten fort. Katrinette Bodarvé schreibt dazu: "Denn obwohl die Bedeutung der Klöster im Mittelalter 'als Zentren von Religion, Bildung und Kunst, als politische und herrschaftliche Agenturen wie als bedeutende Wirtschaftseinheiten' [...] immer wieder gerne zitiert wird, sind implizit meist nur Männerkommunitäten damit gemeint. Frauengemeinschaften erscheinen als unbekannte und zu vernachlässigende Größe. Das Desinteresse der Forschung folgerte unter anderem aus der bis heute verbreiteten Einschätzung, Frauenkommunitäten seien in erster Linie Versorgungsanstalten für unverheiratete Töchter gewesen. Obwohl diese Ansicht weitaus eher die Lebenssituation von Frauen im 19. Jahrhundert beschreibt als die einer mittelalterlichen Stiftsdame oder Nonne, bestimmt sie bis heute noch in weiten Teilen das (populär)-wissenschaftliche Bild von religiösen Frauengemeinschaften [...].Erst in den letzten Jahrzehnten hat sich im Zuge der Etablierung der Frauengeschichtsforschung in der Mediävistik auch die Erforschung der religiösen Frauengemeinschaften ausgeweitet."[3]

So ist die Namenlosigkeit der Einzelnen, die die Quellenlage zu Frauenklöstern kennzeichnet, in der Installation zwar zu einem Bild geronnen. Insofern es sich aber zu einer 'Himmelserscheinung' verdichtet, bestätigt es zugleich die Vorstellung, Frauen hätten vorrangig stumm und dienend an der Ausbreitung des Christentums mitgewirkt. Diese eher verharmlosende Verklärung eines weitaus komplizierten Verhältnisses von Leben und Arbeit in mittelalterlichen Frauenkommunitäten macht die Installation für mich fragwürdig. So bleibt trotz oder gerade wegen der Faszination angesichts der Schönheit ein ungutes Gefühl. Es scheint, als würde das Schicksal vieler Frauen in einer himmlischen Einheitserfahrung aufgehoben werden. Der Einzelnen wird man aber genau darin erneut nicht gerecht. Ein Rekurs auf das Religiöse als das Numinose läuft immer Gefahr, von Ideologie ununterscheidbar zu werden.[4]

Anmerkungen
  1. www.bistumsjubilaeum2005.de
  2. www.kfd-muenster.de/index.html
  3. www.frauenkloester.de
  4. Rudolf Otto, Das Heilige. Über das Irrationale in der Idee des Göttlichen und sein Verhältnis zum Rationalen (München 1973), München 1993.

© Wendt 2005
Magazin für Theologie und Ästhetik 36/2005
https://www.theomag.de/35/kw44.htm