Zurück zum Inhaltsverzeichnis

Magazin für Theologie und Ästhetik


Das John Ford Evangelium

Michael Girke

Er brachte Leinwandikonen hervor wie John Wayne, und der Western wird auf ewig mit seinem Namen verbunden bleiben. Er ist Hollywoods erfolgreichster Regisseur, vier Oscars für Regie erhielt er selbst, unzählige weitere Oscars und Nominierungen seine Filme. John Ford steht da als Monument des Kinos und ist zugleich ein großer Unbekannter. Wer wüsste schon, dass er über sich selber sagt, nicht seine Western sind wirklich gut, sondern seine billigen kleinen Filme ohne Stars über einfache Leute? Gedanken zur John Ford-Retrospektive der Viennale 2004.

Falsch Zeugnis geben

Ein Film von John Ford ist besser, als der beste Film aller Zeiten. Eigentlich immer, wenn Kritiker aufgefordert sind den Besten zu wählen, landet auf Platz eins: "Citizen Kane" von Orson Welles (gedreht 1941). Als Hollywood 1942 den Oscar verlieh, wurde allerdings nicht "Kane" ausgezeichnet, der Preis ging an John Fords "How Green Was My Valley". Als könne man ihm dies nicht verzeihen, so wird Ford seitdem von der Filmgeschichte behandelt. Er wird anerkannt, oft zähneknirschend, aber er wird nicht geliebt wie Alfred Hitchcock, Howard Hawks, Orson Welles. Das sind die Helden des modernen Kinos, seit die Kritiker-Cineasten der Nouvelle Vague Anfang der 1960er den Film revolutionierten, indem sie ihn als die Kunst ernstnahmen, die er ist.

1894 nahe Portland geboren als Sean Martin Feeney, mit 20 mit dem Zug nach Hollywood gefahren, um Filme zu machen. Zusammen mit seinem älteren Bruder, der dort als Frank Ford zum Schauspiel- und Regiestar geworden war. Dessen Metier waren Western. Davon drehte John Ford, selbst zur Regie gekommen, zeitweilig 15 pro Jahr. Als Western in den 40ern zu grandiosen Epen wurden, setzte Ford mit "Wagonmaster" den billigen und einfachen Frühformen ein Denkmal. Auch um zu fragen, wo bei den von Bürokraten und Ökonomen generalstabsmäßig organisierten Superproduktionen der Spaß an der Arbeit geblieben sei.

Seine Kavalleriefilme trugen ihm den Vorwurf ein, Amerika eine mythisch-kitschige Färbung zu geben. General Custer war ein US-Nationalheiliger, seine Standhaftigkeit gegen eine blutrünstige indianische Übermacht am Little Big Horn lange Stoff im Geschichtsunterricht. Eine pure Legende, an der erst in den 70ern, durch die Bürgerrechtsbewegung und die Hippies, öffentlich Kritik geäußert wurde. Aber schon 1948 drehte John Ford "Fort Apache", in dem ein von Henry Fonda gespielter General die Siebte Kavallerie mit blindem Eifer und ruhmsüchtig ins tödliche Desaster manövriert. Die Indianer zeigt Ford als Freiheitskämpfer. Mythoskritik war seine Reaktion auf die Heldensucht im und nach dem zweiten Weltkrieg.

Der untergegangene General sei tapfer und vorbildlich gewesen, diktiert John Wayne am Ende von "Fort Apache" Presseleuten in den Stenoblock. Was viele als Offenbarung von Fords Moral nehmen. Ein Beleg für die Wortfixiertheit des Filmbetriebs, die glatt beiseite wischt, was 100 Minuten Fordfilm zeigen. Und so wird Ford häufig angeklagt oder vereinnahmt als Propagandist von Dingen, gegen die er ist. "Der Mann, der Liberty Valance erschoss" (1962) enthält den berühmtesten Satz der Filmgeschichte: "This is the West, Sir. If fact becomes legend, print the legend". "Zwischen Wahrheit und Legende sollte man sich immer für letzteres entscheiden", übersetzt der deutsche Filmkritiker Michael Althen in seinem Buch "Warte bis es dunkel ist" den Ford-Film in ein Kinomodell und in eine Methode über Kino zu schreiben. "Liberty Valance" aber zeigt: Wie eine Legende entsteht, wie Presse und Politik Geschichte instrumentalisieren und die wahre Gewaltgeschichte, die sich hinter der Legende verbirgt. Ein Zwiespalt, der nicht aufgelöst wird, der Fords Film ist.

Vom Weibe

Als die Nouvelle-Vague-Regisseure in den 60ern nach Hollywood pilgerten, um ihre Idole kennen zulernen, da löcherten sie auch Ford mit Fragen. Ein solches Interview ist aufgezeichnet und läuft regelmäßig auf ARTE. Da sitzt Ford, alt und eigen, auf seinem Bett und lässt sich anschreien. "Warum eigentlich behandeln sie Frauen so mies in ihren Filmen?" Eine häufig gestellte Frage, die aber einem flüchtigen Blick entspringt. Was Ford wichtig ist, huscht in Sekundenbruchteilen vorüber in seinen mit Details über und über gefüllten Bildern.

Er hat mit "The Long Gray Line" (1955) einen Film gemacht über Westpoint, Amerikas wichtigste Militärakademie. Jeder Impuls im europäischen Betrachter wehrt sich gegen diese zweistündige Lebensbilanz eines US Drillsergeanten. Das dieser Ire ist, Katholik, derselben verachteten Minderheit angehört wie Ford selbst, geht einem erst nach und nach auf. Auch dass darin des Ausbilders ständige Albernheiten gründen. Das versteht in Amerika jedes Kind. Wie Chaplin, dessen Tramp mit Stolpern und Kaputtmachen protestiert gegen die ihn erdrückenden Verhältnisse, verhohnepipelt Fords Ire das protestantische, kalte und aufgeblasene der US-Militärmaschine.

Wo der Ausbilder ganz Distanz und Ironie ist, da umarmt und küsst seine Ehefrau die in den ersten Weltkrieg ausrückenden jungen Rekruten. Unbeholfen sieht das aus, so dass man es belächelt und abtut; es ist das einzige schöne Gefühl, dem die Soldaten je begegnen in ihrer Welt aus institutioneller Logik, Pflicht und Tod. Man muss an dieser Stelle Freud bemühen: Wie Rationalität entsteht durch Verdrängung und Verächtlichmachung der Gefühle. Männliches und Weibliches darf die Wahrnehmung nicht spalten, Menschen und menschliche Eigenschaften nicht unterscheiden in bedeutend und nebensächlich. Sonst hat man Ford nicht gesehen. Zusammen ist das katholische Paar im protestantischen Westpoint wie alle seine Filme, die aus den Spannungen zwischen irischem Rowdytum, Provokationslust, Hellsichtigkeit und extremer Sensibilität ihre Explosivität beziehen.

Du sollst Dir selbst ein Bild machen

Sergej Eisenstein zählt zu den großen Fordfans, auch Jean Marie Straub und Danielle Huillet. Straub sagt: Ford war Brecht bevor Brecht selbst es war. Er meint damit: Ford macht keine Bilder, die zur Identifikation einladen. Ihm geht es darum vielfältige Blickwinkel auf Personen und Ereignisse zu bekommen.

Ford verlangt den aufmerksamen Betrachter, der jede Kameraeinstellung, jede farbliche Nuance mit vollzieht. Wenn in "Wagonmaster"(1950) Banditen um medizinische Hilfe von einem Treck bitten, zeigt die Kamera sehr lange jedes einzelne Gesicht der Beteiligten. Nicht um dem Zuschauer Emotionen aufzuzwingen, sondern um anzuzeigen: Die folgenden Bilder sind keine Wiederspiegelung objektiver Realität, es sind Innenwelten. Um sich greifende Unheimlichkeit aus den Perspektiven der Beteiligten. Film als Gedankenfotografie, als Widergabe von Trieben. Das hat Ford gelernt von Friedrich Wilhelm Murnau. Dessen "Sunrise" (1927) nannte er den einzigen Film, der ihn je beeinflusste. Ford mobilisiert die flache Leinwand, vertieft sie, in dem er jeden Zentimeter mit Licht und Schatten modelliert. Gefühle und Ideen formen den Raum, der Raum wird subjektiv, Empfindungen sind sichtbare Realität.

John Wayne war in den 50ern der größte Filmgott. Für Ford ein Problem, als er ihn in "The Searchers" einen Rassisten spielen ließ. Um den starfixierten, idealisierenden Publikumsblick zu distanzieren, zeigt er Wayne in vielen Szenen aus den Augen seiner Mitmenschen und diese aus Waynes Perspektive. Das führt zu Missverständnissen, wo ideologisch gesehen wird. Ford wird vorgeworfen, er verkläre Fanatiker, wo er Wahrnehmung reflektiert. In einer einzigen langen Rückblende erzählt "How Green was My Valley" das Leben einer walisischen Bergarbeiterfamilie. Was aussieht wie Nostalgie, thematisiert auch emotionale Erstarrung, die Unfähigkeit zur Veränderung. Die Familie, während sie ausgebeutet wird und zugrunde geht, redet sich stets ein, alles werde schon gut. Fords Film ist wie ein Traum, der den Träumer vor sich selbst warnt.

Obwohl er Tonfilme machte, beschrieb Ford sich stets als Stummfilmregisseur. Mit Mitteln, die nicht verbaler Natur sind, mit Dekors und Farben zeichnet er in seinem letzten realisierten Film amerikanische Missionare in Asien. Die, welche die ganze Welt nach ihrer Glücksvorstellung formen wollen, sperren sich selbst ein in ihrer Arroganz und hysterischen Angst vor anderen Lebensformen. Filmbilder von 1965, subjektiv gefärbt und hochaktuell, amerikanische Reaktionen nach dem 11. September waren schon damals spürbar.

Vom Töten

"Das war der Wilde Westen: Männer, Pferde, edle Indianer, halbseidene Damen in schummrigen Saloons, Freiheit und Abenteuer." Diese Beschreibung, einem Buchrücken entnommen, gibt gut wieder, was man in Deutschland von Western erwartet. Und diese Erwartungshaltung ist ein großes Missverständnis. Western sind nur in seltenen Fällen grell überzeichnende Abenteuerfilme, in denen es bloß um Helden und Heldentaten geht. Viel eher leisten sie für die Bilderzivilisation Amerika, was Ilias und Odyssee, Altes und Neues Testament oder Shakespeare für Europa geleistet haben. Es sind jeweils Stoffe, die reale Erfahrungen reflektieren; Erfahrungen von Konflikten bei der Gründung einer neuen Zivilisation, zwischen den Geschlechtern und den Generationen, von Angst, Gewalt, Krieg, von übermächtiger zu bewältigender Natur und Landschaft.

Mit Geschichte oder Kunst Befasste mögen einwenden, Filme seien immer Nachbildungen, Erfindungen, niemals die Realität selbst. Das stimmt und es gilt zugleich auch für die Sprache, mit der wir jemandem mitteilen, was wir erlebt haben oder wie wir uns fühlen. Es geht nicht anders: Um Erfahrungen mitzuteilen, muss man sich vorhandener Formen bedienen. Wie über einen Menschen, die ihm eigene Art, den ihm eigenen Ausdruck, überhaupt nichts gesagt ist mit der Feststellung, dass er sich der Sprache bedient, so ist über Western überhaupt nichts gesagt mit der Feststellung, es seien Genrefilme oder Mythen, sie zeigten den Cowboy, den Westen. John Wayne ist in Filmen von Howard Hawks jemand anderer als in Filmen von John Ford; dieselbe Stadt Tombstone sieht bei jedem Regisseur gänzlich anders aus. Ein Hollywoodwestern ist ein Kunstwerk. Das dokumentiert nicht Realität, aber eine individuelle Sensibilität gegenüber der Realität, eine individuelle Auseinandersetzung mit Geschichte.

"Red River" (1948) von Howard Hawks und "Wagonmaster" von John Ford, zwei beinahe zur gleichen Zeit entstandene Western mit nahezu identischem Inhalt, beide zeigen Trecks auf dem Weg nach Westen. Vergleicht man sie, hört man Genretheorien scheppernd zusammenstürzen. Wo Hawks' Figuren Profis sind, die einen Job erledigen, da handelt Ford in jeder Einstellung von der Beziehung der Menschen zu ihrer Umgebung. Wenn Ben Johnson losreitet, um der sich zu Fuß durch die Steppe schleppenden Joanne Dru bessere Schuhe zu verschaffen, wenn Männer, Frauen, Kinder sich quälen, um Planwagen durch einen Fluss und über Berge zu bringen, dann versteht man, was die neue Welt bedeutet, wie Menschen fühlen, die ihr ausgesetzt sind.

Schon Herrmann Melville hat in seinen Romanen – der bekannteste ist "Moby Dick" – dargestellt, dass Amerika vor allem eine neue psychophysische Grunderfahrung ist: Überschreiten aller bekannten Grenzen, Bewegung in einem unermesslichen Raum. Einem Raum, welcher durch die Eisenbahn und andere Technologien sich immer mehr beschleunigt. Wo die Filme von Howard Hawks geradezu besessen sind von amerikanischer Geschwindigkeit, da ist der neue Westen bei Ford auch Chiffre einer Krise. Der Raum formt die Menschen zunehmend mehr als diese den Raum. Menschen, die ewig unterwegs sind, haben im Fordfilm deutlich etwas Krankes. Sie sind ruhe- und bodenlos, nicht nur bereit, sondern süchtig danach, einen neuen Ort oder eine neue Sache auszuprobieren und mit dem Alten total zu brechen. Wo Hawks' Figuren über die Tode anderer ungerührt hinweggehen, da gräbt sich Gewalt bei Ford ein in Seelen und Körper und verändert die Landschaft. Gewalt überschattet den Weg und den Geist des Westens. Wie aus gesetzloser Gewalt legitime Gewalt wird, die ihren Opfer-produzierenden, zerstörerischen Charakter beibehält, ist sein ständiges Thema. Dass Ford seine historischen Erfahrungen als Angehöriger einer gettoisierten Minderheit und Weltkriegsteilnehmer, das reale Grauen seines 20. Jahrhunderts transformiert hat in seine Bildlogik, macht seine Filme existentiell und berührend, wo man Arbeiten von Hawks oder Hitchcock betrachten kann wie technische Bravourstücke von Ingenieuren.

Intoleranca

Ford schätzt seine kleinen Filme ohne Stars, weil in ihnen unsere Blicke nicht abgelenkt sind. Nichts ist verkehrter als Ford'sche Figuren Helden zu nennen. Der Heroe unzähliger Filme ist abgeleitet vom Heros der griechischen Mythologie. Von Achilles, Hector, Herakles, die Halbgötter sind, befähigt zu Taten, die Menschenmögliches weit übersteigen. Solch ein Heros lässt sich nichts vormachen, er durchschaut die Mechanismen der Herrschaft, warum die Beherrschten erniedrigt, ihre Leiden vermehrt werden. Helden ändern daran gar nichts.

Einen ganzen Film lang studiert Tom Joad in John Fords "Die Früchte des Zorns" (1940) die erdrückende Dunkelheit, in die Amerika getaucht ist in den 30ern. Dann schwört er, überall einzugreifen, wo Companies und Großgrundbesitzer ausbeuterisch, Richter korrupt und Polizisten brutal sind. Fordsche Figuren akzeptieren Geschichte nicht als über Menschen verhängtes Schicksal. Sie sind aus auf Gerechtigkeit, auf Abschaffung der tödlichen Kreisläufe von Rentabilität und Ausbeutung, Gewalt und Rache, die jede neue Welt zur Fortsetzung der katastrophalen alten machen.

Dafür, dass er als typischer Männeregisseur gilt, wickelt Ford Actionszenen oft erstaunlich kurz ab. Tanzböden und Kneipen werden ernstgenommen, genauso Kirchen und Gerichtsäle. Action bei Ford ist, wenn Menschen ihr Gesicht zeigen, wenn ihre Einstellungen sichtbar werden, wenn sie versuchen einen gemeinsamen Ort herzustellen. Mit Bildern registriert er die Krise der Bücher und Worte als Grundlage der Zivilisation. Wie die Überlieferung zu heruntergeplapperten Formeln verkommt, wie das Gefühl verloren geht für die Konflikte, die den alten Stoffen zugrunde liegen und die auch heute nicht gelöst sind. Vor Gott sind alle gleich - an der Bibel halten viele Figuren Fords fest als moderne, demokratische, revolutionäre Ethik. Henry Fonda gleitet als "Young Mr. Lincoln" so langsam durch Amerika, weil er die Bedürfnisse der Menschen genauso studiert wie das amerikanische Recht - um dann als Anwalt und Politiker Emotionen und Gerechtigkeit miteinander zu verweben. Fingerspitzengefühl, das ist bei Ford eine weibliche Eigenschaft, Mütterlichkeit eine intellektuelle Utopie. Sie hat Protestcharakter. Ford mag nicht Gesetzesvertreter und Tugendwächter, die im Namen von geschlossenen Systemen, von Abstraktionen und Höherem Menschen zurichten.

Hintergründe und Kulissen sind bei Ford Handlungsträger. Mit Treppen, Türen, Inneneinrichtungen macht er sichtbar, was Worte nur abstrakt fassen können: Was sich verschiebt im Verhältnis zwischen Dingen und Menschen; wie die Moderne Grund und Abgrund zugleich ist. Der Platz des Individuums ist kein wichtiger mehr, schon gar kein freier; er ist ständig bedroht, unsicher, angstgeladen. Entfernt man gedanklich die Hautfiguren aus Fordfilmen, offenbart sich, wie ihr Regisseur die amerikanische Welt empfindet: Ein Pulverfass kurz vor der Explosion. In ein solches Gelände lässt Ford Figuren treten wie Judge Priest, den Richter in "The Sun Shines Bright" (1953). Der ist ein alter Säufer, ein Schwätzer und Anhänger der reaktionären US-Südstaaten. Jeder Opportunismus ist ihm Recht, um wiedergewählt zu werden. Aber er hindert einen Lynchmob daran, einen Schwarzen aufzuhängen und hält einer verstorbenen, verachteten Hure eine würdevolle Totenmesse. Sein Leben riskiert er, sogar die ihm den kostenfreien Whisky sichernde Wiederwahl, um die Rechte der Ausgegrenzten zu verteidigen - damit nur ja die mühsam eingedämmte Destruktivität nicht ausbricht, mit der Menschen sich selbst und ihre Kultur zerstören. Die Bürger danken Priest mit einem simplen Schild, auf dem steht "He saved US from ourselves". Wer diese kurze Szene sieht, eingedenk der den ganzen Film über drohenden Katastrophen, der kann nicht anders, dem fließen die Tränen, während er sich gleichzeitig lachen hört. Übrigens sind die Tränen intelligent und das Lachen ist dialektisch: Sehr alt, etwas weise und befreiend. So bewegt nur John Ford. Seinen Filmen kann man glauben, auch dass die Abwesenheit Gottes furchtbare Seiten hat.

Epilog

Nichts unterhält besser als ein Ford-Film, und nichts eignet sich mehr, Amerika zu verstehen. Mit diesem Miteinander haben viele Europäer Probleme. Ford-Filme erlauben nicht, sie umstandslos zu verdauen. Wer sich ein Gefühl von Überlegenheit verschafft, in dem er Hollywood-Filme behandelt wie Fließband gefertigte Massenware, dem begegnet in Ford ein Regisseur, der sichtbar ist auf jedem Millimeter Leinwand. Wo viele Europäer Künstler nur als überlebensgroße Genies schätzen können, da ist Ford bescheiden und macht nicht viel Aufhebens um sich. Wer ihn zum Modell stilisiert für antiintellektuelles Filmvergnügen, macht sich blind für seine analytische Kraft und wo die Filmwissenschaft sich auf Strukturen und Zeichen kapriziert, verdrängt sie die spirituellen, religiösen Dimensionen seiner Filme. Kurzum, wer Ford betrachtet, spürt sofort, wie arm die Filmkultur ist, wenn sie Unterhaltung und Kunst, Denken und Fühlen so strikt voneinander trennt. Genau genommen sehen wir in einem Ford-Film keine Cowboys und Ladys, sondern Menschen in alltäglichen, also verdammt komplexen Situationen. Sie verwirklichen mit jeder Geste, jedem Wort, jeder Entscheidung die Hoffnung auf Zivilisation oder den Verrat daran. Im Ford-Country sind Menschlichkeit und Gerechtigkeit kein Besitz, sie können nur geschehen, müssen erkämpft und verkörpert werden. Heißt das nicht, im hochtechnischen, magischen Kino können wir, jenseits von Hirnforschung und grauer Theorie, die Materie entdecken aus der wir wirklich gemacht sind - nicht, was in den Menschen ist, sondern, was zwischen ihnen sich entwickelt.


© Michael Girke 2005
Magazin für Theologie und Ästhetik 33/2005
https://www.theomag.de/33/mg4.htm

Der  Buch-per-Klick-Bestell-Service