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Magazin für Theologie und Ästhetik


White Cube XIV

Körperlandschaften. Rebecca Horn

Andreas Mertin

Rebecca Horn ist eine Mystagogin der Kunst, eine Hohepriesterin der rätselhaften Verweisung, eine herausragende Künstlerin mit unterschiedlichen Medien und Sparten. "Sie ist Bildhauerin, Zeichnerin, Regisseurin und Dichterin. Körperskulpturen, Performances, Objekte, auf den Ausstellungsort bezogene Installationen, Filme, Zeichnungen und Texte wechseln einander ab, entstehen auseinander oder begleiten sich wechselseitig. 'Das Wechseln zwischen verschiedenen Medien des Ausdrucks' ist in ihren Augen 'eine Art schöpferischer Ausgleich.' Alle Sparten und Werke stehen zueinander in Beziehung und ergänzen sich zu einem Gesamtkunstwerk." (Begleitheft zur Ausstellung)

Im Düsseldorfer K20 (Kunstsammlung NRW) war die Ausstellung BODYLANDSCAPES vom 2.10.2004 - 09.01. 2005 zu sehen. Sie gibt einen repräsentativen Überblick über die Kunst von Rebecca Horn aus den letzten 40 Jahren. Einen Überblick über das Angebotene (wenigstens in Textform) kann sich jeder verschaffen, der im Internet das Begleitheft zur Ausstellung in Düsseldorf als umfangreiche PDF-Datei herunterlädt. Das ist übrigens eine sehr lobenswerte Einrichtung, die es dem Besucher erlaubt, sich auf den Ausstellungsbesuch vorzubereiten.

Denn vor allem eins muss man bei Rebecca Horn und auch bei dieser Ausstellung mitbringen: Zeit! Es macht überhaupt keinen Sinn, schnell mal in einer Stunde durch die Räume zu laufen, um sich einen Werkeindruck zu verschaffen. Das Werk von Rebecca Horn verlangt Geduld, Aufmerksamkeit, den Willen, sinnliche Erfahrungen zu machen und über sie zu reflektieren. Mehrere Stunden, vielleicht auch einen halben Tag, wenn nicht sogar mehr, muss man für die adäquate Annäherung schon einplanen.

Beim Betreten der Ausstellung stieß man zunächst auf die Arbeit "Circle for broken Landscape" aus dem Jahr 1997, die Rebecca Horn für die Düsseldorfer Ausstellung neu arrangiert hat (an dieser Stelle geht auch die Informationsdatei aus dem Internet noch auf die alte Konzeption ein). Dieses Kunstwerk kann tatsächlich als Einstimmung auf und Schlüssel zur Ausstellung verstanden werden:

"Für die Installation dieser Arbeit in Düsseldorf hat Rebecca Hörn eine neue Lösung gefunden und die ursprünglich nur mit schwarzer Kreide konturierte Kreisfläche mit Sand gefüllt. Auf der Kreislinie und innerhalb des Kreises sind Elemente angeordnet, die im Werk der Künstlerin immer wiederkehren. Die Felssteine scheinen die zerbrochene Landschaft zu markieren. Zwei auf der Spitze balancierende Trichter sind mit geheimnisvollen Flüssigkeiten gefüllt. Beide Flüssigkeiten verbinden die Qualitäten ihrer optischen Erscheinung mit möglichen Bedeutungen. Das anziehende, magisch leuchtende Blau erinnert an ein sich blau verfärbendes Bad aus der ... Schrift 'Die Chymische Hochzeit'[1]. Dort ist es eine Läuterungsstufe auf dem Weg zur idealen Einheit von Leib, Geist und Seele und zur androgynen Verschmelzung der Geschlechter. Das Quecksilber wiederum übt eine ganz besondere Faszination aus, einerseits durch seinen spiegelnden Glanz, andererseits dadurch, dass das Metall auch im flüssigen Zustand (der bereits bei Zimmertemperatur erreicht wird) körperhaft erscheint. In der Alchemie gilt es nicht nur als Bestandteil des Goldes, sondern auch des Steines der Weisen. Metallstäbe treten hier in ein bewegtes Spiel der Kräfte ein. Der motorbetriebene Stab zeichnet imaginäre Spirallinien in den Raum und verweist abwechselnd auf die Elemente im Kreis. Die quecksilberne Oberfläche wird von einer anderen Spitze fast berührt - eine Spannung, die sich jeden Moment lösen kann, also potentielle Bewegung enthält."[2]

Wer sich die Zeit nimmt und diese Arbeit angemessen studiert, taucht bewusst und gezielt in den Werkkontext von Rebecca Horn ein.

Gezeigt wurden in der Ausstellung frühe Zeichnungen, Körperskulpturen, Dokumentationen der Performances und zahlreiche bedeutende Arbeiten (u.a. Broken Landscape 1997; Book of Ashes 2002; Yin and Yang Drawing the Landscape 2004). Im oberen Raum der Ausstellung finden sich neben der neuen Serie der den Körper ausmessenden "Bodylandscapes" zwei herausstechende größere Arbeiten: Les Amants aus dem Jahre 1991 und "Licht gefangen im Bauch des Wales" aus dem Jahr 2002.

In "Les Amants" werden Tinte und Champagner aus zwei Trichtern miteinander vermischt und dann über einen Schlauch großflächig an die Wand gespritzt. "Die Liebenden bereiten sich vor, sie baden in Champagner und Tusche, vereinigen sich im Innern der Malmaschine, um die Malerei im Fluge einer verrückten Verliebtheit, eines Tanzes auszuführen" schreibt Rebecca Horn zu ihrer Arbeit.

Die wunderschöne Arbeit "Licht gefangen im Bauch des Wales" wird im Begleitheft der Ausstellung leider etwas zerredet. Oberflächlich assoziativ wird ein wenig das Jonabuch paraphrasiert, auf die Schöpfungsgeschichte angespielt und das Werk beschrieben. Dabei ist die Arbeit viel tiefgründiger und bedeutsamer, als der Kommentar ahnen lässt. Der Betrachter, der den Raum in der ersten Etage durch einen Vorhang(!) betritt, gerät in einen großen Raum, den in der Mitte eine Wasserfläche und überall zahlreiche Text-Licht-Projektionen füllen. Man wandert durch das Meer der Worte und Wörter, ohne zunächst ihren Sinn erfassen zu können, man erhascht Wortfetzen und Sinnfragmente und spürt der Bedeutung nach: "In der Nacht wandern die Worte / wie Schatten im Innern des Kopfes, / gleiten über den Marmor des Wassers"

Insgesamt gilt für die Arbeiten von Rebecca Horn ein Satz, den Theodor W. Adorno in der Ästhetischen Theorie an prononcierter Stelle äußert: "Was Natur vergebens möchte, vollbringen die Kunstwerke: sie schlagen die Augen auf."3[]

Ausstellungen
K20 Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf 2.10.2004-9.1.2005 ·
Centro Cultural de Belém, Lissabon 3.2.-24.4.2005 ·
Hayward Gallery, London 26.5.-11.9.2005 ·
Martin-Gropius-Bau, Berlin September - Dezember 2006

Anmerkungen
  1. http://12koerbe.de/lapsitexillis/chym-6.htm
  2. Angela Wenzel im Begleitheft zur Ausstellung
  3. Theodor W. Adorno: Ästhetische Theorie. Gesammelte Schriften 7, S. 104

© Mertin 2005
Magazin für Theologie und Ästhetik 33/2005
https://www.theomag.de/33/am143.htm

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