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Magazin für Theologie und Ästhetik


Immer wieder Sonntags

Eine Erinnerung

Andreas Mertin

Horst Albrecht, PublikationenHorst Albrecht gehörte zu den theologischen Pionieren der Massenkommunikationsforschung im Blick auf die religiöse Rede wie überhaupt im Blick auf die Erforschung der Religion in der Alltagswelt und der Populärkultur. Seine Schriften zu diesem Themen haben mich immer inspiriert, herausgefordert und zu eigenen Forschungen angeregt.

Aber lange bevor mich sein nachgelassenes Buch "Die Religion in den Massenmedien"[1] zu eigenen Studien auf diesem Gebiet veranlasste,[2] war ich noch während des Studiums in Bochum auf seine dort eingereichte Dissertation "Kirche im Fernsehen. Massenkommunikation am Beispiel der Sendereihe 'Das Wort zum Sonntag'[3] gestoßen. Seine soziolinguistischen Forschungen an diesem Oldie des Fernsehens waren schon seinerzeit äußerst spektakulär und zudem die erste Untersuchung der Massenkommunikationsforschung, die unterschiedliche Methoden der Kommunikationsforschung exemplarisch auf eine einzige Sendung anwandte - wie es dann später so schön stolz im Klappentext des Buches hieß.

Birte Platows Artikel zur Korpuslinguistik am Beispiel des "Worts zum Sonntag"[4] gab mir willkommenen Anlass, noch einmal in Horst Albrechts Dissertation zu blättern und nicht zuletzt Vergleiche anzustellen zwischen dem, was Albrecht seinerzeit am "Wort zum Sonntag" konstatiert hatte und dem, wie sich das Wort zum Sonntag heute präsentiert. Das Interessante dabei ist nämlich, dass sich das Wort zum Sonntag die Anregungen der Massenkommunikationsforschung, für die Horst Albrecht seinerzeit eintrat, nahezu vollständig zu eigen gemacht hat, ohne dabei allerdings, wie der Artikel von Birgit Platow zeigt, auf eine bessere Resonanz des Publikums oder der die Sendung analysierenden KommunikationsforscherInnen zu stoßen. Die Frage, warum das so ist, will ich im Rahmen dieses Artikels nicht beantworten, mir geht es darum, einen Blick zurück nach vorn zu werfen.

In einem seiner verschiedenen Schritte zur Analyse des Worts zum Sonntag benutzt Albrecht quantifizierende Methoden zur Messung der Textschwierigkeit der Sendung. Die von ihm in Betracht gezogene Sendung des Worts zum Sonntag von Ludwig Quaas am 4. Mai 1968 kam auf einen Schwierigkeitsgrad von 33,272, was zwischen dem des SPIEGEL (20,045) und dem der Zeitschrift DAS NEUE BLATT (33,658) lag. Obwohl dies ja an sich auf den ersten Blick keine schlechte Platzierung darstellt, wurde von Kommunikationswissenschaftlern seinerzeit eine deutlich verminderte Textschwierigkeit für die Sendung gefordert, numerisch sollte der Wert zwischen 40 und 50 liegen. Das Fernsehen an sich, darauf verweist Albrecht ergänzend, war seinerzeit allerdings selbst noch wesentlich komplexer, es hatte im Programmumfeld der Sendung "Das Wort zum Sonntag" eine Textschwierigkeit von 17,781. So gesehen war das Wort zum Sonntag eigentlich damals schon eine Entlastung im Kontext der Samstagabendunterhaltung. Inzwischen dürfte das Medium Fernsehen selbst seine Textschwierigkeit deutlich nach unten gesenkt haben. Die Frage ist, wie hat das Wort zum Sonntag darauf reagiert.

Heute ist es ein buntes Team von so genannten "Sprechern", die das Wort zum Sonntag gestalten und zu deren Mitarbeitern ein ganz buntes Spektrum von Kirchenzugehörigen zählen. Die Website des Worts zum Sonntag zählt neben Pfarrern und Professoren auch Familienväter, Religionslehrer und Journalisten auf.[5] Untersucht man nun die von Birte Platow herangezogene Sendung von Stefan Jürgens vom 31.01.2004[6] unter Anwendung der Kriterien von Horst Albrecht, so kommt der Text auf eine Schwierigkeit von knapp 53.

Das Wort zum Sonntag ist - ganz offensichtlich den seinerzeitigen Anregungen der Kommunikationswissenschaftler folgend - zur Trivialliteratur geworden. Nur eine der seinerzeit von Horst Albrecht zum Vergleich herangezogenen Textsorten hatte eine derartige Verständlichkeit wie das untersuchte Wort zum Sonntag.[7] Zieht man andere Ausgaben des Worts zum Sonntag aus dem Jahr 2004 heran, dann zeigt sich, dass es auch schwierigere Texte gibt, deren Verständlichkeit aber alle deutlich über der der seinerzeitig von Horst Albrecht untersuchten Sendung liegt. Und es gibt auch noch wesentlich einfachere Andachten mit Verständlichkeitswerten um 59.[8]

Offenkundig ist aber auch, dass trotz aller Anpassung an das von den Kommunikationswissenschaftlern geforderte Niveau die Zufriedenheit mit dem Wort zum Sonntag kaum gestiegen ist. Entweder war die seinerzeitige Diagnose falsch oder es gibt eine sozusagen in die Sendung eingebaute Logik, die eine gewisse Unzufriedenheit erzeugt und die mit keiner noch so ausgefeilten Kommunikationsstrategie zu befrieden ist. Das könnte dann tatsächlich für das Wort zum Sonntag sprechen, weil es - trotz aller sprachlichen Nivellierung - gegenüber dem sonstigen Programmablauf sperrig geblieben ist. Und auch das ist heutzutage schon eine Tugend.

Anmerkungen
  1. Albrecht, Horst: Die Religion in den Massenmedien. Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz: Kohlhammer, 1993.
  2. Vgl. Verf. Videoclips im Religionsunterricht. Eine praktische Anleitung zur Arbeit mit Musikvideos. Göttingen 1999; ders., Internet im Religionsunterricht. Göttingen 2/2001; Mertin / Futterlieb,: Werbung als Thema des Religionsunterrichts. Göttingen 2002.
  3. Albrecht, Horst: Kirche im Fernsehen. Massenkommunikationsforschung am Beispiel der Sendereihe 'Das Wort zum Sonntag'. Hamburg 1974.
  4. Birgit Platow, Das "Wort zum Sonntag" - Wie Wein in der PET Flasche?, Magazin für Theologie und Ästhetik, Heft 32, www.theomag.de/32/bp1.htm
  5. http://www.daserste.de/wort/sprecher.asp
  6. http://www.daserste.de/wort/sendung_dyn~uid,k45f71bie9cnnrd5lvil1fa3~cm.asp
  7. Eine Fernsehsendung unter dem Titel "Versuchung am Montmartre" erreichte den Wert 58,33.
  8. So Johanna Haberer in ihrem Wort zum Sonntag am 17. April 2004.

© Andreas Mertin 2004
Magazin für Theologie und Ästhetik 32/2004
https://www.theomag.de/32/am128.htm