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Magazin für Theologie und Ästhetik


Was ist der Mensch?

Die art Karlsruhe auf der Suche nach einem Profil

Karin Kontny

Großzügig angelegt und gut beworben war die art Karlsruhe, Baden-Württembergs erste Kunstmesse für zeitgenössische Kunst, die "im Süden" vom 4. bis 7. März "was Neues" zeigen wollte. Auf rund 13000 m2 präsentierten sich 82 Galeristen, ein Viertel davon stammte aus Baden-Württemberg selbst. Aber auch aus den restlichen Bundesländern sowie dem europäischen Ausland waren die Aussteller mit ihren KünstlerInnen ins weit außerhalb des Stadtzentrums liegende Karlsruher Messe- und Kongresszentrum gepilgert, um der jungen art bildnerische Inhalte zu geben. Bereits bekannte wie auch sich auf dem Markt der künstlerischen Möglichkeiten noch zu etablierende KünstlerInnen zeigten, was sie bewegt und womit sie die interessierten Besucher sowie die (Kunst-)Welt in Bewegung bringen wollen. Und es scheint eine alte Frage zu sein, die sich da gleich einem roten, unterschiedlich gesponnenen Faden durch die Köpfe der Kunstschaffenden zieht.

Vor allem die One-Man-Shows tragen zur Themenkonzentration bei: Wer ist er denn nun, der Mensch? Was macht ihn aus? Angesichts der überschwappenden, an den Augen in rasendem Tempo vorbeiziehenden Bilderflut in Werbung und Medien entsteht in Karlsruhe der Eindruck, das Bedürfnis nach einem entschleunigten Bild vom Ich, das verlässlich und vor allem eines, nämlich begrenzt ist, wachse. So dominieren in der Halle der art vornehmlich überschauliche Portraits das Bild der Ausstellung. Sie zeigen das Individuum in seinen Bezügen zum Mitmenschen und zu den ihn umgebenden Gegenständen genauso wie die den menschlichen Alltag konstituierenden (Ritual-)Handlungen.

Robert Penkwitt zum Beispiel stellt eine der wenigen Fotoarbeiten der art vor, die durch spielerische Hologramm-Bildsequenzen die Wahrnehmung einzufangen versucht ("D Lux"). Einmal in die verspielt-dekorative Wahrnehmungsfalle getreten, pendelt der Blick zwischen den Wort- und Seinsbegrenzungen "d lux" und "d vine", "d cay", und "d ceive" und dem platinblond gefärbten Schopf einer weiblichen Verlockung hin und her und versucht, deren eindeutig-zweideutigen Sprachgestus, sie selbst zu "d codieren".

Mit "Auerswalder Kirmes (Hinterglasmaltechnik/Collage) gelingt dem von einer Chemnitzer Galerie vertretenen Jan Kummer zwar kein besonders formal überragendes oder progressives, dennoch inhaltlich sprechendes Bildsujet. Einem Schnappschuss gleich grinst aus dem kitschrosa hinterlegten Glas in naiver Maltechnik ein bleichgesichtiger Mittsechziger mit zwei Philippininnen im Arm noch einmal sein die Alterseinsamkeit durchbrechendes Beziehungsglück in die Gegend. Das Leben kann so luftballonleicht sein, wenn man an der Hand gehalten wird.

Leicht und ornamental wirken auch die Scherenschnitte ("Cut outs"), die Annette Schroeter unter anderem von Soldaten anfertigt. Durch die Reduktion auf die Shilouette sind sie ihrer je eigenen Identität beraubt und auf ihre Funktion als beinahe camussche Lebensverteidiger und -kämpfer zurückgeführt.

Nur nicht auf die Knie fallen, denn Beten scheint etwas für Frauen zu sein, bei denen der fromme Gestus doch eher dekorativ up to date als verinnerlicht-traditionell wirkt (Elvira Bach, ohne Titel).

In der Modetradition der Computerpixel stehen die Bilder Lie Jins. Befremdlich klassisch in Öl, Pixelraster für Pixelaster, setzt sich das "Porträt Harriet" oder anderer, durch namentliche Benennung zu bestimmten Personen gewordener Menschen, zusammen und zeigt als Ganzes wie in seinen Einzelteilen Bausteine vom Ich.

Ähnliche, auf den ersten Blick altmodisch anmutende Wege beschreitet die Künstlerin Monika Thiele in ihren zeitaufwendigen Stickarbeiten. Von Fadenzug zu Fadenzug, von Nadeleinstich zu Nadeleinstich, entwirft die im letzen Jahr mit dem Internationalen Textilkunstpreis Nettetal ausgezeichnete Künstlerin Gegentexte (textum = Gewebe) der Langsamkeit. Beiläufige Handlungen wie das Trinken aus einem Glas oder das ästhetisierte, empfindsame Betrachten eines Eies werden in ihren durchscheinenden Arbeiten zu ungewöhnlichen Objekten der Aufmerksamkeit ("Ist Zustand I"). Leise und fast romantisch bildet die Künstlerin in ihren profilierten fotorealistischen Arbeiten Netze aus, die das Ich erzählend einzufangen suchen, um es aber zugleich wieder auf dem Bildträger aus feinem Organza schweben zu lassen. Thiele gibt in ihren neuartig-altmodischen Arbeiten damit der noch in den Kinderschuhen steckenden art Karlsruher ein wenig Sinn und Geschmack für das Unendliche, für Zukunftweisendes.

Denn zweifelsohne benötigt die neue Messe noch einige Jahre, um ein nur annähernd so beständiges Profil wie zum Beispiel das der Basler oder Kölner art zu entwickeln. Um das Profil der Frage "Was ist der Mensch?" hingegen muss man sich auch in Zukunft keine Gedanken machen - sie ist und bleibt ein immer neuer Dauerbrenner - und das nicht nur im Süden.


© Karin Kontny 2004
Magazin für Theologie und Ästhetik 28/2004
https://www.theomag.de/28/kk4.htm