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Magazin für Theologie und Ästhetik


Im Labyrinth XVI

Erscheinungen im Cyberspace

Karin Wendt

Kunstwerk Köln

Insofern Künstler etwas unternehmen, sind sie Unternehmer, dies gilt noch einmal mehr, wenn sie etwas für den Erhalt ihrer beruflichen Zukunft unternehmen. Ein engagiertes Beispiel für ein "Künstlerhaus in Künstlerhand" in das Kunstwerk Köln, folgt man der Selbstbeschreibung im Internet, Deutschlands größtes selbstverwaltetes Atelierhaus. 1993 gründete Uli Eichhorn mit anderen den Kunstschalter e.V., seit 1995 betreut der Verein Veranstaltungen und verwaltet das Gelände, seit 2001 nennt er sich Kunstwerk e.V.

Das Gebäude ist eine ehemalige Gummifädenfabrik und Teil einer großen Industriebrache. Im Haus befinden sich Ateliers, Werkstätten, Proberäume, Musikstudios, seit 1995 wohnen und arbeiten im gesamten Areal etwa 180 Künstler der bildenden Kunst sowie Fotografen, Grafiker, Architekten, Musiker, Bühnenbildner und Performer u.v.a.

Die Präsentation im Internet dient nicht zuletzt dazu, eine stabile Öffentlichkeit zu gewinnen, denn der Erhalt des "Unternehmens" hängt wesentlich von den preiswerten Mieten ab, die noch nicht auf Dauer gesichert sind. Das derzeitige Nutzungskonzept und der jeweilige Stand der Verhandlungen finden sich dokumentiert.

Der immer wieder (nicht nur dort in Köln) zu hörende Hinweis, "wir sind hier nicht in New York" oder "dann müssen Sie eben nach New York gehen", zieht hier nicht, weil das Kunstwerk Köln von seinen Voraussetzungen her - 3000 qm große Ausstellungsfläche innerhalb einer internationalen Arbeits- und Wohnsituation - und auch in seiner bisherigen Umsetzung durchaus etwa dem renommierten PS1 in New York ähnelt und insofern ein kreativer Ort ist, den es in dieser Richtung weiter zu kultivieren gilt.

An den "Offenen Ateliertagen" haben Besucher die Möglichkeit, mit den Künstler Kontakt aufzunehmen und mehr über deren Arbeit zu erfahren. Auf den Seiten wirbt der Verein zudem mit den Haussausstellungen "Kunst ab Werk", mit unkonventionellen Musikveranstaltungen und Performancefestivals.

Restmoderne

Wenn ein Rest bleibt, ist dies das Ergebnis einer (Ab-)Spaltung. Ob dieser Rest (nur) "Schweigen" ist (Hamlet), hängt von dem Grad der Aufmerksamkeit ab, der sich darauf richtet. Damit wir die Nachkriegszeit nicht von uns abspalten und ein Gespür dafür bewahren, in welcher Weise und mit was für Formen Architekten nach dem Krieg versuchten, an den Rest der in Deutschland übrig gebliebenen internationalen Moderne selbstständig anzuschließen, haben Oliver Elser und Andreas Muhs das Projekt restmoderne.de ins Internet gestellt. Ihr kritisches Interesse gilt Bauten, die nach 1945 bis zur Wende entstanden sind und im Zuge der Umgestaltung Berlins ab 1990 eher als "Altlasten" begriffen wurden und werden.

"Unser Ziel ist es, die Reste dieser durch Umbau oder Abriss bedrohten Zeit festzuhalten, bevor es zu spät ist. [...] Viele Bauten der Nachkriegsmoderne sind bereits abgerissen oder wurden bis zur Unkenntlichkeit umgebaut. Die verspielten Formen der fünfziger Jahre, die Grobschlächtigkeit der Sechziger, die menschelnde Architektur der Siebziger und die postmodernen Fassadencollagen der achtziger Jahre - das alles ist nur noch in Resten im Original erhalten. Unser Blick richtet sich auf diese Reste. Bevor es endgültig zu spät ist. Viele Bauten der Nachkriegsmoderne sind bereits abgerissen oder wurden bis zur Unkenntlichkeit umgebaut. Die verspielten Formen der fünfziger Jahre, die Grobschlächtigkeit der Sechziger, die menschelnde Architektur der Siebziger und die postmodernen Fassadencollagen der achtziger Jahre - das alles ist nur noch in Resten im Original erhalten. Unser Blick richtet sich auf diese Reste. [...]."

Das konservatorische Anliegen ist in erster Linie die Schulung und Schärfung der Wahrnehmung, nicht die traditionelle Denkmalpflege am Objekt. "Was den Ausdruck einer bestimmten Zeit wirklich umfasst, kann nicht an den architektonischen Höhepunkten, sondern nur durch 'sehr viel sehen' im Graubild der Stadt erfahren werden, haben wir im Laufe der Arbeit festgestellt." Letztlich geht es bei dem Projekt also auch um die Stadt insgesamt als "Rest der Welt" und um die mögliche Beziehung, die wir zu ihr aufbauen, indem wir sie erkunden. "Erst jetzt kann ich glauben, dass zwischen uns beiden und dem Rest der Welt eine Beziehung bestand", sagt ein Protagonist in Pasolinis Roman "Amado Mio".

Auf das Archiv kann man nach verschiedenen Kategorien zugreifen: Bildung / Dienstleistung / Freizeit / Gewerbe / Handel / Industrie / Kommune / Kultur / "Kunst am Bau" / Straßenmöbel / Verkehr / Wohnen. Ganz nebenbei bekommt man so auch eine Vorstellung von der städtischen Funktionenvielfalt von Architektur. Sehr lesenswert ist auf jeden Fall das ganze Konzept der Betreiber. Wer mehr über deren Arbeit wissen will, wird fündig in Oliver Elsers Textarchiv (www.architekturtexte.de) und in Andreas Muhs' Bildarchiv (www.muhs.de). Ein Studium lohnt auch das Netzwerk zur Nachkriegsmoderne mit weiteren Links.


© Karin Wendt 2003
Magazin für Theologie und Ästhetik 25/2003
https://www.theomag.de/25/kw25.htm