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Magazin für Theologie und Ästhetik


Die Kunst, vom Krieg zu erzählen

Zwischen Kriegsbildern, Bilderkriegen und Sprachlosigkeit

Karin Kontny

Schon Theodor Fontane bemühte sich während des deutschen Einigungsgskrieges in seinen "Wanderbüchern" darum, auf die "rechte Art und Weise" vom Krieg zu berichten. Nicht wie üblich mit Heldenbildern wollte er seine Aufschriebe illustrieren, keine Zeichnungen von Waffenarsenalen anfertigen. Fontane wollte beschreiben, was an der Front jenseits der "Heldentaten" geschah. Während er in der Frage "Erzählen in Wort und/oder Bild?" daher der Schrift den Vorrang vor der illustrierenden mehrdimensionalen Sprache der Bilder einräumte, war es 1939, nach Kriegsbeginn, für Otto Dix klar: nur die gemalten Bilder sprechen die richtige Sprache. "Nehmen Sie einen guten Skizzenblock mit", forderte er seinen Schüler Wilhelm Dodel in einem Brief auf, " wir brauchen nach dem diesmaligen Weltkrieg wieder tüchtige Kriegsmaler."

Dix´ Kriegstagebuch aus dem 2. Weltkrieg, das zu großen Teilen noch unerforscht in den Archiven der Galerie Albstadt-Ebingen schlummert, zeigt denn auch eine Sammlung an skizzierten Kriegseindrücken und -interpretationen. Bilder von Opfern und Greueltaten, die der eifrige "Schlachtenzeichner" später in von Blut, Gestank und grausamem Dunkel kündende Schreckensbilder umsetzte. Weil er die Eindrücke loshaben wollte. Das Triptychon "Der Krieg" (1929-32) mag unter seinen "Kriegserzählungen" das wohl bekannteste Werk sein.

Auch Künstler wie Goya und Picasso, die selbst nicht im Krieg waren, kamen nicht umhin, das, was sich an Kriegsimpressionen in ihr Inneres eingegraben hatte, wieder nach außen zu kehren. Erzählend und die Ereignisse deutend, bannten sie sie auf Leinwand und auf Papier ("Desastres de la Guerra" (1863); "Guernica" (1937)).

Doch nach dem Zweiten Weltkrieg wurden in den geschriebenen wie gemalten "Kriegstagebüchern" andere Seiten aufgeschlagen. Seiten, die leer blieben, weil man angesichts dessen, was geschehen war, keine Worte und Bilder hatte. Denn Bilder von Opfern schienen nicht mehr angebracht. Was man fand, waren Worte und Bilder, die sich in Schweigen hüllten ob dem Unvermögen, einen anderen angemessenen Ausdruck zu finden.

Nach Hitler und Hiroshima war für viele Künstler der Krieg wie er bisher thematisiert worden war, kein Thema mehr. "Desastermalerei" und "Explosionsexpressionismus" (Arnulf Rainer) genauso wie Heldenmalerei hatten angesichts dieses "unkonventionellen" Krieges ästhetisch wie formal ausgedient. Die Versuche von Künstlern, z.B. den atomaren Schrecken darzustellen (J. Beuys, "Was bringt die Wolke?" (1981); Roy Lichtenstein, "Atomexplosion" (1966); Andy Warhol, "Atombombe" (1965)), lähmten Betrachter wie Kunsthistoriker und entzogen sich jeder Analyse. Ließ Krieg sich überhaupt noch darstellen? Und wenn ja, welche künstlerischen Mittel waren angebracht? Zweifelsohne schienen es nicht mehr die der "hohen Kunst" zu sein, sprich die der Kunst im klassischen Sinne. Darstellende Fotoarbeiten nahmen mehr und mehr Raum ein.

Eine Entwicklung, die bis heute anhält und in den "laufenden Bildern" des Fernsehens sowie anderen elektronischen Medien ihre Fortsetzung erfährt. Freilich sind die "Schlachtenzeichner" nun vornehmlich Reporter und nicht Künstler. Gekämpft wird an der medialen, an der "vierten Front" (Paulo Virilio, Krieg und Fernsehen). Via Bildschirm ist der Krieg allgegenwärtig, "irgendeine Intervention" (Robert Musil, Der Mann ohne Eigenschaften") findet immer statt. Der Zuschauer ist Dank "Echtzeitübertragung" scheinbar live an der Front und erfährt das Allerneueste aus den "Krisengebieten" oder von "humanitären Einsätzen", wie Krieg heute genannt wird. Er fliegt im Cockpit eines Kampfjets mit. Ist dabei, wenn einmal mehr ein entscheidender Schlag gegen den "Feind" gelungen ist oder sich die unterdrückte Bevölkerung des gerade umkämpften Landes in bilderstürmerischer Manier von den Symbolen und Bildern der tyrannischen Herrschaft befreit. Szenen von gestürzten Statuen und verbrannten Porträts Sadam Husseins flackerten in den letzten Monaten ja immer wieder blau in die Nacht der Wohnzimmer. Nicht zuletzt präsentierte man dem von Bildern überfluteten Fernsehzuschauer sogar die Köpfe der husseinschen Söhne Udai und Kusai, auf Tücher gebettet und blutverkrustet. Beweisführung mittels wirksamer Bilder. Kein schöner Anblick zugegeben, aber der (voyeuristische) Schrecken, die Unfaßbarkeit und die Bestürzung üben doch eine gewisse Faszination aus. Auch auf Künstler - und Künstlerinnen.

Denn schon lange sind es nicht mehr nur die Männer, die das Exklusivrecht besitzen, "Kriegstagebücher" zu schreiben oder zu malen. Wenn Künstler wie Künstlerinnen sich heute dem "Thema Krieg" zuwenden, dann müssen sie nicht wie einst Dix selbst auf dem Schlachtfeld gewesen sein. Medial produzierte Bilder machen es Männern wie Frauen möglich, die Front in all ihrem gezeigten oder erahnten Schrecken und ihrer befremdlichen Faszination mitzuerleben und dabei eine lebensschonende Distanz einnehmen zu können. Doch klingt bei der Faszination am Schrecken und am Leiden, beim Mitleiden und aller Bestürzung der KünstlerInnen immer aber auch die nach dem Zweiten Weltkrieg aufgeworfene Frage nach der Erzählbarkeit, der Darstellbarkeit von Krieg mit.

Die Ausstellung von Werken zeitgenössischer KünstlerInnen in Wien ("Attack! Kunst und Krieg im Zeitalter der Medien", Kunsthalle Wien, 23.5. - 21.9.2003) zeigt einmal mehr, wie diese Frage durch Bilder vom Krieg in aller Schärfe formuliert werden kann. Zahlreiche Künstler und Künstlerinnen aus aller Herren Länder - zum Teil stammen sie aus Kriegsgebieten - äußern sich in der Ausstellung (Kuratoren: Gabriele Mackert und Thomas Meßgang) zu denen von ihnen medial erlebten Kriegswirklichkeiten. Dabei wird schnell klar: sie lassen sich von der täglichen Bilderflut via Bildschirm nicht abstumpfen, ergeben sich nicht konsumierend den gemachten Informationen (Fakten; lat. factum = Gemachtes!), sondern suchen einen produktiven Umgang mit der gezeigten, oft uneinheitlichen und daher unübersichtlichen Wirklichkeit der Medien. Die Ausstellung erschöpft sich jedoch nicht in den Appellen der Friedensbewegung der 70er Jahre, die Kunstwerke wie die Käthe Kollwitz´ ("Nie mehr Krieg!" (1924)) auf ihre Banner malte.

Vielmehr eröffnet die Schau einen neuen, wenn auch traurigen Blickwinkel auf das Thema Krieg: Krieg, so die Hauptaussage der Wiener Schau, erscheint als zum Leben dazu gehörig, findet sogar irgendwie Akzeptanz. "Humanitäre Interventionen" scheinen Alltäglichkeit geworden zu sein. Fast aussagelos-sinnlos reihen sich Kriegsberichte im Fernsehen - Hunger, Leiden, Tod, Verwüstung - an Werbespots für das neue Waschmittel oder einen Investmentfond. Auf diese Weise erzählen die Medien vom Krieg. Man lebt damit - oder entwirft andere, standhafte Bilder. So geschehen in der Kunsthalle Wien.

Denn die gesamte Ausstellung ist nicht, wie sich vermuten ließe, bloße schnell verpuffende Spontanreaktion auf den Irakkrieg. Von langer Hand seit mehr als einem Jahr vorbereitet, versucht sie aussagekräftige, "haltbare" Gegenbilder zum ständig präsent scheinenden Krieg zu vermitteln. Sprachreiche eigene Bilder gegen den vorbei blubbernden Medienbilderstrom, der die Imagination magnetisch lähmend zu beeinflussen sucht.

Mit der Wahl ihrer Mittel gehen die KünstlerInnen dabei traditionelle, d.h. dadaistische oder surrealistische genauso wie ganz neue Wege und schaffen "optische Zonen der Verweigerung" jenseits des schnellen Konsums.

So beleuchtet Antonio Riello in seinen Objektarbeiten Symbole und Metaphern der Macht: Waffen wie Handgranaten und Schnellfeuergewehre, die ursprünglich Männergewalt demonstrierten, werden durch Übermalung, den Überzug mit Pelzen, Brokat, Straß und Damast, zu den "Waffen einer Frau". Als Parfümflakon irritiert die Reihe der Handgranaten (1997) ästhetisch genauso wie die zum Accessoire umfunktionierten Pumpguns (2000-2002). Die meist männlichen Symbole des Krieges als Modeartikel - kein Ding der Unmöglichkeit - denkt man an die Camouflagemode (Kleidungsstücke aus militärischem Fundus), die längst auch bei renommierten Designern wie Dior, Versace und Gaultier salonfähig ist. Farblich verändert, mit Blumenmuster verziert oder in der kriegerischen Bedeutung durch Peace-Zeichen demoliert, hat die derbe Soldatenkleidung den Kleiderschrank der Zivilisten erobert.

Mit dem Verhältnis von Krieg und Körper beschäftigt sich die Aktionskünstlerin Sigalit Landau mit ihrer Videoarbeit "Barbed Hula" (2002). An einem Strand südlich von Tel Aviv aufgenommen, sieht man die Künstlerin, gänzlich nackt aber gesichtlos, mit einem Reifen aus Stacheldraht Hula tanzen. Die Dornen des Reifens sind zwar nach außen gerichtet, doch wird der Bauchtanz unregelmäßig oder stoppt, verletzen sie die Frau. Landau nimmt mit dieser Aktion sich, aber auch dem Betrachter, jegliche Illusion eines positiven Endes des Krieges in Israel oder sonst auf der Welt. Die Gewalt - ein endloser Zirkel. Der Film - eine Endlosschlaufe.

Irgendwann kann man es nicht mehr mit ansehen und flüchtet sich in die nächsten Bilder: Fotomontagen von Dejan Andjelkjovic und Jelika Randanovic, die einen ganz anderen Ton anschlagen, als die aufrührerischen Fotokollagen John Heartfields aus und zum Zweiten Weltkrieg. Fast niedlich geht es zu in "Ready made" (1999), wenn die Trivialmythen von Mickey Mouse und Donald Duck, von Peter Pan und seinen Freunden in die Szenerie der Kriegsverwüstungen im Kosovo und in Serbien eingearbeitet werden. Das beschauliche Leben trifft auf "das Böse". Donald Duck fegt fröhlich pfeifend die Trümmer eines Hauses aus, Mickey und Minnie Mouse laufen hüpfend mit Picknickkorb über ein von Bombeneinschlägen noch brennendes und qualmendes Feld, und Peter Pan und Freunde machen einen Sightseeingausflug über die Trümmer einer Stadt. Die Erinnerung an den Ground- Zero-Tourismus ist da nicht fern. Nur gelangt der Betrachter mit Hilfe der rosaroten Disney-Brille vielleicht auch zum Hinterfragen dieser Handlung, zur Kommunikation mit dem Gezeigten.

Und gezeigt wird in der Ausstellung "Attack!" auch ganz "Unkünstlerisches": strategische Kriegsvideospiele neben geknüpften sogenannten Kriegsteppichen aus Afghanistan, die im Zeitraum der sowjetischen Besatzung hergestellt und in die traditionelle Motive wie Moscheen, aber eben auch Panzer und Flugzeuge eingearbeitet wurden. Und Texte zuhauf: von der Zeitschrift über den von rappenden Kindersoldaten vorgetragenen Text im Musikvideo bis hin zu Zitaten namhafter Persönlichkeiten über das "Phänomen Krieg".

Fast könnte man meinen, Fontane habe recht behalten. Das eben doch der Text sprechen müsse. Vielleicht genau gerade dort, wo emotional aufgeladene Bilder die Überhand zu gewinnen scheinen.

Fiona Banners Objekt "The Nam" (1998) erzählt davon, und das auf eine ganz besondere Weise. Ihre ins Schriftbild gesetzten Dialoge und Handlungen aus Vietnamfilmen erscheinen in einem Schmöker und werden zum nüchternen Text: "Out over his arm, half in the dark, he looks, his look is incredibly intensive. The fire comes back faint, then stronger. He seems to be waving on the spot..." Banner zeigt mit dieser Arbeit , wie geschichtliches und darin individuelles Bewußtsein durch die Dramaturgie des Erzählens strukturiert wird. Wie Sprache als "Rettungsschnur" der Erinnerung fungiert, dennoch aber das Bild nicht ersetzen kann. Denn das dicke "Kriegstagebuch" der Künstlerin ist auf Dauer nicht allein aufgrund des Fließtextes unlesbar.

Der Text braucht das Bild, die Imagination. Das Bild wiederum in seiner speziellen, vereinfachten Rhetorik benötigt den Text, um lesbar, um sprachfähig zu sein (Susan Sontag, Das Leiden anderer betrachten). Eine Synthese, die den Ausstellungsmachern in ihrem Querschnitt durch die aktuelle Kunstszene gelungen ist, ohne zu propagandistisch zu instrumentalisieren. Trotz des Angriffsrufes "Attack!" wurde in der Wiener Kunsthalle kein neues Schlachtfeld aufgerissen. Der moralische Zeigefinger blieb in Puncto Verteufelung der Medien bescheiden versteckt. Die vielleicht erwartete Antikriegsdemonstration blieb aus. Statt dessen wurden in Texten und Bildern Eindrücke und Sichtweisen über und aus dem Krieg erzählt. Jedes Wort, jedes Bild ein Appell, aufmerksam und produktiv mit der gezeigten Medienwirklichkeit umzugehen. Hinschauen. Fragen. Handeln.

Auch die gegenwärtigen Kunstschaffenden geben, so zeigt es die Wiener Schau, keine eindeutigen Antworten auf die Frage nach der Erzähl- und Darstellbarkeit des Krieges in der Kunst. Sie haben aber auch nicht geschwiegen. Dadurch wurde das "Phänomen Krieg" nicht ausgelöscht, aber doch ein Stück weit geschwächt.


© Karin Kontny 2003
Magazin für Theologie und Ästhetik 25/2003
https://www.theomag.de/25/kk1.htm