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Magazin für Theologie und Ästhetik


Bild und Theorie

- Eine erkenntniskritische Überlegung -

Frauke Annegret Kurbacher-Schönborn

"Wir mögen unsre Begriffe noch so hoch anlegen und dabei noch so sehr von der Sinnlichkeit abstrahiren, so hängen ihnen doch noch immer bildliche Vorstellungen an, deren eigentliche Bestimmung es ist, sie, die sonst nicht von der Erfahrung abgeleitet sind, zum Erfahrungsgebrauche tauglich zu machen."[1]

Wenn die Frage nach dem Bild gestellt wird, und mit ihr die Frage nach einer Bildtheorie, dann müsste vielleicht überhaupt auch einmal erst die Frage nach dem Verhältnis von Bild und Theorie aufgeworfen werden. Diese Frage hat aus philosophischer Perspektive über die Definition des Bildes als unmittelbar Gegebenem[2] und einer Bestimmung des Begriffs Theorie aus seiner Wortbedeutung 'theoria' her - als inneres Schauen - zu jenen bekannten Ansätzen geführt, die von Platons Abbildtheorie bis hin zu Adornos Auffassung des Scheins, diese Thematik in das fragwürdige Spannungsfeld von Schein und Evidenz gesetzt haben.[3] Auf ihr basiert letztlich auch jenes missliche Klischee, das sich gleichwohl auch im Denken der Fachleute eingefleischt hat, Bilder seien selbstevident und unscharf und Begriffe erläuterungsfähig und gleichwohl klar.[4] Eine Auffassung, die dazu beiträgt, - nach wie vor selbst in philosophischen ästhetischen Debatten - immer wieder Kunst als Sekundäres, Gedanken bloß Illustrierendes anzunehmen, und damit auch ihrer theoretischen Autonomie zu entheben. Von dieser Herablassung gegenüber Bildern wissen selbst aktuell jene Fachleute zu berichten, die gerade in besonderer Weise auf den Umgang mit Bildern angewiesen sind, wie z.B. der Kunsthistoriker Peter Burke, dem es scheint, "als ob Historiker die Bedeutung von Bildern als Quellen noch nicht ernst genug nähmen", und der sich genötigt sieht, selbst noch der Generation des Fernsehalters umfassendes 'visuelles Analphabetentum' zu bescheinigen.[5] Andersherum wird die fruchtbare Unschärfe von selbst 'scharfen' Begriffen philosophisch unterschätzt, und mit ihr der bildliche Anteil an Erkenntnisprozessen. Beides mag Indiz für die Wirkmächtigkeit eines bestimmten Bildervorurteils sein, dass das abendländische Bildverständnis - teils platonisch, teils durch das biblische Bilderverbot christlich begründet - geprägt hat.[6]

Demgegenüber möchten die folgenden Überlegungen zum genannten Zusammenhang, die vom Phänomen des Gedankenbildes: dem 'Kino im Kopf' ausgehen, gerade darauf reflektieren, inwiefern eine solche Reflexion ein schlichtes Sprechen von 'Unmittelbarkeit' erkenntnistheoretisch fragwürdig oder zumindest bedenkenswert werden lässt. Ich schlage dies vor, ohne eine letztgültige Lösung bieten zu können (noch zu wollen), - allzumal ich den Begriff des Unmittelbaren weder vollständig abschaffen möchte, noch dies begründet tun könnte. Wenn ich aber annehme, dass Phänomene wie das sogenannte "Kino im Kopf" existieren,[7] gehe ich davon aus, dass Bilder und Denken etwas miteinander zu tun haben. Damit sortieren sich die folgenden Überlegungen aber überhaupt in den größeren Rahmen der Frage: Was heißt Denken?! Was heißt in Bildern zu denken?! Gibt es überhaupt ein Denken ohne Bilder oder Bildlichkeit?! - Ich meine, diese Frage des Denkens letztlich nicht ohne die nach dem Bild behandeln zu können. Im Grunde steht aber selbst auch die Frage nach dem Denken und der Bildlichkeit in einem weitaus größeren Rahmen: Es ist die Frage der Moderne, wie wir uns in der Welt und in uns selbst zurechtfinden wollen.

Das gewählte Motto stammt, wie angegeben, aufschlussreicherweise aus Kants Text: "Was heißt sich im Denken Orientieren?" Vor der wichtigen Frage nach der Orientierung, die den Subtext für die hier gestellten Fragen bildet, kann zunächst aber vielleicht gefragt werden: Was heißt überhaupt Denken?

Denken ist, nach Kant, zeitlich und räumlich, damit ist es u.a. auch bildlich. Wer denkt, hat immer etwas, woran sein Geist sich aufhängen kann. Selbst bei den Vorstellungen, die gemeinhin keine Anschauung haben, wie mathematische Gleichungen etwa, gibt es in diesem weiten Bildverständnis immer etwas, womit die menschlichen Erkenntniskräfte sich befassen können, hier die Zahlen nämlich. Es gibt demnach - bei aller Abstraktion - kein gegenstandsloses Denken, in dem Sinne, dass es kein inhaltsleeres Denken gibt, und in diesem Sinne ist alles Denken potentiell bildlich. Welche erkenntnistheoretischen Konsequenzen folgen aber aus dieser Annahme? Ist es die Bildlichkeit, die einer möglichen Evidenz des Denkens den Weg ebnet?

Dem Evidenzgedanken hat in gewisser Weise Kants Erkenntnislehre einen Riegel vorgeschoben, und zwar über den Gedanken, dass ein Gegenstand als solcher - Kants Diktum des Dings an sich - gar nicht vollständig von uns erkannt werden kann, weil wir als Menschen letztlich auf den uns möglichen Rahmen der Beschaffenheit unserer Erkenntnismittel und -methoden verwiesen sind. Deren Durchdringung, durch eben diese Mittel und Methoden, ist genau darum begrenzt und uns somit nur ein relatives Maß an Selbsttransparenz möglich. Als Menschen ist uns völlige Selbsterkenntnis schließlich nicht gegeben. - Selbst Edmund Husserls Versuch eines lebenslangen Ringens um die Begründung einer Phänomenologie, die die Philosophie zugleich als Wissenschaft erweisen könnte, hat auf dem Boden der Kantischen Lehre rund hundert Jahre später den Arbeitsimperativ: 'Zurück zu den Dingen' nicht einlösen können. - Wer Mensch ist, dem fällt eben nichts Gegebenes, kein Gegenstand oder Ereignis einfach ins Bewußtsein, sondern nur Bestimmtes, physisch, psychisch sowie vermutlich auch schon erkenntnistheoretisch Selektiertes. Es sind bestimmte Eindrücke, 'Anschauungen', die wir selbst dann wiederum als bestimmt oder unbestimmt erfahren respektive interpretieren, oder - wie wir meinen - 'wahrnehmen'. Da niemand anders verfahren kann, fällt es auch nicht weiter auf.

Dieses so - eben immer schon vermittelt Aufgenommene - erscheint uns jeweils als Bild oder Begriff, und auf dieser Ebene ist es letztlich gar nicht zu differenzieren. Einen Begriff von etwas zu haben, kann an dieser Stelle sehr wohl meinen, etwas im (eben u.U. auch bildlich) gegebenem Kontext erfasst zu haben. Sich ein Bild von etwas zu machen, bedeutet gleichfalls wiederum durchaus auch präzise begriffliche Einschätzungen vorgenommen zu haben. Die Sache oder der Sachverhalt, der damit in den Blick genommen und bezeichnet ist, wird nie gänzlich direkt in denselben gerückt, sondern ist auf diese beschriebene Art konstitutiv auf Übersetzung oder besser: Übersetzungen angewiesen. Es gibt keine Erkenntnis ohne Übersetzungsleistung.[8] Gleichzeitig begreife ich etwas Begriffliches oder Bildliches, Visuelles nie nur unmittelbar und letztlich zugleich nur unmittelbar. Der Erkenntnisakt als solcher wird mir als unmittelbares Geschehen vorkommen, selbst wenn es sogar einen benennbaren Erkenntnisweg zu beschreiben gibt. Phänomene wie Begriffe oder Bilder sind wiederum nicht selbstevident, sondern bereits ihrerseits Umsetzungen, Übersetzungen und bedürfen des Umgangs, der Auseinandersetzung mit der Tradition und anderen Vergleichsmomenten. Dies zeigt sich auch überhaupt in den drei logischen Operationen: dem Vergleichen, Abstrahieren und Reflektieren, mit denen wir Bilder und Begriffe selbst behandeln. Das kann individuell ganz verschieden in verschiedenen Zusammenhängen geschehen, es muß nicht unbedingt philosophisch, logisch oder kunsthistorisch kontextualisiert sein, aber es wird in jedem Fall in unserem Denken (und vermutlich auch Wahrnehmen) notwendig etwas mit etwas in Relation gesetzt und nicht zuletzt auf unsere Existenz reflektiert als derjenige, der dies erlebt und wahrnimmt.

Wohin aber wollen diese Überlegungen nun genau?!

Zunächst einmal gilt es, auf die grundsätzliche Übersetzungsleistung aufmerksam zu machen, die all unser menschliches Denken und Verstehen begleitet, auf die wir angewiesen sind, und zu denen Bilder genauso gehören wie Begriffe. Das, was ist, und davon gehe ich aus, vermittelt sich uns durch etwas. Aus der hier gewählten Perspektive vermittelt es sich durch Bilder und Begriffe. Es gibt nach dem hier Entwickelten keine Erkenntnis ohne Übersetzung, was als 'Verlust der Unmittelbarkeit' genommen werden könnte, was als Kants kopernikanische Wende, die das Augenmerk auf unsere Erkenntnismittel und -methoden lenkt, selbst übersetzt werden könnte. Auch in diesem Sinne ist alles Bild, Bild für etwas, Begriff für etwas. Beiden: Begriff und Bild ist dies gemein: das Etwas-Bezeichnen, Etwas-Darstellen. Beim Bild wähnen wir aber eher, es spräche für sich, es verfahre selbstbezüglich und stelle sich selbst dar. Demgegenüber müsste jedoch ins Feld geführt werden, dass dieser Anspruch auch für Begriffe oder Töne z.B. formuliert werden kann und formuliert worden ist, und dass das Bild so etwas ist, wie unser Ausdruck für das, was auf nichts anderes verweisen muß als auf sich selbst. Es ist die Illusion einer Bild gewordenen Analogielosigkeit, die allein deswegen nicht möglich ist, weil wir ohne Analogien gar nichts daran erkennen könnten. - Aber das Bild hebt unser Angewiesensein auf Übersetzung, Interpretation, Hermeneutik und Analogiedenken nicht auf, mit der auch die Verantwortung von Deutung verbunden ist, es birgt nur, in unserer landläufigen Interpretation, den Wunsch, genau dem enthoben zu sein.[9]

Bei genauerer Betrachtung der eingangs zitierten Kant-Stelle, lässt sich zweierlei bemerken, einmal wird deutlich, dass allen Begriffen - und seien sie von noch so hohem Abstraktionsgrad - Bildanteile zukommen. Wenn Kant nun die Funktion dieses Bildcharakters am Begriff beschreibt, wird klar, dass diese Teile dem Begriff keineswegs lästig "anhängen", sondern ihm konstitutiv sind.

Kant bringt dies in einem Zusammenhang, in dem er sich Gedanken über das Moses Mendelssohn entlehnte "Sichorientieren" macht. Sich-Orientieren ist hier wörtlich und bildlich zu nehmen: Wie orientiere ich mich als Subjekt in der Welt?! Kant benennt ganz anschaulich die Raumkoordinaten: Osten, Westen, Süden, Norden und zeigt zugleich auf, dass diese (äußeren) Richtungsangaben allein zur Orientierung nicht ausreichten, wenn wir nicht ein subjektives Gefühl für links und rechts hätten. Nur mit Hilfe dieses eigenen Empfindens, und der Rückbeziehung der äußeren Koordinaten auf diese subjektive Unterscheidung kann Orientierung im Raum geschehen. Diese Beschreibung, die zugleich ein Verstehens-Muster liefert, nutzt Kant nun auch zur Beschreibung und Erläuterung der Logik im Denken, wobei hier mit Logik jenes 'alte' Logikverständnis von 'Richtigkeit im Denken' gemeint ist. Die Parallele für die innere Empfindung eines Unterschieds zwischen rechts und links wird Kant nun das eigene subjektive Fürwahrhalten, bzw. Nicht-Fürwahrhalten. Es gibt hier keinen festen Grund oder archimedischen Punkt, wie ihn seinerzeit René Descartes in seiner Erkenntnistheorie angestrebt hatte, - im Denken wie im Sich-Orientieren überhaupt ist der Mensch auf eigenes Fühlen und Fürwahrhalten angewiesen; etwas anzunehmen und darauf aufzubauen.[10]

Wenn Kant nun hier - wie am Rande - die Leistung der Bildlichkeit beschreibt, zielt er auf die Erfahrung. So als würden die Bildanteile am Begriff denselben semipermeabel für Erfahrungswirklichkeit werden lassen. Aber auch das Erfahrene ist als unser Erfahrenes schon immer Selbst-Erlebtes, und genau durch diese Erkenntniskräfte vermittelt. Und so bezeichnet der hier dargelegte Ansatz letztlich eine Absage an die Illusion der Abbildhaftigkeit des Bildlichen überhaupt. Von hierher können die Theorien, die Schein und Bild zusammenbringen, und nicht aufgehört haben, Wirklichkeitsfragen zu stellen, abgewiesen werden. - Ähnlich, wie es der Kunsthistoriker Peter Burke in seinem kürzlich erschienen Band "Augenzeugenschaften" endlich und plausibel für den Umgang mit Photographien als Quellen darlegt. Bilder und Photos sind eben keine Dokumente von einer spezifischen 'Realität', sondern spezifische Dokumente von unseren z.B. spezifischen Illusionen und Einstellungen zu einer bestimmten Zeit. Wenn wir endlich aufhören würden, die fruchtlose Wahrheits- und Fakefrage an Photographien zu stellen (die vor diesem Hintergrund tatsächlich völlig irrelevant wird), - so der Tenor des Textes - könnten wir endlich sinnvoll mit Photographien als Quellen im besagten Sinn arbeiten. Es gilt - dies aufgreifend und weiterführend - also Leseanweisungen für unsere Mentalitäten und Einstellungen zu finden, bzw. Bilder selbst schon als Ausdruck von Haltungen und Denkweisen und zugleich als mögliche Lese-Anleitungen derselben zu rezipieren.[11] Erleben erschließt sich nur im Denken, bzw. ist schon immer deutend erschlossen, als Erlebtes aber zugleich im Denken wie Erleben nie abgeschlossen. Die Bildlichkeit unseres Denkens verbürgt es, und damit kann ich hier getrost mit Volker Schlöndorff nicht abschließend enden und Bilder als Interpretamente in folgender Weise ernstnehmen, wo auch immer sie mir begegnen: "Alles ist genau so gewesen. Nichts war genau so."[12]

Anmerkungen
  1. Immanuel Kant: Was heißt: Sich im Denken orientiren? (1786) In: Akad. Ausg. Bd. VIII. Berlin 1968. S. 131-147.
  2. Das unmittelbar Gegebene steht hier im Gegensatz zu einem Repräsentierten oder spezifisch vermittelnd Dargestellten.
  3. Ein Versuch philosophische Ästhetik dem gegenüber auf den Begriff des Erscheinens zu gründen, stellt Martin Seels neuerer Versuch einer "Ästhetik des Erscheinens" (München 2000) dar, die dem Dilemma aus Wahrheit und Lüge in der sich Kunst seit Platon mit dem Begriff des Scheins befindet, mit Hilfe des Begriffs des 'Erscheinens', der immer auch eine spezifische Wirklichkeit eignet, zu entgehen versucht. So lautet es gleich in Seels Vorwort: "Dieses Buch macht den Vorschlag, die Ästhetik nicht bei Begriffen des Soseins oder des Scheins, sondern mit einem Begriff des Erscheinens beginnen zu lassen. Das Erscheinen, von dem die Rede sein wird, ist eine Wirklichkeit, die alle ästhetischen Objekte miteinander teilen, wie verschieden sie ansonsten auch sein mögen. In allem ästhetischen Tun oder Lassen ist es im Spiel". Ebd. S. 9. Entgegen seinem rasanten Versprechen einer "rabiaten Geschichte der neueren Ästhetik" scheint Seel jedoch durchaus in manchen Teilen gleichwohl dem verhaftet, dem er zurecht zu entgehen sucht.
  4. Verstärkt wurde dies historisch in der Neuzeit durch Descartes' Diktum eines als Maßstab für Erkenntnis fungierenden: 'clare et distincte', - eine Bestimmung und Unterteilung von der auch noch Alexander Baumgartens Sicht der Strukturierung von Erkenntnis ausgeht, und mit der seine eigene Einschätzung ästhetischer, d.h. sinnlicher Erkenntnis anhebt. Eigenartigerweise verknüpft er diese cartesische Vorstellung mit Leibniz' Modell von Erkenntnisstufen, - während Leibniz, der gerade gegen die alle Komplexität von Phänomenen unterlaufende cartesische Forderung nach 'Klarem und Bestimmtem' opponierte.
  5. Peter Burke: Eyewitnessing: The Uses of Images as Historical Evidence. London 2001. Dt.: Augenzeugenschaft. Bilder als historische Quellen. Berlin 2003. [Künftig zitiert: Burke: Augenzeugenschaft.] Burke bemüht hier für sein Urteil u.a. Raphael Samuel mit seinem Buch: The Eye of History. In: Theatres of Memory. Bd. 1. London 1953. S. 315-336. "Dort, wo Historiker tatsächlich mit Bildern arbeiten, verwenden sie diese meistens nur als reine Illustrationen, die ohne Kommentar in ihren Büchern reproduziert werden. Werden die Bilder tatsächlich einmal im Text erörtert, dann häufig nur, um Ergebnisse zu illustrieren, zu denen der Autor bereits auf anderen Wegen gelangt ist, und nicht, um neue Antwort zu geben oder neue Fragen zu stellen. Warum ist das so? In einem Aufsatz [...] bezeichnete der Sozialhistoriker Raphael Samuel (1934-1996) sich selbst und andere Kollegen aus seiner Generation als 'visuelle Analphabeten'. Da seine Kindheit in die vierziger Jahre fiel, war und blieb er, so seine eigene Formulierung, 'völlig dem Vorfernsehalter verhaftet'. Schule und Universität lehrten ihn das Lesen von Texten (und nicht das von Bildern) [Anm. d. Autorin]." Burke: Augenzeugenschaft. S. 10.
  6. Paradoxerweise gilt zugleich im abendländischen Kulturraum der Primat des Visuellen in einer solchen Weise, dass wiederum die anderen Sinne vor diesem rehabilitiert werden müssen. Vgl. Ulrike Zeuch: Umkehr der Sinneshierarchie. Herder und die Aufwertung des Tastsinns seit der frühen Neuzeit. Tübingen 2000.
  7. Vor der Metapher des 'Kinos' für das bewegte Bild, bewegte Denken und bewegtes Geschehen war es für Literaten die Metapher des 'Theaters' oder des 'Ballsaals' wie z.B. in Clemens Brentanos Roman "Godwi", in dem eine Figur im eigenen Kopf wie in einer Wendeltreppe heraufsteigt, um in einem Redoutensaal zu landen, ein starkes Bild, das Georg Büchner in "Leonce und Lena" aufgreifen wird, um hier allerdings den Akzent mit der "gähnenden Leere", die hier nun darin herrscht, auf den Lebens-ennui zu legen.
  8. Auf diesem Gedanken beruht im Grunde auch die grundsätzliche Geltung des Begriffs der Metapher als Ausdruck der permanenten, nicht zu unterlaufenden Übersetzungstätigkeit, die im Rückgriff auf Friedrich Nietzsches Erkenntniskritik in Hans Blumenbergs Metaphorologie theoretisch begründet wird.
  9. Das Problem der Ignoranz im Wissen um diese immer gegebene Vermittlung bezeichnet wiederum Peter Burke treffend, wenn er die historische Metapher der 'Quelle' in ihrer Prägnanz und Missverständlichkeit behandelt: "denn man könnte glauben, dass es einen Bericht über die Vergangenheit völlig unabhängig von dessen Vermittlung geben könnte. Tatsächlich lässt sich Vergangenheit natürlich nur mit einer ganzen Reihe von Vermittlungen studieren". Burke: Augenzeugenschaft. S. 13.
  10. Weite Teile des genannten Textes sind eine Auseinandersetzung mit spekulativem Vernunftgebrauch, der für Kant eine Form der Pervertierung des freien Denkens darstellt, weil die kritische Prüfungsleistung der Vernunftkräfte dabei nicht mehr reflexiv prinzipiell und damit potentiell dauerhaft angewandt wird. - Kant muß eine Differenzierung zwischen dem finden, was er als notwendiges Fürwahrhalten bezeichnet und dem, was Metaphysiker alter Schule mit dem Spekulieren tun, beide scheiden sich im Punkt der Kritik oder zumindest in der Möglichkeit der Kritik, für die Kant sich stark macht.
  11. Vgl. Burke: Augenzeugenschaft. "[Bilder] legen Zeugnis ab von den stereotypisierten, aber graduell sich wandelnden Sichtweisen, die Individuen oder Gruppen auf die soziale Welt haben, inklusive die Welt ihrer eigenen Imagination." S. 211.
  12. Volker Schlöndorff im Abspann seines Films: "Die Stille nach dem Schuss". BRD 1999.

© Frauke Kurbacher-Schönborn 2003
Magazin für Theologie und Ästhetik 25/2003
https://www.theomag.de/25/fk4.htm

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Peter Burke, Augenzeugenschaft. Bilder aus historischen Quellen, Berlin 2003

Ulrike Zeuch, Umkehr der Sinneshierarchie, Tübingen 2000

Martin Seel, Ästhetik des Erscheinens, Frankfurt 2003