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Magazin für Theologie und Ästhetik


Religionsunterricht als Raum für Computer-Spiel-Kultur

Michael Waltemathe

Religionsunterricht

Die Aufnahme von "gelebter Religion" als Objekt des RU resultiert zu Recht in einem Verständnis von Religionsunterricht, dass nicht mehr nur normative, sondern vor allem analytische Themenzugänge erlaubt. Als verkürzt erscheint allerdings der Ansatz, Jugendkultur oder Jugend-Medien-Kultur nur unter religionspädagogischen Aspekten wahrzunehmen und die religiöse Wirksamkeit kultureller Inszenierungen zu betrachten.[1] Wie Friedrich Schweitzer feststellt, kann "die erste Frage, die im Verhältnis zwischen Jugendkultur einerseits und dem pädagogischen Handeln in Religions- oder Konfirmandenunterricht ... andererseits aufbricht, ... nicht die nach der Religion von Jugendlichen."[2] sein. Einen viel gewichtigeren Faktor, der für die Analyse und das Verstehen jugendkultureller Lebensformen notwendig ist, stellt die Fremdheit zwischen jugendkulturellen Ausdrucksformen und der Kultur des kirchlichen Christentums dar.[3] Fremdheit muss erst wahrgenommen und verstanden werden, bevor sie religionspädagogisches Handeln bestimmen kann.

Jugend - Medien - Kultur

Dabei kann es nicht nur um Inhalte jugendkultureller Inszenierungen gehen, sondern auch um deren Struktur und Prozesshaftigkeit. Eine Reduktion auf die Wahrnehmung für die Bildung jugendkultureller Inszenierungen interessanter Inhalte wie z.B. Kinofilme, Fernsehsendungen und Popsongs läuft oft an der Realität der Jugendlichen vorbei. Es ist wichtig zu bedenken, dass Jugendkultur schon immer ihren Ort in der Schule hat und zwar auf deren "Hinterbühne"[4]. Wird Jugendkultur aber im Unterricht thematisiert, so droht sie leicht zur Erwachsenenkultur oder, wie Schweitzer formuliert, gar zur Kultur der Schulmeister zu werden.[5]

Will man dieser Problematik entgehen, so gilt es den RU für die Jugendkultur zu öffnen. Wichtig ist, im RU Raum für die Jugendkultur in ihrer Selbstdarstellung und -wahrnehmung zu schaffen, und nicht nur der "Suche nach religiösen Motiven in Filmen, in Werbeslogans, in Computerspielen, in den neuen Medien"[6] Platz zu geben. Der Einsatz von neuen Medien im RU sollte also vor allem der Wahrnehmung der kulturellen Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen dienen, um den Jugendlichen selbst Raum zu geben, die in ihren jugendkulturellen Inszenierungen immanente Spiritualität formulieren zu können. Aus der Wahrnehmung dieser von innen erfolgenden Beschreibung muss aber eine "Theorie des Zustandekommens der religiösen Symbol- und Deutungswelt aus der Sicht der Beteiligten"[7] entworfen werden. Nur so entgeht man dem Problem der scheinbaren Objektivität der Wahrnehmung gelebter Religion und dem verzweifelten Hoffen auf den "Selbsterweis der gelebten Religion"[8].

Das spricht freilich nicht gegen die Wahrnehmung popularkultureller Mediengeschichten im RU. Allerdings ist fraglich, ob dies in pseudo-objektiver Analyse des Menschenbildes der jeweiligen medialen Inszenierungen anhand eines allgemein gültigen Monomythos geschehen kann, oder ob nicht eher die Jugendlichen in ihrer eigenen Identitäts- und Sinnproduktivität gefragt sind und im RU lediglich Raum finden sollten für ihren spezifischen Umgang mit Medien. So wäre es zumindest möglich, die Fremdheit jugendkultureller Inszenierungen für den RU fassbar zu machen. Ist ein monomythischer Zugang für Massenmedien wie Film und Fernsehen schon problematisch, so wird er den interaktiven Neuen Medien überhaupt nicht mehr gerecht. Hier muss die Frage nicht lauten: "Was suchen Jugendliche in den Medien?" sondern vielmehr "Welchen Umgang geben Neue Medien den Jugendlichen mit 'ihren Themen' durch die Medienstruktur vor?".

Interaktive Medien sollten aus verschiedenen Gründen vor allem unter spieltheoretischen Überlegungen betrachtet werden. Zum einen erfolgt der Zugang zu interaktiven Medien in einer Medienbiographie häufig über das Computerspiel. So finden sich dann auch im Umgang mit Internet und z.B. Handy vor allem spielerische Herangehensweisen. Dies wird deutlich im Spiel mit der eigenen Identität in Chatrooms[9] oder in der Konstruktion spielerisch verfremdeter Sprachformen für die Online-Kommunikation[10]. Gleichzeitig hat aber die Mensch-Maschine-Kommunikation schon von ihrer Anlage her spielerischen Charakter. In der Ausblendung der Umwelt und der Konzentration des Computernutzers auf die Welt auf (oder vielmehr hinter) dem Bildschirm betritt er einen eigenen Wirklichkeitsbereich mit ganz spezifischen Regeln und Handlungsformen, die denen ähneln, welche die Spieltheorie als spieltypisch ausmacht[11]. Folgt man Brian Sutton-Smith, so sind Spiele Simulationen von Adaptionsprozessen an Anforderungen die auf bestimmte Gruppen zukommen. So eröffnet das Computerspiel als Zugangsmöglichkeit zur Computertechnologie einen freien und relativ konsequenzlosen Einstieg in eine der Schlüsseltechnologien unserer Zeit.[12] Der weitere Umgang der Jugendlichen mit dieser Technologie bleibt dann allerdings diesem Muster entsprechend spielerisch. Man probiert diverse Identitäten frei und konsequenzlos aus[13], man sucht sich seinen Weg durch das Labyrinth der Hypertextualität des WWW[14], evtl. unter Benutzung von Suchmaschinen, die aber durch ihre häufig verwirrende Antwortfülle auch eher konsequenzloses und freies Suchen ermöglichen, oder man spielt Computerspiele, sei es alleine oder vernetzt. Alle diese Umgangsformen sind bestimmt von einer Erlebnisform, die der amerikanische Psychologe Mihaly Csikszentmihalyi Flow nennt.[15] Spiele - besonders Computerspiele sind exemplarische Flow-Situationen[16], und dies kann von der Handlungsstruktur im Umgang mit Neuen Medien auf jeden Umgang mit Computern ausgeweitet werden. Das beleuchtet z.B. Horst Opaschowski in seiner Studie "Generation @"[17], wenn er die PC-Nutzer nach der Eignung des Computers als Rückzugsnische fragt und diese als Ort des Flow identifiziert[18].

Spiel

Michael Kolb untersucht in "Spiel als Phänomen - Das Phänomen Spiel" unterschiedliche anthropologisch-phänomenologische orientierte Spieltheorien. "Die phänomenologische Herangehensweise wendet sich ... dem Spiel als solchem, als eigenständigem Phänomen mit bestimmten Merkmalen, Kennzeichen und Strukturen zu und fragt nach seinem Sinn im Ganzen des Lebens."[19] Kolb konstatiert allen untersuchten spieltheoretischen Ansätzen, "dass sie von einem präreflexiven Verhältnis des Menschen zur Welt ausgehen."[20] Der Mensch tritt mit seiner Umwelt zuerst leiblich in Kontakt. "Der Leib ist nicht nur Körper, sondern das leibliche Subjekt und die Welt bedingen sich gegenseitig in dialektischer Verschränkung. Der Mensch richtet sich mit seinem Leib auf die Welt und ist den Gegenständen in ihrem widerständigen Charakter ausgesetzt."[21] Leib und Welt sind dabei aufeinander hingeordnet, Sinngebung und Bedeutung werden in diesem Wechselverhältnis konstruiert. Das Spiel wird dann analog zu Buytendijk zur "exemplarische(n) dialogische(n) Daseinsform, ... die sich zwischen den gegenüberstehenden , strukturierenden Momenten von Subjekt und Welt entfaltet"[22] Noch deutlicher formuliert Axel Horn: "Die Ganzheitlichkeit des ´Selbst´ wird im Spielen nicht nur als eine bereits bestehende erfahren, sondern bildet sich im Spielen allererst aus und wird auf diese Weise erfahren. Im Spiel erspielt sich der Mensch also seine Selbstheit, er bringt seine Identität hervor, er ist sein Spiel."[23] Spiel ist grundlegender Sinnkonstruktionsprozess in der menschlichen Entwicklung, aber ohne theoretisch-funktionalen Aspekt. Dies spiegelt rück auf die Erkenntnis von Selbst und Welt: "Das sogenannte Normale ist das Resultat hochkomplizierter Lernvorgänge, die nur spielend geschehen können."[24] Spiel wird so zur Verbindung von Selbst und Welt, zum Wechselspiel von Selbsterfahrung und Einspielen auf die Welt. Im Gegensatz zu Traum und Phantasie ist es realisierte Möglichkeit. Spiel so definiert ist endlos. Wenn sich Stabilität eingespielt hat, beginnt das Spiel mit den stabilen Bildern und Symbolen von vorn. Stabile Wirklichkeit wird spielerisch über ihre Grenzen hinaus entfaltet in mögliche Wirklichkeit. Die Wechselwirkung von stabiler Wirklichkeit (Aussenwelt, Tradition) und möglicher Wirklichkeit (Innenwelt) ist nicht nur Spiel, sondern immer auch Spielanlass zugleich. "Das Spiel ist in dieser übergreifenden Auslegung ein Sich-Selbst-Transzendieren durch Infragestellen der jeweiligen empirischen Existenz im Dienste eines steten Sich-Erprobens in offenen Situationen."[25]

Ein so weiter und umfassender phänomenologisch orientierter Definitionsbegriff läuft notwendigerweise Gefahr so breit zu sein, dass er aussagelos wird. Wird Spiel zur Grundbeziehung zwischen Subjekt und Welt, so ist fast alles Spiel. Trennscharf kann nicht einmal zwischen Phantasie und Spiel unterschieden werden, es sei denn man reduziere Spiel auf den leiblichen Aspekt. Jedes in irgendeiner Form mit Reflexion verbundene Handeln in der Außenwelt scheint per Definition Spiel zu sein. Betrachtet man allerdings die Grundlagen der unterschiedlichen phänomenologisch inspirierten Spieltheorien, so wird schnell deutlich, dass die Grundvoraussetzung Freiheit natürlich auch diesem Theoriekonstrukt vorgeschaltet sein muss. Spiel ist nur da, wo frei gespielt wird, wo die Möglichkeit größeres Gewicht als die Faktizität hat. Auch wenn eine solche Spieltheorie keine wirklich klare und deutliche Definition liefert, so gibt sie doch einige Hinweise auf Anknüpfungspunkte zwischen Spiel und Religion(spädagogik).

Das, was Religionspädagogik im religiösen Bereich immer erreichen will, nämlich Lernprozesse ermöglichen und initiieren, scheint Spiel immer schon zu leisten[26]. Die Bedingungen des Spiels sind aber auf ihre religionspädagogischen Möglichkeiten und besonderen Schwierigkeiten zu überprüfen. Allgemein wäre zu klären, ob und wie sich Lernen in spielerischen Zusammenhängen als Spielpädagogik überhaupt realisieren lässt.

Freiheit und Möglichkeit

Vom Spiel her scheint es möglich, die Fremdheit der Jugendkultur festzumachen an der Freiheit und Möglichkeit im Zugriff auf massenmediale Inszenierungen, den spielerischen Umgang mit Geschichten, Symbolen und "existentiell religiöser Verbindlichkeit". Strukturell lässt sich dies an den Neuen Medien zeigen und festmachen. Inhaltlich gilt es auch für den Umgang mit "alten" Massenmedien.

Es stellt sich die Frage, ob nicht die grundsätzliche Strukturunterscheidung zwischen Massenmedien wie Film, Fernsehen, Buch und den neuen, computergestützten Medien eine methodisch fundamental andere Herangehensweise im RU erfordert. Während "alte" Massenmedien ja immer schon Spiel mit Inhalten religiöser Tradition sind, die vor allem wahrgenommen werden, ermöglichen die computergestützten Medien grundsätzlich das eigene Spiel mit den in ihnen vorkommenden Versatzstücken der Tradition. Die Forderung nach dem Lehrer als Moderator, als Mit-Lernendem bleibt doch solange nur Forderung, wie man nicht dem spielerischen Zugang der Jugendlichen zu ihren Medien Rechnung trägt und diesen Zugang methodisch im RU verankert. Jugendliche fühlen sich eben nicht nur wegen ihrer Themen in den Medien zu Hause, sondern aufgrund der besonderen Struktur des Medienzugangs, welcher bei Neuen Medien grundlegend anders ist als bei den traditionellen Massenmedien. Von daher ist es inkonsequent, die Rolle der neuen Medien auf die von Nachschlagewerken zu reduzieren. Arbeitsblätter und Arbeitsaufgaben sind methodisch und didaktisch notwendig. Die Besonderheit der spielerischen Freiheit der Informationsvermittlung im Internet wird mit ihnen aber nicht nachvollzogen. Die lose vernetzte Informationsstruktur des Internet sollte wahrgenommen werden, der Zugang zum Computer sollte auf spielerisch-entdeckendem Weg erfolgen. Die Jugendlichen werden unterschätzt, wenn man ihnen eine gewisse Medienkompetenz nicht als Vorschussvertrauen zugesteht und an konkreten Unterrichtsbeispielen im trial-and-error Verfahren schärft, sondern ihnen diese stattdessen von außen überstülpt. Ein mitlernender Lehrer/eine mitlernende Lehrerin greift auf das Expertenwissen der Schülerinnen und Schüler zurück und ersetzt es nicht.

Dies lässt sich z.B. am Einsatz von Computerspielen im RU verdeutlichen. Im Bereich der Computerspiele steht vielen Jugendlichen ein ihrer Lebenswelt entspringendes Expertenwissen zur Verfügung. Jens Wiemken berichtet von Versuchen Computerspiele in der Jugendarbeit szenisch ins Spiel zu bringen und auf diese Art und Weise mit der Lebenswelt der Jugendlichen zu verknüpfen. Bei diesem "breaking the rules" Ansatz[27] geht es darum, kreativ mit dem Computerspiel umzugehen, um dann seine Begrenzungen aufzubrechen und die ihm innewohnenden Gesetzmäßigkeiten gezielt zu verfremden, um die "Diktatur der Maschine"[28] abzuwenden. Das bedeutet, die bewahrpädagogische Strategie der den Computerspielen meist ablehnend gegenüberstehenden Pädagogen und Pädagoginnen durch einen kreativen Umgang mit Mustern des Computerspiels zu ersetzen und das Computerspiel so auch außerhalb der virtuellen Welt erfahrbar zu machen. Hintergrund dieses Ansatzes ist die Erfahrung, dass Computerspieler sich immer wieder Fehler im Spiel zunutze machen, um die vorgegebenen Erlebensformen in der Spielewelt zu erweitern. Daraus entwickelt Wiemken den Ansatz, die Erlebensformen von Computerspielen auf die Alltagswelt zu übertragen. Dieser Ansatz lässt sich in der Schule nutzbar machen, indem man nicht das Thema des Computerspiels in ein außervirtuelles Rollenspiel übernimmt, sondern vielmehr ein den Schülern und Schülerinnen bekanntes Computerspiel durch diese spielerisch so verändern lässt, dass es religionspädagogisch nutzbar wird. Gleichzeitig zeigt dieser Ansatz, dass Jugendliche sich im Spiel schon intensiv mit den möglichen Erlebensformen und Sinnmustern auseinandersetzen und diese auch für ausservirtuelles Leben fruchtbar zu machen suchen.

Bei-Spiel
Jedi-Knight: Mysteries of the Sith

Eine Erweiterung zum Spiel Jedi-Knight mit dem Titel "Mysteries of the Sith" (MotS) ist 1998 auf dem Markt erschienen. MotS ist ein typischer Ego-Shooter. Der Spieler/die Spielerin vor dem Bildschirm spielt aus der Ich-Perspektive in einer dreidimensional dargestellten Welt eine Spielgeschichte nach. Die Spielgeschichte von MotS orientiert sich an Inhalten der Star-Wars-Filme aus den 70er und 80er Jahren des letzten Jahrhunderts.

In MotS spielt die Spielerin/der Spieler zwei Charaktere. Dabei kommen die für 3D-Shooter bekannten Spielmuster zum Einsatz. Inhalte des Spiels sind allesamt aus den Star-Wars Filmen und Büchern in die Spielewelt umgesetzt worden.

Eine Aufgabe des Spielers/der Spielerin ist es, als Mara Jade aus der Position als Schülerin und Freundin Kyle Katarns sich aufzumachen, um diesen zu retten.

Im letzten Level nun trifft der Spieler/die Spielerin in Gestalt von Mara Jade auf Kyle Katarn. Kyle ist von der dunklen Seite der Macht korrumpiert worden und lockt Mara ins Innere eines Tempels, um sie zu überzeugen, sich ihm anzuschließen. Mara´s Aufgabe ist es, Kyle aus den Fängen der dunklen Seite zu befreien und ihm sein altes Ich wiederzugeben. Die Anleitung, wie dies zu geschehen hat, wird ihr im Verlauf des Levels gegeben und muss spielerisch erfahren werden.

Die Spielerin/der Spieler muss also intramondial von den Inhalten der Filme und Bücher der Star-Wars-Saga die Handlungsskripte und Inhalte in das Spiel MotS transferieren. Die Transformationsleistung liegt nun darin, diese Inhalte auf die Situation zu wandeln, in der die Spielerin ihr Gegenüber retten will, ohne es anzugreifen, bzw. zu töten. Der Spieler/die Spielerin wird im Level an die Lösung dieser Situation herangeführt. Während er/sie sich seinen Weg durch den Tempel sucht, begegnet er/sie Symbolen und Zeichnungen an den Wänden und Türen des Tempels. Diese zeigen den Weg, den zwei Jedi zur Niederlegung eines Konfliktes gehen müssen.

Der Level endet mit der finalen Konfrontation zwischen Mara Jade und Kyle Katarn: Der Spieler/die Spielerin findet sich über einem Abgrund auf einer Plattform. Ihr/ihm gegenüber, auf einer anderen Plattform, steht Kyle Katarn, der Mara Jade dazu auffordert, die Brücke zwischen den beiden Plattformen zu betreten, um ihn zu töten. Als Alternative dazu gibt es nur den Sprung in den Abgrund, den Freitod.

Die symbolische Sprache der Spielewelt lässt der Spielerin/dem Spieler hier keine Handlungsalternative. Wenn sie/er sich auf das Spiel eingelassen hat, so kommt er nicht auf die Idee, die Brücke zu betreten um ihren/seinen Freund Kyle zu töten. Star-Wars lehrt, dass Konflikte nicht durch agierende Gewaltausübung zu lösen sind. Konflikte erfordern vor allem Reaktion auf Gewalt und das verhindern von Gewalt. Die einzige Handlungsalternative des Spielers/der Spielerin ist es, sich in den Abgrund neben der Plattform zu stürzen. Diese recht banale Opfermetaphorik entspricht aber genau dem erwarteten Handlungsmuster. Tritt er/sie nämlich auf die Brücke, so fällt er/sie durch sie hindurch in den Tod. Der Schritt in den Abgrund hingegen bringt Kyle und Mara im Thronsaal des Tempels zusammen.

Auch hier hilft die innere Logik und die Bilderwelt des Spieles aus. Diese Situation ohne Gewalt zu beenden ist nur auf einem Weg möglich. Eine(r) muss Vertrauen in den Anderen demonstrieren und seine Waffe ablegen. Dem Thron gegenüber befindet sich ein Bild an der Wand, welches einen Jedi in kniender Haltung mit seinem Lichtschwert ausgeschaltet vor sich liegend zeigt (s. Abbildung). Dies ist der entscheidende Hinweis, um das Spiel zu beenden und Kyle zu besiegen. Schaltet die Spielerin/der Spieler sein Lichtschwert ab, so wird Kyle nicht angreifen. Vielmehr wird er, beeindruckt von dem Vertrauen in ihn und die frühere Freundschaft, seine Verfehlungen erkennen und der dunklen Seite der Macht absagen. Auch hier manifestieren sich Handlungsmuster aus den Star-Wars Filmen und Büchern spielerisch inszeniert.

Hier zeigt sich noch einmal ein zentraler Inhalt des "Heiligen Kosmos" der Star-Wars-Welt. Ein guter Jedi sucht seinen Weg ohne Hass, ohne aggressive Gefühle und frei von Zorn. Nur wenn man die eigenen Notwendigkeiten hintenanstellt, kann man ein guter Jedi werden. Indem der Spieler/die Spielerin sein/ihr Lichtschwert abschaltet, wird ihm spielerisch dieses als Handlungsalternative aufgezeigt. Die Freundschaft des Charakters Mara Jade verdeutlicht hier den Spielenden ein tiefes Verständnis von Hingabe für den anderen und Aufopferung für Freunde. Nur mit Liebe, nicht mit Hass gelingt es, Kyles Hass zu bekämpfen. Hier hat die Spielewelt des Spieles MotS Anleihen bei verschiedenen Religionen genommen. Zwar wird dieses Motiv nicht stringent durch die Gesamthandlung durchgehalten, aber als Schlusskonsequenz wird es in den letzten Minuten des Spieles überdeutlich inszeniert.

Möglichkeiten

Ein solches Spiel zeigt natürlich in erster Linie auch nur eine Aufnahme religiöser Motive durch Popularkultur. Wenn man aber den Zugangsmodus für Spielende und die durch das Flow-Konzept beschriebene Erlebnisform innerhalb des Spiels betrachtet, so ergeben sich einige religionspädagogisch relevante Aspekte des Computerspieleinsatzes, die über die Wirkung anderer Medien hinausgehen.

Flow bedeutet Versenkung in eine Welt durch das Erreichen eines Gleichgewichtszustandes zwischen Anspannung und Entspannung. Der Spieler/die Spielerin reagiert spontan auf Stimuli aus der Spielewelt und zwar abhängig von den Anforderungen. Wichtig ist die Selbsterfahrung innerhalb der Spielewelt. Die Spielerin/der Spieler selbst erlebt sich als der Herrscher über die Spielsituation. Macht und Kontrolle sind oberstes Spielziel und natürlich im Flow erreicht. Der Spieler/die Spielerin als Subjekt bekommt hier von der Struktur des Spieles her den Eindruck, als würde nicht er/sie selbst das Spiel letztlich konstituieren, sondern als würde etwas Zuvorkommendes die Möglichkeit eröffnen Herrscher in einer sinnvollen Welt zu sein. Die so erspielten Inhalte erhalten von daher Zukunftsbedeutung nicht nur für den Spielverlauf sondern über das Spiel hinaus. Religionspädagogik kann hier Spielerfahrungen aufnehmen und auf ihre Bedeutung in der Selbstwahrnehmung der Spielenden befragen. Daraus dürfte eine erhebliche Vitalisierung des Religionsunterrichtes nicht nur durch die Aufnahme spielerischer Formen sondern vor allem durch das Ernstnehmen jugendkultureller Inszenierungen als das, was sie sind: Spiel ums Selbst.

Anmerkungen
  1. Vgl. Friedrich Schweitzer, Jugendkultur und Religionspädagogik, in: Peter Biehl / Klaus Wegenast (Hg.), Religionspädagogik und Kultur. Beiträge zu einer religionspädagogischen Theorie kulturell vermittelter Praxis in Kirche und Gesellschaft, Neukirchen Vluyn 2000, 165-178, 168.
  2. Ebd.
  3. Vgl. Ebd.
  4. Vgl. Ebd., 174.
  5. Vgl. Ebd.
  6. Burkhard Möring-Plath, Religionsunterricht zwischen Medienkultur und Religionskultur, in: Religion heute 52/2002, 236-241, 237.
  7. Folkart Wittekind, Verlust des Ich? - Methodische Überlegungen zur theologischen Wahrnehmung postmoderner Lebenswelten, in: Abrecht Grözinger / Georg Pfleiderer, "Gelebte Religion" als Programmbegriff Systematischer und Praktischer Theologie, Zürich 2002, 131-159, 156.
  8. Ebd.
  9. Vgl. hier z.B. Sherry Turkle, Life on the screen: identity in the age of the internet, New York 1995, bes. 177-209.
  10. Ein Beispiel ist die Transformation des "Our Father" in eine SMS: "Our father who art in heaven, hallowed by thy name. Thy kingdom come, thy will be done. (SMS: dad@hvn, urspshl. we want wot u want)" http://www.thisistrue.com/lordpray.html (05.02.03), oder die sogenannten emoticons: vgl. http://www.cknow.com/ckinfo/emoticons.htm (05.02.03).
  11. vgl. z.B. Michael Renner, Spieltheorie und Spielpraxis: eine Einführung für pädagogische Berufe, Freiburg im Breisgau 1997, bes. 29-38.
  12. vgl. Brian Sutton-Smith, Toys as culture, New-York 1986, 57-75.
  13. Vgl. hier z.B. Sherry Turkle, Life on the screen: identity in the age of the internet, New York 1995, bes. 177-209. Im Kapitel "tiny sex and gender-trouble" (210-233) wird allerdings deutlich, dass vermeintlich konsequenzloses Ausprobieren auch sehr unangenehme Konsequenzen haben kann, gerade im Bereich vermeintlich unverfänglicher Online-Sexualität. So gilt die Konsequenzlosigkeit nur in Bezug auf den Übergang von virtueller zu alltäglicher Welt. Innerhalb der virtuellen Welt zieht kommunikatives Handeln Konsequenzen nach sich.
  14. Auch dies könnte eine Heldenreise im Sinne des Monomythos sein!
  15. Vgl. Mihaly Csikszentmihalyi, Flow - The Psychology of optimal experience, New York 1990, bes. 49-77.
  16. Vgl. Jürgen Fritz, Langeweile, Streß und Flow, in: Jürgen Fritz/ Wolfgang Fehr (Hg.), Handbuch Medien: Computerspiele. Theorie, Forschung, Praxis, Bonn 1997, 207-215, Michael Waltemathe: Neue Medien als notwendiges Arbeitsfeld der Religionspädagogik, in: Schulfach Religion 1-2/2001, 13-20, 15.
  17. Horst Opaschowski, Generation @ - Die Medienrevolution entlässt ihre Kinder: Leben im Informationszeitalter, Hamburg 1999.
  18. Vgl. ebd. 144f.
  19. Michael Kolb, Spiel als Phänomen - Das Phänomen Spiel. Studien zu phänomenologisch-anthropologischen Spieltheorien, Sankt Augustin 1990, 356.
  20. Ebd., 358.
  21. Ebd., 359.
  22. Ebd., 360.
  23. Axel Horn, Spielen lernen. Spiel als ek-sistenziales Grundphänomen und Möglichkeiten einer Spielerziehung im Sportunterricht., Weinheim 1987., 72.
  24. Dietmar Kamper, Spiel als Metapher des Lebens, in: Bayerische Akademie der schönen Künste (Hg.), Der Mensch und das Spiel in der verplanten Welt, München 1976, 130-145., 141.
  25. Herrmann Röhrs, Spiel und Sportspiel - ein Wechselverhältnis Hannover 1981, 76.
  26. 26 Fraglich ist, ob "leisten" hier das richtige Verb ist...
  27. Vgl. Jens Wiemken, Breaking the rules. Ansätze für den kreativen Umgang mit Computerspielen in der außerschulischen Jugendarbeit, in: Jürgen Fritz / Wolfgang Fehr (Hg.), Handbuch Medien: Computerspiele. Theorie, Forschung, Praxis, Bonn 1997, 327-333.
  28. Ebd. 327.

© Michael Waltemathe 2003
Magazin für Theologie und Ästhetik 24/2003
https://www.theomag.de/24/miwa1.htm