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Magazin für Theologie und Ästhetik


Videoclips XIV

Blick zurück nach vorn

Andreas Mertin

Für "Religion" in Verbindung mit "Medien" hatten die Produzenten der ansonsten überaus empfehlenswerten Videoclip-Rundreise "Fantastic Voyages" offensichtlich keinen spezifischen Blick. Jedenfalls verorteten sie den legendären Clip zu "Can you feel it" auf dem Album "Triumph" der Gruppe "Jackson 5" aus dem Jahr 1980 lapidar unter der Rubrik "Science fiction". Und das ist für einen säkularisierten Menschen des ausgehenden 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts ja auch nicht ganz unplausibel, erscheint ihm doch in der Regel jeder Inhalt mit eschatologischen oder spirituellen Tendenzen als pure Fiction. Wie sich ja auch mancher Science fiction als durchaus gesättigte religiöse Inszenierung erweist (vgl. dazu Linus Hauser: "Möge die Macht mit Dir sein!" Science-fiction und Religion", Frankfurt: GEP 1998). Und gerade der Mega-Star Michael Jackson pflegt ja in manchen seiner späteren Clips gezielt die Gemengelage von Religion mit dem Science fiction respektive dem Kosmischen.

The Triumph / Can you feel it

Das Album "The Triumph" mit seinem Titelstück "Can you feel it" gehört zum Schwanengesang der Gruppe "Jackson 5", die Anfang der Achtziger Jahre ihre großen Zeiten hinter sich hatte, und fällt zugleich in die Anfangszeit des aufstrebenden jungen Mega-Stars Michael Jackson. Nach dem höchst erfolgreichen Gruppen-Album "Destiny" (1978) hatte Michael Jackson 1979 mit seinem Solo-Album "Off the Wall" deutlich angezeigt, dass er langfristig eine eigne Karriere anstrebte, die dann 1982 mit dem Album "Thriller" ja auch erfolgreich gestartet wurde.

Der Clip zu "Can you feel it" auf dem Album "The Triumph" ermöglicht nun einen Blick zurück nach vorn auf über 20 Jahre Videoclipgeschichte. Es ist ein Blick zurück, weil dieser Clip (wie auch der spätere Clip zu "Thriller") zentral in die Anfangsgeschichte des jungen Mediums Videoclip gehört und dort von Beginn an auch als legendärer Clip gehandelt wurde. Und es ist ein Blick nach vorn, weil dieses Stück, wie zahlreiche Hits der 80er Jahre in diesem Jahr wieder einmal gecovert wurde und seine Wiederauferstehung erlebte. Zugleich ermöglicht der Clip Einsichten darin, wie wenig sich inszenatorisch eigentlich in diesem Medium in gut 20 Jahren getan hat oder mit anderen Worten, wie kontinuierlich sich dieses Medium entwickelt hat.

Der Clip beginnt mit einer Ouvertüre und einer Stimme aus dem OFF, die im Stil eines biblischen Geschichtenerzählers berichtet: Am Anfang war das Land unberührt und rein. Schon im frühen Morgenlicht konnte man die Schönheit in der Gestalt der Natur sehen. Die verschiedensten Männer und Frauen aller Hautfarben würden auch bald hier sein. Und es wird ihnen mitunter allzu leicht fallen, die Farben nicht zu sehen und die Schönheit der anderen zu ignorieren. Aber nie würden sie den Traum von einer besseren Welt aus den Augen verlieren, die sie gemeinsam erreichen könnten als einen Triumph. Dazu wird eine unwirkliche Wüsten- und Morgendämmerung gezeigt, die mehr als deutliche Anklänge an Stanley Kubricks Ouvertüre zu "2001 - Odyssee im Weltraum" aufweist - wie man überhaupt den gesamten folgenden Clip als personalisierte Variante des 12 Jahre vorher erschienen Kinofilms interpretieren kann. Was bei Kubrick noch eine anonyme kosmische Macht ist, wird dann bei den Jackson 5 durch eine kosmische Version der Bandmitglieder personalisiert. Denn mit dem Wort "Triumph" setzt dann die Musik von "Can you feel it" ein und aus dem kosmischen Urmeer inkarnieren sich goldüberflutet in die vier Ur-Elemente Wasser, Erde, Luft und Feuer die Jackson 5.

Der Liedtext schlägt demgegenüber dann von Anfang an eschatologische Töne an: If you look around, the whole world is coming together now, yeah. Can you feel it, can you feel it, can you feel it. Feel it in the air, the wind is taking it everywhere, yeah. Can you feel it, can you feel it, can you feel it. All the colors of the world should be lovin' each other wholeheartedly. Yes, it's all right. Take my message to your brother and tell him twice. Spread the word and try to teach the man who's hating his brother, when hate won't do, ooh. 'Cause we're all the same, yes. The blood inside me is inside of you. Now, tell me: Can you feel it, can you feel it, can you feel it ... Das passt schon auffallend gut zur Überzeugung des Empedokles, es gebe kein Entstehen und Vergehen, nur Mischung und Trennung der vier Elemente Feuer, Luft, Wasser, Erde, bestimmt von den Urkräften Liebe und Hass. Gezeigt werden die Bandmitglieder dazu - technisch für die damalige Zeit aufwendig gemacht - wie sie die Menschheit mit einer Art göttlichem/kosmischem Staub beglücken.

Im Zentrum des Geschehens ist auch hier schon Michael Jackson mit einer verblüffend ähnlichen Gestik wie etwa in seinem späteren "Earthsong" zu sehen, nur dass im Clip zu "Can you feel it" die Zivilisation in Gestalt der amerikanischen Wolkenkratzerkultur (das himmlische Jerusalem?) auch mit dem Staub der göttlichen Inspiration der Jackson 5 beglückt wird (Der Earthsong predigt dagegen ja das Rousseausche "Zurück zur Natur"). Als Zeichen des Bundes mit den Menschen zaubert Michael Jackson über eine Brücke einen Regenbogen an den Himmel, aber dieser Regenbogen ist allem Augenschein nach nicht mehr der der Urgeschichte aus Genesis 9, sondern vielmehr der apokalyptische Regenbogen nach Offenbarung 10,1: Und ich sah einen andern starken Engel vom Himmel herabkommen, mit einer Wolke bekleidet, und der Regenbogen auf seinem Haupt und sein Antlitz wie die Sonne und seine Füße wie Feuersäulen.

Dazu würde auch ziemlich exakt der apokalypseschwangere Ton des Liedtextes passen: "If you look around, the whole world is coming together now". Hört die Worte der Weissagung und behaltet, was darin geschrieben ist; denn die Zeit ist nahe (Offb. 1,3).

Das alles wird bildlich wiederum ziemlich naiv-kitschig umgesetzt, wie überhaupt bei den Jacksons die futuristischen Bilder eine nicht ganz zufällige Nähe zu den "Einen neuen Himmel und eine neue Erde"-Fantasien der Zeugen Jehovas haben, aber auch bestens mit den "Raumschiff hinter dem Mond"-Spekulationen der Muslim-Brüder harmonieren. Immer wieder schweben die Jacksons in Feuergestalt vom Himmel, werden wie eine Himmelserscheinung von den Menschen bewundert oder initiieren die Verbrüderung der rassen und Generationen. Es wäre aber vorschnell, diesen wie andere Clips der Jacksons als Selbst-Apotheose zu deuten, treffender ist vermutlich jene Deutung, die das Geschehen im Clip als starke Imago-Dei-Variante, das heißt weniger als stellvertretende, denn als exemplarische Vergöttlichung der Menschheit interpretiert. So wie die Jacksons kann jeder mit seinen Gaben, seinen Begabungen wuchern, kann etwas von dem realisieren, was an Potenzial in ihm steckt.

Blickt man auf den Clip aus der Perspektive einer über 20jährigen Videoclipgeschichte so ist stilistisch und technisch die Distanz zwischen dem Jahr 1980 und dem Jahr 2002 gar nicht so groß. Sicherlich sind die Effekte inzwischen wesentlich perfekter, keinesfalls aber spektakulärer geworden, der Computer hat zwischenzeitlich bei der Generierung der Videoclips seinen Siegeszug angetreten. Der sorgsam gepflegte Gestus und der spirituelle Impuls ist aber weitgehend derselbe geblieben. Und auch heute spielt im Videoclip das Feeling eine herausragende Rolle, auch heute geht es weiterhin um Atmosphären, um Leibhaftigkeit, um Gesten und das Gespür der Geistesgegenwart: Can you feel it?

Liedtext: http://members.aol.com/MJacksonPage/lyrics/canyoufeelit.htm


© Andreas Mertin 2002
Magazin für Theologie und Ästhetik 20/2002
https://www.theomag.de/20/am72.htm