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Magazin für Theologie und Ästhetik



Glenn Ligon, Fridericianum - Documenta11

Es ist so still wie in einer Kirche und die wenigen Menschen, die hier länger verweilen, unterhalten sich flüsternd, in diesem hell erleuchteten großen Raum, im zweiten Stockwerk des Fridericianums, dem Hauptgebäude der Documenta11. Sie gehen an den Wänden entlang, an acht dunklen Gemälden vorbei, deren Flächen tiefschwarz glänzen oder das Leinwandweiß durchscheinen lassen. Sie bleiben stehen, probieren offensichtlich verschiedene Blickwinkel aus, beginnen zu lesen, etwas zu entziffern. Buchstaben, Wörter, Sätze erscheinen und verschwinden auf eigenartige Weise, wenn die Betrachter zur Raummitte sich hinbewegen oder sich direkt vor einem der Bilder positionieren.

"Ich stelle mir vor, dass die Bilder eine Art Textpanorama bilden, den Betrachter mit Sprache umstellen, aber gleichzeitig, wegen der Dunkelheit und Dichte ihrer Oberflächen, distanziert und unüberschaubar bleiben" kommentiert der amerikanische Künstler Glenn Ligon seine Bilder. Texte aus einem Essay James Baldwins, "Stranger in the Village", hat er in einem komplexen Verfahren wie ein Relief auf die Leinwand gebracht und anschließend mit Kohlegrus überdeckt. Daher das glänzende Schwarz. Daher die in einem bestimmten Blickwinkel hervortretenden Buchstaben und Wörter, die sich dem Leser und Betrachter bei leichter Bewegung seines Kopfes wieder entziehen. "Ich materialisierte den Text und dematerialisierte ihn zugleich". Und so entsteht eine Kluft zwischen dem Wunsch, den Text lesen und verstehen zu wollen und es doch nicht zu vermögen. So werden diese Bilder zu einem Rätsel. Man möchte es lösen und kann es doch nicht. Das mag mit dem Inhalt des Textes zusammenzuhängen, der von kultureller Entfremdung erzählt, von der Angst und Faszination, mit der man dem Fremden in seinem Exil begegnet und der dort in der Fremde schreibend auf der Suche nach seiner Identität ist und doch daran scheitert.

So ergeht es dem Besucher, dem Betrachter, dem Leser mit diesen Bildern. Sie geben ihr Geheimnis, ihre Identität nicht preis. Kaum dass man glaubt, sie lesen zu können, so verrätseln sie sich sogleich. Sie entziehen sich dem Zugriff. Sie sind nicht verfügbar. Sie offenbaren etwas und verhüllen es im selben Augenblick:

"Ein offen Geheimnis,
Ein unsterblich Gedicht,
Das zu allen Sinnen spricht,
In deren tief gegrabnen Zügen
Muss, was wahr ist, verborgen liegen,
Durch Form und Bild sie zu uns spricht
Und verhehlet selbst das Innre nicht,
Dass wir aus den bleibenden Chiffren
Mögen auch das Geheime entziffern."

Friedrich Schlegels Verse deuten dieses künstlerische Verrätseln auf unsere Erfahrung mit der göttlichen Offenbarung hin, mit der es uns ja ebenso ergeht. Gott offenbart sich den Menschen, indem er sich im "Kohlegrus" der Welt verhüllt, in seiner Menschlichkeit. Nur durch sie hindurch wird man den Schein seiner Herrlichkeit erfahren können, nur durch die Schwärze der Welt hindurch leuchtet das Licht seiner Wahrheit.

So sind Ligons Kohlegrus-Bilder ein beredetes Schweigen. Jedes dieser acht ist wie ein "Verxierbild, nur derart, das es beim Vexieren bleibt, bei der prästabilierten Niederlage ihres Betrachters" (Th. W. Adorno) In einer Welt, die Menschen alles zur Verfügung und zum Verbrauch bereit stellt, ist solche Kunst ein notwendig Fremdes. Sie zeigt an ihr das Unverfügbare, das man eigentlich nur wie ein Geschenk empfangen kann. So mag es denen, die still und flüsternd in diesem Raum sich bewegen, vorkommen: "Es ist nur noch das Rätsel, das Rat gibt." (Erhart Kästner) - [Klaus Röhring]