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Magazin für Theologie und Ästhetik



The Atlas Group, Geheimnisse auf offener See, Kulturbahnhof - Documenta11

Rätselhafte Bilder, die konkrete Ereignisse und Geschichte(n) andeuten, präsentiert die Atlas Group im Kulturbahnhof auf der d11. Man sieht mehrere großformatige blau-monochrome Bilder mit einem kleinen angedeuteten SW-Bild in der rechten unteren Ecke. Schaut man sich das kleine Bild unten jeweils genauer an, meint man, ein Gruppenporträt entdecken zu können. Zwischen monochromem Bild und angedeutetem Foto scheint zunächst kein Zusammenhang zu bestehen. Das wird anders, wenn man den Text an der Wand liest:

Geheimnisse auf offener See besteht aus 29 Fotografien, die man 1992 während der Abrissarbeiten in dem im Krieg zerstörten Einkaufsviertel von Beirut unter den Trümmern entdeckte. Die Abzüge zeigten verschiedene Abstufungen von Blau und maßen jeweils 112 x 175 cm. Sie wurden 1994 der Atlas Group zur Aufbewahrung und Untersuchung anvertraut. 1996 schickte die Atlas Group sechs dieser Fotografien an Labors in Frankreich, um dort eine technische Analyse vornehmen zu lassen.

Erstaunlicherweise entdeckten die Labors auf den Blaupausen kleine Schwarzweiß-Bilder, die sie sichtbar machen konnten. Sie zeigen Gruppenporträts von Männern und Frauen. Der Atlas Group gelang es, sämtliche auf den kleinen Schwarzweiß-Bildern abgebildeten Personen zu identifizieren und es stellte sich heraus, dass sie alle zwischen 1975 und 1984 ertrunken oder auf andere Weise ums Leben gekommen und tot im Mittelmeer aufgefunden worden waren.

Die von Walid Ra'ad gegründete Stiftung "Atlas Group" zur Erforschung libanesischer Gegenwartsgeschichte jongliert mit Fiktionalität und Realität, deren jeweilige Schrecken ununterscheidbar werden. Der Kurzführer durch die documenta11 verweist in diesem Kontext zu Recht auf die imaginären Enzyklopädien eines Jorge Luis Borges. Populärkulturell könnte man an diverse Fernsehserien denken, die sich der scheinbaren Aufklärung mysteriöser Ereignisse gewidmet haben. Das Faszinierende der Arbeiten der Atlas Group ist es, dass Fiktionalität eine Gedächtnisspur zu legen vermag, die auch noch das reale Geschehen im Libanon inkorporiert. [AM]