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Magazin für Theologie und Ästhetik


Videoclips XII

Zeichen, Grenzen, Rahmen

Andreas Mertin

Levis: Bewegungsfreiheit

Ästhetisch innovativ sind keine Clips der European Top 20, sie erschöpfen sich im Re-Inszenieren von ästhetischen Vergangenheiten. Am Interessantesten ist noch die in der Werbepause eingespielte Levis-Werbung, weil sie mit einem klaren Bild arbeitet und daher direkte Ansätze zur Bearbeitung in pädagogischen Kontexten bietet.

Zu sehen ist zunächst ein junger Mann, der eine Tür öffnet, ein paar Schritte zurück geht, und dann mit steigender Geschwindigkeit einen Spurt beginnt, der ihn Räume durchqueren und spektakulär die begrenzenden Wände durchbrechen lässt. Nach kurzer Zeit taucht eine junge Frau im Bild auf, die parallel zu ihm einen gleichen Lauf angetreten ist. In Übereinstimmung mit der Musik kommen sie nach einiger Zeit zur Ruhe und nehmen erst in diesem Moment Notiz voneinander. Sie schauen sich an und nehmen dann ihren Lauf wieder auf.

Sie werden schneller und schneller, mal ist der eine vorn, mal der andere, schließlich durchbrechen sie eine Ruinenmauer, rasen zwei Bäume hinauf und setzen am Ende zu einem riskanten Weitsprung in den schwarzen Raum an, wie wir es aus manchen Actionfilmen kennen.

Bis zur Schluss-Szene fragt sich der Betrachter, wofür hier eigentlich geworben wird und wie dieses kleine Miniaturdrama zum Thema Geschwindigkeit, Körper, Kraft, Grenzen, Begrenzungen und Grenzdurchbrechungen in eine Werbestrategie eingebunden werden kann. Im Abschlussbild erscheint dann die Einblendung der Jeans-Firma Levis, die die gesehene Bilderfolge unter das Motto "Bewegungsfreiheit" stellt.

Vor Jahren schon hatte C&A mit mehreren preisgekrönten Werbeclips in ähnlich spektakulärer Weise das Lebensgefühl junger Leute einzufangen und auszudrücken versucht. Schon im C&A-Clip mit Marla Glen unter dem Titel "Like a believer" wurden Mauern durchbrochen und der Weg ins unbekannte Land der Freiheit gesucht. Freiheit ist der Common Sense vieler Videoclips der Werbebranche. Grenzen zu durchbrechen, um festzustellen, wo die eigenen eigentlich Grenzen sind, ist ein ureigenes Thema des Menschen.

Xavier Naidoo "Wo willst Du hin"

"Alles für den Herrn" verspricht der Mannheimer "Prophet" Xavier Naidoo auf seiner neuen CD und fragt in dieser Single-Auskopplung doch menschlich, allzumenschlich sein weibliches Gegenüber "Wo willst Du hin?" Es geht um den Beginn des Endes einer Beziehung, um Zwischentöne, Melancholie, Besinnung, geronnene und zerstörte Bilder.

Gedreht wurde der Clip Ende letzten Jahres in einem Lagerhaus in Berlin unter der Beteiligung der bekannten Schauspieler Esther Schweins und Steffen Wink, und zwar weil Xavier Naidoo einmal einen Clip mit Schauspielern drehen wollte. Im Internet kann unter www.xaviernaidoo.de ein "Making of" zum Clip und der Clip selbst abgerufen werden.

Im Clip sehen wir Xavier Naidoo in einem Loft mit einer reduzierten 70er Jahre-Kunst-Ästhetik. Anklänge an berühmte Kunstwerke sind ebenso spürbar wie Zitate aus bekannten Videoclips. Die Rahmung, d.h. das Ambiente ist karg, fast ärmlich, und wird mit vielen Lichtüberblendungen zu einer Szenenfolge zusammengesetzt. Das Ganze lebt von der Melancholie der gesungenen Worte, kommt allerdings nicht zu einer wirklichen Geschichte zusammen und wirkt daher etwas gesucht und gestelzt. Die an eine Gesprächssituation zwischen Besucher und Gefangenem im Gefängnis erinnernde Szenerie passt nur bedingt zum Liedtext. Auch ästhetisch vermag der Clip nicht wirklich zu überzeugen.

Robbie Williams "Somethin' Stupid"

Robbie Williams ist immer für eine Überraschung gut (vgl. auch Robbie Williams: DJ Rock oder: La Danse macabre, medien praktisch 4/00). Als King of Swing präsentiert er sich in Zusammenarbeit mit zahlreichen berühmten Kollegen auf seiner CD "Swing when you're winning", einer Hommage an Frank Sinatra, den Swing und das entsprechende Hollywood-Ambiente.

Im Videoclip zur Single-Auskopplung "Somethin' Stupid" trifft er so zum Beispiel auf den Kino-Star Nicole Kidman, um mit ihr im Stil alter Hollywood-Schinken eine Romanze zu erleben. Es ist ein Remake, das zwischen Klischee (der Erinnerung des Betrachters an alte Kino-Liebesfilme) und Dekonstruktion (ihrer ironischen Übersetzung in das Begehren, das sie seinerzeit nur dezent andeuteten) changiert. Jede Geste, jede Einstellung kann der Betrachter dechiffrieren und so aus dem Bildgedächtnis wiederholen, aber sie bleibt in einer unendlichen Ferne [sozusagen unwiederholbar], wie nah sie auch auf dem Bildschirm erscheinen mag. Faktisch blickt der Betrachter im Rahmen der Re-Inszenierung auf mehrere Inszenierungen. Er erinnert sich an Frank Sinatra und den von ihm (und vielen anderen) gesungenen berühmten Song, an Szenen diverser Kinofilme, aber eben auch an deren erotisch-sexuellen Subtext, der seinerzeit nur mit Gesten und Zeichen angedeutet werden konnte, und der von Robbie Williams nun explizit in Zwischensequenzen sichtbar gemacht wird. Was in diversen Werbungen der Firma DIESEL aber nur ironisch abgehandelt wird, behält bei Robbie Williams eine faszinierende Ambivalenz.

Alanis Morisette: Hands clean

Kann man schon die beiden vorstehend beschriebenen Videoclips als Beitrag zur Bild-Geschichte begreifen, so gilt für den Clip zu "Hands clean" von Alanis Morisette aus ihrer CD "Under Rug Swept", dass hier das Thema "Historisierung" explizit zum Thema wird. Schon im Videoclip zu "Stitches" von Orgy war die Historisierung des Videoclips zum Thema geworden (vgl. medien praktisch 1/00).

Im Clip zu "Hands clean" blicken wir auf einen Fernseher im etwas altertümlichen 50er Jahre Stil, der uns in einer Szenenfolge das Geschehen rund um einen Hit - von seiner Entstehung bis zur seiner populären Durchsetzung - zeigt. Wie in der populären Zeichentrickserie "Die Simpsons" mit der dort eingeschobenen Zeichentrickserie "Itchy und Scratchy", bei der man auch immer den Bildschirm im Bildschirm sieht und die eine implizite Medienreflexion darstellt, wird der Betrachter permanent auf die Medialität seiner Betrachtung verwiesen. Er sieht einen Bildschirm auf dem ein Bildschirm abgebildet ist, der Alanis Morisette zeigt, wie sie ein Lied komponiert, es im Studio einspielt, zur CD pressen lässt, es im Konzert aufführt, bis es schließlich als Karaoke-Version von jugendlichen Fans nachgesungen wird. All dies bleibt, obwohl man das Lied ja im Augenblick als neuen Hit hört, gebrochen als Mediengeschehen, dass "nur" auf dem Bildschirm abläuft und dokumentiert wird.


© Andreas Mertin 2002
Magazin für Theologie und Ästhetik 17/2002
https://www.theomag.de/17/am54.htm

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Andreas Mertin, Videoclips im Religionsunterricht, Göttingen 1999