Zurück zum Inhaltsverzeichnis

Magazin für Theologie und Ästhetik


Es werde Licht

Das Zentrum für Internationale Lichtkunst Unna

Andreas Mertin

Ein Juwel am Rande des Ruhrgebiets

Wer der "Route der Industriekultur" durchs Ruhrgebiet folgt, gelangt irgendwann nach Unna. Und mitten im Zentrum der Stadt kann er das noch relativ junge "Zentrum für Internationale Lichtkunst" in der ehemaligen Lindenbrauerei aufsuchen. In den ursprünglichen Kühlkellern der Brauerei wurde und wird den Besuchern seit Mai 2001 internationale Lichtkunst präsentiert. Vermutlich gibt es kein vergleichbares Museum mit einem derartigen Kontext und Angebot.

Gleich zu Beginn trifft der Besucher auf eine Installation von Joseph Kosuth: "Die Signatur des Wortes [Licht und Finsternis]." Eine komplexe Stahlrohrrampe führt im Zickzack über den ersten Raum hinweg und ermöglicht sporadische Blicke in den darunter liegenden Bereich. Auf dem Boden ist mit Lichtröhren ein Text ausgebreitet, den der Besucher nicht auf einmal, sondern nur nach und nach erschließen kann. Zudem muss er den Text von hinten nach vorn lesen und ihn am Ende im Kopf zusammensetzen. Der Text stammt von Heinrich Heine und zwar aus seiner "Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland" (1834/52). Dort heißt es im dritten Buch im Rahmen der Vorstellung der Philosophie Kants für die französischen Leser: der Mensch, wie der Gott der Bibel, braucht nur seinen Gedanken auszusprechen, und es gestaltet sich die Welt, es wird Licht oder es wird Finsternis, die Wasser sondern sich von dem Festland, oder gar wilde Bestien kommen zum Vorschein. Die Welt ist die Signatur des Wortes. Leicht gekürzt findet der Betrachter den Text auf dem Boden illuminiert wieder und ist somit eingestimmt auf das, was ihn im Folgenden erwartet.

Im zweiten, direkt danebenliegenden Raum hat Mischa Kuball eine ebenso eindrückliche Licht-Installation realisiert: "Space - Speed - Speech". Man betritt den Raum und gerät in eine Art kosmisches Irrlicht, das den gesamten Keller erfüllt. Die Konstruktion der Installation erschließt sich erst nach und nach. Drei aus Diskotheken vertraute Spiegelkugeln hängen an verschiedenen Stellen von der Decke herab. Auf sie projizieren Diaprojektoren die Worte, die der Installation ihren Titel geben. Zwei der drei Kugeln drehen sich mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten, während ausgerechnet die Kugel mit dem Wort Speed stillsteht. Die Kugeln erzeugen eine Lichteratmosphäre besonderer Art, die Begrenzungen des Raumes werden aufgelöst und den Besucher erfasst ein Schwindelgefühl.

Temporär ist dagegen die Installation von Wagner K, die noch bis März 2002 zu sehen ist. Er verwandelt drei nebeneinander liegende und ineinander übergehende Räume in eine überdimensionale visuelle Erzählstube. Auf drei kreisrunden drei mal drei Meter großen Spiegeln sieht der Betrachter drei Erzählungen. Eine Kröte im Dialog mit dem vorüberziehenden Mond, eine Kröte im appellativen Dialog mit einem nicht wahrnehmbaren Gegenüber (bzw. Mit dem Besucher) und dazwischen eine politisch-historische Erzählung mit Dokumentarbildern. Zwischen den beiden Kröten und im Gegenüber zur Geschichte lauscht und sieht der Besucher und muss sich seinen eigen Reim, seine eigene Geschichte machen.

Christina Kubisch, die ursprünglich einmal acht Räume temporär bestückt hatte, ist nun noch mit drei Räumen vertreten, von denen einer auf Dauer eingerichtet ist. Zunächst trifft der Betrachter auf einen Raum, in dem Kubisch mit Atelierlampen das Kühlsystem eines Kellers ultraviolett ausgeleuchtet hat und so in dem dunklen Raum eine faszinierende Atmosphäre erzeugt, die das ursprüngliche Kältegefühl reaktiviert und zugleich den Spuren der Geschichte dieses Kellers nachgeht.

James Turrell hat einen seiner bekannten Lichträume in die Keller der Lindenbrauerei eingebaut, in dem die Besucher der Wahrnehmung der Grenzen von Räumen nachgehen kann. Es ist die einzige Arbeit, die nicht auf den Kontext Bezug nimmt, sie stellt in ihrer Bezugslosigkeit und Zeitlosigkeit so etwas wie das ganz Andere der anderen Arbeiten dar. Während diese auf den Raum bezogen sind und durch den Raum eine besondere Qualität bekommen, negiert Turrell den ihn umgebenden Raum demonstrativ.

Christina Kubischs nächster Raum im unterirdischen Gemäuer der ehemaligen Lindenbrauerei ist ebenso labyrinthisch wie märchenhaft konzipiert. Knospenähnliche UV-Lampen erhellen spärlich einen mit Blöcken gefüllten Raum und erzeugen eine dunkle Atmosphäre in der Art der Romantik, die ihrerseits ja eine besondere Affinität zum Bergwerk entwickelt hat.

François Morellet hat in einem Durchgang einen höchst interessanten - aber auch erläuterungsbedürftigen - Pas des deux mit Piet Mondrian realisiert. Gesteuert von einer Lichtschranke werden durch Neonröhren unterschiedliche Raumstrukturierungen vorgenommen. Vertikal und horizontal im Sinne Mondrians, diagonal durchbrechend im Sinne Morellets.

Im Festraum, der größeren Veranstaltungen dient, ist das Lichtdesign zu Hause. Hier kann anlassbezogen mit Licht inszeniert, dramatisiert oder einfach nur beleuchtet werden.

Im letzten Raum von Christina Kubisch stößt der Besucher auf verschiedene Becken, die mit unterschiedlich großen und formal angeordneten Lautsprechern gefüllt sind, welche eine Klangkomposition der Künstlerin wiedergeben. Die Klänge sind je nach Becken anders, vom leichten Wispern bis zum sonoren Raunen ergeben sich so je nach Standort im Raum andere Wahrnehmungen.

Die bisherigen Rauminszenierungen sollen durch weitere dauerhafte wie auch temporäre Arbeiten ergänzt werden, so dass sich ein wiederholter Besuch lohnt.

Wer das Zentrum für Internationale Lichtkunst in Unna schließlich verlässt, kann am dahinter liegenden 52 Meter hohen Schornstein eine der bekannten Zahlenfolgen-Arbeiten von Mario Merz sehen. Diese dürfte wohl die bisher längste Folge sein. Leider entfaltet sie ihren Reiz naturgemäß erst in der Dämmerung bzw. in der Nacht, wenn das Zentrum längst geschlossen hat.

Geöffnet hat das Zentrum Mi-Fr 14-18 Uhr, Sa-So 11-18 Uhr. Besucht werden können die Keller nur im Rahmen einer Führung, die zu jeder vollen Stunde beginnt.

Mein Tipp: Besuchen Sie das Zentrum, bevor die Massen es stürmen und im Gedränge der Besucher die Räume vielleicht ihren Reiz verlieren. Lassen Sie sich ein auf eine Stunde atmosphärischer, künstlerischer und erzählerischer Faszination. Wer in die Nähe von Unna kommt, sollte sich dieses Juwel am Rande des Ruhrgebiets nicht entgehen lassen.


© Andreas Mertin 2002
Magazin für Theologie und Ästhetik 15/2002
https://www.theomag.de/15/am48.htm