“The world is the best of all possible worlds, and everything in it is a necessary evil’
“Where everything is bad, it must be good to know the worst”
“Where all is rotten, it is a man’s work to cry stinking fish”.
F.H. Bradley

01. Februar 2023

Liebe Leserinnen und Leser,

brauchen wir angesichts der Katastrophen, die derzeit über die Menschheit hereinbrechen, nicht dringend so etwas wie „Theologie“? Oder reicht es, wenigsten dafür zu sorgen, dass die Institution Kirche in der gefühlten Flut der Katastrophen nicht untergeht? So dass bei einer Pandemie die Gottesdienste noch zugänglich sind (und sei es virtuell), dass bei einem Krieg den Angegriffenen geholfen wird (auch wenn man dabei frühere Einsichten aufgeben muss), und dass bei der Klimakatastrophe wenigstens die scheinbar Letzte Generation unterstützt wird? Wozu aber dann noch Theologie? Reicht es aus, einfach ethisch korrekt zu handeln und ein normales Programm in der Gemeinde zu fahren? Die Zeit der großen Entwürfe (a la Leuchttürme) scheint vorbei..

Wenn man aktuell die Debatten in den kirchlichen Zeitschriften und auch in einigen Feuilletons verfolgt, könnte man den Eindruck bekommen, dass es mehr ums Streiten als ums Theologisieren geht. Dort, wo sich Theolog:innen aktuell äußern, kämpfen sie Schlachten längst vergangener Zeiten, die selbst binnenkirchlich kaum noch verständlich sind. Um der Dringlichkeit ihres Anliegens Nachdruck zu verleihen, wählen sie einen Ton, dessen Schärfe in kirchlichen und theologischen Debatten eigentlich unüblich ist. Und dabei werden diese Debatten in der Öffentlichkeit kaum zur Kenntnis genommen – egal, was gesagt wird. Theologengezänk eben. Die so offenbarwerdende Bedeutungslosigkeit trifft mit voller Wucht.  

In dieser Ausgabe des Magazins stellen wir nicht die Frage „Warum sollte ich moralisch sein?“, die einst Franz Herbert Bradley umtrieb, sondern fragen, „Warum betreiben wir welche Theologie?“ bzw. „Warum theologisieren wir?“ Vor genau zwei Jahren waren wir in einer Ausgabe des Magazins für Kunst, Kultur, Theologie und Ästhetik unter der Überschrift „Theologische Biographien“ in einigen „Personal Essays“ den ersten Schritten auf dem Weg zu einer theologischen Existenz heute nachgegangen. Es ging nicht zuletzt um das Studium, die Dozent:innen, die Mitstudierenden sowie die Vorlesungen und Seminare.

Schon damals hatten wir überlegt, ob das Thema nicht in dem Sinn fortgesetzt werden müsste, dass wir fragen, was uns nach all der Zeit denn heute theologisch bestimmt, welche Wege und Holzwege wir theologisch gegangen sind und auf welche Grundlagen wir uns berufen. Die Überlegungen dazu legen wir in dieser Ausgabe vor.


Am 23. Januar 2023 verstarb der große Theologe Wilhelm Gräb im Alter von 74 Jahren. Mit ihm verlieren wir einen der bedeutenden liberalen Theologen der Gegenwart und wichtigen Theoretiker der Begegnung von Religion und Kultur. Wir waren ihm jahrzehntelang verbunden. Er hat unser Projekt des Magazins für Kunst, Kultur, Theologie und Ästhetik über die gesamte Zeit kritisch begleitet und mehrere Texte beigesteuert. Wenige Minuten nach Erscheinen eines Heftes rief er es auf, las es und gab sein Feedback. Das war faszinierend.

Die Herausgeber haben mit Wilhelm Gräb zuletzt im Juni 2022 im Rahmen der Summerschool Media and Religion zur Documenta fifteen in der Ev. Akademie Hofgeismar zusammengesessen.

Schon damals ging es ihm nicht gut, aber er wollte unbedingt mit seinen Studierenden an der documenta teilnehmen, so wie er es in den 15 Jahren zuvor im Rahmen der Summerschool Media and Religion getan hatte.

Wir werden Wilhelm Gräb vermissen, der unsere Biographien auf die eine oder andere Weise verändert und geprägt hat.

Im aktuellen Heft dokumentieren wir einen Text von ihm, den er 1997 für das von Jörg Herrmann, Andreas Mertin und Eveline Valtink herausgegebene Buch „Die Gegenwart der Kunst“ geschrieben hat. Er ist ein bereichernder Beitrag auch zum aktuellen Heftthema.

Wir überlegen aber auch, uns in einem der kommenden Hefte intensiver mit ihm auseinanderzusetzen.


In der Rubrik VIEW schreibt Wolfgang Vögele einen grundlegenden Essay nicht nur zu den Großwetterlagen des Zeitgeistes und den Kleinwetterlagen der Theologie, sondern auch dazu, welche Bewegungen der Gegenwartstheologie ihn faszinieren und motivieren und an welcher Stelle er skeptisch bzw. zurückhaltend geworden ist. Er beschließt seinen Essay mit den Worten: „Es ist Zeit, die Theologie neu zu definieren, als gemeinsame Arbeit an Sinnsuche und Orientierung, unter Rückgriff auf die theologischen Traditionen, welche Gemeinde und Glaubende seit Jahrhunderten begleiten. Diese gemeinsame Anstrengung besitzt eine individuelle und eine öffentliche Seite. Letztere darf nicht zu Moralismus, Fundamentalismus oder Positionalismus verdünnt werden. Schon gar nicht darf dieser Diskurs binnenkirchlich oder politisierend verkürzt werden. Mit dieser Neuorientierung öffnen sich für die Theologie eine ganze Reihe von neuen Feldern. Die Gesprächspartner, um diese neuen Felder gemeinsam zu bestellen, stehen in Theologie und Gemeinde, aber auch in Kunst und Literatur längst in der Startposition.“

Andreas Mertin fragt in einer Reihe von Notizen danach, was „theologisieren“ eigentlich bedeutet, in welcher Landschaft bzw. Architektur von Theologie er sich beheimaten möchte, was ihn davon abhält, von einer Theologie der Kultur zu sprechen und von welchen Ankerpunkten aus er theologisieren möchte.

Jörg Herrmann setzt sich in seinem Beitrag mit einem kleinen Buch auseinander, das für einen atheistischen Glauben plädiert und fragt: Geht das?

Im SPECIAL ARTIFICIAL INTELLIGENCE beschäftigt sich Andreas Mertin mit den beiden jüngst freigegebenen KI-Bots Chat-GPT und DeepL Write. Was können sie für die tägliche Arbeit, für die Universität und die Schule leisten, wo liegen ihre Grenzen und wo ihre Chancen?

In den CAUSERIEN untersucht Andreas Mertin zwei ikonographische Motive: zum einen den Umgang mit Kunstwerken in Weihnachtsgrußkarten, zum anderen die Bedeutung, die einem Habit in der heutigen Zeit zukommt.

Unter POST erläutert Andreas Mertin als Herausgeber die Regeln, nach denen das Magazin für Kunst, Kultur, Theologie und Ästhetik in der Genderfrage verfährt.

Und schließlich fasst der THEOMAGBLOG die Blogeinträge der letzten zwei Monate zusammen.


Für dieses Heft wünschen wir eine erkenntnisreiche Lektüre!

Andreas Mertin, Wolfgang Vögele und Karin Wendt
sowie Jörg Herrmann und Horst Schwebel


Planungen 2023

In der kommenden Ausgabe 142, die im April erscheint, fragen wir nach den persönlichen Playlisten der Autor:innen bzw. Leser:innen im Bereich von Art & Culture: was sind wichtigste, inspirierende, wirkungsmächtigste Beiträge in Kunst, Literatur, Musik, Kino etc.?

Wir bitten unsere Leser:innen um eine Playlist aus einem kulturellen Bereich, also zur Musik, zur Literatur, zur Kunst, zum Theater etc. Schreiben Sie, was sie an den einzelnen Artefakten fasziniert, was Sie daraus lernen, wie es Sie motiviert oder herausfordert. Selbstverständlich können auch mehrere Playlists zu unterschiedlichen Kultursparten eingereicht werden. 

Die Ausgabe 143, die im Juni erscheint, fragt nach den Voraussetzungen des Verstehens von Kultur, nicht nur in soziokultureller Perspektive. Wir haben 20 Jahre des museumspädagogischen Aufbruchs hinter uns. Wie hat das die Museen und die Kultur verändert? Was muss man heute einbringen, um mit Kultur umgehen zu können, was müssen Institutionen leisten, wenn sie Kunstwerke nicht nur als petrifizierte Objekte der Geschichte präsentieren wollen? Nicht zuletzt die Frage, die sich im Jahr 2022 als virulent erwiesen hat, welchen Beitrag die Bilder zum fortbestehenden Antisemitismus liefern und welche Rolle Museen und Kunstinstitutionen dabei einnehmen, wird uns dabei beschäftigen.

Die Magazinausgabe 144, die im August erscheint, beschäftigt sich mit der Frage, wie es im Alltag der Kirche und im Unterricht gelingen kann, Bilder angemessen zur Sprache zu bringen, also sie nicht als Illustration vorgängiger theologischer bzw. biblischer Texte zu missbrauchen, sondern ihre Eigensprachlichkeit zu Wort kommen zu lassen. Anhand konkreter Werke wollen wir in eine Seh- und Wahrnehmungsschule einsteigen.

Die Ausgabe 145 wird im Oktober dann rund um das große Thema Kino, Film und Religion kreisen. Eine Fülle von Beiträgen wird das Thema aus ganz unterschiedlichen Perspektiven erschließen.

Das Thema der Ausgabe 146 im Dezember 2023 haben wir noch nicht festgelegt, die Redaktion nimmt gerne Anregungen der Leserinnen und Leser entgegen.

Falls Sie zu einem der geplanten Hefte einen Beitrag liefern möchten, setzen Sie sich gerne mit der Redaktion in Verbindung.

Haben Sie Verständnis dafür, dass nicht immer alles in jedes Heft passt, aber wir freuen uns auf alle Beiträge, die zum Konzept dieser Zeitschrift und in das jeweilige Heft passen.



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