Das Caffè Pedrocchi

Die gelebte Offenheit

Andreas Mertin

Ehrlich gesagt, ich habe ein gespaltenes Verhältnis zum Caffè Pedrocchi in Padua. Ich schwärme für seinen demokratischen Mythos, aber jedes Mal, wenn ich heute davorstehe, kommt es mir wie ein versnobtes Café des späten 20. Jahrhunderts vor. Die Menschen, die ich dort sehe, sind kein Spiegel der Gesellschaft, anders als bei vielen anderen Lokalitäten in Padua, in und vor denen man seinen Espresso genießen kann. Es ist eher ein Ort der Happy Few geworden. Früher lernte man dort das venezianische Leben, die Frauen in Cafés kennen – wie Stendhal schreibt.

«C'est à Padoue que j'ai commencé à voir la vie à la vénitienne, les femmes dans les cafés. L'excellent restaurateur Pedrocchi, le meilleur d'Italie.» [Stendhal]

Das Caffè Pedrocchi ist ein Café, das im 18. Jahrhundert im Zentrum von Padua gegründet wurde. Es hat architektonische Bedeutung, da seine Zimmer in verschiedenen Stilen eingerichtet wurden und vom Architekten Giuseppe Jappelli in einem vielseitigen Ensemble arrangiert wurde. Das Café hat historische Bedeutung aufgrund seiner Rolle bei den Unruhen von 1848 gegen die Habsburgermonarchie sowie als Anziehungspunkt für Künstler im letzten Jahrhundert, vom französischen Schriftsteller Stendhal über Lord Byron bis zum italienischen Schriftsteller Dario Fo. Bis 1916 war es rund um die Uhr geöffnet.

Wie stolz die Bewohner Paduas auf diese Kaffeehaus-Kultur des Pedrocchi waren kann man daran erkennen, dass auf den ersten Stadtplänen, die 1840 mit touristischen Hinweisen ausgestattet wurden, wohin man als Besucher zu gehen habe, ganz selbstverständlich das Caffè Pedrocchi auftaucht. Und auch der Baedecker hält fest, dies sei der Stolz der Stadtbürger. Es rangiert auf den entsprechenden Karten auf derselben Ebene wie die Sala della Ragione.

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Artikelnachweis: https://www.theomag.de/133/am735k.htm
© Andreas Mertin, 2021