Abendmahl Online feiern

Überlegungen zu einer inklusiven Abendmahlspraxis in einer digitalen Kultur

Thomas Melzl

1. Der Prozedureinsprungspunkt konnte nicht gefunden werden

So lautet ein gelegentlich auftauchender Fehler bei Windows®. Wenn dieser ominöse Einsprungspunkt vom Betriebssystem nicht gefunden wird, dann kann ein Programm nicht gestartet werden. Auch bei unserem Thema kommt es darauf an, den richtigen Einsprungspunkt zu finden. Es gibt allerdings eine ganze Reihe von möglichen Einsprungspunkten bei diesem Thema, d.h. es bedarf zunächst einer Vorklärung und einer Verständigung darüber, über was wir hier eigentlich sprechen, wenn es um das Thema einer Abendmahlsfeier geht, die „online“ zugänglich gemacht und eben auf diese Weise gefeiert wird. Dem werden wir zunächst nachgehen, bevor wir uns dann den einzelnen Erscheinungsformen widmen.

1.1 Der von allen Seiten zunächst vorgebrachte Einsprungspunkt war eine Argumentation, die sich auf die besondere Notsituation berief, welche die Corona-Pandemie bedeutete und noch immer bedeutet. Während aber die einen mit diesem Argument nur eine zeitweilige Ausnahmesituation begründen wollten, also Maßnahmen und vor allem Erlaubnisse, die strikt nur während der Pandemie gelten soll(t)en und nach ihrem Ende wieder zurückgenommen werden können, verbinden andere damit den Beginn einer weitergehenden Öffnung, die ihnen längst überfällig erscheint, zumal was den offensichtlichen Nachholbedarf der Kirchen in Sachen Digitalität anlangt.

Allerdings sollte es meines Erachtens tunlichst vermieden werden, mit Notlagen zu argumentieren, denn eine Argumentationsstruktur, die sich selbst von einer Notlage abhängig macht, übersieht nicht nur die prinzipielle Bedeutung des Sachverhalts. Dies führt auch dazu, dass ohne Not prinzipielle Überlegungen an zufällige äußere Bedingungen gebunden werden. Damit soll freilich nicht gesagt werden, dass Traditionen nicht auch auf dem Hintergrund längerfristiger oder kurzfristiger kultureller Transformationen weiterentwickelt werden können. Um die Frage des Verhältnisses von Tradition und Innovation soll und kann es hier aber nicht gehen. Es geht hier allein darum, dass eine Argumentation, die sich von einer Notlage abhängig macht, unweigerlich selbst in die Notlage geraten wird, ihre Plausibilität einzubüßen, sobald die Notlage vorübergegangen ist.[1] Dies geschieht beispielsweise dann, wenn dem Verdacht unnötigerweise Vorschub geleistet wird, als ginge es hier nur um ein kirchlich-institutionelles Kalkül, bei dem Erlaubnisse nach der Schwere der Notlage erteilt werden, aber nicht, weil die Sache selbst es erfordern würde.[2] Auf diese Weise kann auch kein Konsens in der Sache erzielt werden, der auf Einsicht aufbaut. Von daher macht die Notlage die Not der Argumentation sichtbar, indem sie einen theologischen Ausnahmefehler aufdeckt.

1.2 Ein zweiter Einsprungspunkt sind jene Argumentationsmuster, die das Problem der Online gefeierten Abendmahle entweder als Frage der Sakramententheologie oder als Frage der theologischen Anthropologie angehen und bearbeiten wollen.[3] Geht es demnach beispielsweise um dogmatische Kriterien dafür, unter welchen Bedingungen ein Abendmahl „rite“ eingesetzt und gefeiert werden kann? Oder geht es darum, inwiefern sich auch dadurch der Leib Christi konstituieren kann? Nicht zuletzt wird durch die ekklesiologische Fragestellung ein Augenmerk auf den Aspekt der Inklusion am Leib Christi gelegt, weil ein Online gefeiertes Abendmahl für betroffene Menschen eine Möglichkeit sein kann, überhaupt wieder an einem Abendmahl teilzunehmen.

An den beiden Enden dieses als Spektrum gedachten Einsprungspunktes theologisch-anthropologischer Fragen werden zwei Extrempositionen vertreten: Auf der einen Seite des Spektrums steht die Position, dass der dreieine Gott was immer er will, überall und auf jede Weise wirken kann. Nicht zuletzt wird dabei auf den Heiligen Geist, der weht, wo er will, hingewiesen. Gelegentlich wird dieses Argument auch mit dem rechtfertigungstheologischen Prä des Handelns Gottes gegenüber dem Menschen verbunden. Auf der anderen Seite des Spektrums steht die Position, dass es bei dieser Frage vor allem auf die Haltung des Empfangenden ankomme, durch welche die Gültigkeit des „pro me“ gewährleistet würde, auf das je individuell ausgeprägte Bedürfnis nach der Teilnahme an einer Abendmahlsfeier oder die Stimmigkeit, mit der unterschiedliche Feierformen erlebt werden. In diesem Zusammenhang kann dann auch mit den in der Seelsorge sensibel zu behandelnden Ausnahmefällen argumentiert werden.

Allerdings sollten diese an den beiden Enden des Spektrums befindlichen Argumentationsmuster in dem vorliegenden Fall nicht nur äußerst sparsam, am besten aber überhaupt nicht verwendet werden. Ihre Problematik besteht nämlich nicht darin, dass sie falsch sind. Im Gegenteil ist es ihre stets zuzugebende Richtigkeit, die sie in diesem Fall für eine theologische Urteilsbildung unbrauchbar machen. Ein theologisches Urteil und eine daraus resultierende liturgische Gestaltung kann aber nur dann zustande kommen, wenn man die Bedingungen angeben kann, wann es sich um eine Abendmahlsfeier handelt und wann nicht. Weder gegen das Wehen des Geistes, noch gegen subjektive Erfahrungswerte kann aber schlüssig argumentiert werden. Gegenüber beidem kann nur auf das Bekenntnis verwiesen werden, dass sich Gott selbst um unseretwillen an die Gnadenmittel von Wort und Sakrament gebunden und darauf seine Verheißung gelegt hat.[4]

Diese doch sehr weit auseinanderliegenden Extrempositionen werfen aber letztlich die Frage auf, ob es hier überhaupt noch zu einem Konsens kommen, ja, ob man einander überhaupt noch verstehen kann. Denn Argumente sind nicht schon aus sich selbst heraus plausibel, sondern werden es immer erst in einem geteilten Deutungsrahmen. Dennoch kann es nicht anders geschehen, als dass im Gespräch um die richtigen Einsichten gerungen und geworben wird.

1.3 Ein dritter Einsprungspunkt ist zweifelsohne das Medium, mit dem wir es hier zu tun haben. Dabei ist das Medium als solches längst (aber vielleicht nicht jedem in derselben Weise) bekannt Auch experimentelle Versuche mit Gottesdiensten, die sich dieses Medium zunutze machen, gibt es bereits seit einigen Jahren.[5] Irritierend ist höchstens die durch die Corona-Pandemie ausgelöste Beschleunigung. Der weit gesteckte kulturelle Rahmen, in dem auch das Phänomen der Online gefeierten Abendmahle seinen Platz hat, ist die umfassende Digitalisierung der Gesellschaft.[6] Unter dieser Perspektive wird die Frage nach den Online gefeierten Abendmahlen zur Frage nach der Digitalisierungsfähigkeit von Kirche überhaupt. Unter oikodomischen Gesichtspunkten geht es hierbei darum, dass Kirche nicht den Anschluss an die nachwachsende Generation verliert. Deutlicher vielleicht noch als auf dem dogmatischen Feld stehen sich hier die Fronten gegenüber, wobei hier am weitesten mit Killerphrasen, Vermutungen und Unterstellungen gearbeitet wird, vielleicht auch aus gegenseitiger Unkenntnis gearbeitet werden muss.

Die in diesem Zusammenhang oft vorgebrachte Unterscheidung zwischen den sog. digital natives, also solchen, die von Geburt an in einer digitalen Kultur aufgewachsen sind und mit ihren Möglichkeiten selbstverständlich umgehen können, und den sog. digital immigrants, also solchen, die in einer prä-digitalen Kultur und also mit analoger Kommunikation aufgewachsen sind, ist eigentlich keine Unterscheidung der Generationen, sondern der Lebenshaltung, des Selbstverständnisses, des eigenen In-der-Welt-seins, und nicht zuletzt dessen, was man sich vorstellen und als möglich erachten kann.[7] Diese wird nicht zuletzt an dem gerade auch für das Abendmahl so bedeutsamen Frage nach Leiblichkeit und Präsenz offensichtlich. Freilich auch nur als Unterstellung kann gesagt werden, dass digital natives zwar zwischen digitaler und analoger Kommunikation unterscheiden können, es für sie aber keinen Unterschied hinsichtlich Nähe und Distanz bedeutet. M.a.W. kann ihnen sogar digitale Kommunikation näher und intensiver erscheinen als analoge. Dagegen spricht im Übrigen nicht die mittlerweile festgestellte Müdigkeit in Sachen digitaler Kommunikation. Es ist nämlich nicht das der Punkt, dass digital natives analoge Kommunikationsformen nicht schätzen würden, das tun sie sehr wohl.[8] Anders als bei den digital immigrants, denen die digitale Kommunikation womöglich immer etwas Fremdes bleiben wird, können digital natives beides; sie können in beiden Welten gleichermaßen leben, zwischen beiden Welten hin und her wechseln und beide Welten miteinander verbinden. Von daher sollte das Argument der digitalen Ermüdung nicht dazu verwendet werden, die anstehende Digitalisierung weniger Ernst zu nehmen.

Letztlich geht es bei diesem Einsprungspunkt aber wie gesagt weniger um ein Online gefeiertes Abendmahl, als vielmehr um die ekklesiologischen und oikodomischen Herausforderungen der digitalen Kultur, vor allem mit Blick darauf, digital natives nicht auszuschließen.

1.4 Was folgt aber nun aus diesen unterschiedlichen Einsprungspunkten für den Weg, den wir hier beschreiten wollen? Der Einsprungspunkt gibt nämlich auch die Kriterien an die Hand, mit deren Hilfe es uns möglich wird, die unterschiedlichen Erscheinungsformen, in denen ein Online gefeiertes Abendmahl auftreten kann, zu bewerten. Das soll im nächsten Punkt geschehen. Hier sollen nun abschließend die beiden Kriterien in Form von Thesen vorgestellt werden. Dabei machen wir uns den Zwiespalt der beiden Extrempositionen zwischen den systematisch-theologischen Anforderungen einerseits und den praktisch-theologischen Notwendigkeiten andererseits zunutze:

a) Die Selbstbindung des dreieinen Gottes an die Heilsmittel von Wort und Sakrament grenzt sich einerseits davon ab, die Präsenz Christi in den Elementen und in der Gemeinschaft der Seinen (= seinem Leib) auch außerhalb dieses Geschehenszusammenhangs feststellen zu können, und auf der anderen Seite, die Wirksamkeit der Heilszueignung einseitig an den subjektiven Empfang zu binden. Das wäre das systematisch-theologische Leitkriterium.[9]

b) Für die hier gewählte Perspektive ist das gemeinsam geteilte Leben ausschlaggebend, in dessen Mitte die Feier des Heiligen Abendmahls stattfindet. Gegenüber der Konstituierung des Leibes Christi sind Einsetzung und Empfang sekundär zu bedenkende Faktoren. Paradigma für ein Online gefeiertes Abendmahl könnte daher die bereits bestehende Praxis des Krankenabendmahls sein, genauer jene Form der „Einbeziehung Kranker in den Gottesdienst der Gemeinde“[10]. Dadurch wird letztlich der Gedanke der Inklusion zum praktisch-theologischen Leitkriterium.

2. Ein schwerer Ausnahmefehler ist aufgetreten

Was zu einem schweren Ausnahmefehler führt, kann sehr unterschiedlicher Natur sein. Es scheint eine Art Sammelbezeichnung für eine Vielzahl von unterschiedlichen Möglichkeiten zu sein, wie ein Betriebssystem abstürzen kann. Plötzlich geht nichts mehr. Das System ist eingefroren und auch die Tastenkombination der letzten Rettung (STRG+ALT+ESC) funktioniert nicht mehr. Im schlimmsten Fall erscheint der gefürchtete Blue Screen. Dann hilft nur noch ein Neustart. Ein Online gefeiertes Abendmahl, das unter den Bedingungen der Corona-Pandemie erstmals weiteren Kreisen zu Bewusstsein gekommen ist, scheint einer dieser schweren Ausnahmefehler zu sein. Es scheint nicht nur eine Ausnahme, sondern vor allem fehlerbehaftet zu sein, was sich – so die Befürchtung – zu einem kompletten Systemversagen auswachsen könnte.

2.1 Von vielen Seiten ist mittlerweile viel darüber geschrieben worden, vor allem auch über die notwendige differenzierte Wahrnehmung des Phänomens.[11] Es ist ja die Frage, von was wir eigentlich sprechen, wenn wir über ein Online gefeiertes Abendmahl sprechen. Mit Gordon Mikoski[12] lassen sich drei mögliche Erscheinungsformen eines Online gefeierten Abendmahls unterscheiden:[13]

(1) Zum ersten die zeitgleiche Feier, bei der die Teilnehmenden entweder über ein Video-Konferenz-System nur an ihren Endgeräten versammelt sein können oder sowohl vor Ort in einem Kirchengebäude als auch zu Hause an ihren Endgeräten an der Feier teilnehmen (sog. hybride Form). Während die Gläubigen vor Ort im Kirchengebäude die Elemente, die zuvor auf dem Altar gestanden haben, empfangen, kommunizieren die Gläubigen an den Bildschirmen mit den von ihnen selbst bereitgestellten Gaben. Der Schwerpunkt liegt hier also auf der gemeinsam geteilten Zeit (und nicht auf dem auch noch gemeinsam geteilten ortsbezogenen Raum), der den Geschehenszusammenhang der Abendmahlsfeier gewährleisten soll.

(2) Zum zweiten die zeitversetzte Feier, bei der sich Teilnehmende die Aufzeichnung einer Abendmahlsfeier ansehen. Diese Form hat zwar dem Setting nach eine Nähe zur ersten Möglichkeit, ist aber durch weitere Probleme belastet, wie z.B. die dann nur noch gedachte und nicht mehr erlebte Gemeinschaft des Leibes Christi oder die Frage nach der Wirkung von aufgezeichneten Einsetzungsworten. Der Hinweis darauf, dass diese Bedenken für jemanden, der nicht weiß, dass es sich lediglich um eine Aufzeichnung handelt, keine Rolle spielen, ist sicher beachtenswert, entlastet die Sache aber nicht, sondern führt nur zu weiteren Problemstellungen.

(3) Schließlich noch eine Form der Feier, bei der sich alle Teilnehmenden in einem virtuellen Raum befinden und dort das aus „bits und bytes“ bestehende Abendmahl über Avatare (also digitale Repräsentationen des Selbst) in Empfang nehmen.

2.2 Alle hier genannten Varianten mögen auf die eine oder andere Weise zwar digital vermittelt sein, dies bedeutet allerdings nicht, dass nun die Digitalität als solche zum alleinigen Nenner der Kritik erhoben werden könnte.[14] Tatsächlich gibt es beträchtliche Unterschiede zwischen den genannten Erscheinungsformen.[15]

Die Digitalität ist nur insoweit ein Differenzkriterium als es dabei um deren Vollständigkeit geht. Unter dieser Perspektive wäre überhaupt nur die dritte Variante als ein in diesem Sinne „digitales“ Abendmahl zu deuten. Zwar gibt es auch in diesem Szenario User, die mit ihrem Körper in der physischen Welt vor einem Computer sitzen oder (und das ist ja das eigentliche Ziel, worauf es dabei hinauslaufen soll) ein Equipment aus 3-D-Brille, Datenhandschuh und VR-Ganzkörperanzug tragen.[16] Das alles soll aber nur dazu dienen, so vollständig wie es derzeit möglich ist, in die digitale Welt einzutauchen, also den physischen Körper soweit in den Hintergrund treten zu lassen, dass dieser mit seiner virtuellen Repräsentation verschmilzt und es somit eigentlich keinen Unterschied mehr zwischen beiden Welten gibt. Dagegen bedienen sich die beiden anderen Varianten lediglich einer fortschrittlichen digitalen Technik der Kommunikationsvermittlung, wobei die zweite Variante noch nicht einmal dies in Anspruch nehmen muss.[17] Diese und die damit zusammenhängenden liturgietheologischen Fragen gibt es mindestens seit der Verbreitung von erschwinglichen Aufzeichnungsgeräten für das ehemals analog „ausgestrahlte“ nun aber digital „gestreamte“ Fernsehprogramm und die entsprechende Vorhaltungen von Programminhalten in den diversen Mediatheken, die einen Zugriff zu jeder Zeit und an allen Orten erlauben.[18]

Aber nicht nur hinsichtlich des Grades an Digitalisierung besteht der Unterschied von Variante drei zu den ersten beiden Varianten, sondern vor allem auch in der Körperwahrnehmung und der daraus resultierenden Gemeinschaftserfahrung. Anders als bei der dritten Variante ist es für die erste Variante gerade nicht das Ziel, den eigenen Körper aus der Gleichung herauszunehmen, vielmehr ist die wechselseitige Sichtbarkeit und Wahrnehmung von Körpern (des realen eigenen und der realen fremden Körper) ein wesentliches Moment der Gemeinschaftsbildung und Gemeinschaftserfahrung. Die digitale Technik soll hier ja gerade helfen, dieses Moment über alle Schranken und Beschränkungen hinweg zu ermöglichen.[19] Insofern greift das von Mikoski pauschal auf alle drei Erscheinungsformen angewendete Argument der fehlenden Leiblichkeit gerade nicht.[20] Um es auf den Punkt zu bringen: Bei der ersten Variante handelt es sich um eine körperliche Gemeinschaft, in der auch körperlich kommuniziert wird.[21] Sofern an den jeweiligen Endgeräten der Videokonferenz wirkliche Menschen mit ihren wirklichen Körpern sitzen, die sich in dieser Weise auch wahrnehmen und miteinander interagieren, handelt es sich um eine Form der körperlichen Kommunikation, und um nichts anderes. Gegen Mikoski muss daher festgehalten werden, dass diese Variante weder die Menschwerdung Christi noch deren Bedeutung für die Leiblichkeit des Abendmahls infrage stellt.[22]

Die zweite Variante negiert zwar in diesem Sinne den eigenen Körper nicht, ihr gebricht es aber an der Erfahrung der Gleichzeitigkeit, die wiederum Variante eins und Variante drei für sich beanspruchen können. Die zweite Variante negiert damit aber die Körper der anderen und damit das Moment der Interaktivität, die jedes lebendige Geschehen auszeichnet. In Variante eins (und auch in Variante drei) besteht zumindest die Möglichkeit, aktuell aufeinander reagieren zu können. In Variante zwei dagegen werden zwei unterschiedliche Zeitebenen verbunden, was dazu führt, dass ein Gottesdienst nicht „gefeiert“, sondern „gesehen“ wird. Und zwar kann er deshalb „gesehen“ werden, weil seine Zeit längst abgelaufen ist und er als Zeit-Stück bereits fertig vorliegt. Die Zeit bei einer „Feier“ dagegen ist immer die gegenwärtig ablaufende Zeit, in der man sich selbst befindet und die man mit den anderen teilt.

In allen drei Varianten wird damit im Übrigen der Raum zu einer Funktion der Zeit. Es handelt sich dabei freilich nicht um den physikalischen Raum, gewissermaßen als das örtlich begrenzte Umfeld einer Person oder mehrerer Personen, sondern um einen über interaktionale Bezüge geteilten Raum und eine über ebendieselben interaktionalen Bezüge hergestellte Gemeinschaft. Freilich bedarf es, um diese besondere Form der Gemeinschaft auch zu leben, einer Vorstellungskraft für das Virtuelle, dass alle Teilnehmenden, an welchen Orten sie sich auch immer befinden, zu einer Abendmahlsgemeinschaft gehören, auch wenn nicht alle Teilnehmenden in gleicher Weise physisch an einem Ort anwesend sind. Eine solche Vorstellungskraft für eine imaginierte Gemeinschaft wird den Glaubenden aber auch sonst abverlangt, und ist daher im Grundansatz nichts Außergewöhnliches, insofern sich die Gemeinschaft der Heiligen nicht nur auf die Lebenden, sondern immer auch auf die Toten bezieht.

Aus den genannten Gründen dürfte hervorgehen, dass wir uns im Folgenden nur mit der ersten oben genannten Variante eines Online gefeierten Abendmahls beschäftigen. Denn sie allein kommt den Erfordernissen, die wir an eine leiblich und zeitlich und insofern auch räumlich vermittelte Gemeinschaft stellen, am nächsten. Bei allen anderen Formen dagegen fehlt mindestens eines der genannten Erfordernisse.

2.3 Wie oben bereits angedeutet legen wir dem Online gefeierten Abendmahl das Paradigma des Krankenabendmahls zugrunde, genauer jene Form, die den Titel „Einbeziehung Kranker in den Gottesdienst der Gemeinde“ trägt. Wir tun dies, weil es sich gerade bei dieser Form ebenfalls um einen Ausnahmefehler handelt, um eine Form, die, legen wir strenge sakramententheologische Maßstäbe an, eigentlich fehlerhaft ist, die es aber als Ausnahme dennoch gibt.

Das Anliegen dieser Form besteht darin, Gemeindegliedern, die an der Abendmahlsfeier ihrer Gemeinde nicht teilnehmen konnten, dennoch daran teilhaben zu lassen, indem ihnen das heilige Abendmahl im unmittelbaren Anschluss gebracht wird. „Auf diese Weise werden sie in die gottesdienstliche Feier der Gemeinde einbezogen.“[23] Dabei soll der „Zusammenhang mit dem Gemeindegottesdienst … bei dieser Form der Austeilung deutlich erkennbar sein.“[24]

Die Form selbst kennt zwei Varianten: Variante A setzt voraus, dass Gemeindeglieder zumindest „durch die geöffneten Türen oder eine Übertragungsanlage an der ganzen Feier hörend teilnehmen oder wenigstens die Abendmahlsliturgie vernehmen“[25] konnten. Im Anschluss an den Abendmahlsgottesdienst werden den Gemeindegliedern die konsekrierten Elemente mit einer Spendeformel ausgeteilt. In Variante B ist die Möglichkeit der hörenden Teilnahme nicht gegeben. Dann wird in den Zimmern oder Häusern der Gemeindeglieder der Gottesdienst der Gemeinde vergegenwärtigt, u.a. indem die oder der Austeilende noch einmal die Einsetzungsworte über den mitgebrachten Gaben spricht, wobei es sich bei den Austeilenden nicht um eine ordinierte Person handeln muss.[26]

Wir übergehen an dieser Stelle, dass es sich bei dieser Form um den Versuch handelt, an eine altkirchliche Praxis anzuknüpfen und kommen gleich auf die jeweiligen Ausnahmefehler zu sprechen:

In Variante A werden die Elemente aus dem Geschehenszusammenhang einer Abendmahlsfeier gerissen und zeitlich versetzt ausgeteilt, wobei der Idealfall vorausgesetzt ist, dass die Teilnehmenden die Einsetzungsworte vernehmen konnten. Dies ist insofern wichtig, als dadurch gerade der Anschein vermieden werden soll, als würde die Präsenz Christi gewissermaßen als an den Elementen haftend gedacht werden, so dass diese nun, losgelöst von dem Geschehenszusammenhang, aus dem sie entnommen sind, transportabel werden. Erklärlich wird dies eben aus der Konzentration auf den Akt, bei dem Wort und Zeichen immer beieinander sein müssen. An dieser Stelle zeigt sich nun aber, dass die sakramententheologische Frage von der ekklesiologischen Frage überlagert wird. Denn die Frage nach der Präsenz Christi rückt gegenüber der Frage nach der Gemeinschaft am Leib Christi in den Hintergrund. Insofern transportieren die von der gemeinsamen Abendmahlsfeier genommenen Elemente zwar nicht die heilsame Präsenz Christi, sie transportieren aber das Symbol der Teilhabe am Leib Christi. Deshalb kommt es entscheidend auf die Identität der Elemente an. Letztlich soll das Aussprechen der Spendeformeln eine Vergegenwärtigung der Gemeinschaft des Leibes Christi bedeuten, an dem dieses Gemeindeglied – aus welchen Gründen auch immer – nicht teilnehmen konnte.

In Variante B dagegen werden dieselben Elemente noch einmal konsekriert. Diese doppelte Konsekration ist auf dem Hintergrund einer Logik, die alles auf den Akt legt, ebenfalls schlüssig. Denn Leib und Blut Christi werden in der Feier des Abendmahls mit Brot und Wein mittels der als Verheißungsworte zu verstehenden Einsetzungsworte „zusammengesprochen“, so dass sie verbunden sind ohne jedoch identisch zu werden.[27] Auf dem Hintergrund der Ubiquitätslehre explizieren die Stiftungsworte die Präsenz Christi, „machen“ ihn aber nicht gegenwärtig.[28] Da keine Substanzen gewandelt werden ist es notwendig die Verheißungsworte als Stiftungsworte im Zusammenhang mit den Elementen auf den Glauben des jeweiligen Empfängers hin auszusprechen. Es soll also auch hier eine quasi- materiellen Anschauung von vorne herein unterbunden werden. Wenn man so will, dann dominiert in dieser Variante die sakramententheologische Frage über die ekklesiologische Frage. So sehr es auf der einen Seite sakramententheologisch sicher richtig ist so zu verfahren, wird auf der anderen Seite die ekklesiologsiche Dimension geschwächt. Denn diese Form will ja gerade nicht ein Hausabendmahl sein, sondern die Verbindung herstellen zwischen einer Abendmahlsfeier an dem einen Ort und einem Gemeindeglied an einem anderen Ort, das an dieser Abendmahlsfeier nicht teilnehmen konnte, so dass sich das – aus welchen Gründen auch immer – fern gebliebene Gemeindeglied als Teil des Leibes Christi verstehen kann. Wird aber jene Vorstellung durch eine doppelte Konsekration nicht entscheidend geschwächt? Wird nicht der intendierte Zusammenhang des Leibes Christi auch über die raumzeitlichen Grenzen hinweg aus Angst vor den möglichen negativen sakramententheologischen Konsequenzen dieser Form untergraben? Es soll ja, wie gesagt, keine private Abendmahlsfeier sein, sondern die Teilnahme an der einen Abendmahlsfeier der Gemeinde, bei der die Einsetzungsworte bereits gesprochen worden sind. Es sei denn, es handelte sich bei diesen gar nicht um „echte“ Einsetzungsworte, zumal sie ja auch von nicht-ordinierten Personen gesprochen werden können sollen. Dann wäre die Vergegenwärtigung des Gemeindegottesdienstes als eine Art Nachspielen zu verstehen. Aber kann dies wirklich die Absicht einer Agende und dieser Form sein?

Ein Problem trifft indes auf beide Varianten zu: Dass es sich in beiden Fällen wirklich um die Elemente handelt, die vom Abendmahlstisch genommen worden sind, das kann nur durch die austeilende Person selbst beglaubigt werden. Man könnte sich aber leicht ein Szenario vorstellen, bei dem die Elemente während des Liefervorgangs verloren gehen und – aus Not – durch andere ersetzt werden. In diesem Fall sollte die von dieser Form aufgerichtete Imagination eigentlich zerstört sein und könnte darum auch nicht durchgeführt werden. Zumindest kann die zeitliche Dilatation Zweifel an den Elementen und den Zusammenhang mit der gemeindlichen Abendmahlsfeier aufkommen lassen. Umgekehrt zeigt diese Form aber auch, wie sehr eine Abendmahlsfeier auf dem Vertrauen der Gemeindeglieder untereinander gründet.[29] Nur aufgrund dieser Vertrauensbasis kann eine Abendmahlsfeier in einer würdigen (und darum auch gültigen) Weise gefeiert werden, mögen die Glieder am Leib Christi beieinander oder getrennt voneinander sein.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Autorinnen und Autoren dieser Form, lange bevor überhaupt an eine digitale Kultur zu denken war, bereits eine medialisierte Feier des Heiligen Abendmahls in Anknüpfung an altkirchliche Praxis gestaltet haben, die aber mit erheblichen Zweifeln (Zweifel an der Wirklichkeit der Konsekration und Zweifel an der Wirklichkeit der Elemente) behaftet ist. Dennoch genießt diese Form einen agendarischen Rang in unserer Kirche. Das sollte gerade hinsichtlich eines Online gefeierten Abendmahls zu denken geben. Die entscheidende Frage lautet daher, ob nicht ein Online gefeiertes Abendmahl jene Probleme beheben kann, welche durch das Anliegen einer inklusiven Abendmahlsfeier nach der Form der „Einbeziehung Kranker in den Gottesdienst der Gemeinde“ mitgegeben sind? Neben dem Zweifel an der Identität der Elemente ist es vor allem das Problem der Teilnahme am selben Geschehenszusammenhang. Dieser Geschehenszusammenhang kann bei der Form der „Einbeziehung Kranker in den Gottesdienst der Gemeinde“ immer nur nachträglich aber niemals gleichzeitig hergestellt werden. Sie erlaubt nur die Kommunion der Elemente in einem privaten Setting ohne die gleichzeitige Wahrnehmung auch der anderen Glieder am Leib Christi. Ein Online gefeiertes Abendmahl hätte demgegenüber den Vorteil, am selben Geschehenszusammenhang teilnehmen zu können und sich gegenseitig wahrzunehmen, was unter den Gegebenheiten einer digitalen Kultur die vielleicht weitestgehende Einbeziehung in den Gottesdienst der Gemeinde ist.

3. Der angegebene Treiber ist ungültig

Ein Gerätetreiber gewährleistet das einwandfreie Zusammenspiel zwischen Hardware und Software.  Mittlerweile funktioniert das sogenannte „Plug and Play“ erstaunlich gut, d.h. das Betriebssystem erkennt im Regelfall eigenständig die per USB angeschlossene Hardware und installiert den zugehörigen Treiber automatisch. Damit das Zusammenspiel zwischen Hardware und Software aber auch weiterhin klappt, ist es von Zeit zu Zeit notwendig, alte Treiber zu aktualisieren. Sie halten dann meistens auch neue Funktionen bereit. Wenn man so will geht es auch bei einem Online gefeierten Abendmahl um das richtige Zusammenspiel zwischen Hardware und Software, zwischen der objektiven Wirklichkeit des Abendmahls und der Form der Mitteilung, zwischen der Gabe und den Gaben. In Frage steht, ob sich der richtige Treiber finden lässt, um das Ganze auch zum Laufen zu bringen.

3.1 Wir setzen dabei voraus, dass es sich bei einer Teilnahme an einer Abendmahlsfeier via Videokonferenzsystem nicht um eine defizitäre, sondern um eine vollgültige Weise der Teilnahme – in Analogie zur Einbeziehung Kranker in die Abendmahlsfeier ihrer Gemeinde – handelt. Das bedeutet, dass sich auch auf diese Weise die Gemeinschaft des Leibes Christi konstituiert. Und im Gegensatz zur Form der nachträglichen Einbeziehung handelt es sich bei der Teilnahme via Videokonferenzsystem sogar um eine zeitgleiche und interaktive Möglichkeit der Teilnahme. Hier wird man unschwer den inklusiven Mehrwert einer solchen technikunterstützten Feierform erkennen können. Ein Online gefeiertes Abendmahl kann also den Zweifel an der wirklichen Teilhabe am Leib Christi ausräumen, indem Gemeindeglieder nicht erst nachträglich in die Feier integriert werden, obwohl diese schon zeitlich abgelaufen ist. Diese können vielmehr zeitgleich mitfeiern und werden von den anderen als Mitfeiernde wahrgenommen.

Es steht zu erwarten, dass ein Online gefeiertes Abendmahl auch die anderen Defizite der Form der nachträglichen Einbeziehung ferngebliebener Gemeindeglieder in die Abendmahlsfeier der Gemeinde überwinden kann. Bei dieser Form hatten wir zwei weitere Defizite festgestellt, die sich als der Form selbst inhärente Zweifel äußern: zum einen als Zweifel an der Wirklichkeit der Konsekration und zum anderen als Zweifel an der Wirklichkeit der Elemente.

3.2 Aber selbst wenn dieser Voraussetzung stattgegeben werden kann, so könnte das Online gefeierte Abendmahl doch noch an einer Sache scheitern, die wiederum die Form der Einbeziehung Kranker gewährleisten kann: die persönliche Zugeignung des Abendmahls mit einer Spendeformel. Es geht hier um die Frage nach der Gabe des Abendmahls.

Bei dieser Frage sind nun allerdings zwei Seiten zu unterscheiden: Auf der einen Seite zielt die Frage nach „der“ Gabe des Abendmahls darauf ab, welche Gabe in, mit und unter den Elementen eigentlich gegeben wird. Es ist dies die Frage nach der objektiven Wirklichkeit des Abendmahls. Auf der anderen Seite ist es ein nicht zu vernachlässigender, sondern ausschlaggebender Aspekt dieser Gabe, dass sie nicht an „den“ Gaben des Abendmahls vorbei gegeben wird. Das bedeutet, dass das Geben dieser Gabe in, mit und unter den Gaben zu ihrem Wesen gehört. Liturgisch gewendet wäre dies die Frage, ob die Geste der Gabe notwendiger Ausdruck dieses Zusammenhangs sein muss. Wir können an dieser Stelle die hier angesprochene Thematik nicht erschöpfend behandeln, sondern lediglich auf einige wenige Gedanken eingehen.[30] Von daher definieren wir „die“ Gabe des Abendmahls hier kurzerhand als das durch Christi Leiden, Sterben und Auferstehen für uns „erworbene“ Heil.

3.2.1 Traditionell gesprochen gehören die Gabe des Abendmahls und der Glaube der Kommunikanten zusammen. Dabei war es das Anliegen Luthers, die Wirkung des Sakraments den Glaubenden nicht anzulasten. Sosehr es wahr ist, dass das Sakrament im Sinne der Heilsgegenwart Christi in den Elementen von Brot und Wein nur im Glauben empfangen werden kann, sowenig hängt die Gegenwart Christi an diesem Glauben. Denn dies würde ja bedeuten, die Gegenwart Christi vom Grad des Glaubens abhängig zu machen, was wiederum bedeuten würde, die Heilsgewißheit des Glaubens auf tönerne Füße zu stellen. Das seelsorgerliche Anliegen Luthers war es dagegen, den Glaubenden die Heilsgewißheit auf eine Weise zuzusprechen, die gerade nicht vom Glaubenszustand des einzelnen abhängig ist. Und darum ist für Luther entscheidend wichtig, dass die Heilsgegenwart Christi in den Elementen ein „objektiv“ Gegebenes ist, an das sich der Glaubende halten kann, auch wenn sein Glaube von Anfechtungen und Zweifel heimgesucht wird.[31]

Wenn man so will, dann ist Luther durchaus an der Materialität dessen gelegen, auf das sich der Glaube bezieht, auch wenn er die Lehre von der Transsubstantiation ablehnt. Aus diesem Grund lehnt Luther auch die Schwärmerei der Spiritualisten ab, die letztlich überhaupt kein äußeres Sakrament mehr brauchen. Der kontroverstheologische Prüfstein lutherischer Abendmahlsauffassung war darum auch die Frage, was der Ungläubige zu sich nimmt, wenn er kommuniziert. Trifft hier zu, dass beim Abendmahl etwas geschieht, was ganz unabhängig vom Glauben ist und Bestand hat, dann kommuniziert auch derjenige Leib und Blut Christi, der nicht daran glaubt. Allerdings sind die Wirkungen solcher Kommunikation für den Gläubigen und den Ungläubigen durchaus verschieden, denn nur der Gläubige empfängt auch die heilsame Wirkung der Heilsgegenwart Christi. Das macht gerade das „pro me“ des Glaubens aus.

Allerdings wird der Gedanke in sein Gegenteil verkehrt, wenn daraus die subjektivistische Konsequenz abgeleitet würde, dass nicht nur die heilsame Wirkung der Heilsgegenwart Christi, sondern auch und vor allem diese Heilsgegenwart nur im Glauben wahr und wirklich würde. Um es platt zu sagen: man müsse es nur glauben, dass Christus in Brot und Wein gegenwärtig ist, denn dann sei er es auch, und zwar in der einzig ausschlaggebenden Weise, nämlich „für mich“. Dadurch würde der Glaube aber zu einem Für-wahr-Halten und damit zu einem konstruktivistischen Prinzip der Wirklichkeit.

Es ist also die Frage, ob die geforderte Objektivität auch in einem Online gefeierten Abendmahl für die Teilnehmenden gewahrt bleibt, die sich an ihren Endgeräten selbst Brot und Wein bereitgestellt haben und selbst kommunizieren.[32]

Eine solche Objektivität könnte nun gerade dadurch gewahrt bleiben, dass sich nicht nur der Leib Christi via Videokonferenz konstituieren kann, sondern, dass es dadurch auch möglich ist, Leib und Blut Christi miteinander zu teilen, und zwar unter dem Zugeständnis, dass die zu konsekrierenden Elemente nicht nur auf einem Tisch (dem Altar), sondern auf vielen Tischen stehen, und es entsprechend auch nicht eine Gleichheit der Elemente geben kann, sondern diese sich aus unterschiedlichen Brot- und Weinsorten zusammensetzen, aber dennoch dadurch das Symbol der einen Mahlfeier für alle dargestellt wird. Die Objektivität besteht eben darin, dass ich mit meinen Gaben nicht in einer solipsistischen Weise alleine bin, sondern eingebunden in die Gemeinschaft des Leibes Christi, in der mir und allen anderen von außen die Verheißung der Selbstbindung Gottes an Wort und Sakrament zugesprochen wird.

Genau das sollte als ein Fortschritt gegenüber der Form der nachträglichen Einbeziehung Kranker in das Abendmahl der Gemeinde gewertet werden. Denn anders als dort können bei der via Videokonferenz gesprochenen Einsetzungsworte keine Zweifel aufkommen: Weder, ob die Einsetzungsworte rite vollzogen worden sind (dies hört und sieht ja jeder via Videokonferenz), noch, ob die Elemente tatsächlich dieselben sind, oder auf dem Weg vom Altar nach Hause ausgetauscht wurden (jede und jeder weiß schließlich, was vor ihr oder ihm steht). Damit entgehen wir also der Kritik an jener Form, die zwar in ehrenvoller Weise eine nachträgliche Einbeziehung Abwesender in den Leib Christi beabsichtigt hat, aber über ein Erinnern oder Nachspielen nicht hinausgekommen ist, und gelangen zu einer Form, die nicht nur einen höheren Grad an Objektivität erreicht, sondern auch eine wirkliche Inklusion erlaubt.[33]

Freilich, und das sei als Nachsatz zu dem eben Gesagten ausdrücklich angemerkt, steht jede Gestaltung einer Abendmahlsfeier – wie die gesamte Schöpfung nach dem Fall – unter dem Verdikt der Ambivalanz. Das bedeutet, dass jeder Versuch einer Inklusion nicht anders bewerkstelligt werden kann, als dass dadurch zugleich auch neue Exklusionen geschaffen werden. Denn nicht jede und jeder kann sich eine entsprechende Videokonferenztechnik leisten geschweige denn bedienen.

3.2.2 Über die Objektivität der Gabe hinaus spielt nun aber die Geste des Gebens der Gabe eine bedeutsame Rolle. Denn dadurch wird der Charakter des Abendmahls als eines aszetischen Übungsfeldes herausgestellt, bei dem die Haltung des reinen Empfangenes eingeübt werden soll. Das ist sicher nicht von der Hand zu weisen und tatsächlich ein wichtiger Aspekt des Abendmahls, der mit der „kategorischen Gabe“[34] zu tun hat, die im Abendmahl gegeben wird. Die Gabe des Abendmahls steht – kurz gesagt – symbolisch für das, das sich niemand selbst geben kann, von dem aber alle leben.

Dennoch muss die Rückfrage erlaubt sein, ob an dieser Stelle nicht doch kulturelle Bedingtheiten theologisch überhöht werden, die auch anders gehandhabt werden können. Man könnte hier das Beispiel der Selbstkommunion anführen, die bis heute bei der Eucharistiefeier üblich ist.[35] Und gehört nicht auch die Intinctio – so umstritten diese auch ist – zumindest in den Graubereich zwischen Geben und Sich-selbst-Nehmen hinein: Mir wird zwar der Kelch hingehalten, aber ich nehme mir selbst mittels einer Hostie etwas Wein aus dem Kelch. Schließlich ist in der unmittelbaren Gegenwart in vielen Gemeinden nach hygienekonformen Austeilungsmöglichkeiten des Abendmahls gesucht worden. Zu diesen ästhetisch sicher nicht immer ansprechenden Versuchen gehört(e) auch die der Konsekration voraufgehende Bereitstellung von Wein in einem Einzelkelch und Hostien auf einer Untertasse, die sich die Kommunikanten dann selbst nehmen konnten. Dies mag man nun ebenfalls als eine Notlösung für Notzeiten ansehen, die aber eigentlich, sofern man den Gedanken der „kategorischen Gabe“, die sich dann auch in einer entsprechenden Geste verwirklicht, tatsächlich Ernst nimmt, nicht erlaubt sein dürfte.

Letztlich wird man auch hier wieder nur mit einer Unterstellung argumentieren können, die besagt, dass die Gläubigen, die sich ihr Brot und ihren Wein während eines Online gefeierten Abendmahls bereitgestellt und dann auch selbst verzehrt haben, darin sicher keinen Nachteil gesehen haben. Vielmehr muss doch davon ausgegangen werden, dass die- oder derjenige, die oder der sich selbst die Abendmahlsgaben vor einem Bildschirm bereitstellen, damit sie konsekriert werden, diese nicht wieder als diejenigen Gaben nehmen möchten, die sie oder er sich hingestellt haben. Dies alles geschieht doch in der Erwartung und dem Vertrauen, dass sie zu Leib und Blut Christi werden können und geworden sind.

Oder anders: hängt das Empfinden, dass es sich bei der Gabe des Abendmahls um eine „kategorische Gabe“ handelt, ausschließlich an der Geste des Gebens? Zwar wird während der Austeilung den einzelnen Gläubigen zugesagt, dass Christi Leib „für dich gegeben“ und Christi Blut „für dich vergossen“ ist, aber die besagten Sätze beginnen jeweils mit den Worten „Nimm hin“. Für die „kategorische Gabe“ reicht es also nicht hin, dass sie nur gegeben wird, sie muss auch genommen werden. Das Verhältnis von Geben und Nehmen ist daher eine bedeutsame Anfrage an ein Online gefeiertes Abendmahl, die mit Bedacht beantwortet werden muss.

Eine liturgische Gestaltung eines Online gefeierten Abendmahls müsste also ein zweifaches berücksichtigen: Auf der einen Seite müssten die vor den Bildschirmen jeweils bereitgestellten einzelnen Gaben als zur Gesamtheit der Gaben gehörig und damit als Teil der einen Gabe, um die es geht, angesprochen werden können. Auf der anderen Seite muss berücksichtigt werden, dass es der Fall sein kann (aber nicht muss)[36], dass die Gläubigen an den Bildschirmen sich ihre Gaben selbst nehmen, ohne dabei einer Selbstkommunion Vorschub zu leisten. Hier müssten also Formulierungen gefunden werden, die den Charakter des Gegebenseins gewährleisten, auch wenn es sich rein gestisch um ein Nehmen handelt.

4. Für diesen Vorgang ist nicht genügend Arbeitsspeicher verfügbar

Wenn zu viele Prozesse im Hintergrund parallel laufen, dann kann es schon einmal vorkommen, dass der Systemzwischenspeicher streikt und man nicht noch ein weiteres Programm ausführen kann. Dann hilft es entweder, versteckt mitlaufende Programme im Task-Manager abzuschalten oder den Arbeitsspeicher durch physische Speicherbausteine zu erweitern. Wie wird die Entscheidung für die Form eines Online gefeierten Abendmahls ausfallen: Muss es deaktiviert werden, weil es die Möglichkeiten unseres Arbeitsspeichers überschreitet, oder können wir uns eine Erweiterung unseres Arbeitsspeichers leisten?

Die hier vorgetragene Argumentation will eigentlich nicht als ein Plädoyer für die Möglichkeit eines Online gefeierten Abendmahls gelesen und verstanden werden, sondern dafür, nicht übereilt eine Position dafür oder dagegen zu beziehen. Es sprechen nämlich gewichtige Gründe sowohl für eine Bejahung als auch für eine Verneinung. Keine der beiden Seiten sollte es sich aber zu einfach machen. Das Problem besteht darin, dass eine Entscheidung darüber weder dekrediert noch demokratisch gefällt werden kann. Jede in welche Richtung auch immer getroffene Entscheidung wäre aber für sich genommen ein mutiger Schritt, und mit dem nötigen Respekt zu behandeln. Es ist nämlich mindestens ebenso mutig zu sagen, dass Kirche aus diesen und jenen Gründen bei einer ihrer zentralsten Lebensäußerungen auf physische Anwesenheit an einem gemeinsamen Ort nicht verzichten kann, eben weil dies zu einem Wesensmerkmal ebendieser Gemeinschaft gehört – wie zu sagen, dass sich Kirche auch in dieser Frage weder den neuen digitalen Möglichkeiten verschließt noch eine gewandelte Auffassung von leiblicher Anwesenheit ablehnt, sondern beides sowohl theologisch wie institutionell zu integrieren vermag.

Der Vergleich zwischen der „Einbeziehung Kranker in den Gottesdienst der Gemeinde“ und einem Online gefeierten Abendmahl zeigt letzten Endes, dass es nicht möglich ist, beides zugleich zu haben: Entweder wird ein größeres Gewicht auf die sakramententheologische Richtigkeit des Vollzugs gelegt, wodurch im Gegenzug die ekklesiologische Idee der Einbeziehung in den Leib Christi leidet. Oder es wird der ekklesiologischen Perspektive der Gleichzeitigkeit der Vorzug gegeben, dann müsste man aber unter Umständen Abstriche an der sakramententheologischen Richtigkeit des Vollzugs in Kauf nehmen.

In aller gebotenen Vorsicht wird man aber letztlich dennoch sagen dürfen, dass sich durch die digitalen Kommunikationsmöglichkeiten auch Möglichkeiten für diejenigen eröffnet haben, an dem Abendmahlsgottesdienst ihrer Gemeinde teilzunehmen, die – aus welchen Gründen auch immer – viele Jahre davon ausgeschlossen gewesen waren.

Anmerkungen


[1]    Freilich soll nicht verschwiegen werden, dass selbst Luther mit der Not argumentiert hat, als es darum gegangen ist, eine neue Gemeindeverfassung auf Grundlage des allgemeinen Priestertums aller Getauften zu entwickeln, vgl. WA 11,408-416 (Das eyn Christliche versammlung odder gemeyne recht und macht habe, alle lere zu urteylen und lerer zu beruffen, eyn und abzusetzen, Grund und ursach aus der schrifft. Martinus Luther, 1523), z.B. WA 11,413,11.

[2]    Es würde sich ja unschwer ein apokalyptisches Zukunftsszenario entwerfen lassen, in dem weite Teile der Bevölkerung überhaupt nur noch in Isolation leben können. Wäre dann also prinzipiell (!) erlaubt (weil es dann auch nicht mehr anders geht), was jetzt ebenso prinzipiell (!) abgelehnt wird. Nicht, dass es nicht erlaubt wäre, dass sich auch Prinzipien verändern, nur sollte dann diese Möglichkeit ein Teil des Prinzips sein.

[3]    Alle eingebrachten Argumente werden im Rahmen dieses Aufsatzes weder wiederholt noch diskutiert. Dazu sei u.a. verwiesen auf Matthias Kreplin: Über die Möglichkeit und die Gestaltung von online-Abendmahlsfeiern (Quelle), auf den zusammenfassenden Beitrag auf evangelisch.de (Quelle), auf die „Überlegungen zu der Frage, ob man Abendmahl online feiern kann oder soll“ von Kristian Fechtner (Quelle), auf die „Hinweise zum Umgang mit dem Abendmahl in der Corona-Krise“ von der EKD (Quelle), sowie auf den Blog theonet.de, und darin besonders auf die Beiträge von Ralf Peter Reimann (Quelle) und Claudia Daniel-Siebenmann (Quelle). Schließlich auf die Beiträge auf: CURSOR_: Quelle1 und Quelle2. Jüngst erschienen sind: Patrick Todjeras: Abendmahl feiern in Zeiten der COVID-19-Pandemie. Eine Krise, in: LuK 3 (2020), 55-83 sowie: Ralph Charbonnier: Digitales Abendmahl. Orientierungen für eine liturgisch verantwortliche Gestaltung aus semiotischer Perspektive. Ein Versuch, in: LuK 3 (2020), 84-99.

[4]    Vgl. dazu z.B. Jörg Baur: Abendmahl III. Dogmatisch 1. Evangelisch a) Lutherisch, in: RGG4 1 (1998), Sp. 31-36.

[5]    Das betrifft im Übrigen auch schon Versuche mit Abendmahlsfeiern, vgl. den Bericht von Anne Kampf auf evangelisch.de aus dem Jahr 2012 (Quelle). Ein aktuelles Beispiel sind die Gottesdienste auf: https://brot-liebe.net/.

[6]    Vgl. dazu: Felix Stalder: Kultur der Digitalität, Berlin 2016.

[7]    Die Begriffe sind von Marc Prensky (geb. 1946) geprägt worden: Quelle. Vgl. auch die ähnliche Unterscheidung bei Michel Serres: Erfindet euch neu! Eine Liebeserklärung an die vernetzte Generation, Berlin 20194, 13ff.

[8]    Die Befürchtung, dass die „digital natives“ jegliche Formen von leiblich-präsenter Kommunikation ablehnen oder diese komplett in digitale Formen überführen wollen ist nicht mehr als ein immer noch irrlichterndes Schreckgespenst, das aber mit der Realität nicht viel zu tun hat und sich allenfalls auf typologische Zerrbilder aus apokalyptischen Filmen und Fernsehserien bzw. den kulturkritischen Feuilletons, die darüber berichten, stützen kann.

[9]    Allerdings: So sehr es dem theologischen Reflex entspricht, das Problem mit einer systematisch-theologischen Besinnung auf die Grundlagen evangelischer Abendmahlsauffassung lösen zu wollen, so muss doch hinterfragt werden, wie zielführend so etwas sein kann. Tatsächlich stellt die Möglichkeit eines Online gefeierten Abendmahls die erste umnwälzende mediale Neuerung in dessen Praxis seit der Einsetzung Jesu von vor 2000 Jahren dar. Bis vor Kurzem war es schlichtweg undenkbar, Abendmahl anders als in analoger Weise mit vor Ort körperlich anwesenden Personen zu feiern. Bislang konnte sich eine systematisch-theologische Besinnung also auf Bedingungen beziehen, die die Zeit Jesu mit der Zeit Luthers und mit der Zeit bis zur Erfindung des Internet verbunden haben. Von daher kann eine systematisch-theologische Besinnung entweder nur zu dem Schluss kommen, dass ein Online gefeiertes Abendmahl nach Maßgabe der bisherigen Grundsätze nicht möglich, weil defizitär ist; oder sie kann versuchen, die bisherigen Grundsätze so weitgehend zu interpretieren, dass es doch möglich erscheint (obwohl die Grundsätze eigentlich dagegen sprechen). Die Frage bleibt also wie weit man gewillt ist, die Grundsätze zu dehnen, ohne dabei die eigene Identität zu verlieren. Es wäre in jedem Fall ehrlicher zu sagen, dass es aufgrund der bisherigen Grundsätze nicht möglich ist, als etwas mit schlechtem Gewissen zu behaupten. Es steht also zu vermuten, dass man hier Neues denken muss.

[10]   Vgl. Agende für Evangelisch-Lutherische Kirchen und Gemeinden, Bd. III: Die Amtshandlungen, Teil 4: Dienst an Kranken, hrsg. v. d. Kirchenleitung d. VELKD, Hannover 19963, 76ff.

[11]   Siehe oben, Fußnote 3. Wenn ich – anders als dies in den Artikeln unter Fußnote 3 üblicherweise geschieht – im Folgenden die Bandbreite des Phänomens mit einem Rückgriff auf die Unterscheidung Mikoskis reduziere, dann geschieht dies vor allem aus pragmatischen Gründen. Es ist m.E. nämlich wenig erfolgversprechend, alle damit zusammenhängenden Probleme zugleich lösen zu wollen.

[13]   Gordon Mikoski: Über die Mediation der Mediation der Mediation: Die (Un-)Möglichkeit von Online Abendmahl, in: LuK 1 (2018), 12-18. Vgl. zu dieser Differenzierung auch: Christian Grethlein: Abendmahl feiern in Geschichte, Gegenwart und Zukunft, Leipzig 2015, 231ff.

[14]   Im Folgenden gehe ich nur am Rande auf Mikoskis Argumentation ein, deren grundsätzliches Problem darin besteht, sich auf alle drei Erscheinungsformen insgesamt, ungeachtet deren Unterschiede im Einzelnen, zu beziehen.

[15]   Ganz außer Acht bleiben muss außerdem eine weitere Variante, die ebenfalls diskutiert worden ist, nämlich, ob nicht ehrenamtliche Gemeindeglieder ihre Gaben selbst konsekrieren könnten. Diese Variante muss aber nicht unbedingt etwas mit einer digitalen Feier des Abendmahls zu tun haben. Sie stellt vielmehr ein ganz eigenes nicht weniger grundsätzliches Problem dar. Nur soviel sei dazu angemerkt, dass es bei dieser Frage zu meines Erachtens ganz unevangelischen Argumentationsweisen kommt, die nicht nur mit der Frage der rechten Ordnung zu tun haben, sondern unter der Hand auch zu Machtfragen werden. Eine ganz unevangelische Argumentationsweise besteht z.B. in der Frage, ob die Gemeinschaft der Ordinierten an die Gemeinschaft aller Glaubenden zeitweilig die nur ihr zukommende Vollmacht der Konsekration abtreten können soll, damit wenigstens in kleinen Gruppen das Abendmahl gefeiert werden kann, wenn dies schon nicht mehr mit der gesamten Gemeinde der Fall sein darf. Das ist nun freilich mindestens kryptokatholisch und nicht vom evangelischen Verständnis des Priestertums aller Getauften her argumentiert. Harald Goertz hat in seiner Studie zu Luthers Amtsverständnis erwiesen, dass der Übertragungstheorie gegenüber der Stiftungstheorie stattzugeben ist. Demnach kommt jedem getauften Christen durch die Taufe als der eigentlichen Priesterweihe die Vollmacht zur Konsekration zu, nur verzichtet die Mehrheit der Gemeindeglieder auf die Ausübung dieser Befugnis zugunsten eines von ihr gewählten Amtsträgers, der in dieser Weise „ordnungsgemäß berufen“ ist (vgl. ders.: Allgemeines Priesterum und ordiniertes Amt bei Luther, Leipzig 20202 sowie ders.: Allgemeines Priestertum, in: RGG4 1 [1998], Sp. 316f.). Insofern kann an die Getauften auch nichts zeitweilig abgetreten werden. Die Richtung des Abtretens geht (wenn man überhaupt davon sprechen wollte) demnach immer nur von der Gemeinde an die Ordinierten und nicht von den Ordinierten an die Gemeinde, so als ob die Ordinierten außerhalb der Gemeinde stehend zunächst eine besondere Würde oder Vollmacht empfangen würden, die diese dann, sobald sie innerhalb der Gemeinde stehen mit dieser teilen könnten. Der Gemeinde kann nicht (zurück-)gegeben werden, weil dieser nichts genommen worden ist, was sie nicht sowieso besitzen würden. Umgekehrt kann aber eine Gemeinde zurücknehmen, was sie einer einzelnen Person, die stellvertretend für sie agiert, übertragen hat. Alles andere hieße einen besonderen Stand der Ordinierten begründen zu wollen.

[17]   Ich setze den Diskurs über das Medium Internet und dessen spezifischer Struktur an dieser Stelle als hinlänglich bekannt voraus, vgl. u.a. Stefan Münker / Alexander Roesler (Hrsg.): Mythos Internet, Frankfurt / Main 1997; Stefan Bollmann / Christiane Heibach (Hrsg.): Kursbuch Internet. Anschlüsse an Wirtschaft und Politik, Wissenschaft und Kultur, Hamburg 1998; Stefan Bollmann (Hrsg.): Kursbuch neue Medien. Trends in Wirtschaft und Politik, Wissenschaft und Kultur, Hamburg 1998. Für den kirchlichen Bereich vgl. Reiner Preul / Reinhard Schmidt-Rost (Hrsg.): Kirche und Medien, Gütersloh 2000; Stefan Münker / Alexander Roesler (Hrsg.): Praxis Internet. Kulturtechniken der vernetzten Welt, Frankfurt / Main 2002; Bernd-Michael Haese: Hinter den Spiegeln. Kirche im virtuellen Zeitalter des Internet, Stuttgart 2006; Thomas Schmidt: Gottesdienst und Internet. Ein Nachruf, in: Klaus Raschzok / Konrad Müller (Hrsg.): Grundfragen des evangelischen Gottesdienstes, FS Hanns Kerner, Leipzig 2010, 169-209; Alexander Deeg / Christian Lehnert (Hrsg.): Liturgie – Körper – Medien. Herausforderungen für den Gottesdienst in der digitalen Gesellschaft, Leipzig 2019.

[18]   Vgl. für die ältere Diskussion um die Fernsehgottesdienste: Hans Erich Thomé: Gottesdienste frei Haus? Fernsehübertragungen von Gottesdienstes, Göttingen 1991. Für den katholischen Bereich: Birgit Jeggle-Merz: Gottesdienst und mediale Übertragung, in: GdK 2,2 (2008), 455-487.

[19]   Zur Erhellung dieses Sachverhalts kann auch die bekannte Unterscheidung zwischen „Körper sein“ und „Leib haben“ dienen, vgl. Helmuth Plessner: Die Stufen des Organischen und der Mensch. Einleitung in die philosophische Anthropologie, Berlin 19753, 35. Für die Aufnahme in der Theologie kann z.B. Hans-Rudolf Müller-Schwefe genannt werden, vgl. ders.: Die Sprache und das Wort. Grundlagen der Verkündigung, Hamburg 1961, 30.

[20]   Vgl. Mikoski, a.a.O., 17. Das betrifft auch das in diesem Zusammenhang angeführte Zusatz-Argument Mikoskis, mit dem er die Notwendigkeit der leiblichen Teilnahme unterstützen möchte. So richtig es sicher ist, dass die Versammlung der Gläubigen am Altar ein permixtum ist und dass gerade darin ein wesentlicher theologischer Sinn der Abendmahlsgemeinschaft erblickt werden kann, nämlich, dass in dieser Gemeinschaft alle Verschiedenheiten, die uns voneinander trennen, zwar nicht endgültig weggenommen aber doch „aufgehoben“ sind. So falsch im Sinne einer Unterstellung ist es zu behaupten, bei einem Online gefeierten Abendmahl bestünde die Gefahr, sich nicht wirklich mit den anderen leiblich Anwesenden auseinanderzusetzen und sogar auszuwählen, mit wem man teilnehmen wollte und mit wem nicht. Nicht, dass es diese Gefahr nicht geben würde ist dabei das Problem, sondern, dass man sie nicht allein auf das Online gefeierten Abendmahl zuspitzen darf. Denn diese Gefahr ist eine Gefahr einer jeglichen Abendmahlsfeier. Aber wenn es vielleicht unumgänglich ist, mit Unterstellungen zu arbeiten, dann sei die andere Unterstellung entgegengehalten, dass die Nachfrage nach einem Online-Abendmahl im Lockdown doch wesentlich davon motiviert war, wieder Abendmahlsgemeinschaft mit allen und nicht nur mit wenigen Auserwählten eingehen zu können.

[21]   Gerade an dieser Stelle rächt sich die fehlende Differenzierung der drei Varianten durch Mikoski. Denn der Gegensatz zwischen virtuell und leiblich, den Mikoski aufbaut (ob zu Recht oder zu Unrecht sei dahingestellt), trifft doch eigentlich nur auf jene dritte Variante des Online gefeierten Abendmahls zu, bei der sich alles im Cyberspace abspielt und bei dem sowohl die Kommunikanten als auch die Elemente von Brot und Wein aus „bits und bytes“ bestehen. Auf diese Konstellation allein trifft zu, was Mikoski aber für alle Formen von Online-Abendmahl geltend machen möchte, dass es sich hierbei um einen „post-modernen, virtuellen Gnostizismus“ (ebd., 18) handelt, der auf die „Vermittlung der Vermittlung“ (nämlich der Menschwerdung Gottes in die Person Jesu Christi als erster Vermittlung und der Anwesenheit Christi im Abendmahl als zweiter Vermittlung) eine weitere Ebene der Vermittlung einzieht, die rein digital vonstattengeht (vgl. ebd.).

[22]   Vgl., ebd., 17.

[23]   Dienst an Kranken, a.a.O., 76.

[24]   Ebd.

[25]   Ebd., 79.

[26]   Vgl. ebd., 80f.

[27]   Vgl. Baur, Artikel Abendmahl, a.a.O., Sp. 34.

[28]   Vgl. ebd., Sp. 35.

[29]   Vgl. dazu: Reiner Strunk: Vertrauen. Grundzüge einer Theologie des Gemeindeaufbaus, Stuttgart 1985, z.B. 20. Strunk geht freilich nur am Rande auf die Abendmahlsfeier ein, vgl. 124.

[30]   Vgl. dazu im Ganzen: Veronika Hoffmann (Hrsg.): Die Gabe. Ein „Urwort“ der Theologie?, Frankfurt am Main 2009.

[31]   Ein frühes Beispiel für diese Sichtweise Luthers kann dessen „Sermon von der würdigen Empfahung des heiligen wahren Leichnams Christi, gethan am Gründonnerstag“ aus dem Jahr 1521 dienen (= WA 7,692-697).

[32]   Mikoskis Argumentation scheint so sehr von einem rein virtuellen Abendmahl bestimmt zu sein, dass er sich mit der uns hier beschäftigenden Form eines Online gefeierten Abendmahls nicht weiter auseinandersetzt. Mit der Verwerfung des rein virtuellen Abendmahls verwirft er nämlich auch alle anderen Formen eines Online gefeierten Abendmahls, sodass er sich erst gar nicht die Frage stellen muss, wie es möglich sein könnte, dass auch die räumlich entfernten Abendmahlsgaben bei einer zeitgleichen Abendmahlsfeier konsekriert werden. Allerdings verweigern wir uns, über die Möglichkeit oder Unmöglichkeit einer medial vermittelten Konsekration (einer „Fernweihe“) zu spekulieren, da eine solche Spekulation nur in die Irre führen kann.

[33]   Damit bewegen wir uns im Übrigen zwischen der von Mikoski suggerierten Alternative zwischen einer Position, für die das Abendmahl „lediglich“ so etwas wie „eine audio-visuelle Hilfe“ ist, „die es den Teilnehmenden ermöglicht, sich daran zu erinnern, was der ‚Herr für sie durch seinen Tod und Auferstehung getan hat‘“ (Mikoski, a.a.O., 15.) und einer Position, die einen „sakramentalen Realismus“ also die „völlige Materialität der Eucharistie“ (ebd.) vertritt.

[34]   Vgl. dazu Oswald Bayer: Freiheit als Antwort. Zur theologischen Ethik, Tübingen 1995, 13-19, sowie ders.: Ethik der Gabe, in: Die Gabe, a.a.O., 99-123.

[35]   Vgl. Gunda Brüske: Selbstkommunion, in: RGG4 7 (2004), Sp. 1167.

[36]   In der gegebenen Situation kann es durchaus normal sein, dass das zu inkludierende Gemeindeglied nicht allein vor dem Bildschirm das Abendmahl empfängt, sondern mindestens einen weiteren Helfer braucht, der ihm oder ihr die Elemente reicht.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/132/tm02.htm
© Thomas Melzl, 2021