„Bewahrung der Schöpfung“?

Erwägungen zur Klimakatastrophe

Bernhard Dressler

Der Mensch lebt und besteht nur eine kleine Zeit
und alle Welt vergehet mit ihrer Herrlichkeit.
Es ist nur einer ewig und an allen Enden
und wir in seinen Händen.
Matthias Claudius

In Heft 3/2020 der „Zeitschrift für Pädagogik und Theologie“ (ZPT) hat Ingo Reuter einige Aspekte der „Fridays for Future“-Bewegung erörtert[1] und dabei die – auch religionspädagogisch belangvolle – Frage aufgeworfen, welche Möglichkeiten dem jugendlichen Protest gegen die klimaschädigenden Wirkungen der industrialistischen (man darf, durchaus unter Einbeziehung Chinas, auch sagen: der kapitalistischen, d.h. renditeorientierten) Wirtschaftsweise zuzurechnen sind. In der Hinsicht bin ich, aus verschiedenen Gründen, ausgesprochen skeptisch. Ich werde meine Skepsis unter der Zwischenüberschrift „Klimapolitik“ kurz begründen. Ingo Reuter hat unter anderem, wie ich meine: zu Recht, angedeutet, dass (und aus welchen Gründen) er die Tendenz kritisiert, „die Thematik der Bewahrung der Schöpfung auf den kleinen Umweltschutz vor Ort […] herunterzubrechen. Diese als Elementarisierung und Konkretisierung des Themas gedachte Trivialisierung erzeugt aber letztlich nur eine Illusion: dass jeder einzelne durch einen kleinen Beitrag die Dynamik des globalen Kapitalismus verändern könnte.“ Er verbindet damit eine „Anfrage an die Religionspädagogik“.[2] Die Thematisierung des Schöpfungsglaubens unter dem Vorzeichen der Ökologie habe ich schon vor längerer Zeit aus religionsdidaktischen Gründen kritisiert.[3] Mit der Trivialisierung der ökologischen Probleme verbindet sich allerdings vor allem auch eine Trivialisierung der Religion unter dem Label „Bewahrung der Schöpfung“. Darauf gehe ich, wiederum in aller Kürze, unter einer zweiten Zwischenüberschrift ein. Schließlich hat Ingo Reuter (wiederum zu Recht) eine noch viel weitreichendere, grundsätzlichere Frage aufgewor­fen: „Was ist der Mensch, das Ebenbild Gottes, wenn seine Existenz als Gattung als begrenzt gedacht werden muss“? Und er hat beklagt, dass eine „Auseinandersetzung, ob das etwas […] für die Theologie, ihre Anthropologie und ihr Gottesverständnis bedeutet, […] bisher nicht“ zu sehen ist.[4] Zu diesem gewichtigen Thema gehe ich, in eigentlich unzulässiger Kürze, unter einer dritten Zwischenüberschrift („Die Rede von Gott im Blick auf die Klimakatastrophe“) ein.

Klimapolitik

Mit dem Thema „Klimapolitik“ betritt man schwieriges Gelände. Ich betone deshalb gleich eingangs, dass ich die offenkundigen Veränderungen des globalen Klimas nicht in Frage stelle, und dass ich es auch für höchstwahrscheinlich halte, dass die Emissionen der Industriezivilisation, vor allem der CO₂-Ausstoß, dabei eine bedeutende (freilich niemals exakt zu klärende) Rolle spielen. Mit der Überzeugung, dass der Klimawandel menschengemacht ist, ist aber noch gar nicht ausgemacht, ob man die weitere Entwicklung des Weltklimas für menschlich steuerbar halten kann. Und auch, wenn man anerkennt, dass anthropogene Ursachen für die messbaren Klimaveränderungen zu veranschlagen sind, sind diese doch nicht aus den möglichen anderen Ursachen exakt herauszurechnen, die in erdgeschichtlich jüngster Vergangenheit zu dramatisch raschen Klimawechseln ohne menschliche Verursachung führten. Warum das alpine Gletscherschwund-Phänomen seit 1850 zu beobachten ist, bleibt rätselhaft. Wir befinden uns erdgeschichtlich nach wie vor (solange es polare Eisschilde gibt) in einem der jeweils mehrere Millionen Jahre dauernden „Eiszeitalter“, zwischen denen unterschiedlich lange Zeiträume mit unterschiedlich stark ausgeprägtem „Warmklima“ lagen. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass die hinter diesen klimatischen Schwankungsperioden zu vermutenden nichtmenschlichen, indes weitgehend ungeklärten Ursachen nur deshalb außer Kraft gesetzt sind, weil die Menschheit seit wenigen Jahrtausenden Hochkulturen ausgebildet hat, die unter anderem dazu in der Lage sind, Bedrohungsszenarien wahrzunehmen und zu reflektieren (z.B. in den altorientalischen „Sintflut“-Erzählungen), und deshalb auf (leider nie dagewesene) Stabilität hoffen (z.B. Gen 8,22: „Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.“). Es könnte sein, dass entgegen der auch religiös artikulierten Stabilitätshoffnungen die Existenzbedingungen der Menschheit auch aus nicht-menschengemachten Gründen höchst verletzlich sind.[5]

Eine in ihren historischen Dimensionen ganz unterschiedliche Konstellation tritt zudem ins Bewusstsein und verstärkt sich wechselseitig mit der Klimakrisendiagnose: Dass wir (noch) in einem erdgeschichtlich schmalen Zeitfenster günstigen Klimas leben – und dass wir auf der Nordhalbkugel nach dem Zweiten Weltkrieg eine historisch kurze Phase ökonomischer Prosperität und relativer sozialer Stabilität durchlebten, die seit einiger Zeit zu Ende geht. Es verschärft sich die Einsicht, die sich bereits zur Mitte des 20. Jahrhunderts, nach den Weltkriegs- und Genozid-Katastrophen apokalyptischen Ausmaßes, aufgedrängt hatte, dann aber durch die Prosperitätsperiode der 1950er und frühen 60er Jahre verdrängt wurde: Dass der Fortschrittsglaube, der das „lange“ (so Eric Hobsbawm) 19. Jahrhundert von 1789 bis 1914 prägte, im „kurzen“ 20. Jahrhundert (1914 bis 1989) aufgerieben und nur noch gegen die Realität behauptet wurde. Mitte der 1940er-Jahre schrieben Theodor W. Adorno und Max Horkheimer das schwärzeste Buch der Kritischen Theorie, übrigens nicht ohne deutlichen Rekurs auf die vom biblischen Bilderverbot beglaubigten Traditionen einer „negativen Theologie“: Die „Dialektik der Aufklärung“.[6] Darin legten sie schonungslos offen, wie sich die innerweltliche Heilsverheißung der Aufklärung ins totalitäre Unheil verkehrte; wie der Glaube an die progressive Machbarkeit und an die Überwindbarkeit der Naturschranken in einen lähmenden Naturzwang umschlägt; kurz: wie sich eine Heilsverheißung als ein Unheilsmythos erweist.[7]

Gegenwärtig nun werben einerseits Teile der politischen Eliten ebenso wie die Protestbewegung „Fridays for Future“ unter Berufung auf „Wissenschaft“ um politische Zustimmung zu Maßnahmen, die die Katastrophe abwenden, zumindest mildern sollen. Als verlören bestimmte Fakten durch wissenschaftliche Beglaubigung nicht nur ihre Deutungsbedürftigkeit[8], sondern als seien die Handlungsbedarfe so eindeutig wie die Fakten und als gäbe es dabei keine Zielkonflikte. Hier werden Züge eines neuen fundamentalistischen Glaubens erkennbar.

Andererseits tendiert auch das allgemeine Mentalitätsklima gegenüber Fortschrittskonzepten ebenso zur Skepsis wie gegenüber der Vorstellung, Gesellschaften, gar die globalisierte Weltgesellschaft, ließen sich zielgenau steuern. Eine neue „Dialektik der Aufklärung“ zeichnet sich ab: Auf die katastrophischen Folgen der Kultur des Machbarkeitswahns wird mit Machbarkeits- und Messbarkeitsphantasien reagiert. Als wüssten wir, wie durch heute zu beschließende Maßnahmen die Erderwärmung in 100 Jahren auf 1 ½ oder 2 Grad zu begrenzen sei. Die Komplexität klimatischer Entwicklungen wird grandios unterschätzt, und die paradoxe Situation wird verkannt, dass Klimapolitik nur über Unentscheidbarkeiten entscheiden kann: Etwa, dass nur winzige Veränderungen an den Parametern darüber entscheiden, ob es künftig Weinbau in Südengland gibt (wie schon vor nicht langer Zeit bereits einmal), oder ob eine neue Eiszeit für Nordwesteuropa zu erwarten ist, z.B. weil der Golfstrom versiegt. Klimapolitik ist noch mehr als jede Politik mit „Unentscheidbarkeitskonstellationen“ konfrontiert.[9]

Der Klimaschutz unterliegt zudem den gleichen Bedingungen wie alles präventive Handeln[10]: Seine Bilanz ist prinzipiell nicht messbar, weil später – ex post – die Ergebnisse niemals linear und exakt auf ihre Ursachen zurückführbar sind. Tritt kein Erfolg ein, war die Prävention nicht falsch, sondern zu gering. Verschwindet das Problem, kann das nicht eindeutig als Erfolg der Prävention verbucht werden. Zwar erscheinen wissenschaftliche Prognostiker als die Propheten unserer Zeit. Mangelnder eigener Sachverstand veranlasst Politiker, sich auf deren mathematisch verbrämte Zukunftsprognosen zu verlassen, die aber kaum einer kritischen Überprüfung zugänglich sind. Der Physiker Marco Wehr bezweifelt mit guten Gründen generell die Möglichkeit, komplexe Ereignisse, sei es auf den Finanzmärkten, sei es beim Klima, mathematisch zu erfassen.[11] Die Wirklichkeit ist immer komplexer als die Modellrechnungen und winzige Verschiebungen der Daten führen zu völlig abweichenden Ergebnissen. Henning Ritter hat bereits vor über einem Jahrzehnt zu Hans Jonas‘ „Prinzip Verantwortung“ bemerkt: „Die Rede von der Natur­be­herrschung war seit je eine Hyperbel, aber mit wachsendem Einfluss auf die Natur und mit zunehmender Anwendung der Naturgesetze wird es nötig, zwischen Naturprozessen, die der Mensch beherrscht, und solchen zu unterscheiden, die er beeinflusst, ohne sie zu beherrschen.“[12]

Immerhin sind auch seriöse wissenschaftliche Stimmen zu hören, die das „Zwei-Grad-Ziel“ für „Wunschdenken“ halten: Der „Klimadiskurs ist nicht frei von technozentrischem Denken, das trotz aller Rationalität eher von Wünschen und Affekten, weniger aber vom Kontakt mit Tatsachen getrieben ist.“[13] Zwar ist das Zwei-Grad-Ziel „ebenso gerechtfertigt wie die Forderung nach nuklearer Abrüstung. (…) Und doch ist das eine Ziel so unrealistisch wie das andere. Weder die globale Abrüstung noch die Umsetzung des Zwei-Grad-Ziels werden wir in den nächsten zwei oder drei Jahrzehnten erleben.“ Der erforderliche Umstieg erscheine „technisch-naturwissenschaftlich (…) möglich. Doch Technik ist nur eine und keineswegs die wichtigste Voraussetzung für eine erfolgreiche Klimapolitik. Die wichtigste Voraussetzung ist eine politische. Diese ist aber nicht gegeben.“[14] Ohne eine Art Weltregierung mit operativen Kompetenzen ist erfolgreiche globale Klimapolitik unmöglich. Und ohne Abschaffung der Demokratie wird es nicht möglich sein, die Lösung von Problemen der abstrakten Menschheit über die Lösung von Problemen der Wähler zu stellen, und zwar in einem absehbaren Zeitraum, noch zu Lebzeiten dieser Menschen. Der britische Philosoph Roman Krznaric sieht als politisches Hauptproblem bei der Bewältigung des Klimawandels den „Präsentismus“, den kurzfristigen Erkenntnis- und Handlungshorizont politischer Entscheidungen, der nicht nur durch die Interessen von Lobbygruppen markiert wird, sondern durch den Rhythmus von Wahlzyklen.[15]

Dass manche Regierungen mehr Chancen als Risiken sehen, wenn durch das Schmelzen des Polareises mehr Rohstoff-Lagerstätten zugänglich werden oder nützliche Schifffahrtswege entstehen, mag zynisch sein, folgt aber der Logik des Industrialismus. Zudem gibt es „innerökologische“ Zielkonflikte zwischen Klimaschutz und Biodiversität oder Landschaftsästhetik: „Klimaziele (stehen) in der Regel quer zu anderen Umweltzielen“[16], man denke nur an die Nutzung von Wildflüssen für Stromerzeugung durch Wasserkraftwerke oder an die Zerstörung von Landschaften durch Windkraftprojekte. „Klimapolitisch (ist es) sinnvoll (…), Mais anzubauen, um daraus Biogas zu machen, doch eine Biodiversitätsstrategie ist das nicht.“ Anders gesagt: „Die Fixierung auf ein utopisches Ziel reitet die Umweltpolitik in die Sackgasse.“[17] Das gilt auch für die technologischen Machbarkeitsphantasien des sog. „Geoengineering“. Das bedürfte, um erfolgreich zu sein, einer globalen Steuerung, für es keine Instanz gibt. Abgesehen davon, dass schwere ‚Risiken und Nebenwirkungen‘ unabsehbar sind.

Im Aufruf zur „Rettung“ des Klimas verbindet sich eine Art inversive Version des Machbarkeitsglaubens (alles ist von Menschen gemacht) mit dessen ungebrochener Fortsetzung (alles kann von Menschen in Ordnung gebracht werden). Thomas Kaufmann hat hierzu einen treffenden Begriff gefunden: „Kontingenzintoleranz“, und dazu ausgeführt:

„Wenn es um unser aller Überleben geht, sind wir nicht bereit, Grenzen unserer Handlungsmöglichkeiten anzuerkennen. Auch die Naturkatastrophen verlieren ihren Schicksals- oder Widerfahrnischarakter mit rasanter Geschwindigkeit, nämlich in dem Maße, in dem wir selbst uns als Verursacher des Klimawandels identifizieren und zur Verantwortung ziehen. Kaum vorstellbar, dass es demnächst noch Sturmfluten geben wird, die nicht von Menschen verursacht sind. Weil wir unser ‚Schicksal‘ selbst bestimmen zu können meinen, also kontingenzintolerant sind, konnte Corona zur alles bestimmenden Wirklichkeit werden.“[18]

Klimapolitisch bleiben dagegen oft jene humanen Gründe ausgeblendet, die ja tatsächlich dazu motivieren könnten, den ungehemmten Verbrauch fossiler Brennstoffe und anderer Ressourcen der verletzlichen Biosphäre zu beenden: Gründe globaler Gerechtigkeit oder eines „guten Lebens“, nämlich einer Lebensweise jenseits des Industrialismus, die sich nicht völlig ökonomischen Imperativen fügt. Dazu würde dann auch gehören, keineswegs untätig zu bleiben, sondern schon jetzt alles Planen auf Vorsorge- und Fürsorgemaßnahmen gegen erwartbare Folgeschäden der Klimaveränderungen zu konzentrieren. „Klimaschutz“-Politik in diesem Sinne wird in den kommenden Jahrzehnten, so weit wie möglich international koordiniert, im Zentrum politischen Handelns stehen müssen. Sie wird radikal sein müssen, wird sich aber nicht durch uneinlösbare, illusionäre Ziele selbst in Misskredit bringen dürfen.

„Bewahrung der Schöpfung“?[19]

Im „konziliaren Prozess“ für „Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung“ ging und geht es programmatisch nicht unter dem Anspruchsniveau der Weltrettung. Oft wird dann Religion, statt als „Kultur des Verhaltens zum Unverfügbaren“ (Hermann Lübbe), noch im Gestus des Widerstands als Teil einer umfassenden Kultur des Verfügens gedacht. Eben damit aber kann das politisch wirklich schwierige Problem nicht scharf gesehen werden, wie sich nämlich das Verhalten zum Unverfügbaren davor hüten kann, zur bloßen Affirmation des Bestehenden zu werden.

Darf man die biblische Verheißung der Schöpfungsintegrität (Gen 8, 22) mit dem Phantasma ökologischen Gleichgewichts identifizieren? Dem Schöpfungsglauben täte man damit keinen guten Dienst. Die Grundparadoxie unserer Zeit, dass bei wachsenden Verfügungsmöglichkeiten Machbarkeit und Zuträglichkeit immer weiter auseinanderklaffen, schlägt noch in der Negation des Machbarkeitsglaubens durch, wenn der Aufruf zur ökologisch gebotenen Bescheidenheit sich mit dem unbescheiden-anmaßenden Anspruch verbindet, die Welt zu retten, nämlich „die Schöpfung zu bewahren“.[20] Hybris maskiert sich als Demut. Verantwortung für die höchstmögliche Integrität der natürlichen Umwelt (und das ist etwas anderes als „die Schöpfung“) muss sich gerade im Licht der Entzauberung des Fortschrittsglaubens realistischere Ziele des „Bebauens und Bewahrens“ setzen, als zu meinen, anstelle Gottes für die Rettung der Schöpfung aufkommen zu sollen. Im Gewande ökologischer Bescheidenheit kann sonst die Forderung nach „Bewahrung der Schöpfung“ leicht zu einer überfordernden titanischen Anmaßung werden – so warnte schon vor über 30 Jahren Friedrich Wilhelm Graf.[21] Abgesehen davon, dass politische und religiöse Themen zum Schaden der Politik wie der Religion bis zu ihrer Ununterscheidbarkeit identifiziert werden: Dass der Begriff der „Schöpfung“, seit sich ein ökologisches Krisenbewusstsein öffentlich artikuliert, in die politische Alltagsphraseologie eingedrungen ist, geht einher mit seiner Trivialisierung. Genau daran ist die christliche Rede von der „Bewahrung der Schöpfung“ leider nicht unbeteiligt. Weit überwiegend nämlich wird dabei unter „Schöpfung“ die natürliche Umwelt verstanden, und deren Bewahrung und Pflege gibt in dieser Terminologie die Schöpfung als Gegenstand eines menschlichen Projekts zu verstehen.

Dass Gott seine Schöpfung in Gen 1 als „sehr gut“ qualifiziert, darf nicht als Aussage über die Natur verstanden werden – wenn nicht im Blick auf die grauenhafte Gewalt des natürlichen Evolutionsgeschehens mit der Güte der Schöpfung zugleich auch die Güte des Schöpfers in Zweifel gezogen werden soll. Niemand kann uns in dieser Hinsicht theologisch klarer belehren als Martin Luther in seiner Erklärung zum 1. Artikel des apostolischen Glaubensbekenntnisses im „Kleinen Katechismus“. An den allmächtigen Gott als „den Schöpfer des Himmels und der Erde“ zu glauben, heiße: „Ich glaube, dass mich Gott geschaffen hat samt allen Kreaturen, mir Leib und Seele, Augen, Ohren und alle Glieder, Vernunft und alle Sinne gegeben hat und noch erhält; dazu Kleider und Schuh, Essen und Trinken, Haus und Hof, Weib und Kind, Acker, Vieh und alle Güter.“ Hier geht es ganz offensichtlich nicht um die natürliche Entstehung der Welt und der Naturphänomene in der Welt. Es geht vielmehr um das dankbare Vertrauen in die andauernde schöpferische Liebe Gottes, zu dessen Äußerung sich jemand veranlasst fühlt, weil er sich als Gottes Geschöpf zu erfahren und zu verstehen gelernt hat. Der Schöpfungsglaube muss durch das Nadelöhr der 1. Person Singular. Im Staunen und im Dank von Menschen über ihre eigene Existenz erhält die Rede von der Schöpfung ihren präzisen theologischen Sinn. Nur im Licht dieses Glaubens können wir in das Schöpfungslob in Gen 1 einstimmen, dass alles „sehr gut“ sei. Als Objekte unserer wissenschaftlichen oder auch nur pragmatischen Beobachtung geben uns dafür weder das Universum noch die Natur einen Anlass. Umso mehr ist es theologisch wie pädagogisch problematisch, wenn das Thema Schöpfung in religiösen Bildungsprozessen vor allem im Verein mit den Themen Ökologie und Kosmologie abgehandelt wird.

Die Rede von Gott im Blick auf die Klimakatastrophe – Unsere Zeit in Gottes Hand

Ein unverstellter Blick auf die ökologischen Krisen wird nicht ohne Konsequenzen für unsere Rede von Gott sein können. So weit ich es überblicke, finden sich für dieses Thema und die hier erörterte Fragestellung besonders aufschlussreiche theologische Überlegungen bei Johannes Fischer. Fischer hält die Unterscheidung zwischen „Faktizität“ und „Präsenz“ als die wesentliche Voraussetzung dafür, religiöse Erfahrungen und Vorstellungen unter den Bedingungen moderner, wissenschaftsgeprägter Kultur machen und artikulieren zu können, ohne dass die Religion vor den wissenschaftsfundierten (oder überhaupt nur: an Faktizität orientierten) Vorstellungen von Sachverhalten in die Knie geht.[22] Er wendet sich gegen eine Theologie[23], die „auf einen radikalen Immanentismus hinaus(läuft)“ und für die „die Wirklichkeit mit der raumzeitlichen Welt zusammenfällt. Gott wird damit zum Problem. Was von ihm bleibt, ist die Erfahrung seiner Abwesenheit. (…) Die Verplausibilisierung der Wirklichkeit Gottes an der raumzeitlichen Welt hat die Abwesenheit Gottes zur zwangsläufigen Folge. Eine andere Folge ist, dass nun die Ethik überragende Bedeutung gewinnt. Denn wenn es über diese Welt hinaus nichts zu hoffen gibt, dann müssen die Menschen ihr Schicksal selber in die Hände nehmen. Das Ungeheure dieser Aufgabe zeigt sich im Aufkommen der Rede von der ‚Bewahrung der Schöpfung‘, mit der dem Menschen zugedacht wird, dass er die Schöpfung bewahren soll. Die Schöpfung wird dabei immanentistisch mit der raumzeitlichen Welt in eins geworfen.“[24] Demgegenüber wäre zu fragen, wie das, was vom christlichen Glauben wahrgenommen und erhofft wird, „in Raum und Zeit in Erscheinung treten (kann), ohne doch selbst Raum und Zeit unterworfen zu sein?“[25] Fischer bringt dafür den „Begriff des Ewigen“ ins Spiel, der anders, „als dies gemeinhin mit ihm assoziiert wird, (…) nicht unbegrenzte zeitliche Dauer, auch nicht ein bloßes Jenseits der Zeit“ meint, „sondern vielmehr das, was von jenseits der Zeit her durch seine Präsenz in der Zeit das Zeitliche bestimmt. Ganz so, wie in Psalm 104 Gottes Atem oder Geist im Wachstum und Gedeihen der Natur gegenwärtig und wirksam ist.“[26] Es geht in dieser Perspektive um einen Gott, der verborgen anwesend ist.[27] Gott existiert nicht.[28] „Als der Ewige ist er für den Menschen nur in der Weise seiner Präsenz offenbar.“[29]

Religionsdidaktisch ginge es vor dem Hintergrund solcher Überlegungen um die Erschließung der „Einsicht […], dass Religion nicht ein Glaube an irgendwelche metaphysischen Tatsachen ist, sondern ein hochreflektierter Umgang mit Wirklichkeitspräsenz.“[30] Solange indes in religiösen Bildungsprozessen die verbreitete Vorstellung nicht bearbeitet wird, die christliche Religion sei eine Art in Buchform gebrachte Doktrin, die deshalb (!) mit den Einsichten aufgeklärter Wissenschaft unvereinbar sei, bleibt der Eigensinn der biblischen Botschaft verschlossen. Es geht in religiöser Kommunikation nicht um die Mitteilung eines propositional formulierbaren Sinnes der Welt; ihr Sinnversprechen ist die Verheißung einer – tröstenden, heilenden, versöhnenden, erlösenden – Präsenz Gottes. Das kann sich an den biblischen Geschichten erschließen, die uns keinen offenbaren Sinn versprechen, den wir mit unserm Verstand ergreifen und entschlüsseln könnten. Sie verheißen uns eine Gegenwart, die auch noch die jenseits der Denkgrenze liegenden dunklen Abgründe in ihren Segen einschließt.[31] Dabei können die Erfahrungen der verborgenen Gegenwart Gottes zugleich mit der Ermutigung der tröstenden und versöhnenden Gegenwart von Menschen verbunden sein, wie auch reale Wirklichkeitserfahrungen für religiöse Präsenzerfahrungen durchaus durchsichtig sein können: Das Berührtwerden von der Gegenwart einer Person, einer Naturerscheinung, einer künstlerischen Präsentation (nicht nur der bloßen Anwesenheit, sondern einer gewissen Qualität von Gegenwärtigsein, ohne jede Art von Verfügbarkeit) kann als besondere Art von Präsenzerfahrung verstanden werden.[32] Hierin sehe ich den auch religionsdidaktisch wesentlichen Grund dafür, dass die christliche Religion nur in der Verbindung ihrer „Vorstellungsgehalte“ mit ihren „Vollzugsgestalten“ erkennbar wird.[33]

Zurück zur Rede von der „Schöpfung“: Im Zentrum des Schöpfungsglaubens steht die Unterscheidung zwischen Gott und seiner Schöpfung. Darin liegt bis heute der unabgegoltene Sinn der biblischen Schöpfungstexte. Gottes schöpferisches Handeln wird so unterschieden von allen Konnotationen des Machens, Herstellens und Erzeugens. Aus der Sicht des christlichen Glaubens kann die Rede von der Schöpfung, wenn sie kosmologisch-naturwissenschaftlich missverstanden wird, kein zureichendes Zeugnis von der Gottheit Gottes geben. Die theologisch gebotene Einsicht, dass der Satz „Gott ist Schöpfer der Welt“ sich nicht auf ein Ereignis in Raum und Zeit bezieht, wird nicht zuletzt durch naturwissenschaftliche Erkenntnisse bestärkt. Es ist ein Verdienst der Evolutionstheorie, dass Gott und sein Handeln nicht mehr mit Objekten empirischer Erkenntnis verwechselt werden können. Was für die Naturgeschichte an Entmythologisierung geleistet wurde, ist für die Menschheitsgeschichte und das Zukunftsdenken allerdings noch nachzuholen. Gott, aber auch so etwas wie „Sinn“, ist weder in der Natur, noch in Geschichtskonstruktionen zu suchen, sondern in den Kontingenzen des Lebens, die eben nicht zu „bewältigen“, sondern zu bejahen sind. Es sind die Erfahrungen des jetzt gelebten Lebens im Lichte der Gottesbeziehung, die uns eine Hoffnung im Blick auf unser Leben und das Ende der Welt einstiften können. Wie die Schöpfungszeit ist auch die Endzeit keine raumzeitliche Größe, sondern eine Deutekategorie. So wie die Schöpfungstheologie sich von kosmologischen Spekulationen zu verabschieden hat, hat die Eschatologie Zukunftsspekulationen zu meiden. Religiöse Gewissheit ist keine Folgerung aus raumzeitlich gedachten Ereignissen am Anfang und am Ende der Welt, sondern die raumzeitlichen Bilder vom Anfang und vom Ende sind Extrapolationen religiöser Lebenserfahrungen. Und dass Gott die Schöpfung noch erhält, nicht aus rational fassbaren Gründen, sondern „weil es ihm gefällt“, ist nur im Lichte erfahrener Liebe als einer im wörtlichen wie im metaphorischen Sinne lebensschaffenden Kraft zu verstehen, die in einer naturalistischen Weltsicht gar nicht oder bestenfalls als nützliche Illusion existiert. So wie die Verbindung von Schöpfungsglauben und Kosmologie aus Gott eine Ursache des Evolutionsgeschehens (und damit zu einem Wissensobjekt) zu machen droht, unterliegt die Verbindung von Eschatologie und Geschichte der Gefahr, Gott zu einem innerweltlichen Movens der Weltgeschichte zu machen – mit dem Ergebnis, dass aus der Weltgeschichte das Weltgericht wird. Dieser totalitären Folgerung hat sich der christliche Glaube um Gottes Willen zu verweigern. Die Bezüge zwischen der profanen Geschichte und der Heilsgeschichte sind gekappt. Das „Handeln Gottes“ ist jedenfalls (auch angesichts der Shoah und der bereits stattgefundenen Umweltkatastrophen) nicht mehr als geschichtlich beobachtbares innerweltliches Geschehen zu verstehen. Ein Ausbruch der Yellowstone-Caldera etwa hätte zerstörerische Wirkungen unvorstellbaren Ausmaßes. Und er ist irgendwann, demnächst oder erst in zehntausenden Jahren, wenn es die Gattung homo sapiens nicht mehr gibt, zu erwarten. Religiös angemessen ist es, mit dieser Einsicht Gottes Heiligkeit und Güte nicht dementiert zu sehen.

Nun tritt Wissenschaft zwar in vieler Hinsicht an die Stelle, die vordem die Religion eingenommen hat; sie kann aber hinsichtlich der Deutung der Welt und der Orientierung unseres Lebens die Religion nicht befriedigend ersetzen. Dem entspricht, dass Religion unser Weltwissen nicht begründen, sondern immer nur begleiten, orientieren und in einen bestimmten Deutungshorizont stellen kann. Der christliche Schöpfungsglaube schließt keine kosmologische Aussage ein, die in irgendeiner Weise dazu nötigen würde, bestimmte physikalische oder biologische Theorien zu präferieren. Das Schöpfungshandeln des ewigen Gottes spielt sozusagen in einer anderen Zeit und in einem anderen Raum als in der physikalischen Raumzeit. Des „Lebens Gleichgewicht“, um dessen Erhalt Gott gebeten wird, wenn das Lied „Nun steht in Laub und Blüte“ (Evangelisches Gesangbuch 641) im Gottesdienst gesungen wird, hat es als naturwissenschaftlichen Sachverhalt nie gegeben und wird es nicht geben. Das heißt aber auch, dass der christliche Glaube keine Gründe für die Erwartung bietet, die – erdgeschichtlich ja immer wieder aufgetretenen und auch für die Evolution des Lebens entscheidenden – Globalkatastrophen (ohne die im Übrigen – man denke etwa an das Verschwinden der Saurier – das Auftauchen der Menschheit kaum denkbar wäre) mögen künftig ausbleiben.

Die Gegenwart hat der Vergangenheit nichts voraus. Und die Zukunft hat der Gegenwart nichts voraus. „Wir, die wir leben bis zur Ankunft des Herrn“, schreibt der Apostel Paulus, in der Annahme, zur letzten Menschheitsgeneration zu gehören, „werden nichts voraus haben vor denen, die schon entschlafen sind“ (1 Thess 4,15). Nur so, dass Gott als der Ewige und Unbedingte immer schon wirklich ist und er des Menschen nicht zur Realisierung des unbedingt Guten bedarf, nur so ist denkbar, dass wir in der nach allem Augenschein unerlösten Welt an das in Christus schon gekommene Heil glauben. Umso klarer ist dann das Verhältnis des Menschen zum Unbedingten nicht mehr als das des Mittels zu einem erst noch zu verwirklichenden zukünftigen Ziel misszuverstehen. In dieser Sicht ist die Zukunft offen – nur unter der Annahme offener Zukunft ist erfüllte Gegenwart (als selbst einmal in der Vergangenheit erhoffte Zukunft) vorstellbar. Die Zukunft ist überraschend. Als bloße Extrapolation der Trends von Vergangenheit und Gegenwart, wie es in den Untergangsprophetien geschieht, birgt sie keinerlei Überraschungen. Die Offenheit der Zukunft ist zugleich eine Mahnung zur Nüchternheit: Die Bibel erlaubt uns keine spekulative Gesamtsicht der Geschichte – sei es als Fortschrittsglaube, sei es als Untergangsprophetie.

Abstract:

Eine Politik des Klimaschutzes im Blick auf die anthropogenen Ursachen des Klimawandels darf nicht in einer Art inversiver Machbarkeitsphantasie den Unterschied zwischen der Steuerung des Klimas und der Vorsorge vor den wahrscheinlichen Folgen des Klimawandels aus dem Blick verlieren. Mit der Formel von der „Bewahrung der Schöpfung“ drohen die unter politischen wie unter religiösen Aspekten zu treffenden klimapolitischen Unterscheidungen verkannt zu werden.

Anmerkungen


[1]    I. Reuter, „Fridays for Future” – Über Klimaschwankungen im öffentlichen Diskurs angesichts des Widerstandes junger Menschen gegen den Totalitarismus der Sachzwänge (ZPT 72, 2020, 312-323).

[2]    AaO., 322.

[3]    B. Dressler, Überlegungen zur Didaktik der Schöpfungstheologie. (ZPT 61, 2009, 391-401).

[4]    Reuter (s. Anm. 1), 322f.

[5]    Es ist zu vermuten, dass die durch die Corona-Pandemie geschärften Vulnerabilitäts-Erfahrungen sich verschärfend auf die Wahrnehmung der Klimakatastrophe auswirken werden.

[6]    Dieses Buch, von seinen Autoren in den Keller des Frankfurter „Café Marx“ verbannt und zunächst nur als Raubdruck verfügbar, war in den Jahren nach 1968 in fast aller Munde, aber kaum jemand der Fortschrittsapologeten scheint es damals gelesen zu haben: M. Horkheimer/Th. W. Adorno, Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente. Frankfurt/M. 1969.

[7]    Mit Blick auf das Ende des Fortschrittsglaubens, ja dem Ende eines überhaupt mit Vorstellungen von Fortschritt zusammen zu denkenden Begriffs von Geschichte steht der „Dialektik der Aufklärung“ ein anderer Schlüsseltext zum Verständnis modernen Geschichtsdenkens eng zur Seite: Walter Benjamins „Engel der Geschichte“: W. Benjamin, Geschichtsphilosophische Thesen (9). In: Ders., Zur Kritik der Gewalt und andere Aufsätze, Frankfurt/M. 1965, 84f. Vgl. dazu auch: B. Dressler, Religiöse Bildung und die Kritik des Fortschrittsglaubens. In: Ders., Religion verstehen. Beiträge zur Religionshermeneutik und zu religiöser Bildung., Stuttgart 2020, 181-193.

[8]    Vgl. M. Fischer/O. Schlaudt, Fakten, Fakten, Fakten. Über den Siegeszug des Positivismus im Kielwasser des Postfaktischen (Merkur 841, 2019 32-43).

[9]    Vgl. U. Stäheli, Sinnzusammenbrüche. Eine dekonstruktive Lektüre von Niklas Luhmanns Systemtheorie. Weilerswist 2000.

[10]   Das (in soziologischer Hinsicht: altehrwürdige) „Präventionsparadox“ hat neuerlich im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie öffentliche Aufmerksamkeit gefunden.

[11]   Deshalb sei es Zeit für einen „mathematical turn“, um die Rolle der Mathematik in den Wissenschaften besser zu verstehen. Vgl. M. Wehr, Von der Unzuverlässigkeit des Zahlenzaubers (FAZ v. 18.01.2012, N5; vgl. Ders., Die Kompetenzillusion, FAZ v. 7.01.2014, 29).

[12]   H. Ritter, „Das Prinzip Verantwortung“ – Wer soll dem denn gewachsen sein? (FASZ v. 8.3.2009, 28).

[13]   J. Soentgen, Am Ende des Zwei-Grad-Ziels. Für ein neues Denken im Klima-Diskurs (Merkur 849, 2020, 22). Vgl.: J. Franzen, Wann hören wir auf, uns etwas vorzumachen? Gestehen wir uns ein, dass wir die Klimakatastrophe nicht verhindern können. Hamburg 2020. Die Heftigkeit, mit der gegen Jonathan Franzen seitens der „Klimaschützer“ polemisiert wird, steht der Kritik an den „Klimaleugnern“ nicht nach – ein Beispiel, dass der Wissenschaftlichkeitsgestus die Emotionen nicht bremst.

[14]   Soentgen (s. Anm. 13), 24.

[15] R. Krznaric, The Good Ancestor. How to Think Long Term in a Short-Term World. London 2020. Siehe auch schon: M. Levene, R. Johnson, P. Roberts (Hg.), History at the End of the World? History Climate Change and the Possibility of Closure, Tirrill Hall 2010.

[16]   Soentgen, (s. Anm. 13), 28.

[17]   AaO., 27ff.

[18]   Th. Kaufmann, Das Singen ist uns allen vergangen. Weihnachten in Pandemiezeiten legt die neue Unfähigkeit offen, mit Widerfahrnissen, umzugehen. Wir sind kontingenzintolerant. (FAZ v. 24.12.2020, 7).

[19]   Ich greife im Folgenden auf Formulierungen aus meinen „Überlegungen zur Schöpfungsdidaktik“ zurück (s. Anm. 3).

[20]   Das „Bebauen“ und „Bewahren“ (Gen 2,15) bezieht sich ja nicht auf die „Schöpfung“, sondern die unmittelbare natürliche Umwelt des Gartens Eden. Es steht zudem (nicht erst heute) in einiger Spannung zu dem Imperativ „Seid fruchtbar und mehret euch“ (Gen 1,28 und 9,7).

[21]   Vgl. F. W. Graf, Von der creatio ex nihilo zur „Bewahrung der Schöpfung“. Dogmatische Erwägungen zur Frage nach einer möglichen ethischen Relevanz der Schöpfungslehre (ZThK 87, 1990, 207-222).

[22]   J. Fischer, Präsenz und Faktizität. Über Moral und Religion. Tübingen 2019.

[23]   Fischer hat dabei, etwas pauschal, die „Theologie der 68er Jahre“ und Wolfhard Pannenbergs Versuch, Theologie als Universalwissenschaft zu betreiben, im Blick. S. auch: Ders., Das Ewige ins Zeitliche ziehen. Die Ambivalenz eines Grundmotivs der Theologie der 68-er Jahre (Zeitzeichen 12/2018, 40-42).

[24]   J. Fischer, Das Ewige ins Zeitliche ziehen. Die Ambivalenz eines Grundmotivs der Theologie der 68-er Jahre (https://zeitzeichen.net/archiv/2018_Dezember_theologie-der-68er; Lesedatum: 15.11.2020). Ich würde noch schärfer sagen: Schöpfung wird mit der außermenschlichen Natur identifiziert und dadurch trivialisiert. Johannes Fischer bringt die Umorientierung der Theologie auf das, was er als einen gegenüber der Präsenz des ewigen Gottes blinden „Immanentismus“ bezeichnet – durchaus streitbar wie strittig – in Zusammenhang mit der „überragende(n) Bedeutung, die die Ethik heute in Theologie und Kirche gewonnen hat“. (AaO., 1). Auch in den Plädoyers für die politische Stimme einer „öffentlichen Theologie“ sieht er eine Verkennung der Tatsache, „dass Religion und Ethik sich nicht zu einem einheitlichen Konzept in Gestalt einer religiösen Ethik verschmelzen lassen. […] Die Zeiten sind vorbei, in der Kirche und Theologie sich der Illusion hingeben konnten, über etwas zu verfügen, womit sie die Welt, die Gesellschaft insgesamt belehren und beglücken können.“ (J. Fischer, Der Stachel der Bergpredigt und das Problem der christlichen Ethik (http://profjohannesfischer.de/2020/05/06/der-stachel-der-bergpredigt-und-das-problem-der-christlichen-ethik/ 8; Lesedatum 15.11.2020). Vgl. Ders., Kirche als Gesinnungsmilieu? Eine kritische Anfrage in Erinnerung an Dietrich Bonhoeffer (https://profjohannesfischer.de/2020/05/06/kirche-als-gesinnungsmilieu-eine-kritische-anfrage-in-erinnerung-an-dietrich-bonhoeffer/; Lesedatum 15.11.2020) Die Veränderungen des Politischen durch den Entzug seiner religiösen Begründung und/oder Deutung läuft immer positiv auf einen Gewinn an Freiheit und an Konfliktregelungsspielräumen hinaus, man denke nur an die für die Politik wie die Religion gleichermaßen verheerenden Wirkungen der evangelikalen Unterstützung Donald Trumps. Umso fragwürdiger ist es, für religiös motivierte politische Interventionen ein „prophetisches Amt“ zu beanspruchen. Was vormodern noch ungeschieden war, muss modern unterschieden werden: Politik und Religion ebenso wie Ästhetik und Religion oder Wissenschaft und Religion. Immerhin ist das Christentum in die Ausdifferenzierung und die Herausbildung des entsprechenden Unterscheidungsvermögens so weit selbst involviert, dass ihm mit den modernen Unterscheidungsimperativen nichts völlig Fremdes entgegentritt.

[25]   Fischer, Das Ewige ins Zeitliche, s. Anm. 24, 3.

[26]   Ebd.

[27]   Siehe z.B., leider selten im religionspädagogischen Kontext: E. Esslinger/H. Rupp/U. Schott, Gottes verborgene Gegenwart: Oberstufe Religion, Heft 10, Stuttgart 1988.

[28]   Das berühmte Diktum Dietrich Bonhoeffers – „Einen Gott, den es gibt, gibt es nicht“ – gehört zu den unabgearbeiteten religionsdidaktischen Problemen. Vgl. auch B. Dressler, Muss die „Frage nach Gott“ im Mittelpunkt des Religionsunterrichts stehen? (ZPT 64, 2012, 311-325).

[29]   Fischer (s. Anm. 24, 5).

[30]   AaO., 6.

[31]   Vgl. B. Dressler, Sinn – Bedeutung – Präsenz. Aspekte religiöser Bildung (ZPT 70, 2018, 191-204).

[32]   Vgl. B. Dressler, Religionsunterricht. Bildungstheoretische Grundlegungen, Leipzig 2018, 145.

[33] Präsenzerfahrungen wirken ähnlich wie ästhetische Erfahrungen. Die Empfindungszustände, auf die religiöse Deutungskategorien angewandt werden, sind vorsprachlicher/vorprädikativer Natur, nur subjektiv zugänglich. Erst die Anwendung von Deutungskategorien lässt ästhetische und religiöse Erfahrung als allgemeine, mitteilbare Erfahrung artikulierbar werden. Mit der Unterscheidung (nicht: der Trennung) zwischen „Präsenzkultur“ und „Bedeutungskultur“, wie sie etwa Hans Ulrich Gumbrecht vorschlägt, wäre an die nicht in Sachverhaltsbehauptungen aufgehende Wahrheit von performativen Sprechakten anzuschließen. Vgl. H. U. Gumbrecht, Präsenz. Berlin 2012; ders., Diesseits der Hermeneutik. Die Produktion von Präsenz. Frankfurt 2004, 83; J. Lauster, Sinn und Präsenz. Anmerkungen zu einer möglichen Bedeutung des Präsenzgedankens für eine theologische Hermeneutik, in: S. Fielitz (Hg.), Präsenz interdisziplinär. Kritik und Entfaltung einer Intuition, Heidelberg, 1-15.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/132/bd02.htm
© Bernhard Dressler, 2021