Auf dem Tisch der Redaktion

Buchvorstellungen

Andreas Mertin

Große, Jürgen (2021): Der Glaube der anderen. Ein Weltbilderbuch. Berlin: Omnino Verlag.

[Klappentext] Ein Pandämonium zeitgenössischer Frömmigkeit in 55 Porträts. Der Hoffnungsstille, die Leibeswächterin, der Geistgewisse, die Kindsanbeterin, der Sündenstolze: lauter Typen des Religiösen, die einem seltsam bekannt vorkommen. Man hat sie irgendwo gesehen – aber wann war das? Und wo? War es innerhalb oder außerhalb eines Tempels, bei heiligen oder heillosen Festen? Das Weltbilderbuch porträtiert alte und neue Konfessionen, die traditionell steuerpflichtigen ebenso wie die jüngst erfundenen. Kein einziges Dogma wird hier kritisiert, denn älter als jedes Dogma scheint eine Sehnsucht nach ihm, der die Zeit nichts anhaben kann. [/Klappentext]

Als ich meine erste Rhetorik-Ausbildung im Rahmen der politischen Bildung machte, gab uns der Dozent ein doppelseitig bedrucktes DIN-A4-Blatt, auf dem die wichtigsten Gesprächstypen bei Gruppensitzungen und Konferenzen verzeichnet und charakterisiert waren. Da gab es den Verweigerer, den Nörgler, den Schweiger, den Vergesslichen, den Vielredner, den Selbstdarsteller, den Choleriker, den Besserwisser, den Beflissenen, den Positiven oder auch das große Tier. Glücklicherweise umfasste die Liste mit den Charakterisierungen wirklich nur zwei Seiten, so dass es einfach und schnell anzueignen war.

Ich weiß nicht, wie ich reagiert hätte, wenn mir der Dozent ein Konvolut von knapp 300 Seiten in die Hand gedrückt hätte. Es wäre wohl nicht bei Teamsitzungen verwendet worden. Und doch ist das hier anzuzeigende Buch etwas Ähnliches. Es ist die raumgreifende Vorstellung von fünfundfünfzig Glaubenstypen, die selbst noch einmal in achtzehn Kategorien gebündelt sind.

Nun stört mich daran nicht die ausgreifende Zahl von fünfundfünfzig Glaubenstypen – hier hätte ich selbst innerhalb des Protestantismus, dem ich angehöre, noch viel mehr Typen benennen können. Das wird den Leser:innen auch so gehen. Was mich stört, ist der Ansatz, überhaupt so etwas wie ein Schema von Glaubenstypen (aller Religionen und religionsähnlicher Phänomene) vorzulegen, weil es sich a) einzeichnet in die unselige Tradition der Moderne und der Aufklärung, alles zu kategorisieren und damit in Schubladen zu packen, und b) notwendig höchst komplexe Phänomene notwendig auf Typisierungen herunterbricht. Einen wirklichen Erkenntnisgewinn sehe ich darin nicht. Sicher, es ist komplexer als die binäre Einteilung von religiös und nicht-religiös, aber viel komplexer wird es auch nicht. Denn die einzelnen Kategorisierungen sind nicht wirklich phänomenologischer oder soziologischer Art, sondern doch sehr durch den Autor subjektiv geprägt, das heißt, anekdotisch gefüllt. Das muss nicht negativ sein, insofern es mit Genuss gelesen werden kann, aber hier hatte es mir zu sehr den Zungenschlag des Besserwissers – um auf die Typologie meines Rhetoriklehrers zurückzukommen. Die Rede von der (reichen) Kunstkokotte passt dann doch besser auf Bilder von Ernst Ludwig Kirchner vom Anfang des 20. Jahrhunderts als in Weltbilderbücher aus dem dritten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts.

Als Zielpublikum würde ich daher weniger die Gruppe der religiös Interessierten, als vielmehr die religiös Distanzierten sehen, jene, die meinen sich auch im 21. Jahrhundert noch über die Religiösen durch Zuschreibungen lustig machen zu müssen. Wer daran Intetresse hat, dem sei das Buch empfohlen.

In den Text eingestreut sind nach manchen in Anführungsstriche gesetzten Sätzen Kurznachweise, denen aber kein Literaturverzeichnis um Buch entspricht. Das ist akademisch ziemlich unüblich, daher irritierend und wenig hilfreich. Erschwerend kommt hinzu, dass einem die Google-Suche beim Finden der angeblichen Zitate auch nicht weiterhilft. Sind es fiktive Zitate aus fiktiven Büchern? Ich weiß es nicht. Wenn es aber so wäre, so müsste man das ganze Weltbilderbuch als fiktionale Literatur bezeichnen – ohne dass es das kenntlich macht.


Hennings, Ralph (Hg.) (2021): Worte der Zuversicht. In der Corona-Krise von 2020-2021 Band 2. 1. Auflage. Oldenburg (Oldb): Isensee, Florian, GmbH.

[Klappentext:] Dies ist Band 2 unserer "Worte der Zuversicht". Sie sind von Sommer 2020 bis April 2021 während der Corona-Epidemie in Oldenburg entstanden. In 87 kurzen Texten spiegelt sich, wie elf evangelische Theologinnen und Theologen die Krisenzeit erlebt haben. Sie haben in schwierigen Tagen versucht, Zuversicht weiterzugeben, die von ihrem christlichen Glauben ausgeht. Während der Epidemie war Zuversicht vielleicht das, was am nötigsten gebraucht wurde. [/Klappentext]

Peter Bubmann hat auf Zeitzeichen.net in einem lesenswerten Aufsatz über „Die digitale Vollendung der Pastorenkirche“ geschrieben. Darin geht es nicht zuletzt darum, ob nicht in den Pandemie-Zeiten die Rückkehr zur Pastor:innenkirche gefördert wurde, weil die restliche Gemeinde zwar als Ansprechpartnerin, aber nicht als Akteurin in den Fokus tritt. Auf der anderen Seite war es seit der Reformation eine Tradition des Protestantismus, die Predigtkultur nicht nur auf den temporären Anlass zu beschränken, sondern durch Publikation einer größeren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Gerade in der Barockzeit war des diesbezüglichen Büchermachens kein Ende. Man liest diese Literatur heute noch mit Interesse und Genuss.

Der vorliegende zweite Band der „Worte der Zuversicht“ ergibt sich aus der unerwarteten Länge der Pandemie, die die Fortsetzung der Oldenburger weniger Predigt- als vielmehr Andachtsreihe sinnvoll machte. Und so eben auch den zweiten Dokumentationsband.

Ob die Fokussierung auf die zu vermittelnde Zuversicht (pastoral-)theologisch sinnvoll ist, darüber kann man sich streiten. Es wäre ja auch denkbar gewesen, den Worten der Zuversicht einen Band mit Worten der Klage folgen zu lassen. Denn in der Zwischenzeit sind 92.000 Menschen an der Corona-Erkrankung gestorben, Menschen, deren Angehörige eben auch eine angemessene pastorale Begleitung in der Klage verdienen.

Die Orientierung an der Zuversicht bedingt aber auch, dass die beigefügten Fotos - wie die in der protestantischen Traktat-Literatur schon fast unvermeidlichen Bilder – auch im vorliegenden Fall einen Hang ins Kitschige und Affirmative haben. Aber selbst darin bilden sie keinen stimmigen Kosmos aus – wie es etwa der Bilderkosmos von Thomas Kinkade tut -, sondern atomisieren den einzelnen Beitrag samt beigefügtem Bild zu einer bloß subjektiven Ansicht. Das Haus der Kirche der Kirche der Niedersächsischen Landeskirche hatte 2015 ein mit einem Design-Preis ausgezeichnetes Buch herausgebracht, dessen Einzelbeiträge mit den anderen nur durch ein Gummiband verbunden war. Das zeigte etwas von der Fragilität der menschlichen Existenz. Ein derartiges Design hätte auch dem vorliegenden Buch gutgetan.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/132/am733.htm
© Andreas Mertin, 2021