Das falsche Bild im Schaukasten

Zur aktuellen Ikonographie des Religiösen XIV

Andreas Mertin

Werbung und Religion

Vor 20 Jahren schrieb ich zusammen mit einem Kollegen ein Buch zum Thema „Werbung im Religionsunterricht“.[1] Das war eine Zeit, in der die Werbungsindustrie sich noch relativ häufig religiöser Motive bediente und eine Zeit, in der die Kirchen relativ häufig gegen diesen „Missbrauch“ protestierten. Ich schrieb damals den Kirchen ins Stammbuch, dass der viel dramatischere Umstand der wäre, wenn die Religion in der Werbung nicht mehr vorkäme, weil sie spätestens dann in der öffentlichen Wahrnehmung bedeutungslos geworden wäre. 20 Jahre später haben sich die Zeiten tatsächlich gewandelt. Religion kommt in der Werbung so gut wie gar nicht mehr vor, es ist leichter, mit anderen Motiven Aufmerksamkeit zu erzielen, denn Religion ist schon lange nicht mehr der größte gemeinsame Nenner einer Gesellschaft, sondern minoritäre Position. Und noch etwas hat sich geändert. Konnte vor 20 Jahren die Religion mit ihrer über 2000 Jahre entwickelten Bildermacht der Werbung Motive aufnötigen (etwa den Apfel als Symbol der Verführung), so bedient sich heute die Kirche selbst bei Motiven der säkularen Welt, um ihre Sache plausibel zu machen. Man wird nicht fehlgehen in der Annahme, dass die Kirchen ihrer eigenen Symbolik nicht mehr vertrauen und deshalb Anleihen bei der Alltags-Werbung machen oder gleich solche Werbeinstitute beauftragen, die es gar nicht mehr für nötig halten, sich religiöser Motive zu bedienen. Man kommt religionsfrei durch die Werbewelt – selbst wenn man für die Kirche Werbung macht. Ein Beispiel dafür möchte ich im Folgenden betrachten.

Im Schaukasten

Sprachliche und sachliche Analogien?

Das ist eines von drei einander ziemlich ähnlichen Motiven der Badischen Landeskirche zur Feier des Jubiläums ihrer Unionsurkunde von 1821.

Wir sehen jeweils zwei Personen, die unterschiedlichen Szenen zugeordnet werden, die im Gebiet (und mindestens zur Hälfte auch in den Diensten) der Badischen Landeskirche vorfindlich sind[2]. So richtig triggern können die Plakate nicht, aber man wendet sich ja auch an ein binnenkirchliches Publikum. Die abgebildeten Personen werden jeweils durch ein grün, blau, hellblaues Band miteinander verbunden. Gerahmt werden die Bilder mit Text-Anspielungen auf die Unionsurkunde von 1821. Aus dieser haben sich die Kirchenvertreter*innen die sie eröffnenden ersten fünf Worte herausgegriffen: „gleich hochherzig und gleich begeistert“. Man kann nun mit dem Marker einmal hervorheben, worum es in den drei ersten Sätzen der Unionsurkunde geht.

Gleich hochherzig und gleich begeistert für die Wahrheit, wie sie der Welt im Evangelium offenbar geworden, trennten sich nichts destoweniger unsre frommen Vorfahren in einer Hauptlehre derselben. So entstanden die evangelisch-lutherische und die evangelisch-reformierte Kirche. Jede von beiden hielt an ihrer Lehre fest, verteidigte sie und bestritt die ihr gegenüber befindliche; in jeder gewann allmählich der Ritus, die Verfassung und die innere Einrichtung der Kirche eine eigentümliche Gestaltung.

Und da steht natürlich die Lehre im Vordergrund und die Betonung des Umstands, dass man trotz weitgehend gemeinsamer Gemeinsamkeiten, in einer zentralen Frage (noch) uneinig war. „Gleich hochherzig und gleich begeistert“ ist dabei nur die qualifizierende Größe des jeweiligen Einsatzes und nicht der Gemeinsamkeit. Einigkeit erreicht man nicht dadurch, dass man gleich stark für seine eigene Sache kämpft, sondern indem man Kompromisse eingeht. Das legt die Unionsurkunde auch in ihren weiteren Ausführungen dar, aber daraus haben die Werbetreibenden ja nicht ihren Slogan gebastelt. Sie sind nur über die die ersten fünf Worte des Textes gefahren und haben kurz vor der sich im Evangelium offenbarenden „Wahrheit“ und den sich daraus ergebenden Schlussfolgerungen eine Vollbremsung hingelegt.

„Gleich hochherzig und gleich begeistert“ kommt nur einmal in der Unionsurkunde vor und die Formel erschien den Kampagnenbetreiber*innen als geeigneter Anknüpfungspunkt, um heutigen Menschen ein für die badische Landeskirche wichtiges Geschehen nahezubringen, das sich vor 200 Jahren ereignete und nun anhand von Phänomenen der heutigen Alltagswelt verständlich gemacht werden soll.

Nun sind aber ganz offenbar schon einige der fünf gewählten Worte unverständlich. Das gilt sicher für „hochherzig“, weil es weder 1821 noch 2021 zum normalen Sprachgebrauch gehört. Unverständlich ist aber auch „begeistert“, weil sich tatsächlich kein Mensch des 21. Jahrhunderts vorstellen kann, dass die Vertreter der binnenprotestantischen Gruppen Anfang des 19. Jahrhunderts wirklich in Begeisterung ausgebrochen sind. Also ist man auf der Suche nach einer assoziativen Analogie. Der ursprüngliche Ausdruck soll durch etwas plausibilisiert werden, das deutlicher und anschaulicher ist. Der „Begeisterung und der Hochherzigkeit der Unionsschließenden“ ähnlich / verwandt / analog ist heutzutage … Und nun kommt die Schwierigkeit, das Treffende zu benennen, denn man kann ja auch das Falsche wählen.

Nun ist das gewählte Bild zunächst einmal nicht ganz falsch, es entspricht der heutigen assoziativen Logik zum Wort „begeistert“. Wenn man in Bilddatenbanken das Stichwort „Begeisterung“ eingibt, kommt man zu Ergebnissen wie dem nachstehenden.

Nun kann man sich aber nur schwer vorstellen, dass dieses Bild das Verhalten der „frommen Vorfahren“ spiegelt – und schon gar nicht ihre Begeisterung für die Wahrheit des Evangeliums (Charismatiker sind doch späteren Datums). Sie waren vielleicht engagiert und motiviert, aber sie haben kaum Freudensprünge gemacht. Und auch im Blick auf den Vergleichsgegenstand – die Fanszene des regionalen Fußballs – dürfte das Bild kaum treffend sein. So freut man sich, wenn man den lokalen Konkurrenten besiegt hat, aber kaum, wenn man eine Übereinkunft mit der gegnerischen Fanszene in Aussicht hat.

Es erweist sich schlicht als eine schiefe Bildmetapher. Das hat vor allem damit zu tun, dass das gewählte Bild der enthusiastisch springenden Menschen zutiefst mit dem Wort „hochherzig“ kollidiert. Zu „hochherzig“ fällt den aktuellen Bilddatenbanken gar nichts ein, selbst zum Hilfswort „großes Herz“ ist das Ergebnis gleich Null. Beides sind bildungsbürgerliche Relikte.

Sprachliche Verwitterungen

Wenden wir uns zunächst der sprachlichen „Verwitterung“ der verwendeten Worte zu. Hier ist es vor allem das Wort „hochherzig“, das erläuterungsbedürftig ist. Schauen wir zunächst auf die relative Häufigkeit der beiden Worte ‚hochherzig‘ und ‚begeistert‘ seit 1750:

Ambivalent war „hochherzig“ bereits Anfang des 19. Jahrhunderts, während der Abfassung der Unionsurkunde, denn es zieht sich eine Sprachgrenze durch Deutschland. Der Norden (also auch der Verfasser) neigt dazu, hochherzig negativ zu konnotieren, am deutlichsten ist das ablesbar im Adelung, dem Grammatisch-Kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart:

Hochhêrzig, adj. et adv. 1) Ein hohes, d. i. erhabenes Herz habend, und darin gegründet; in welchem Verstande es doch wenig gebraucht wird, auch um der folgenden Zweydeutigkeit willen nicht ohne Anstoß gebraucht werden kann. 2) Im nachtheiligen Verstande ist es besonders im Niedersächsischen, wo es hooghartig lautet, für übermüthig, hochmüthig, üblich, welche Bedeutung auch das Holländ. hooghertig hat. Ja schon bey dem Ulphilas ist Hauhhairtei Hochmuth.[3]

Goethe dagegen verwendet das Wort „hochherzig“ in beiden Varianten, im positiven und im kritischen Sinn:

a beherzt, mutig, auch zugl. großherzig, heldenmütig
b stolz[4]

Auch das Wörterbuch der Gebrüder Grimm verzeichnet beide Varianten, wenn auch in einer abgeschwächten Form:

a)    hohen, stolzen herzens, nach hoher ehre trachtend ...
b)    hohen, edlen herzens.[5]

In der Gegenwart bedarf es eines konkretisierenden Kontextes, um über die jeweils erwünschte positive oder negative Konnotation Auskunft zu bekommen. Freilich ist das Wort selbst auch kaum in Gebrauch.

Der Text auf dem Plakat steuert dem entgegen, indem es auf das Plakat drei erläuternde Sätze setzt, die dieses erst verständlich werden lassen (gute Werbung würde so nicht arbeiten):

Beim badischen Derby geht's richtig zur Sache. Mit großem Herz unterstützt jede und jeder von uns das eigene Team. In der Begeisterung für das Spiel sind wir uns aber einig.
   So leben wir auch unseren Glauben: bei allen Unterschieden „gleich hochherzig und gleich begeistert“ - in Baden seit 200 Jahren.

Die Ich-Rede der Dargestellten empfinde ich als anbiedernd. Ich weiß schon nicht, was – angesichts der Differenziertheit, die den protestantischen Glauben auszeichnet – „unser Glaube“ sein soll. Das besitzanzeigende Fürwort scheint mir hier unangebracht. Und was soll in der Gegenwartssprache „ein großes Herz“ sein: eine Umformung von großherzig? Heute wird „ein großes Herz“ vor allem medizinisch und dann kritisch konnotiert. Den Plakatgestalter*innen ist es aber wichtig, durch Worte eine Analogie von Fußball-Enthusiasmus und Glaubens-Eifer herzustellen. Ich zweifle, dass das geht. Wäre zudem der Satz „In der Begeisterung für die Religion sind wir uns aber einig“ wirklich eine zutreffende Beschreibung des badischen Protestantismus?

Sachebene

Stimmen die Begeisterung für den (eigenen) Fußballverein und die Großherzigkeit / Hochherzigkeit des Engagements wenigstens auf einer sachlichen Ebene mit dem beworbenen Ereignis überein? Erinnern wir uns daran, worum es eigentlich geht:

El Grecos (hier tendenziös mit Photoshop bearbeitete) Version des Abendmahls zeigt das Dilemma der Unionsschließenden von 1821 und ist in dieser Hinsicht auch sofort einsichtig. Wie kommen zwei unterschiedliche Gruppierungen nicht nur an einem Tisch, sondern auch einvernehmlich zusammen? Das hat wenig mit Fußball, Schwarzwaldtrachten oder Angestellten der Ev. Kirche zu tun, sondern mit einem elementaren Deutungs- bzw. Auslegungskonflikt.

Man erfährt die Härte dieses Konflikts spätestens dann, wenn man als Reformierter nicht zu einem Abendmahl der SEL-Kirche zugelassen wird.[6] Es geht also nicht um unterschiedlichen Enthusiasmus, sondern um eine unmittelbare gezogene Abgrenzung. Bei aller Freude über die zwischenzeitlich gelungenen Übereinkünfte (Leuenberger Konkordie) sollte man das nicht vergessen. Ich stelle mir das Ringen um eine Übereinkunft in Sachen Abendmahl im Jahr 1821 also als ein höchst kontroverses Geschehen vor – aus dem ja nicht zuletzt als Kollateralschaden die SEL-Kirchen entstanden sind. Also nicht bloß Friede, Freude, Eierkuchen, sondern konzentrierte theologische Debatten.

Man kann nun fragen, in welcher Relation das Poster der Evangelischen Landeskirche zum ursprünglichen Geschehen steht. Ist es angemessen, die Fan-Szene mit dem Konflikt um die rechte Auslegung des Wortes Gottes auf eine Ebene zu bringen – gerade auch im Selbstverständnis der badischen Landeskirche? Geht es darum, dass die einen nur Fans eines symbolischen Verständnisses des umstrittenen Vorgangs sind, die anderen aber Fans eines realpräsentischen? Ich hoffe nicht. Das ist – bis heute – dem Streitgegenstand nicht angemessen. Ich weiß, dass es Theolog*innen gibt, die das anders sehen, kann ihrer Meinung aber nicht folgen, weil ich doch elementare Unterschiede zwischen Religion und Fußball sehe, sie gehören schlicht verschiedenen Lebensdimensionen an. Die Sachebene wird hier meines Erachtens vollständig verfehlt. Das scheint der Werbung egal zu sein.

Werbegeschichte

Es gehört zu den Charakteristika von Werbung, dass man, um ihre Botschaft zu verstehen, nicht extra Texte lesen und studieren muss, sondern auf einen Blick erkennt, worum es geht.

Also ein Gesicht, ein Name, ein in roter Farbe geschriebenes Satzfragment (mein Blut – für dich) und ein Logo reichen dem Deutschen Roten Kreuz, um für Blutspenden zu werben. Eine minimalistische, extrem erfolgreiche und über einen langen Zeitraum auf Plakatwänden eingesetzte Werbung. Sie rekurriert auf die Text- und Bildgeschichte des Christentums.[7]

Das geht auch kontrastiv, wenig verbindet eine Zigarette mit dem sonntäglichen Gottesdienst.[8] Also ein alt anmutendes Kirchenfenster, eine Packung Zigaretten, eine Gloriole, ein Spruch (da strahlt die Gemeinde) und der Tabakfirma ist die entsprechende Aufmerksamkeit der Konsumenten und der Öffentlichkeit sicher.[9]

Es geht sogar auch religionsgenerativ. Dem Tabak mit dem biblischen Namen SAMSON reicht sein Markenlogo – der Löwe –, dargestellt als gespraytes Gestirn am Nachthimmel in Kombination mit etwas Michelangelo aus der sixtinischen Kapelle und einem Spruch aus der Schöpfungsgeschichte der Bibel, um das beworbene Produkt religiös aufzuladen: dieser Tabak wurde von Gott für gut befunden. Cool.

Eingebettet war das damals in einen Wettstreit mit der konkurrierenden Tabakmarke DRUM, wem wohl der kreativste Zugriff auf die biblische Schöpfungsgeschichte gelingen würde.

Ich finde alle diese Beispiele gelungen. Jedes Mal wird ein Produkt, das gar nicht (oder doch nur weit entfernt) im Kontext von Religion steht, durch religiöse Motive bzw. religiöse Ikonographie in seiner Bedeutung angereichert. Das lebte seinerzeit davon, dass Religion noch eine weitgehend anerkannte Größe war, von deren Bedeutung etwas auf andere Bereiche der Lebenswelt übertragen werden sollte und konnte. Wenn Religion freilich gleichgültig wird, dann ist es nicht mehr attraktiv, sie als Werbemotiv einzusetzen.

Jürgen Habermas hatte Anfang der 70er Jahre dem Spätkapitalismus genau diesen Vorgang kritisch vorgeworfen und einen Blick auf den seiner Meinung nach notwendigem Verlauf geworfen.[10] Im Rahmen der Legitimationsprobleme des Spätkapitalismus nutze dieser die Reste der legitimatorischen Kraft vergangener und vergehender Weltbilder für die eigenen Zwecke aus, freilich „verbraucht“ er sie dabei auch, er frisst sie quasi auf, indem er sie trivialisiert. Das habe Folgen auch für die Weltbilder selbst.

Wenn einem die Bedeutung eines Ereignisses verlustig gegangen ist, oder wenn man meint, dass die Bevölkerung diese Bedeutung nicht mehr nachvollziehen kann, dann beginnt man, dieses Ereignis mit Werten und Assoziationen aus anderen Lebensbereichen anzureichern. Man überträgt – das ist das Standardgeschäft von Werbung – Gefühle, die mit einem bestimmten Lebensbereich verbunden sind, auf einen anderen. Solang die Bevölkerung Religion mit Ewigkeit, Dauerhaftigkeit, Wahrheit, Sinn oder Heil verbindet, ist es gut, wenn es einem gelingt, dies auf Produkte aus der Warenwelt zu übertragen. Dabei wird freilich der Wert der Religion gemindert. Soweit Habermas. Man könnte nun spekulieren, dass es heute um so etwas wie „Legitimationsprobleme der Kirche“ geht, zu deren Bekämpfung scheinbar funktionierende, also vitale Elemente der Alltags- und Lebenswelt eingesetzt und für die eigenen Zwecke – die Attraktivität der Kirche wie der Religion – instrumentalisiert werden sollen.

Ich bin mir ziemlich sicher, dass dies einer der Gedanken der Kirchenvertreter beim Entwurf dieses Plakats war. Wenn man das Gefühl hat, dass in der Fan-Welt des Fußballs mehr Enthusiasmus herrscht als in der Feier-Welt der Kirche, dann sucht man Letzteres mit Ersterem anzureichern. Dabei geht es (auch in der Werbung) nicht notwendig um Stimmigkeit. So wie die West-Zigarette scheinbar wenig mit der Lichtmetaphysik gotischer Kirchenfenster verbindet, so verbindet die Begegnung zweier Fan-Szenen wenig mit der Union zweier Konfessionen. Es muss eben nur funktionieren, so dass in den Köpfen der Menschen eine Verbindung vollzogen wird. Das geschieht beim Poster zum Unionsjubiläum nicht. Man könnte daraus keine Metapher machen: mit der Union von Reformierten und Lutheranern in Baden verhält es sich wie mit … Das funktioniert nicht, auf keiner Ebene. Es wäre eine schiefe Metapher. Weder die Parallelisierung von religiösem Enthusiasmus und fußballerischen Enthusiasmus, noch die lebensweltliche Anreicherung oder die regionale Anbindung leuchten ein. Auffällig ist schon, dass die Rede von der Fußballreligion vor allem im Ghetto der Kirche gepflegt wird. Zwar sagen Fußballfans häufig, dass ihnen dies und das heilig ist, aber das macht ihre Haltung noch nicht zu einer Religion. Popkulturtheolog*innen, fußballbegeisterte Nachwuchstheolog*innen und Kirchenvertreter*innen erhoffen sich Enthusiasmus für „ihre Sache“ (= unseren Glauben), die dem Enthusiasmus der Fußballfans entspricht. Aber so gelingt das nicht. Nur umgekehrt wird ein Schuh daraus:


„Gleich hochherzig und gleich begeistert“?

Nur wenn das Narrativ, das man vertritt, den Menschen auch einleuchtet und sie betrifft (und nicht einfach nur behauptet wird, dass es sie betrifft), dann taucht es in der Lebenswelt der Menschen auf. Der einfache Weg wäre natürlich der der liberalen Theologie, den Fußball gleich zur vollwertigen Religion zu machen. Aber dieser Weg wird ja hier nicht eingeschlagen. Stattdessen trivialisiert man die kirchliche Religion, indem man sie Phänomenen der Alltagswelt angleicht und mit solchen Phänomenen aufhübscht. Das funktioniert beim Schlager nicht und es funktioniert auch nicht beim Fußball.

Letztlich wird bei all dem die Eigensprachlichkeit von Religion nicht ernstgenommen. Gleich welcher Lesart, ob reformierter oder lutherischer, bei keiner und auf keiner Ebene ist das Abendmahl mit dem Fußball zu vergleichen.

Anmerkungen

[1]    Mertin, Andreas; Futterlieb, Hartmut (2001): Werbung als Thema des Religionsunterrichts. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

[2]    „Kathrin aus dem Schwarzwald, Trägerin der Gutacher Bollenhuttracht“ in Opposition zu „Im aus der Kurpfalz, Pfarrer in Ausbildung“; „Silke, Fan des SC Freiburg“ in Gegenüberstellung zu „Ludwig, Fan der TSG 1899 Hoffenheim“; „Olav, Erzieher in einer evangelischen Kindertagesstätte“ versus „Schwester Hildegund, bis 2009 Leiterin eines evangelischen Schülerhorts“.

[3]    „Hochhêrzig“, Grammatisch-Kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart (Ausgabe letzter Hand, Leipzig 1793–1801), digitalisierte Fassung im Wörterbuchnetz des Trier Center for Digital Humanities, Version 01/21, <https://www.woerterbuchnetz.de/Adelung?lemid=H02752>, abgerufen am 26.03.2021.

[4]    „hochherzig“, Goethe-Wörterbuch, digitalisierte Fassung im Wörterbuchnetz des Trier Center for Digital Humanities, Version 01/21, <https://www.woerterbuchnetz.de/GWB?lemid=H06166>, abgerufen am 26.03.2021. Als Beispiel gilt folgender Satz aus den Schriften zur Kunst: „… und so wäre denn auch der peinliche Zustand eines anmaßlichen Weiberbesiegers, der endlich von einer hochherzigen Frau verschmäht wird, im Hades verewigt“.

[5]    „hochherzig, adj.“, Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, digitalisierte Fassung im Wörterbuchnetz des Trier Center for Digital Humanities, Version 01/21, <https://www.woerterbuchnetz.de/DWB?lemid=H10410>, abgerufen am 26.03.2021.

[6]    Insofern geht es – zugespitzt gesprochen – nicht nur um „Hochherzigkeit“ sondern auch um „Hartherzigkeit“

[7]    Mertin / Futterlieb, Werbung, S. 94ff.

[8]    Anders ist das natürlich beim Pfeifentabak, worauf Flusser ironisch hingewiesen hat. Vgl. Mertin, Andreas (2002): Die Geste des Pfeifenrauchens. Vilém Flussers Lehrstück über Kunst und Religion. In: tà katoptrizómena - Magazin für Kunst | Kultur | Theologie | Ästhetik, Jg. 4, H. 19. Online verfügbar unter http://www.theomag.de/19/am66.htm.

[9]    Mertin / Futterlieb, Werbung, S. 64ff.

[10]   Jürgen Habermas, Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus, Frankfurt am Main 1973, S. 99f.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/130/am723.htm
© Andreas Mertin, 2021